Moldawisches Stichwörterbuch (1)
Cheese now
„Cheesy…was?“ fragten die meisten, denen ich von meiner Moldawienreise in die Landeshauptstadt, Chisinau erzählt hatte. Nun gehört Chisinau nicht direkt zu den bekanntesten Städten Europas. Vielmehr zu den weniger bis gar nicht bekannten, nichtsdestotrotz durchaus charmanten Städten. Charmant ist zum Beispiel, dass man in Chisinau viele Parks und Bäume hat, wobei letztere – anders als bei uns – relativ dem Wildwuchs überlassen werden, auch mitten in der Stadt. Das bedeutet einerseits zum Teil tropische Luftfeuchtigkeitsverhältnisse, weil man sich stets unter einer massiven grünen Riesenlunge befindet, andererseits ist man aber auch meistens vor Regen geschützt.
Nicht so sehr schützen einen die Bäume vor den zum Teil überraschend auftauchenden Löchern im Bürgersteig, die manchmal bis in die Kanalisation führen. So wird ein Fußweg in Chisinau zu einer Art Amazonasexpediton mit dem Hauch von Risiko, der uns zivilisationsverwöhnten schlaffen Säcken ja meistens abgeht.
Moldcell
So heißt die nationale Telefongesellschaft, die auf Englisch übersetzt ungefähr „Formzelle“ heißen würde. „Mold“ kommt aber von Moldawien, und das ist dieses seltsame Land, von dem keiner eigentlich weiß, was es ist. Die Moldawier selber übrigens auch nicht, hat doch dieses von der Größe her übersichtliche Land in den letzten 100 Jahren insgesamt 6 mal die Regierungsform gewechselt. Mal war man zaristisch, mal kommunistisch, mal faschistisch, mal sowjetisch, ja und eine Monarchie gab es auch Mal. Jetzt aber – gottseidank – Demokratie. Und das schlimme Schicksal des Nachbarlandes Rumänien (die doch recht lange unter einem gewissen Diktator litten) blieb Moldawien größtenteils erspart. Deswegen mögen die Moldawier ihre direkten Nachbarn, die Rumänen, die ja auch noch praktischerweise dieselbe Sprache sprechen und denselben Volkshelden haben (Vlad Tepec, auch als „Dracula“ bekannt). Man spricht aber auch russisch und manchmal auch deutsch. Mit englisch kommt man nicht sehr weit, dagegen gut mit allen romanischen Sprachen wie italienisch oder französisch. Rumänisch ist ja am nächsten am Latein geblieben, daher staunt man immer, wie südländisch die Sprache klingt, was man jetzt in der Nähe von Polen und der Ukraine nicht unbedingt erwarten würde.
Moldawien ist grün – sehr grün sogar. Kommt man am Flughafen an, wird man auf einem sympathischen kleinen Rollfeld wie von einer Familie empfangen. Auf dem Dach des Flughafengebäudes stehen stets hunderte von Menschen und begrüßen die Ankommenden. Als erstes schaut man auf eine Art Dorf, das sich aber dann als Vorort von Chisinau herausstellt. Das sieht dann erst einmal etwas trist aus, mit den üblichen zerfallenen Plattenbauten am Rande, gen Zentrum wird es aber immer schöner.
Musikpolitik
Warum ich in Moldawien bin? Zusammen mit der Klarinettistin Carola Schaal vom umwerfenden Duo LUXA aus Hamburg bin ich auf Einladung des freundlichen Münchener Dirigenten Franz Schottky Gast des „ZILELE MUZICII NOI FESTIVAL INTERNATIONAL“, auch bekannt als „The Days Of New Music International Festival 2013“. Ein durchaus typischer Titel, heißen doch absolut alle Neuen Musik-Festivals in Osteuropa so. Kein Wunder, dass es immer wieder zu Verwechslungen kommt – manch einer landete schon in Odessa oder Kiew, anstatt das schöne Moldawien zu besuchen!
Abgeholt werden wir von Vladimir Beleaev, einem sehr netten älteren Kollegen aus Moldawien, und seiner Festivalassistentin Anastasia. Auf dem Weg in die Stadt hinein ist ein Sprachsender eingeschaltet, in dem beständig ein Redner zu hören ist. Den ganzen Weg vom Flughafen in die Stadt hören wir diesen Redner und verstehen kein Wort. Irgendwann fragen wir, was denn hier gesagt wird. Anastasia sagt uns, dass es sich hier um einen Komponisten zeitgenössischer Musik handelt, nämlich dem Leiter des Festivals „Days of New Music“! Man stelle sich vor: der Leiter der Wittener Tage für Neue Kammermusik bekommt eine Stunde Sendezeit im nationalen deutschen Radio, um über Neue Musik zu reden!
In Moldawien dagegen ist das normal. Einziger Makel dieser schönen Geschichte: Ghenadie Ciobanu (so heißt der Kollege nämlich) spricht gar nicht über Neue Musik, sondern über Politik, denn er ist gleichzeitig führender Abgeordneter des moldawischen Parlaments, vielleicht sogar Kultusminister, so ganz genau verstanden haben wir das nicht.
Das ist das nette an kleineren Ländern – besucht man dort ein Musikfestival trifft man sofort auf die Führungsriege der Regierung. Und das ist dann eben doch ein gewisser Unterschied zu den Wittener Tagen für Neue Kammermusik.
Hotels
Im Hotel angekommen, werden sofort einige Dinge deutlich, die der moldawische Tourismus so schnell wie möglich angehen sollte:
– Klopapier sollte für Gäste leicht erhältlich sein und man sollte auf Anfrage nach dem Fehlen desselben keineswegs Zewa-wisch-und-weg oder Taschentücher erhalten.
– Toll wäre es auch, wenn Bäder und Toiletten funktionierende Beleuchtung hätten, und man bei Benutzung derselben nicht in der völligen Schwärze einer kosmischen Singularität (für die nicht-Astrophysiker unter euch: = schwarzes Loch) ausharren müsste oder für die Rasur einen Blindenhund braucht.
– Eine Klobürste sollte es geben.
– Ebenso einen Mülleimer.
– Und noch toller wäre es, wenn es tatsächlich einen Türgriff gäbe, mit dem man seine Zimmertür öffnen und schließen könnte, denn es wirkt wenig beruhigend auf den Gast, wenn ihn eine offenstehende Tür ohne Schloss empfängt und man aufgefordert wird, sein Gepäck dennoch abzustellen, denn „das Problem werde ja bald gelöst“.
Wenn all dies verbessert werden kann, ist Moldawien ein Supertouristenland, echt!
Essen
Ihr erwartet jetzt sicher, dass ich unglaublich spannende Geschichten über mysteriöse Nahrungsmittel erzähle, tatsächlich handelt es sich aber bei der moldawischen Küche um eine sympathische und wohlschmeckende osteuropäische Küche, die wirklich vollkommen ok ist. Einziges Problem ist nur, dass man es einfach nicht schafft, beim Essengehen irgendwie Geld loszuwerden, da alles wahnsinnig billig ist. Ein komplettes und frisches Mittagessen auf dem Markt kostet z.B. umgerechnet ein Euro, und da ist das Trinkgeld und die Taxifahrt dorthin schon enthalten. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch Restaurants für Leute, die viel Geld für schlechte Qualität ausgeben wollen, in diesen sitzen dann finster drein schauende Glatzköpfe mit Tätowierungen und Hemden, bei denen das was sich ausbeult höchstwahrscheinlich eine Pistole ist.
Tatsächlich aber könnte das Problem des Welthungers gelöst werden, in dem man einfach Moldawien die Welt mit Essen versorgen lässt. Und das wäre nicht das Schlechteste: Alles ist Bio und bis auf Salzwasserfisch (der meistens weite Wege und Zollkontrollen überwinden muss – Moldawien hat keine Meeresküste) auch wirklich frisch. Einzig und allein die moldawische Vorliebe für besonders gewichtige Süßigkeiten könnte ernährungskritisch bemängelt werden. Und damit meine ich jetzt nicht die Kalorien, sondern tatsächlich das Gewicht, denn aus irgendeinem Grund sind moldawische Kekse, Kuchen und Schokoladen unglaublich – ich kann es nicht anders ausdrücken – schwer. Wahrscheinlich ist das Gewicht ein Verkaufsargument – nur Schokolade die massiv und solide wie ein Bollerstein daher kommt, wird überhaupt wahrgenommen, ansonsten ist sie dekadenter westlicher Flimmelflammelscheiß.
Genau so liegt sie dann auch im Magen.
Moritz Eggert
Komponist
Eine Antwort
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