Pfeeeeeerd! (Belgisches Tagebuch, Teil 6, „The Tragedy Of A Friendship“)
Tragedy of a Friendship – Warm-Up from Vlaamse Opera on Vimeo.
ENDLICH! Unter dem obigen Link (Vimeo) könnt ihr endlich mal ein paar „richtige“ Bilder aus unserer Produktion sehen, unterlegt mit kurzen Musikausschnitten. Überhaupt kann jetzt nicht mehr lange geheimgehalten werden, was wir hier so treiben. Morgen (Montag) gibt es noch eine Arbeitsprobe bis spät in die Nacht (wie die letzten Tage auch – immerhin kann man dann tagsüber üben und komponieren), dann kommt Dienstag der unerbittliche, unvermeidliche, unverschiebbare Moment der Generalprobe.
Gestern wurden auch schon erste unvoreingenommene Zuschauer gesichtet, wenn auch erst einer, ein Freund von Fabre, und natürlich unser Ko-Autor, der unglaublich begeisterungsfähige Stefan Hertmans. Ansonsten gleicht die Oper Antwerpen einem Hochsicherheitstrakt, den man nur mit Magnetkarte betreten kann. Das Schöne ist aber, dass uns die gesamte Oper zur Verfügung steht – irgendwo findet sich immer ein Klavier, unsere Schauspieler nutzen die Probenräume für ausgiebiges Yoga und unsere Sänger können mit ihren Korreptitoren arbeiten. Und wenn man sich langweilt: direkt gegenüber steht ein gigantischer Kinokomplex mit 16 (!) Kinos, und ich sage euch: keines davon hat Schuhkartongröße. Und egal welchen Film man sich anschaut: der Saal ist immer relativ leer. Was vielleicht bedeutet, dass der Belgier an sich lieber in die Oper geht. Zumindest kann man davon träumen.
Die letzten Tage waren ziemlich hart für jedermann – ich renne zwischen dem Tonstudio und dem Saal hin und her und erkläre meinem Mitarbeiter Maarten Buyl die neuen Änderungen im Timing bestimmter Einspielmusiken, die dieser dann wiederum neu schneidet und dann in das nicht ganz unkomplexe Computerprogramm einspeist, mit dem man am Abend die inzwischen knapp 50 verschiedenen Einspieler live abfährt. An einem riesigen Tisch sitzen Miet (die von Jan liebevoll „Space Cadet“ genannt wird, da sie stets die Einspieler startet) Tom (der Tonmensch) und ich und flüstern uns beständig zu, auf welchem Kanal jetzt welcher Einspieler kommt, ob er ein oder ausblendet oder sofort beginnt, ob er auf Kanal 1 oder 2 kommt, welche Mikroports gerade angeschaltet sein müssen und ob die Bühnenmonitore nun an sind oder nicht.
Vor lauter Konzentration vergeht die Zeit oft wie im Flug – die Probe hat begonnen (um 14 Uhr) und….huch: es ist schon 17 Uhr, und man hat gefühlt erst wenige Minuten des Stückes geprobt. Dann geht es schnell ins naheliegende „Gustav“ zum Essen (alls perfekt von Ilka der Produktionsmanagerin durchorganisiert) und schnell wieder zurück, damit man um spätestens 18:30 den Durchlauf starten kann. Dieser endet dann unweigerlich frühestens um 22:00, manchmal auch später, was die MItarbeiter der Oper in den Wahnsinn treibt. Danach muss mindestens ein Bier getrunken werden, um überhaupt erst einmal wieder runterzukommen.
Jan sitzt inzwischen im ersten Rang und gibt kurze und abgehackte Kommandos per Mikrophon. Vor jedem Durchlauf gibt es die selben Sätze, wie ein Mantra: „Guys, if you fail, fail in style. Don’t stop. Support each other. Be gentle with each other“. Genauso ist es auch gemeint, denn gegenseitige Unterstützung hat hier jeder nötig bei den zum Teil physisch nicht unheiklen Aktionen: Schwerter werden nackt auf dem Kopf balanciert, ein Sänger wird komplett in ein Kabel eingewickelt und dann langsam gedreht bis er wieder sprechen und richtig atmen kann, etc. Aber ich will hier auf Wunsch der Kompanie nicht ins Detail gehen, die Premiere ist hier etwas heiliges, es geht nicht um Theater sondern eher um eine physische wie psychische Grenzerfahrung.
Überhaupt ist das Stück immer mehr wie ein Trip – mit konventionellem Theater hat das immer weniger zu tun, und das ist für mich sehr erfrischend.
Mir ist in den letzten Tagen die undankbare Rolle zugefallen, den Darstellern einige musikalische Einsätze beizubringen. Gleichzeitig ändert sich nach wie vor das Timing bestimmter Szenen, was dann wieder die Cues verändert. Natürlich hätte man das alles gerne viel früher gemacht, aber erst jetzt – nachdem man hartnäckig Anschlüsse und Übergänge verfeinert hat – sieht man ja überhaupt erst, wie lang die jeweilige Musik sein muss. Das ist sehr mühsam und ich nerve damit ungern, es gibt auch Tränen, aus Erschöpfung und Anspannung.
Doch dann geschieht eine Art Wunder – bei der letzten Durchlaufprobe gestern (Samstag) kommt zum ersten Mal alles so zusammen, dass es eine Ahnung des Abends geben kann. Alle sind äußerst konzentriert und plötzlich kann man sich vorstellen, dass es funktionieren kann. Bleibt natürlich immer noch die Frage, wann die Zuschauer den Saal verlassen, ob es einen Skandal gibt oder nicht, ob die Spannung aufrecht erhalten wird über die kompletten Dreieinhalb Stunden (ohne Pause). So viel sei verraten: kurz vor Schluss ruft Gustav (Nietzsche) „Pfeeeeeerd!“. Dann weiß man, dass es fast, aber auch nur fast, geschafft ist.
Nachdem mir alle prophezeit hatten wie schwierig es sei mit Jan Fabre zu arbeiten, kann ich hier nur ein und für alle Male erklären, dass ich noch selten mit jemanden zusammen gearbeitet habe, der so klar denkt, so präzise in seinen Äußerungen ist, so korrekt und respektvoll im Umgang mit seinen Mitarbeitern ist und so eine klare Vision von dem hat, was er will. Ich habe den größten Respekt vor ihm – es gab in der gesamten Arbeit mit ihm keine einzige unangenehme Situation, mir war immer klar, was er wollte, weil er jedem seinen kreativen Freiraum lässt (auch den Darstellern, von denen ja viele eigene Ideen ins Stück eingeflossen sind) und letztlich vor allem ordnet und verdeutlicht. In so einem Prozess geht es tatsächlich um kein Ego mehr, auch nicht um sein eigenes, es geht um die Sache an sich, und daher habe ich auch ganz anders gearbeitet als sonst, mit weniger Ego, weniger Eitelkeit (von der ja keiner frei ist). Das ist eigentlich ein schönes Gefühl – man wird gelassener.
Oder, wie Nietzsche es sagt: „man soll schwimmen“.
Am 15. Mai schwimmen wir los.
Moritz Eggert
Komponist
lieber moritz,
toi toi toi.
es klingt wahnsinnig spannend.
hatte schon in erwägung zu ziehen zu kommen, habe aber selber konzert.
bestes,
xenia