Russendisko vs. Bernsteinzimmer – Titel für das neueste Münchener Dirigentenkino gesucht!
Erst schlug im Sommer eine Bombe ein. Sie wurde „kontrolliert gesprengt“. Dort wo nahe der Münchener Freiheit bis zu seinem Abriss das Damenklo eines wilden Clubs feuchte Träume Wahrheit werden ließ, gab es im Frühherbst eine Detonation, die jedem Pyrotechniker Tränen in die Augen treiben dürfte. Niemand wurde verletzt, doch der Sachschaden an den umherliegenden Häusern war enorm, die Fensterfront einer weltberühmten Filmproduktionsfirma erlitt Totalschaden. Ein Fest für die Versicherungen, ein Desaster für den Firmenbetrieb! Im Januar 2013 ist nun bei dieser Firma, nennen wir sie Cosmastin, die Innovationsgrippe ausgebrochen. Seit heute ist es offiziell: Die Münchener Philharmoniker kürten Valery Gergiev ab 2015 zu ihrem neuem Generalmusikdirektor. So komplettieren sich im Winter 2015 in München die Pultstars zu einem ex-sowjetischen Trias mit Mariss Jansons als Chef der BR-Sinfoniker mit aktueller Vertragsdauer bis August 2015 und Kirill Petrenko, der ab September 2013 das Zugpferd des Staatsorchesters der Bayerischen Staatsoper sein wird. Die Mitarbeiter der besagten gefakten Filmfirma lasen mit Begeisterung in den Abgründen der Kommentarspalten des lokalen Boulevardsfeuilletons den Terminus „Russendisko“ für diese einmalige Konstellation in der ersten Hälfte für 2015. Unter dem Aspekt, dass dieser Begriff neben Wladimir Kaminers Erzählung einen Musikstil der Berliner Migrantenszene der 90er Jahre bezeichnet, der russische und auch ukrainische Musiker umfasste, kann man den im ehemaligen Leningrad musikalisch geprägten Letten Mariss Jansons kurzum zum Begriffs-Russen erklären. Da dieser mit seinen Forderungen nach einem neuen Konzertsaal für seine BR-Sinfoniker anstelle der Gasteigschachtel derzeit sowieso in allen Kulturspalten herumgeistert, auch aktuell dank seiner Kür zum Träger des diesjährigen Ernst-von-Siemens-Musikpreises, läge nichts näher als mit einem Film über diese drei „Russen“ den herbstlichen Bombenschaden finanziell wieder hereinzuspielen.
Wie der Zufall es will, machte ebenfalls ein zweites Nobelkino auf, so dass man die Leistungsträger des gehobenen Bildungssegments mehr denn je auch filmisch mit diesem Klassikkram zu erreichen glaubt. Was für eine bombig-heisse Idee im zapfig-kalten Schwabing! Dumm nur, dass wohl ein Maulwurf in den eigenen Reihen dieses Projekt und den Arbeitstitel „Russendisko“ an die Produktionsfirma Baramauz verpetzte. Diese droht nun mit rechtlichen Schritten, verfilmte sie doch 2011 selbst ein namensgleiches Projekt nach Kaminers Erzählung mit dem Publikumsliebling Mathis Schweizerhöfer. Es wird wohl wieder nichts mit dem großen Reibach und Gesundstossen! Aber sind wir nicht im erzkatholischen Bayern, könnten nicht zumindest zwei dieser Pultstars, die beiden echten Russen, erzorthodox sein? So setzt man auf Gesundbeten! Wie üblich, schweigt die Kulturpolitik über die hunderttausende oder gar Millionen Euro, die die jeweiligen Dirigenten im Jahr kosten. Man könnte ein bisschen Haushaltsplanexegese betreiben, wird damit aber kein befriedigendes Ergebnis erreichen. Von einigen Filmschauspielern, vielen DAX-Managern, Spitzensportlern und hochrangigen Politikern kennt man die Jahreseinnahmen, kann sie bei öffentlichen Angestellten und Beamten den Tarif- und Besoldungstabellen relativ genau entnehmen. Über das Geld für Dirigierstars wird aber ein Mantel des Schweigens gelegt, ausser dass diese immer wieder neben ihren bestdotierten Chefstellen noch weitere Chefsessel auf sich vereinen. Von Kirill Petrenko kann man dies noch nicht wirklich behaupten. Sehr wohl aber von Mariss Jansons, der neben seinem Münchener Job noch Chef des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters ist und genau wegen dieser Mehrfachbelastung mutmasslich schon öfters Herzinfarkte erlitt. Oder all die Stories über Valery Gergiev, der Proben ausfallen lassen muss oder Konzerte zu spät beginnen lassen soll, weil er auf dem Weg vom einem zum anderen Job auch mal am Flughafen festhängt. Also könnte sich das Gesundbeten als in höchsten Maßen kreativ erweisen, wenn die drei „Russen“ doch Teile ihrer Einkommen Cosmastin überschrieben und es sogar noch als PR-Gag abschreiben könnten. Übrigens favorisiert man in jener Firma jetzt den Arbeitstitel „Bernsteinzimmer“, es schlägt also besonders der pekuniäre Aspekt dieses Projekts durch!
Aber was beklagt sich dieses Fake-Unternehmen hier überhaupt. Das echte Vorbild, die Constantin Film AG, kann seit Fertigstellung des neuen Baus der Hochschule für Film und Fernsehen über die Namensgebung des Platzes davor stolz sein, denn dieser trägt den Namen des langjährigen Angehörigen und Chefs Bernd Eichinger statt z.B. den Namen des berühmtesten Münchener Regisseurs Rainer Werner Fassbinder, der einem zugigen Platz neben der Allweltsbahnstation Donnersbergerbrücke seine Prominenz verschüchtert leihen darf, nachdem alle Versuche abgeschmettert worden sind, wenigstens einen Strassenabschnitt im Glockenbachviertel vor seinem Stammlokal Deutsche Eiche nach ihm zu benennen. Aber so ist es eben, das gute München: Wo der Euro, oder wie hier beim Hauptthema symbolisch der Rubel rollt, sich die Bussi-Bussi-Society trollt! Mal sehen in welchem noch einzugemeindenden Vorort der Jansonsplatz, die Gergievgasse oder die Petrenkostrasse ihren Platz finden werden. Zuvor aber wird der nun philharmonische Valery sporadisch in der Stadt sein Orchester mit Bleistiftstummeln befummeln, äh, befuchteln, die noch unfertigen Streichorchesterfassungen der Schostakowitschen Quartette zum Besten geben, dessen Filmmusiken und Opernscherzi zu weiteren fünfzehn Symphonien erklären.
Überhaupt darf man gespannt sein, ob der bald hiesige Opernchefdirigent Petrenko und der St. Petersburger-dann-immer-noch-Opernchef urplötzlich am gleichen Abend dieselbe Oper präsentieren wie in Berlin öfters vor Gründung der Opernstiftung üblich? Ach, was könnte man von diesem von mir auch oft gescholtenem Berlin nicht Alles lernen: Simon Rattle jahrelang exklusiv Chef der dortigen Philharmoniker, Barenboim an diversen Orten Chef, aber doch der Bärenstadt urtreu. Dies war hier zuletzt Celibidache. Sein Nachfolger James Levine bekam Flugprobleme, Christian Thielemann wurde ausgebootet, wohl auch mit seinem Kalkül auf sein Semperamt, Lorin Maazel darf den dreijährigen Pausenclown geben, der jetzt gekürte Gergiev wird gegebenenfalls alle Zuspätkommer der Musiker seines Orrchesters übertreffen. Fehlt nur noch, dass sich dann irgendwann doch ein kommunaler Untersuchungsausschuss bildet, in dem dann plötzlich politische Unbedenkbarkeitszeugnisse wegen Gergievs Putinnähe eingefordert werden, so wie man für Thielemann vom Radikalenerlass munkelte oder bei Levine von polizeilichen Führungszeugnissen aus New York. Statt dem Gerede über junge Männer, wäre es doch mal eine mutige Entscheidung gewesen statt dem Methusalem Maazel nun den dann noch älteren Senior Gergiev nachfolgen zu lassen, einen Jungspund wie Celibidache nach dem Krieg in Berlin an die dortigen Philharmoniker durfte, einen ebensolchen die Münchner anzuvertrauen. Aber man wollte den folgenden Orchestergenerationen die triumphierende Rückkehr eines gealterten Jung-Maestros ersparen, wie es den Berlinern einmal mit Celibidache widerfuhr. So pflegen wir weiter satte Gehälter und satte Klänge, statt endlich dem Hunger auf Neues statt zu geben. Lieber wird eine verblassende Erinnerung a la St. Petersburger-Bernsteinzimmer rekonstruiert als den Schatz des Alten im Neuen zu heben. Aber wie stellte schon Lion Feuchtwanger fest: München ist vor allem Erfolg, Schein-Erfolg.
Komponist*in