Alle Probleme des Neuen Musiktheaters gelöst
Lesen Sie in den folgenden Zeilen, wie Sie – als künstlerisch schaffender oder mit der nervigen „Orga“ befasster Mensch – alle (ja, fucking ALLE!) Probleme des Neuen Musiktheaters mit Hilfe dieses kostenlosen Artikels nicht nur bewältigen, sondern auch überwinden. Und gleichzeitig loswerden.
Es sei zu erwähnen, wie kostenlos dieser Artikel ist. Er ist umsonst und gratis zugleich. Bitte bedienen Sie sich! Hier:! Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben. Greifen Sie nur zu! Na? Na, machen Sie schon!
Stellen Sie sich vor, wie Sie in einem U-Bahn-Waggon sitzen (und nicht etwa „in der U-Bahn“, nein, seien Sie affektiert, schreiben Sie bitte immer „in einem U-Bahn-Waggon“) und merken, dass alle anderen Fahrgäste wahnsinnig sind. Und zwar auf höchst unterschiedliche, individuelle und andersartige Weise. Eine mittelalte bis eher so alte Frau mit halblangen gefärbten Kastanienhaaren sehen Sie ganz dezent – aber freilich debil und halt so wahnsinnig – grinsen. Ihre überraschend weißen Zähne blitzen nicht (das wäre ein Gericht), sie sehen einfach nur ganz realistisch sauber aus. Ein hoch-depressiver, aber gut ausschauender Mann setzt sich viel zu nahe (dabei ohne Not) an eine junge (natürlich irgendwie auch verrückte) Frau heran. Ein Anzeichen des Wahnsinns. Also, zusammengefasst: Alle in diesem Waggon sind wahnsinnig – und Sie? Sie mitten unter ihnen. Haben Sie das jetzt auf dem Schirm? Na, dann lesen Sie weiter im Text, der da nicht kursiv geschrieben steht.
Regel Nr. 1
Seien Sie gut. Jetzt werden Sie fragen: „Holla, wat soll ditt denn? Das ist ja gar kein ernsthaft gemeinter Artikel!“ Weit gefehlt! Stellen Sie sich einfach nur vor, dass der Autor dieses Artikels wahnsinnig aber glücklich ist – und übersehen Sie diesen unnötigen Wort-Tand einfach. Filtern Sie das aus dem Artikel heraus, was Ihnen passend und richtig erscheint! Helau.
Also, fucking ja Mann: Seien Sie gut!
Jetzt werden Sie fragen: „Ja, okay, lasse ich mich mal drauf ein (vielleicht weil Sie den Autor persönlich kennen und wissen – ja, fucking WISSEN, dass er es ernstmeint) und lese weiter!“
Also: Seien Sie gut. Das ist gar nicht so schwer. Sie müssen das einfach nur durchziehen. Seien Sie sicher, ich habe das getan und Erfolg damit gehabt. Lassen Sie sich nicht davon abbringen, den Weg des Guten zu begehen! Echt jetzt: Das ist nicht schwer. Schluss.
Kennen Sie dieses Gefühl, dass Sie glauben, Sie werden krank? Dieses schleichende, dabei – seien wir ehrlich – etwas angenehm-warm pulsierende Gefühl, dass Sie morgen nicht zur Arbeit gehen können? Sie werden vermutlich Ihre ganz eigenen Symptome haben. Bei mir, falls es Sie interessiert, fängt es meist mit einem Gefühl von Welt-Schwachheit, wohlig-affirmativen Gedanken und Wünschen für alle Mitmenschen und sukzessiv reizender werdenden Halsschmerzen an. Und Sie so?
Regel Nr. 2
Fragen Sie sich: Muss es eigentlich Musiktheater sein? Oder habe ich halt nur blöderweise einen Auftrag dafür?
Sie haben eine Idee? Toll, Gratulare! Aaaaaber: Muss diese Idee wirklich in einem Musiktheaterwerk münden? Wollen Sie nicht vielleicht implizit ein Klarinettentrio schreiben? Oder trauen Sie sich nicht zu, ein Werk für drei Klarinetten (zudem alle in b) zu komponieren? Jedenfalls: Fragen Sie sich ernsthaft: Ist diese Idee eine Musiktheater-Idee? Oder will ich halt einfach nur meine „erste Oper“ schreiben? Wenn ja: ganz großer Mist. Lassen Sie es bitte sein! Sonst ist Ihnen meine (allerdings überraschend nett formulierte) Missgunst gewiss! Jetzt mal ohne Flachs: Braucht Ihre Idee eine Bühne, Sänger, vielleicht sogar ein richtiges, ja, richtig großes Orchester? Eine zweite Kostümbildassistentin (ja, okay: süß ist sie ja, aber: HALLOOO??? Nur deswegen? Nee, ne?!?)? Eine dritte Bühnenbildhospitantin? Brauchen Sie überhaupt eine Regie – oder wollen Sie das ernsthaft „mit übernehmen“, das heißt: selber machen? Sind Sie eigentlich bescheuert? Sie können das bestimmt nicht! (Entschuldigung, wirklich jetzt. Vielleicht können Sie das doch. Und die Wortwahl war auch nicht in Ordnung.)
Ich habe heute beim Lesen eines guten Textes in der TITANIC gemerkt: Meine Tagebucheinträge sind schrecklich langweilig. Das habe ich in mein Tagebuch geschrieben und darüber sinniert (aber hey: echt nur kurz!), ob dann dieser Eintrag dadurch, dass ich das mal verbalisiert habe (also: schriftlich jetzt…), weniger schrecklich langweilig ist. Ach, egal. Komm. Auf’s Sofa.
Regel Nr. 3
Entschuldigung, aber jetzt muss ich wirklich einen deutlicheren Ton anschlagen! Denn ich habe das Gefühl, dass Sie das hier alles so überlesen und sich denken: „Pah, der soll mal MIR (!) Ratschläge geben!“ Kein Spaß: Ich möchte Ihnen nur helfen. Denn ich hasse schlechtes Musiktheater. Ich bin schon tausend Langeweiletode gestorben. Und das tut jedes Mal auf’s Neue weh.
Also, hier muss ja noch eine Regel hin: Öhm… Ja, Mann, hier kommt die Regel: Seien Sie nie (ja, fucking never!) langweilig. Und jetzt kommen Sie nicht so mit: „Hey, aber das Gefühl der Langeweile ist ja mega-subjektiv!“ Okay, okay, okay! Mag sein. Aber hey: Können wir uns darauf einigen, dass es einfach auch allgemein anerkannte Langeweile gibt? Und anerkannt Langeweile-Abwesenheit? Sehen Sie!
Also: Wenn „Ihr Zeug“ (sorry, sorry, po-porry: „Ihr Werk“, „Ihre Schöpfung“, „Ihr Innerstes“ ist gemeint!) NICHT langweilig ist, dann kann ich das (Scheiße, ich spüre einen weiteren Ausraster in mir hochsteigen…) ja wohl beurteilen!!! Ihr Voll-Pflaumen. Ja, rufen Sie mich an, Schreiben Sie mir Emails und skizzieren Sie Ihr Vorhaben. Ich kann Ihnen frühzeitig sagen, ob das gut ist oder nicht. Also: Ob langweilig oder nicht. Tendenziell. Wirklich jetzt!
Haben Sie Mut, sich des Mittels der Nicht-Langeweile zu bedienen! Formulieren Sie Ihr Werk so, dass es allgemein als nicht langweilig verstanden werden kann.
So, Kinder. Mir ist gar nicht nach einem kursiven Text zumute. Denn im Gegensatz zu Ihrer Vermutung beim Lesen des zweiten Teils dieses Satzes war ich keines jener Schulkinder, die auf jeder Klassenfahrt im Bus gespuckt haben, worauf sich fürderhin dieser käsig-faulig-kotzige Geruch im Bus offensiv aber unterschwellig entfaltete, aber: beim Lesen von kursiven Texten wird mir so leicht „speiig“. Nein, Spaß!
Regel Nr. 4
So, mal hier Butter by the fishes. Hand auf’s Herz: Hat Ihre Oper eine Handlung? Ja: Sehr gut, Klasse! Nein: Mmmh… Warum nicht? Sie wollen so eine unverständlich-gequirlte Kacke abliefern, die keiner versteht, die aber so ein „Geheimnis“ hat und mit Collagen aller Arten und Komplexität arbeitet? Why, double-fucking: WHY?!? Sie haben Angst, nicht? Angst, „konservativ“ genannt zu werden. Mann, wirklich: Eure „Musiktheater-Installationen“ sind konservativ! Check?
Ich meine damit nicht, dass Statik nicht großartig sein kann. Überhaupt nicht. Das, was ich meine, ist viel differenzierter. Statik muss fucking ausinszeniert werden. Mit größester Körperspannung bei allen Beteiligten. Installationen können toll sein. (Ich trage das hier übrigens gerade nach, weil ich natürlich nicht so verstanden werden will, dass ihr alle denkt: Lücker will Handlungsoper reloaded! Ja, ich weiß, dass ihr mich für konservativ haltet, ihr süßen Flauschi-Hasen von Kann-keine-Bombe-finden! Ich mag euch, wirklich. Ich finde es schön, dass es euch gibt. Merci. Insider-Alarm. Es tut mir so leid.)
Ach, das ist alles noch viel differenzierter… Ich muss das irgendwann mal genauer schreiben. Aber ihr wisst genau, was ich meine, oder? Und ihr wisst auch im Grunde, wie das besser geht, nicht? Also: Bessere Musiktheaterwerke schreiben!
Meine Kraft lässt nach. Ich werde definitiv krank. Ich sitze in der U2. Bismarckstraße umsteigen. Ich weiß, dass es alle hier spüren: Es sitzt ein krank-Werdender unter euch, den ihr kraft eines leichten Remplers töten könntet! Ihr gemeinen Unmenschen ihr. Wegen Typen wie euch müssen die süßesten Flauschi-Hasen sterben!
Regel Nr. 5
Denken Sie an die Zeit! Überlegen Sie sich, wie lang Ihre Oper (oder halt, jahaaa!, Ihr Musiktheaterwerk, bloody Terminologie!) werden soll. Und wenn ja: Warum? Machen Sie Ihre Oper so kurz es eben geht. Und überhaupt: Komponieren Sie so, dass alle nachher sagen: Ich hätte dem noch länger zuhören können. Oder halt sogar: Das war perfekt lang! (Wobei das dann wieder heißen könnte: Es war zu lang!) Kein Spaß jetzt: Zeitlichkeit ist so fucking wichtig – und ihr da draußen vergesst das so häufig. Das macht mich ehrlich traurig. Ehrlich jetzt! Wie gesagt: Ich berate euch gerne. Kostenlos. (Also: Schnupperstunden kostenlos. Danach müsst ihr Flauschi-Hasen bezahlen, okay?)
Ich habe euch alle lieb.
Regel Nr. 6
Lasst Hauptpersonen sinnlos sterben! Das passiert im Musiktheater viel zu selten – ist aber ein kostbares Mittel! Entwickeln Sie eine Handlung – und dann (meinetwegen!) BUMMS, TOT! Haha! Und danach können Sie halt etwas anderes machen. Aber GUT muss es sein, angstfrei, unterhaltsam, tiefgründig, komplex, dicht, neuneuneu, glutvoll, glutenfrei, mit Spuren von Erdnüssen! Verstanden?
Kursiv-Regel Nr. 7
Widerspricht zwar auf eine Weise formal den hier mir selbst aufgestülpten „Gesetzen“ (andererseits – höhö – natürlich nicht, DE-HENN: im Grunde MUSS jetzt wieder ein Kursiv-Text kommen!), aber hey: Away damit! Blowin‘ in da fuckin wind! Also: Die kursiv und final hierhin geschriebene Regel Nr. 7 lautet: Lasst bitte bitte bitte eure Instrumentalisten nicht sprechen oder schauspielern! Okay? Die können das nicht! Believe me!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
klingt vernünftig…
:)
Wahre Worte, Arno! Es wäre zudem mal interessant eine Erhebung über Einnickzeiten in Musiktheatern durchzuführen. Da dürfte sich hier und da doch ein hübsches spanisches Stündchen ergeben haben – würde manche neue „Oper“ oder eben manches Musiktheater nur so dauern wie „l’heure espagnole.“ Nicht jede „Inhaltlichkeit“ muss breit ausgewalzt werden, wenn der Klang dadurch kein extrem interessantes Eigenleben gewinnt. Bühne heisst wohl immer wieder: sich Gedanken über die eigene Zeitgestaltung zu machen, Tempo anzustreben, allerdings auch mal Zeittäler zu setzen. Wobei mir das heutige Zeitempfinden schon zu fickrig erscheint, da können auch Ravelsche Finali heute zu lange wirken. Oder verwechselt man Musiktheater unstatthaft mit Oper, diese illegal mit Kino?
Apropos Kürze: Kollegen, traut Euch hier zumindest ein Absätzchen und nicht nur wenige Satzzeichen.
Möge Arno über mich drübertrampeln!
*heul*