Die Chance der Grauzone
Vor einigen Tagen habe ich hier über die Notwendigkeit eines „wilden Raumes“ gesprochen, in dem das Urheberrecht so locker gehandhabt wird, wie es zu den Zeiten vor dem Internet auch möglich war.
Das mag paradox klingen, weil ich gleichzeitig auch dezidiert für ein flächendeckendes und intelligent gehandhabtes Urheberrecht bin, da es ein wichtiger Bestandteil des Einkommens für alle kreativen Berufe ist. Wir müssen aber deutlicher trennen zwischen einer sozialen und kommunikativen Nutzung von Inhalten, und einer räuberisch kommerziellen Nutzung.
Für ersteres mag das typische heutige Abmahnungsbeispiel stehen: ein junges Mädel findet irgendein tolles Bild im Internet, postet es auf Facebook und schreibt dazu: „schaut euch mal dieses geile Foto an“. Ein paar ihrer Freunde drücken den „like“-Button, oder schreiben irgendeinen Kommentar. Das war’s. Ein paar Monate später flattert ein Abmahnungsschreiben ins Haus, und das Mädchen (beziehungsweise deren Eltern) müssen ein paar Tausend Euro abdrücken, denn natürlich war das Foto urheberrechtlich geschützt, und durch das Posten auf Facebook wurde es „verfügbar“ gemacht, was normalerweise Geld gekostet hätte.
Natürlich wissen wir alle, dass trotz eindeutiger Rechtslage so ein Urteil viel zu hart ist. Denn was ist genau geschehen? In den 80er Jahren (also vor dem Internet) hätte das Mädel das Bild ausgeschnitten und in ihr Poesiealbum geklebt, und ihren Freunden in den Schule gezeigt. Niemand hätte sich darüber aufgeregt. Letztlich schauen es bei Facebook auch nur eine Handvoll Leute an, denn seien wir doch mal ehrlich: wer liest alle Statusmeldungen, schaut alle Bilder darin an? Ich habe das schon lange aufgegeben. Aber letztlich kommt es auf Zahlen überhaupt nicht an, nur auf die Absicht. Natürlich wollte das Mädchen dem Fotografen keinen Verlust bereiten, hatte keinerlei kommerzielles Interesse an dem Foto und benutzt es auch für nichts außer dem Hinweis, dass sie es irgendwie gut findet.
Momentan ernähren sich zahllose Anwaltskanzleien allein von Abmahnungen dieser Art, während auf irgendwelchen karibischen Inseln hierzulande illegale Casino- und Sportwettenserver den Menschen Millionen Euro aus der Tasche ziehen, oder in z.B. Asien professionelle Raubkopien von quasi allen kommerziellen CD’s und DVD’s erstellt werden, die neu auf den Markt kommen. Ich war mal in Kuala Lumpur in dem dortigen Äquivalent eines hiesigen „Mediamarktes“, und es war tatsächlich ziemlich schwer, dort echte und legitime Software oder DVD’s zu kaufen, da es fast ausschließlich nur Raubkopien gab, und das in einem ganz normalen und offiziell geführten Geschäft. Man bekam sogar eine Quittung mit Stempel für die Raubkopien!
Aber klar, dagegen können die kleinen hiesigen Anwaltskanzleien nichts machen, also schnappen sie sich die kleinen hiesigen Fische. Moralisch ist das ungefähr so überzeugend, wie wenn man den kleinen Obstdieb mit 10 Polizeiwagen verfolgt, während man den Bankraub ungehindert geschehen lässt.
Es gäbe aber durchaus ein paar Möglichkeiten, eine für alle gerechtere Situation herzustellen. Hier ein paar – sicherlich verbesserungs- und ausbaufähige – Ideen dazu:
1) Bewusstes Zulassen einer rechtsfreien Grauzone…
Warum nicht einfach ein Gesetz zulassen, dass freie Verbreitung von Inhalten in einer bestimmten Qualitätsstufe erlaubt? Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich im Internet ein Bild in einer nicht druckfähigen miesen Auflösung verwende, oder es als hochwertige high definition-Datei zum Download anbiete. Letzteres wäre fragwürdig, da es quasi 1:1 dem Original entspricht, die Verwendung eines „thumbnails“ sollte aber zum Beispiel keinerlei Geld kosten. Das selbe gilt für z.B. Filme: Stets ist es das große Schreckgespenst der Filmfirmen, dass ihre Filme im Kino aufgenommen werden. Inzwischen wird man im Kino ja sogar deswegen gefilzt. Aber mal ehrlich: schadet eine verwackelte Kinoaufnahme mit mäßigem Sound und dem Kopf des Vordermanns im Bild WIRKLICH den Einnahmen? Das kann ich nicht glauben. Die Energie, die auf die Verhinderung von solchen Aufnahmen verschwendet wird, hat so gut wie keine Wirkung. Wirklich problematisch ist aber zum Beispiel auch hier die 1:1 Kopie, die der Verkaufs-DVD oder BluRay entspricht.
Auch bei Musik könnte man einen bestimmten mp3-Standard bestimmen, der zulässig ist, was die Situation bei youtube durchaus entspannen könnte.
Mir ist klar, dass solche Standards immer wieder neu bestimmt werden müssten, aber im Grunde würde die einfache Regel: „billige Kopien sind erlaubt, direkte Kopien nicht“ die gesamte Situation deutlich verbessern, die Kriminalisierung von Privatpersonen verhindern und den echten Raubkopierern im großen Stil das Wasser abdrehen. Vor allem würde es endlich wieder die oben beschriebene „Poesie-Album“-Freiheit ermöglichen, die schlicht und einfach zur menschlichen Kommunikation gehört. Dazu gehören auch Blogs, die letztlich nichts anderes sind, als öffentlich geführte Tagebücher mit Diskussion aktueller Themen. Kein Blog braucht hochauflösende Bilder oder HD-Videos, aber man will natürlich gerne mal auf etwas hinweisen, etwas zitieren, oder einfach nur einen schnellen Gedanken illustrieren. Das muss möglich sein.
2) …dazu fairere Preise für digitale Medien…
Die Situation wird dadurch verschärft, dass digitale Medien oft unverschämt teuer sind angesichts des Tatsache, dass sie nicht als physisches Produkt gelagert oder verbreitet werden müssen (was normalerweise wesentlich mehr kostet, als die Herstellung der Medien). Warum kosten ebooks fast so viel wie richtige Bücher? Warum itunes-Filme fast so viel wie DVD’s/Blurays? Und dann auch noch ohne Extras und wählbare Untertitel? Gäbe es faire Preise für digitale Medien würden wesentlich mehr Menschen den legalen Download suchen, denn letztlich sind die meisten Menschen nicht verbrecherisch motiviert, sondern suchen einfach den bequemsten und auch fairsten Weg.
3) …kombiniert mit einer Grundabgabe für Internetnutzung…
Eine der besten und simpelsten Ideen war die Einführung eines Pauschalabgabe für Urheberrecht bei vervielfältigungsfähigen technischen Geräten. Jedem ist bewusst, dass die oben beschriebene „Grauzone“ nicht bis in die letzte Konsequenz kontrollierbar ist, eine Pauschalabgabe für Internetnutzung würde aber keinem sehr weh tun (schon 5,-EUR mehr pro Monat pro User würde eine nicht unbeträchtliche Summe bewirken, die an Urheber ausgeschüttet werden könnte). Das wäre nicht zu verwechseln mit einer „Flatrate“ – ich denke die Einzelabrechnung würde weiterhin Sinn machen, und es muss auch unterschieden werden können, wie stark bestimmte Inhalte genutzt werden. Aber als Ergänzung zur Vergütung ist eine Pauschalabgabe fast zwingend notwendig, denke ich.
4)….kombiniert mit einem nicht-anonymen Dienstleistungsinternet.
Ich habe schon oft geschrieben, dass es meiner Ansicht nach einen starken Bedarf eines bewusst „nicht-anonymen“-Internets gibt. Keineswegs auschließlich, das Internet wie wir es heute kennen muss auf jeden Fall erhalten bleiben, da die Anonymität zwar meistens nicht toll ist (man denke an das übliche „Trolling“, die Glaubenshetze auf kreuz.net oder irgendwelche Naziserver), aber eben zur freien Meinungsäußerung gehören muss, vor allem in Ländern, die eine starke Internetkontrolle betreiben.
Aber es gibt für mich keinen einzigen triftigen Grund, Einkäufe oder Bankgeschäfte anonym betreiben zu können. Ich gehe auch nicht mit einer Gesichtsmaske zum Bäcker oder Supermarkt, und natürlich möchte ich ehrlich gesagt, dass meine Bank ganz genau weiß, das ich es auch wirklich bin, wenn ich Online-Banking benutze. Ebenso will ich nicht mit anonymen Ebay-Verkäufern oder gefälschten Verkaufsempfehlungen unter erfundenen Namen zu tun haben.
Gäbe es ein dezidiert nicht-anonymes Dienstleistungsinternet, könnte man die dortige Sicherheit für alle (z.B. auch Kinder und Senioren) erhöhen, könnte die illgale Verbreitung von Raubkopien darin schützen und gleichzeitig die eigenen nur digital vorhandenen Einkäufe besser schützen und archivieren, da ihr Käufer immer bekannt ist. Und es wäre zum Beispiel vorstellbar, das freie und „wilde“ Internet erst für Volljährige verfügbar zu machen (um eben Minderjährige vor Betrug, anonymen Mobbing und schlimmeren Dingen zu schützen).
Natürlich ist das momentan Science Fiction aber technisch sicherlich möglich, z.B. mittels personalisierter Zugangscodes für Volljährige für das „wilde“ Internet, und einem neuen Datenformat für das Dienstleistungsinternet.
Wie auch immer – das Internet ist in ständiger Bewegung und Fortentwicklung, auch das Urheberrecht muss sich entwickeln.
Moritz Eggert
Komponist