Chinesisches Stichwörterbuch, 5. und letzter Teil
Pandas
Eine der immer wieder auftauchenden Fragen bei unserem Besuch war „Habt ihr schon die Pandas gesehen?“. Klar, Chengdu ist berühmt für seine weltweit einzige Zuchtstation für Pandas, von der sämtliche Zoos dieser Welt beliefert werden. Und klar, man kann nicht in Chengdu gewesen sein, ohne den beliebten und possierlichen Tieren einen Besuch abgestattet zu haben – schließlich findet man Rainer Calmund ja auch süß.
Xiangping organisierte einen Trip für alle: „Haha, 50 EUR and you can have panda sit on your lap, haha, 50 EUR, haha!“ war sein fachmännischer Rat für uns. Mit einem Bus und begleitet von zahlreichen Neue-Musik-Musikern aus aller Welt machten wir uns frühmorgens auf die Busreise zur „Pandastation“. Dort warteten schon ganze Schlangen von Menschen auf den Einlass in das mysteriöse Reich der Pandabären.
Nach Erwerb der Eintrittskarte machten wir uns auf, den gut beschilderten Wald zu erforschen. Überall gab es ominöse Hinweise: „zum Pandababyhaus“, „große Pandazuchstation“, „kleine Pandazuchstation“, „Weg der Pandas“, „Haus der großen und kleinen Pandas“, „Weg des roten Pandas (rote Pandababystation)“ und so weiter. Endlos stapften wir durch Bambuswälder, folgten immer neuen Weggabelungen, stets den Anblick eines Pandabären erhoffend, aber nein, stattdessen wieder ein Schild: „Hängebrücke der Pandas“, „Bambusversorgungsstation für kleine Pandas“, „Pandaaufzuchthaus drei“, „Pandarundweg“. Wir fühlten uns wie in Disneyland, wenn man all die Attraktionen wegnimmt und nur noch die Schilder stehen lässt. Schließlich und endlich dann doch ein Aufheulen: „Da ist einer“.
Wir rannten begeistert los, unsere Digitalkameras zückend. Dort lag tatsächlich ein Pandabär, mit dem Rücken zu uns auf einem Bett aus Bambus liegend. Er lag. Und dann lag er noch ein bisschen mehr. Ich machte ganz viele Fotos von einem großen, mir zugewandten Pandahintern. Währenddessen las man ein Schild und lernte etwas über die Ökologie der Pandas.
Pandas sind im Grunde eine Art Fehler der Natur: da sie quasi keine natürlichen Feinde (außer dem Menschen) haben, besetzen sie eine ganz eigenartige ökologische Nische. Ihr Magen ist nicht dazu geeignet, irgendetwas anderes zu verdauen als Bambus. Leider ist er noch nicht einmal dazu wirklich geeignet, so dass die armen Pandabären den ganzen lieben langen Tag Bambus essen müssen, um wenigstens ein Quentchen Energie daraus zu beziehen. Wenn sie nicht Bambus essen, schlafen sie – vor Erschöpfung vom Bambusessen.
An nur 2 Tagen im Jahr gibt es eventuell die Möglichkeit, dass die stets verdauungsmüden Pandas vielleicht einen Anflug von Paarungswilligkeit verspüren – aber nur wenn die Sonne richtig steht, es nicht regnet, und sie nicht gerade zu müde vom Bambusessen sind. Daher ist es kein Wunder, dass die Pandas vom Aussterben bedroht sind, denn selbst wenn sie es (ganz, ganz selten) schaffen, sich zum Kinderzeugen aufzuraffen, ist der weitere Aufzug der Kinder stets von den großen zwei Lebensthemen der Pandas gefährdet: 1. Schlaf, 2. Bambusbeschaffung.
Pandakinder sind ungefähr 2 Wochen lang unglaublich quirlig und süß, dann beginnen sie Bambus zu essen, und werden genauso lahm und lethargisch wie ihre Eltern. Es ist schon eine Crux mit diesem Bambus.
Um ehrlich zu sein: wir haben dann noch ganz viele Pandas gesehen. Manche aßen, vollkommen überraschend, Bambus. Andere versuchten Bambus irgendwo hinzuschleppen, um ihn dann eventuell zu essen. Oder auch zu schlafen.
Höhepunkt des Besuches war der Anblick von zwei Pandas, die eine Art Gehege teilten. Der eine lag unten in einer Betonrille, der andere lag oben. Irgendwann bewegte sich der obere Panda zum Rand des Geheges, drehte sich um und erledigte flut-und durchfallartig (wie sollte es in China anders sein) sein Geschäft. Dann machte er sich auf, seinen Freund in der Rille zu besuchen. Ganz langsam und sich bis zum letzten Moment festhaltend ließ er sich herab und plumpste schließlich wie ein nasser Sack in die Rille. Seinen „Freund“ (es ist unklar inwieweit Pandas ihre Artgenossen überhaupt wahrnehmen) interessierte dies nicht. Danach hielten beide erst einmal ein Nickerchen.
Das ist bei weitem Aufregendste, was wir im Pandaland zu sehen bekamen. Ach ja, dann war da noch die Zuchtstation vor der jemand stand und „Haha, 50 EUR and you can have panda sit on your lap, haha, 50 EUR, haha!“ rief.
Xiangping hatte Recht gehabt.
Essen
Dieses dunkle Thema habe ich mir bis zuletzt aufgehoben. Natürlich ist die chinesische Küche weltweit berühmt, weil sie so ziemlich alles zubereitet, was man sich vorstellen kann. Nirgendwo entfaltet man einen solchen Individualismus und eine solche Entdeckerlust beim Essen wie in China. Was nicht unbedingt heißt, dass man das dann auch essen kann.
Chinesische Restaurants in Deutschland haben mit dem Essen in China nicht das Geringste zu tun. Was wir bei uns als „chinesisch“ vorgesetzt bekommen, ist meistens so eine Art Doktor Oetker – Variante von dem, was es in China tatsächlich zu essen gibt.
Tatsächlich ist Essen überall in China ein Riesenthema – Chinesen sind große Fans von Straßensnacks, und überall wird ständig in Massen irgendwelches rohes Fleisch aller Arten angeboten, auf dem meistens Schwärme von Fliegen leben. Auf Anforderung wird dieses Fleisch dann direkt zubereitet, eventuell vielleicht sogar überhaupt erst getötet.
Chinesen sind auch äußerst gastfreundlich: man kann sich vor Essenseinladungen kaum retten und muss auch nie zahlen. Bei jedem gemeinsamen Essen werden immer wieder neue Köstlichkeiten aufgetischt, deren genaue Herkunft und Beschaffenheit aufgrund der Sprachbarriere eigentlich bis zuletzt nicht klar wird. Da Chinesen so ziemlich alles essen kann es da durchaus lustige Überraschungen geben. So erzählte mir Sigi Mauser einmal, wie er einmal in China einen Fisch aß und irgendwann merkte, dass dieser noch lebte und nach ihm schnappte. Was aber genau das Spezielle an der „Zubereitung“ dieses Fisches war.
In der Region von Sichuan kommt noch erschwerend hinzu, dass jedes Gericht auf eine Weise „scharf“ gemacht wird, die einem selbst nach dem Genuss eines winzigen Bissens schon alle Geschmacksnerven wegbrennt und man kann sich danach dann auf eine lange Nacht auf der grünbesackten Lochtoilette gefasst machen. Skurrilerweise gilt die Sichuanküche nur als die zweitschärfste des Landes, es muss also irgendwo Menschen geben, deren Magenwände aus Stahl sind.
Hinzu kommt ein massives Sprachproblem: alle Speisekarten in Chengdu sind grundsätzlich auf – wen wundert’s? – chinesisch. Immerhin gibt es immer lustige Bilder vom Essen, die einem eventuell bei der Entscheidung helfen. Nur weiß man oft nicht, ob das braune abgebildete Gekrissel nun einfach nur „normales“ Fleisch ist, oder vielleicht auch Pansen, Hirn, Schlangenköpfe oder Kutteln. Nach der Zubereitung mit diversen scharfen Soßen sähe ohnehin auch Hunde- oder Menschenfleisch genauso aus.
In unserem Bordellhotel waren wir auf Kosten des Festivals zu allen Tages- und Nachtzeiten stets zum Essen eingeladen, und zwar fast immer a la carte. Wir durften also trinken und essen so viel wir wollten (nicht dass wir das immer taten), und stets standen mindestens 6 Kellner bereit, um jeden unserer Wünsche aufs Höflichste misszuverstehen. Irgendwann gingen wir dazu über, Fotos von „sicheren“ Speisen und Getränken zu machen und diese dann bei der nächsten Bestellung zu zeigen, um ja nicht wieder Überraschungen zu überleben.
Erschwerend kam hinzu, dass das liebe Duo LUXA (Daria und Carola) vegetarisch unterwegs war, so dass sich überhaupt nur eine Handvoll Speisen zum Verzehr eigneten. Eigentlich nur zwei: Walnüsse mit Paprika in einem Sud auf megascharfen Chiliöl, und wabbelige kalte Nudeln in einem Sud aus megascharfen Chiliöl. Nur ganz selten gelang uns die Bestellung eines dritten vegetarischen Gerichts: geräuchertes Tofu in einem Sud aus megascharfen Chiliöl. Irgendwann verzweifelt man an dem megascharfen Chiliöl, das kann ich euch sagen, denn bei jedem erneuten Verzehr wird einem klar, dass die Hoffnung auf normale und feste Verdauung immer mehr zur unerreichbaren Utopie wird.
Irgendwann wurden wir ganz aufgeregt, wenn wir einen „Starbuck‘s“ erblickten (von denen es in Chengdu zahlreiche gibt), denn dort gab es die vage Hoffnung auf ein kleines Stück trockenen Kuchen, der vielleicht ausnahmsweise mal nicht in megascharfes Chiliöl getunkt worden war wie eigentlich so ziemlich jedes andere Essen. Es gab aber auch die Steigerung des Chiliöls: nämlich frischer Sichuanpfeffer, der manchem Essen (reichlich) beigelegt wurde. Nachdem ich den gegessen hatte, war meine Zunge drei Stunden lang betäubt, 6 Stunden später konnte ich langsam wieder lallende Worte aussprechen.
Kulinarischer Höhepunkt unserer Reise war der Besuch eines „Feuertopf“-Restaurants: dort geht man vor dem Essen in eine kleine Baracke (zusammen mit ca. 2 Millionen Fliegen) und sucht sich lauter kleine Spieße aus, auf denen irgendetwas steckt. Diese bereitet man sich dann selber in einem Topf mit heißen Sud am Tisch zu. Die Fleischspießselektion gehörte so ziemlich zum abenteuerlichsten, was ich je gesehen habe: Nirgends ein „normales“ Stück Fleisch zu sehen, im Angebot waren allein Kaninchenköpfe (in Chengdu äußerst beliebt – es gibt ganze Restaurants, in denen es nichts anderes als Kaninchenköpfe zu essen gibt), Leberstücke, Pansen, Gedärme, Schweinelunge und natürlich der beliebteste Knuspersnack für Kinder: Hühnerkrallen!
Kurzum, hier würde auch der Freund von Heinz Strunk aus „Fleisch ist mein Gemüse“ zum vegetarischen Beilagenesser.
Und hiermit endet auch mein Bericht aus China. Und nächstes Mal wieder wie gewohnt eine Werkanalyse von Ferneyhough. Könnt ihr euch schon drauf freuen.
Euer
Moritsu Eggerta
Komponist
Lieber Moritz,
deiner präzisen Analyse zufolge wären Pandas doch ganz gut als Metapher für den Neue-Musik-Betrieb hierzulande geeignet… das Panda-Syndrom eben.
Ansonsten: eine schöne Artikelserie, die ich mit großem Genuss gelesen habe.
Gruß
Stefan