Wie Wowis Musicboard-Boah die Berliner freie Musikszene einstampfen könnte
Ein Senatsmitarbeiter betritt das Büro des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Der Regierende ruht bequem in seinem Sessel, dem Eintretendem den Rücken zugewandt. Er betrachtet eine Fotosimulation von Berlins Mitte im Jahre 2020: die wiedereröffnete Staatsoper, die endlich vollendete Museumsinsel, das rekonstruierte Stadtschloss. Bürofremde würden Wowi „wow“ rufen hören. Davon scheint er zu träumen. Der Mitarbeiter:„Die Damen und Herren vom Musicboard sind eben eingetroffen.“ Wer genau hinhört, bekommt Wowis „boah“ mit, genau als der Angestellte nach „Music“ „Board“ als dritte Silbe ausspricht. Wowi: „Boah! Ach, das Musicboard…“ Er überlegt kurz: „Das muss ‚wat Grosses‘ werden! In Berlin lieben wir das ja besonders. Die Stadtmitte, der BB-Airport. Und nun ‚boah‘, die Kreativwirtschaft, das ‚Musicboard‘. Schmid, notieren Sie mir auf die Board-Akten ‚wat Grosses wie die City‘.“ Schmid kramt nach einem Stift, einem Diktiergerät. Derweil Wowi: „Schmid, was ist für Sie finanziell ‚groß‘?“ Schmid: „Hunderttausend.“ Wowi runzelt die Stirn: „Das sind doch keine ‚Jazzer’“ Schmid: „Äh, Fünfhunderttausend“. Wowi: „Was soll das Theater, die sind doch keine Komödie! Die sind rentabel. Notieren Sie ‚eine Millionen‘ neben ‚wat Großes‘!“
Geneigte Leser! Das ist reinste Ironie, Kolportage. Wer allerdings aufmerksam die Pressemeldung vom 17.10.12 auf der Homepage der NMZ las, wird eines besseren belehrt: „Berlin will 2013 ein Musicboard zur Unterstützung der Rock- und Popmusik gründen.(…) Im Landesetat stünde dafür im kommenden Jahr eine Million Euro zur Verfügung.“ Das klingt erstmal gut. Eine Millionen für Rock und Pop! Die beiden Musikrichtungen werden bisher kaum direkt aus öffentlichen Kulturhaushalten unterstützt. Besondere Aufmerksamkeit in diese Richtung erregte bisher nur die vom Bund geförderte „Initiative Musik“. Warum so etwas nicht auf Landesebene ausprobieren? Das Land Berlin hinkt wirtschaftlich in vielen Bereichen den meisten Bundesländern hinterher. Besonderen Stolz verkündet der Senat immer wieder über die reichhaltige Kreativwirtschaft Berlins. Diese wird von kleineren und mittleren selbständigen Unternehmern in Agenturen und Veranstaltern getragen, weniger direkt von Künstlern. Sie leistet einen nicht unerheblichen steuerlichen Beitrag zum Staatssäckel.
Unter „kreativ“ versteht man dabei rein wirtschaftlich bemessen vor allem Rock- und Popmusik, Club- und Eventkultur. Jazz, Neue Musik, experimentelle Musik und Klangkunst gelten durch diese Brille besehen als subventionslastig, kaum gewinnbringend. Künstlerisch betrachtet weiß wiederum jeder, dass genau die Sparten des letzten Satzes die entscheidenden innovativen Akzente setzen, die überhaupt erst Berlin zur Inspirationsquelle für kommerziellere Formate werden lässt. Die Agenturen und Veranstalter gründeten mit Unterstützung z.B. der Landesbank Berlin die Berlin Music Commission. Schaut man auf die Mitgliederliste, fallen besonders das Berlin Festival – nicht mit den Berliner Festspielen zu verwechseln – , die der Oberorganisation namensähnliche Clubcommission oder zielgruppentypisch die Business Akademie für Medien, Event und Kultur (ebam) ins Auge. Einige hier lesende Komponisten werden beim folgendem Mitglied aufhorchen: die Audio-Alternative zu youtube und myspace „soundcloud“ ist dort zu finden. Dies unterstreicht durchaus die angestrebte Mächtigkeit und globale Wirksamkeit des Boards.
Das oben kolportierte Szenario im Büro des Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators Wowereit könnte, ebenfalls ironisch gemeint, mit der Einzelperson und Kulturbrauerei-Leiterin Katja Lucker denkbar werden. Ihre Firma Idee Konzept Kultur führte gemäß Commissionshomepage seit 2004 „das Kulturprogramm des Hoffestes des Regierenden Bürgermeisters“ durch. Allerdings ist dieser Fall komplexer: befasst sie sich doch neben Rock und Pop auch mit Neuer Musik, wie z.B. die Zusammenarbeit mit Sasha Waltz anlässlich derer Produktion von Iannis Xenakis kraanerg unterstreicht. Fliessende Übergänge zwischen Kunst und Kommerz!
Eine Gegenseite zum Musicboard bildet die Initiative Dach/Musik mit der Unterstützung u.a. von IG Jazz Berlin e.V., Initiative Neue Musik e.V., MaerzMusik, etc. Der Sprecher Ignaz Schick erklärte sogar im Dezember 2011 auf einem Symposium der Münchener Gesellschaft für Neue Musik in einem interpoliertem stand-up Referat die Situation aus der Sicht der freien Musikszene in Berlin am Beispiel des Jazz. Ignaz Schick und seine Kollegen tragen mit ihrer Kunst den Ruhm Berlins als Stadt künstlerischer Innovationen von Paris bis Tokyo um den Globus. Dies gelang ihnen bisher ganz gut trotz der üblichen Selbstausbeutung. Seit der letzten Kürzung der Jazzförderung von 147.000 Euro in 2011 auf nur noch 130.000 in 2012 und der Aussicht auf vollkommene Reduzierung auf fast Null Euro in 2013 ist die Schmerzgrenze mehr als ausgereizt. Besonders angesichts der im Vergleich dazu üppigen eine Millionen Euro für das Musicboard werfen sich einige Fragen auf.
Mit Stand Frühjahr 2012 wurde die freie Jazzszene nicht von der Berlin Music Commission miteinbezogen, schlichtende Gespräche durch die Landesverwaltung vermittelt blieben damals ohne konkrete Ergebnisse. Letztlich führte die Bürokratie mit den Agenturen und Veranstaltern aber nicht direkt mit den Künstlern und Musikern Gespräche. So ist das Musicboard auf die Bedürfnisse der Musikmittler aber nicht der Musikschöpfer ausgerichtet. Statt die direkte Künstlerförderung der freien Szene zu erhalten und sogar die Produktionsbedingungen der Künstler zu verbessern, droht eine immer krassere Kürzung dieser schmalen Mittel. Man könnte meinen, dass die freie Musikszene, was dann auch die Neue Musik umfassen würde, überhaupt kein nennenswertes Geld mehr bekommen wird. Die früher mal wenig mehr als 900.000 Euro für die gesamte freie Musikszene waren 2011 bereits auf 842.000 Euro eingedampft worden. Das klingt ein nach dem Motto: Wer hier nicht mehr existieren kann, möge sich doch an die demnächst vom Musicboard geförderten Agenturen um U-Musik Jobs bemühen! Wer braucht schon künstlerische Experimente, wenn wirtschaftliche höhere Steuereinnahmen versprechen. Zugegeben ist es ein Ding der Unmöglichkeit ein mehr oder minder gratis komponiertes Flötensolo vor nicht mal 50 keinen Eintritt zahlenden Hörern quasi umsonst komponiert mit der Umwegrenatbilität eines Popjingles eines kreativen nur Computertasten beherrschenden Musikautodidakten für eine Dauerwerbesendung zu vergleichen. Der billig Ausgebildete verspricht da mehr Knete als der teure Akademiker!
Aber werden die von Förderungseinstellung bedrohten Künstler der freien Szene überhaupt sofort Jobs beim Musicboard finden? Nein, denn es soll erst eine Standortanalyse, ein Karrieresprungbrett für Youngsters und eine Lautstärkekampagne für Musikkneipen mit der Million gestartet werden. Wie gesagt verwandelt sich Künstlerförderung in Unternehmersubvention. Schmerzlich ist dabei, wie der Senat mit dem Musicboard und der Berlin Music Commission die lautesten Unterstützer der Gegner der GEMA-Tanzmusiktarife stützt: Verlautbarte nicht das Commissionsmitglied Olaf Möller (s. Im Link letzter Absatz dritter Satz) das drohende Sterben des Berghains, was dem Konflikt in den letzten Monaten eine besondere Schärfe verlieh, wo doch die angefeindete GEMA in erster Linie direkt Autoren und Künstler in Wahrnehmung derer Aufführungsrechte betrifft. Aber dies ist ein anderes Thema, sollen GEMA und Dehoga & Co. doch wieder reden und veröffentlichen gemeinsame Statements! Allerdings zeigt dies neben den Unschärfen der Neue Musik wie U-Musik veranstaltende Agenturen exakt die Trennlinie zwischen immer mehr zu Hungerkünstler werdenden Autoren wie Musikern und an diesen wie deren und neuen Geldtöpfen einigermassen gut verdienenden Kulturmanagern. Dieses Wildern in fremden Gefilden ist beste Neu-Berliner Tradition, wie die Selbstbedienung der Staatsoper im der freien Szene vorbehaltenem Hauptstadtkulturfonds. Frei nach Jürgen Flimm sterben eben erst ein paar freie Theater und bald gehen als Kollateralschaden von Agenturen und Hochkultur die Künstler vor die Hunde. Dann aber heisst es nicht mehr „boah“, sondern nur noch „buh“. Ungeklärt bleibt bis dahin, wer dabei der Wolf sein wird, der mit den Letzten heult. Für mich bleibt ein Musicboard ein Regal, auf dem ausrangierte Kulturkonzepte, verstaubte Goldene Platten und abgehalfterte Musikbusiness-Sternchen ihren Platz finden können. Einzig eine angemessene und ausgebaute Förderung der freien Musikszene, ein Muss für eine Haupt- undKunststadt wie Berlin könnte diesem eine Legitimation in Achtung und Toleranz sein.
Komponist*in
Eine Antwort
[…] Jahren bangte die freie Neue Musik Szene mit ihren kleineren Projekten, dass sie durch das neue Musicboard kaum noch Mittel erhalten würde. Moritz berichtete erst vorgestern von der Konzertreihe Unerhörte Musik, […]