Munich Underground – Besuch bei „Or.pheus“

Kollege Alexander Strauch hat zwar schon (unter anderem) darüber geschrieben, aber seitdem ich gestern selber dort war, ist es mir ein Anliegen, noch einmal gesondert darauf hinzuweisen:

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Wenn ihr irgendwie in München seid oder bis zum 24. Juni nach München kommt und eine halbe Stunde Zeit habt, schaut euch – UNBEDINGT – Or.Pheus an, ein „musikalisch-theatralische Rauminstallation“, direkt neben dem Bahnhof, am Alten Botanischen Garten, Infos und Vornmeldung hier hier.

Jeweils bis zu zwei tapfere Neugierige besteigen – bewaffnet mit einem zur Verfügung gestellten Smartphone – einen Atombunker (!) der Stadt München an zentralem Ort und erforschen eine von der Künstlerin Evelyn Hribersek entworfene Installation, die Elemente aus dem Orpheus-Mythos, Computerspielen wie „Silent Hill“ oder „Bioshock“ sowie Elemente des experimentellen Theaters zu einer ganz eigenen Kunstform vereint, die nur schwer in Worten beschrieben werden kann, aber wunderbar funktioniert.

Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen (ein Großteil des Vergnügens an „Or.pheus“ besteht daran, die Geheimnisse der Installation selber zu erforschen), hier eine kurze Beschreibung der Aspekte, die mir auch als Anregung für Kompositionen interessant erscheinen:

– eine ganzheitlich theatralische Situation, die gerade durch die Isolierung des Betrachters (die Installation darf nur alleine und ohne Begleitung betreten werden, jeder der zwei Besucher erforscht ein eigenes Ambiente, man begegnet sich nicht) eine besondere Intensität gewinnt.

– Die Installation ist nicht statisch sondern erzählt eine Geschichte, wobei der Weg, den man durch diese Geschichte nimmt, einem selber überlassen wird, ähnlich wie in guten Computerspielen.

– mittels des Smartphones interagiert der Besucher mit der Umgebung, wobei ein System verwendet wird (sehr clever entwickelt von Bernd Lintermann), das ähnlich wie ein QR-Scanner funktioniert. Grafische Symbole lösen sowohl Animationen wie auch Klänge aus, die sich auch im Raum bewegen können, während man sie betrachtet. Der Besucher wird zum Archäologen, der die Geheimnisse der Vergangenheit freilegt.

– Nicht nur der Raum, sondern auch der Klang (hochintelligente elektronische Komposition und Sounddesign, absolut zu loben: Ludger Brümmer) ist integraler Bestandtteil des Erlebnisses. Einerseits werden Lautsprecher verwendet, die eine subkutane Raumkomposition erklingen lassen, die sich je nach Position des Besuchers individuell verändert. Andererseits werden die ausgelösten Animationen mit Musik und Klang kombiniert, die sich mittels der getragenen Kopfhörer hervorragend mit dem Ambient-Sound mischen. Tatsächlich ist sehr schwer zu sagen, wo das eine anfängt und das andere aufhört, die Übergänge wirken fließend.

– Die Installation funktioniert nicht nur wie ein Bühnenbild, sondern bezieht den Besucher mit ein. Manche Elemente der Erzählung werden erst dann aktiviert, wenn der Besucher sich zum Teil der Umgebung macht, in einem Stuhl Platz nimmt, sich auf eine Liege legt.

– Atmosphäre: ein oft unterschätzter Aspekt gerade bei Installationen ist der, dass einem ziemlich schnell langweilig werden kann, wenn man verstanden hat, wie das Ganze funktioniert. In diesem Moment setzt oft eine Entfremdung ein, man hat das Ganze „verstanden“ und es zieht einem zum nächsten Objekt (zum Beispiel in einer Ausstellung). Obwohl „Or.Pheus“ eine frei begehbare Installation ist, gibt es dennoch einen zeitlich geplanten Aspekt, der eine Dynamik und einen Zeitpfeil erzeugt, ähnlich wie in einer konzertanten Komposition steuert das Ganze auf einen Höhepunkt zu, ohne dass dieser Höhepunkt sich aber auf konventionelle Weise ankündigt. Das extrem atmosphärische Set-Design, dass eine durchaus bedrohliche und extreme Spannung aufbaut (so stark, dass meine Begleiterin ihren Teil der Installation sogar vor dem „Ende“ verließ) tut ein Übriges, die Wirkung zu verstärken, da es den Besucher direkt ins Geschehen einbezieht.

– Nicht alles wird auserklärt, sondern Teile der „Geschichte“ bleiben letztlich nicht fassbar. Und das ist letztlich am Spannendsten.

Eine wirklich gelungene Sache also – Gratulation an Evelyn Hribersek, Ludger Brümmer, Bernd Lintermann, Saba Bussmann (Videoanimation und Motion Design), Julian Rupp (Fotografie, Produktionsleitung) sowie den Rest des Teams.

Ist toll. Ist gut. Ist einer von vielen möglichen Wegen, im 21. Jahrhundert Musik, Theater und Kunst auf kreative Weise neu zusammen zu erfinden.

Moritz Eggert

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Eine Antwort

  1. 23. Oktober 2012

    […] über Donut-Eschingen erscheint und ich von meinen chinesischen Abenteuren berichten kann: Im Juni hatte ich schon sehr enthusiastisch über die spannende Raum/Musik/Computerspielinstallation […]