Radiorettung Teil 2

Ich würde ja gerne über etwas anderes schreiben, aber im Moment gibt es natürlich in der deutschen Musikwelt vor allem ein Thema: die geplanten massiven Sparmaßnahmen bei den SWR-Rundfunkorchestern und deren Ankündigung durch den SWR-Intendanten Peter Boudgoust. Gerade eben erreichte mich ein Schreiben der „Freunde & Förderer des SWR-Symphonieorchesters Baden-Baden und Freiburg e.V.“ in dem die Arbeit dieses Orchesters eindrücklich dokumentiert wird und Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden.

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Hans Zender, der dem Orchester durch mehrfache gemeinsame Arbeit verbunden ist, schreibt hier einen sehr gut (vielleicht zu gut) gemeinten mahnenden Artikel, zahlreiche bekannte Persönlichkeiten des Musiklebens haben auch schon öffentlich Stellung genommen.

Dass eine solche Maßnahme kommen würde lag in der Luft – und ist letztlich nur Resultat einer vorhergehenden Sparmaßnahme, denn als vor vielen Jahren SDR und SWF zum SWR vereinigt wurden, waren auch Einsparungen das Hauptargument (man hat den Eindruck, dass in Deutschland IMMER gespart werden muss, vollkommen unabhängig von der Wirtschaftslage – außer bei den vielen, vielen Sachen, bei denen dann überhaupt nicht gespart wird). Plötzlich hatte man unter dem neuen Gesamtsender zwei herausragende Orchester, beide mit großer Ausstrahlung und Wirkung in der jeweiligen Region. Dass das nicht lange gut gehen konnte, wollte man gerne hoffen, aber dann doch nicht zu hoffen wagen. Nun folgt das böse Erwachen, das – und deswegen schreibe ich hier darüber – natürlich auch wieder die zeitgenössische Musik in großem Maße betreffen wird, denn beide Orchester sind hier immer vorbildlich aktiv gewesen.

Um welche Einsparungen es gehen wird? Nach momentanen Äußerungen geht es um die Einsparung von 25% für einen 10-Jahreszeitraum, eine durchaus dramatische Maßnahme, die letztlich nur durch massive Stelleneinsparungen oder Zusammenlegungen realisiert werden kann. Als Argument hierfür taugt den Verantwortlichen die Gebührenreform, deren Auswirkungen aber noch gar nicht abzusehen sind und die eigentlich sogar mehr Planungssicherheit bedeuten sollte, da das komplexe Anmeldungsgeflecht der Mediengeräte eines Haushaltes extrem vereinfacht wurde. Also ein Scheinargument? Oder wissen die Verantwortlichen mehr, als sie im Moment sagen?

Vielleicht wissen wir alle mehr nach folgendem Termin:

„Im nmzMedia-TV-Studio auf der Frankfurter Musikmesse werden am Freitag, den 23. März (10.00 Uhr) zunächst SWR-Intendant Peter Boudgoust, SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann, DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens und DMR-Generalsekretär Christian Höppner die Pläne diskutieren, am Nachmittag (14.00 Uhr) sind Sylvain Cambreling, der frühere Chefdirigent des SWR-SO und Musikkritiker Gerhard Rohde (nmz, FAZ) zu Gast am ConBrio-Stand (Halle 3.1, C 53).“

Was Boudgoust und Hermann hier zu sagen haben werden, dürfte auf jeden Fall hochinteressant sein, und die weiteren hochkarätigen Gäste werden hoffentlich die richtigen Fragen stellen. Mehr über die Thematik auch hier, auf diesen Seiten.

Ich möchte auch die Bitte von Arno Bohn (Vorsitzender des Vorstands der Freunde und Förderer, siehe oben) an euch weitertragen, nämlich in sachlichen und leidenschaftlichen Briefen den Verantwortlichen gegenüber persönlich die Wichtigkeit der SWR-Rundfunkorchester zu unterstreichen.

Die Adressen sind:

Intendant Peter Boudgoust, Südwestrundfunk, Neckarstraße 230, 70190 Stuttgart
mit Kopien an:

Dr. Harald Augter, Vorsitzender des SWR-Rundfunkrats, Arbeitsgemeinschaft der IHK Rheinland-Pfalz, Schillerplatz 7, 55116 Mainz

und

Hans-Albert Stechl, Vorsitzender des Verwaltungsrats des SWR, Luisenstraße 7, 79098 Freiburg

Das Traurige an der ganzen Geschichte ist, dass die Rundfunksender (und nicht nur der SWR hat Reformen angekündigt) sich zunehmend von der Rolle der großen Musikförderer in diesem Land verabschieden, die sie einst mit Glanz erfüllten. Die Geschichte der Neuen Musik in diesem Land ist auch eine Geschichte dieser Sender – beide sind untrennbar miteinander verbunden. Nun drohen die Sender zu den Zerstörern der Saat zu werden, die sie einst selber gesät, ja überhaupt erst ermöglicht haben. Es macht sicherlich wenig Spaß in diesen Zeiten, Intendant zu sein, so viel ist sicher.

Bei der ganzen Diskussion scheint es mir vor allem wichtig, nicht nur den drohenden Kahlschlag zu verhindern, sondern auch dessen Gründe zu analysieren. Mein Eindruck ist, dass finanzielle Probleme hier eher vorgeschoben werden, also ein Paradigmenwechsel stattfindet. Dann hieße es aber dringendst, gerade die Zukunft dieser Orchester neu zu definieren.

Neulich kam mir ein radikaler Gedanke: wenn eines der Argumente (in Hans Zenders Artikel erwähnt) gegen die Rundfunkorchester ist, dass sie zum Teil Repertoire spielen, das ja schon längst aufgenommen wurde (ja, dieses Argument gibt es tatsächlich), warum dann nicht dieses Argument ins Positive umkehren und NUR NOCH Neue Musik spielen? Genau also die Rolle des Entdeckers und Förderers wieder in den Vordergrund stellen, das einst bei der Gründung dieser Orchester eine große Rolle spielte (zu Zeiten als Komponisten wie Kagel oder Henze noch – übrigens großartige – Radioopern schreiben durften, ein heute ausgestorbenes Genre). Die Vorstellung darüber, was eigentlich Neue Musik ist könnte dann auch wesentlich weiter gefasst werden als bisher, und man könnte noch mehr wagen.

Noch mehr als ohnehin schon wäre dann Musikvermittlung Hauptaufgabe der Orchester. Schon längst gehören die alten Orchesterborniertheiten gegenüber Neuer Musik eher der Vergangenheit an. In den letzten Jahrzehnten ist definitiv eine größere Offenheit der Orchestermusiker gegenüber ungewohntem Repertoire zu beobachten, die Musiker sind neugieriger und kooperativer geworden, übrigens gerade besonders in den Ensembles, die viel und regelmäßig Neue Musik spielen. Das sollte man nutzen und weiterhin stärken, denn es ist eine sehr positive Entwicklung.

Mir ist klar, dass die Orchester dann befürchten würden, ihre internationale Ausstrahlung zu verlieren, wenn sie nicht mehr China-Tourneen mit Beethoven-Symphonien bestreiten würden. Aber vielleicht würde gerade ein so dezidierter Schritt hin zu einem komplett zeitgenössischem Repertoire die internationale Bedeutung verstärken. Schon jetzt strömen Musiker aus aller Herren Ländern nach Deutschland, weil sie hier ideale Bedingungen für klassische und auch und besonders für NEUE Musik vorfinden. Ohne es wirklich geplant zu haben, sind wir – gemeinsam mit vielen unserer europäischen Nachbarn – Bewahrer und Förderer einer Musiktradition geworden, um die uns die ganze Welt beneidet. Das ist ein enormes Kapital.

An die Bedeutung dieses Kapitals zu erinnern und auf dessen Erhalt zu pochen sollte daher unsere vordringlichste Aufgabe sein. Eigentlich klar – oder?

Moritz Eggert

Das könnte das zukünftige Logo des SWR sein. Wenn es nicht schon das Logo eines amerikanischen Verstärkerherstellers wäre.

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2 Antworten

  1. Lieber Moritz Eggert,
    Deinem Artikel kann und soll in keiner Weise widersprochen werden. Den Grund für den schleichenden bis gallopierenden Verlust eines von Dir angemahnten Bewußtseins für unsere Qualität als Erfinder und Bewahrer einzigartiger Kulturwerte mit einzigartig langer und ungebrochener Tradition sehe ich allerdings in Struktur und Besetzung der wichtigen Schaltstellen unseres Kulturmanagements: Diese sind nämlich nciht mehr mit Kennern und Liebhabern der Materie, sondern mit irgendwie dahin gelobten Politschranzen besetzt, die brav das von ihnen Verstandene herunterbeten, anstatt tiefere Gedanken für die Erforschung der Notwendigkeiten unserer Kulturszene zu verschwenden. So kommt u.a. nur noch ein Bruchteil des vorhandenen Potenzials ans Tageslicht der Öffentlichkeit. Ich weiß, ich schreibe hier auch in eigener Leidensgeschichte, doch dies macht die Situation nicht weniger prekär: Wenn durch einseitige Förderung einiger weniger von angesprochenen Institutionen als herausragend definierter Persönlichkeiten die Vielfalt unseres Kulturraumes abzusterben beginnt, wird auch die Diskussion über diese Kultur abbrechen, weil sie für unnötig erachtet wird. In Japan gibt es für Rotwein eigene „Bordeaux-Geschäfte“, denn wieso sollte man andere Weine trinken, wenn Bordeaux doch gut ist? Auch ein eigenes Orchester zum spielen der 9. Beethoven gibt es. Warum nicht einfach die 10 bekanntesten zeitgenössischen Komponisten wählen und dann einfach alles von denen aufführen? Das langt doch, oder? So sieht es bei uns schon seit langem aus und wird nur immer schlimmer. Natürlich kann der froh sein, der zu den 10 Auserwählten gehört, denn er braucht noch nicht einmal bangen, daß die „Zeit über ihn richten“ wird, denn es gibt ja gar keine Alternativen mehr. Und darum: Die – gemessen an anderen Ländern – bei uns geradezu massenhaft vorhandenen Orchesterapparate haben schon seit Jahrzehnten begonnen ihre Daseinsberechtigung zu „verspielen“. Und würde man das in unzureichenden Bildungsstätten vorbereitete Volk fragen, dann „Gute Nacht“! Noch haben die mächtigen Macher ein schlechtes Gewissen gegenüber unserer dahinsiechenden Kulturgeschichte und düngen ein paar Pflänzchen, doch ein Garten sieht anders aus. Leuten wie mir bleibt Samen fürs Überleben in dieser Wüste zu züchten.

  2. strieder sagt:

    NUR NOCH Neue Musik spielen

    JUCHUUU!!!