Kann die jüngere Komponistengeneration überhaupt noch mit Tonhöhen umgehen?
Auf vielfachen Leserwunsch mal wieder ein ästhetischer Versuch! Immer wird ähnlich debattiert: „Heute komponiert niemand mehr mit Stift und Papier.“ Oder: „Die Jungen sind nicht in der Lage, am Tisch etwas langsam auszuzirkeln.“ Und dergleichen mehr. Liebe in die Jahre gekommene KollegInnen! Es stimmt, dass „heute“ die meisten den Rechner zum Komponieren einsetzen. Vor gut zwölf Jahren war es darum aber bereits genauso bestellt. In einer badischen Tram erzählte mir Andrea Scartazzini, der in jenen Jahren jedenfalls manuell seine Klänge aufnotierte, wie während seines Englandstudiums Dozenten erleichtert aufseufzten, als sie seine Handschrift sahen. Was soll die Diskussion am Computer ja/nein heute noch? Was das Notenschreiben betrifft, setzt ihn jeder ein, wie er will, von der ersten skizzierten Note an oder nur, um Stimmen anzufertigen. „Copy and paste“ wird als Totschlagargument gegen umfassende Rechnernutzung ins Feld geführt. Kopieren und Einfügen ist selbstredend verführerisch simpel, der und die Vernünftige wird es aber einsetzen, um wie mit Radiergummi und Stift weitere Wendungen herauszuarbeiten. Und wie viele Kompositionsmethoden haben sich doch überhaupt erst durch die Datenverarbeitung ergeben. Selbst ein Wilhelm Killmayer pries in einem Publikumsgespräch einmal die Vorzüge einer zukünftigen arbeitserleichternden Rechnertechnik, wie sie sich mit Titanenschritten längst ereignet hat. So redet von copy&paste-Musik nur der, wer schludrige Wiederholungen zu hören glaubt, was genauso papierner Musik anheften kann, und vielleicht sein Notensatzprogramm noch nicht ausgereift beherrscht. Oder ein wenig auf die Jüngeren pauschal provozierend eindreschen möchte.
Aber wie ist es um die „Tonhöhen“ bestellt? Bei diesem Begriff wird mancher den Kopf schütteln: „Was soll schon wieder der alte Kram?“ In meinen Studien bei Hans Jürgen von Bose und Hans Zender standen sie durchaus immer wieder im Zentrum des Unterrichts, waren tatsächlich ein heikles Thema, denn die Korrektive der Lehrer stellten einen krassen Eingriff in das eigene Hören der Studierenden dar. Zender erklärte gerne seine Differenztontechnik. Wer von Bose allerdings mit Tinten-Rotstift in seinen Bleistiftskizzen fuhrwerken, gnadenlos korrigieren ließ, hatte die Aussicht doch einen „richtigen“ Umgang mit Tonhöhen im nicht-tonalen, freien Tonsatz zu ergattern, für etliche Arten von Tonhöhenorganisation im parametrisch oder „bauchig“ durchgestalteten Material das gebotene Hören zu entwickeln, eigene oder fremde vorgegebene Regeln einer besseren oder sanglicheren Wendung der Linie hinter sich zu lassen. Das war und ist auf Papier durchaus brutal besser als Lehrer vorzunehmen als am Rechner, wo man schon eine Ossiazeile einziehen muss, um das Skizzierte und dann Verbesserte zum aufbereitenden Heimstudium sofort vergleichen zu können.
Hört man heute in Konzerten mit Werken Jüngerer und Jüngster genau hin, fällt auf, dass ihnen dieser didaktische Papiertiger seitens ihres Lehrpersonal entgehen zu scheint. Man hört Tonhöhenorganisationen, die entweder einem tonalen Konstrukt verhaftet sind oder einer gnadenlos durchgehaltenen seriellen Methoden-Orthodoxie folgen; oder schlichtweg keine Rolle spielen. Sehr selten hat man ein harmonisches „Aha“-Erlebnis, dass die Töne eine eigene Wendung als eine technisch-logische nehmen, schlicht einer Dramaturgie des Hin- und Nachhörens folgen. Woran das liegen mag, ist mir noch nicht ganz klar.. Ich kann nur Vermutungen anstellen.
Warum komponiert man als Junger heutzutage überhaupt „Neue Musik“, wo es doch viel erfolgsversprechendere Filmmusikstudiengänge gäbe? Ist es die Lust am Abenteuer, etwas Eigenes zu entwickeln? Oder ist es der reichhaltige Schatz von über einhundert Jahren, der jetzt von Menschen gehoben wird, die selbst als jüngste Erwachsene weder Nono, Messiaen, Xenakis, Cage, Stockhausen oder Ligeti als lebende (!) Selbstverständlichkeit erfahren konnten? Denen die noch überlebenden Komponisten der fünfziger bis frühen neunziger Jahre als Dinosaurier erscheinen? So gibt es etliche Techniken zu lernen, perfekt zu beherrschen, was mir und meiner Generation nicht immer so ganz wichtig erscheint, eher der Umgang mit der Oberfläche einer Methode und der Weg aus ihr heraus, um ein eigenes, durchaus tonhöhenartig harmonikales Verhältnis dazu zu finden, die Verwurzelung in der Geschichte in vielen Facetten aufzublättern, wie es z.B. sehr unterschiedlich besonders die Kollegen Hans Thomalla oder Volker Nickel machen.
Zur gleichen Generation gehörend, aber orthodoxer wie die jetzt Jüngeren komponierend, sind Matthias Pintscher, Enno Poppe und Simon Steen-Andersen. Pintscher kann man durchaus in den tradierten, freien Tonhöhenumgang eines Aribert Reimanns oder atonalen Anton Weberns einordnen: kleine Sekunden und große Septen, kleine Terzen und große Sexten sowie Tritoni bilden sein Grundmaterial, werden alle zwölf gleichschwebenden Töne mehr oder weniger durchgeführt, bis sie wiederkehren dürfen. Abweichungen davon entstehen noch expressiver gestaltete Gesangslinien als es diese „atonale“ „Abstreichmethode“ bereits in sich birgt. Dennoch sind es bei ihm nicht die harmonischen oder melodischen Ab-Wendungen von diesem Material, die aufhorchen lassen, sondern das gesamte Repertoire erweiterte Spieltechniken der tradierten Neuen Musik. Enno Poppe benutzt diese genauso. Er lässt aufhorchen, wenn sich plötzlich Salonmusik oder gnadenlose Wiederholung in seinen Satz einschleichen. Seine wahnsinnig ausgetüftelten spektralen Tonhöhen weichen vom vorgegebenen Masterplan allerdings genauso selten ab, wie Pintscher es unternimmt. So stellen sich bei beiden zwar gerne Erinnerungen an die Dur-Moll-Welt ein, sie führen aber nicht zu einer emotionalen Vertiefung, wie dies bei Alban Berg passierte oder selbst bei Lachenmann merkwürdige tonale Epiphanien im grössten Geknarze Urständ feiern.
Ist dieser also immer noch in Tonhöhenorganisation verhaftet, spielen sie im Schaffen Simon Steen-Andersens fast gar keine Rolle mehr. Er ist Meister des gesamten Geräusschklangkanons und setzt ihn immer wieder unerwartet ein. So kommt bei ihm plötzlich fast ungewollt durch die Hintertür so etwas wie alte „Dramaturgie“, „Ereignis im richtigen Moment“ zustande, jenseits von Tonhöhendramaturgie. Das ungewohnte, vielleicht auch durchaus live gespielte optische ist der Reiz, der dem Neue-Musik Hörer-Zu-Seher das „Eigenes“-Lämpchen im Kopf aufleuchten lässt. Wir haben somit drei Meister ihres Materials vor uns stehen, die durchaus Reminiszenzen an Althergebrachtes zu wecken vermögen und so „Tiefe“ suggerieren, die neben ihrer avancierten Technikbeherrschung ihren derzeitigen Vorrang im Musikleben erklären, dem zur Zeit auch ein wenig das Hinhören auf harmonisch-melodische neue Nuancen entfallen ist.
Dies sieht man darin, dass zwar Hans Thomalla mit seinen musikzeitgeschichtlichen, präzisen Materialumgang und Ausleuchten durchaus erfolgreich ist, da er wie die drei zuvor Genannten auch dicht und sehr avanciert am „Design“ der Neuen Musik, den neuen Spiel- und Klangtechniken dran ist. Das überdeckt dem aktuellen Zuhörer ein wenig die harmonische Begabung Thomalla. Sieht man dagegen auf den ersten Blich so Komponisten wie Volker Nickel, übersieht man, dass sie nicht so „designen“ wie Pintscher oder Steen-Andersen, aber dafür um so mehr eigene harmonische und melodische Wendungen schaffen, die wahrlich angesichts des rein klanglich geschulten aktuellen Neue-Musik-Ohrs überhört werden und die beiden Kollegen somit noch ein Schlummerdasein im Vergleich zu den anderen drei führen dürfen und können und vielleicht sogar auch wollen. Nimmt es dann Wunder, wenn die Jüngeren, jetzt komponieren Beginnenden eher Wert auf Technikbeherrschung als Tonhöheneigenarten legen?
Es ist das Hören, das differenzierte Klanggestaltung im Sinne von erweiterte Spieltechniken zum Alleinstellungsmerkmal von neuer Neuer Musik erhebt und das nur dann auf Harmonik und Melos reagiert, wenn es „emotional“ aufrufen darf, dies ganz im Sinne der Dur-Moll-Tradition, die uns auch klanglich hoch designt im Bereich der U- und Filmmusik stärker beherrscht, als sie es zum Ende der Spätromantik tat, als man noch exotische, heimische Volksmusikanten auf Hinterhöfen hörte, wie in Wien ja von Walzer bis Musik der Roma und Sinti oder gar Klezmer alltäglich zu hören war, was heute auch nur noch als Ethnomainstream durchgeht und wie Alles andere hauptsächlich musikindustriell aufpoliert zu erleben ist. Kein Wunder, wenn „Design per se“ statt „Tonhöhe a priori“ die Jüngeren prägt. Dennoch ist das Komponieren am Rechner nicht daran Schuld, wenn man das sagen darf, sondern das veränderte Hören und Sehen. Kein Wunder, wenn Dadaismus a la Fön bläst Tennisball in die Höhe das Erleben Neuer Musik beherrscht oder eben andere instrumentale sichtbare Aktionen immer heute wohlwollender aufgenommen werden als Hör-Musiken wie Nickel oder auch Feldman, der nur bei ECM-Liebhabern gesetzten Alters, aber nicht bei der Jugend Erfolg hat. Was habe ich von ihm Alles via Quellenstudium in puncto Tonhöhen lernen können!
Komponist*in
Stimmt tatsächlich nicht so – meine Schüler kommen eigentlich alle nur noch mit Sibelius-Partituren, als Lehrer sitzt man dann vorm Computer und benutzt entweder die gelbe „Hilghlight“-Funktion, um diskutierte Passagen zu kennzeichnen, oder man benutzt die „Kommentar“-Funktion, um direkt Kommentare in die Noten einzufügen. Auch gibt es bei Sibelius (und bei Finale sicher auch) leicht die Möglichkeiten, verschieden datierte Arbeitsversionen zu speichern, bei denen sich Änderungen ganz leicht zurückverfolgen lassen. Ich würde sagen: die Didaktik funktioniert am Computer sogar besser als früher, das ist nicht das Problem.
Ich persönlich gebe mir sehr viel Mühe, über Tonhöhen zu sprechen, aber die von Dir beschriebenen Tendenzen sehe ich genau so. Ich denke es hängt damit zusammen, dass das Produzieren von Tonhöhen keinen Kraftakt mehr darstellt, selbst ein komplett unmusikalischer Mensch kann inzwischen mit Kompositionsprogrammen verschiedenster Art hunderte von professionell aussehenden hochkomplexer Partiturseiten erstellen. Wir hatten bei Aufnahmeprüfungen Kandidaten, denen es noch nicht einmal gelang, am Klavier improvisatorisch zwei einigermaßen sinnvoll verbundene Töne zu spielen, die aber komplexe Orchesterpartituren mit vom Computer errechneten Vierteltonmetamorphosen für 32-fach geteilte Streicher vorlegten. Das frustriert ungemein.
Man muss es aussprechen: Die Zahl der Komponisten, die im alten Verständnis nicht sehr musikalisch sind, also bei Gehörbildung, Nachsingen, Nachklopfen etc. wahnsinnig schlecht abschneiden, nimmt dramatisch zu. Mich stört auch die Unmusikalität – als Musiker merkt man sofort, ob der Komponist musikalisch ist oder nicht. Insofern bin ich sehr froh, dass unsere Kompositionsabteilung inzwischen wieder wahnsinnig viele Studenten hat, die gut oder sogar sehr gut ein Instrument spielen und damit ihre Musikalität auch praktisch einsetzen. Das war ja auch mal lange eher verpönt, dass man als Komponist selber auch spielt und auftritt, inzwischen ist es wieder sehr häufig geworden (auch weil es natürlich heutzutage nicht dumm ist, als Komponist vielseitig aufgestellt zu sein).
Ich würde auch behaupten, dass das innere Hören bei Komponisten an Qualität abnimmt, weil es kaum noch gebraucht wird (man kann sich ja alles immer sofort „vorspielen“ lassen – wer komponiert schon noch „im Kopf“ von den Jüngeren? Nur noch ganz wenige….).
Moritz Eggert
Danke für Praxisbeweis! Ich bin ja kein Lehrender, so konnte ich mir das Korrigieren im Unterricht und dessen heimischen Nachvollzug nicht ganz so vorstellen. Ich weiß zwar vom heutigen Theorieunterricht und seinen technischen Zurüstungen, stelle mir das ähnlich im Kompositionsunterricht vor, deshalb jene Ossiazeile bzw. Deine Klarstellung.
Dennoch glaube ich, dass dieser schmerzende Stifteingriff des Lehrers auf zuvor eigenhändig intensiv mit Radiergummi und Bleistift bearbeiteten Papier, dem man den studentischen Arbeitseifer ansieht, gemeiner, fieser, zerstörerischer und darin neue Energien freisetzender ist als jede Sibeliusmarkierung. Das ist garantiert ein menschlicherer Umgang als die Tintenwut, da man zwar was einfügt, dies aber doch sehr kollegial vornimmt. Auch der „Stiftlehrer“ meinte es ja kollegial, doch wirkte dies immer diktatorisch, wenn er gnadenlos die Schülerschrift durchstrich, ausbesserte. Und so wirkungsvoller für die spätere Zeit. Irgendwann habe ich das übrigens dann nicht mehr zugelassen, da ich um die Brutalität an mir wusste. Ich hab’s mir dann schlicht gemerkt und es als Alternative nur machen lassen, wenn ich selbst nicht weiter kam. Im weiteren Kompositionspeozess leuchtete die entspr. Stelle immer warnend von der Skizze.
In Frankfurt wurde so nicht mehr unterrichtet. Da wurde besprochen, allerdings eher mal allgemein die Ästhetik betreffend, oder erst das Stück nach Un-Möglichkeit am Klavier darstellend und dann eine ganz andere Technik besprechend, die dem Lehrer angesichts des zu beseufzenden Schülermaterials einfiel, was auch wieder befruchtete. Ich denke nur, dass eine gewisse freundliche Strenge gegenüber Anfängern vonnöten sein kann, wenn sie mit kruden Tonhöhen anrücken. Ich würde schon vorsichtiger als mein Lehrer vorgehen, dennoch auf alle Fälle in Hausaufgaben rumfuhrwerken, am Besten im Ausdruck, so bekommt’s doch was Materielleres denn als Dateivariante. An regelrechten Kompositionen würde ich die Diskussionsmethode befürworten, versuchen die vergrabenen Richtungen der Töne auszuloten. Was ist eigentlich an der Story dran, dass Ligeti z.B. sogar bereits verlegte Werke seiner Schüler, z.B. Detlev Müller-Siemens‘, schlichtweg in den Raummülleimer mit grosser Geste beförderte, wenn nichts mehr lehrerseits zu retten war? Aber das sind nur Teilaspekte, und wie Du sagst, gibt jedes Medium seine Möglichkeiten her, irgendwie effektiv zu unterrichten.
Natürlich ist es sehr sinnvoll „vielseitig aufgestellt“ zu sein, also auch instrumental oder theoretisch ein weiteres Fach sehr gut zu beherrschen und ggf. parallel zu Komposition zu studieren, geschieht zumindest bei Jugendlichen Komponieren in Folge schreiberischen Ausprobierens des selbst Gespielten, gerade des „Teufelswerks“, das der Instrumentallehrer auf spätere Zeiten vertagte, man aber spielerisch erfassen möchte und dann am Schreibtisch landet. Das fördert auch das innere Hören. Dennoch kommt man über Vorbereitungskurse vor dem Studium kaum herum, das war früher so, das wird heute auch so sein. Verwunderlich allerdings, dass das Hören trotz all der Rechner-Tutorials anders ausfällt. Es liegt wohl doch im Papiertiger begraben. Vielleicht sollte man doch eine Zeit lang die Studenten an das Papier binden, um die Versuchung zu unterbinden, schnell die Playtaste zu drücken. Ich kann nur sagen, dass ich z.B. erst ab dem zweiten Studienjahr auch mal ohne Klaviersoforttest schreiben konnte. So genügt manchmal heute, den Rechner einfach mal stumm zu schalten.
Dennoch wird der Hauptgrund im Hören selbst liegen. Wie Du sagst, ist es gerade mit all den Kompositionstools wie Open Music oder Symbolic Composer, etc. möglich oder auch mit dem Taschenrechner, perfekt organisierte Partituren herzustellen, ohne ansatzmäßig einen Ton innerlich vorweg gehört zu haben. Das ist auch nicht so schlimm. Aber der korrigierende Eingriff, das kristalline computergenerierte selbstgenügsame Gewebe zu durchbrechen, das verschiebt sich in den Hintergrund. Wobei „inneres“ Hören gerne wiederum nur ein eingebildetes eigenes Nachhören längst existierender Musik sein kann.
Ich unterstelle den Kollegen Pintscher, Poppe und Steen-Andersen auf alle Fälle inneres Hören. Nur sind ihre Strukturen wieder auf einem Level angekommen, als hätte es nie Ligetis Kritik am rein automatischen Komponieren des Serialismus gegeben. So automatisiert Ligeti selbst vorging, so war doch jede Note genau durchgehört! So kann man sein Schreiben nicht als Kritik gegen seine Kritik anführen. Vielleicht ist gerade der Spektralismus ein wenig an dem Verfall des inneren Hörens mit verantwortlich: er organisiert immer „schön“ klingende Tonhöhen, löst aber dann nicht mehr das Problem, dass verschiedene Klänge auch unterschiedliche Charakteristiken haben können. Im Prinzip werden wunderbare Übergänge von einem zum nächsten Klang entworfen. Die Psychologie des Klangs, des Ausdrucks kommt aber nur durch die Hintertür von Stilallusionen wieder herein, wenn ganz klar ältere Hörmuster, so anders sie heute auch belegt als zur Zeit ihrer Entstehung belegt sein möchten, geweckt werden. Aber wer sagt dies! Für mich dient das spektrale Material auch immer mehr, um unterschiedlich belegte Materialien harmonische zu verbinden und mich nicht selbstgefällig im rein spektralen Habitus zu ergehen. So funktioniert Spektralismus immer, wenn er Stilfluktuationen ermöglicht oder tatsächlich Lichtwellen, Wasserwellen oder sonstige dieser Dinge direkt zu Klang werden. Kein Wunder, dass z.B. Kaija Saariaho immer schön klingt, als stünde man auf einer Meerklippe. Das ist grandios. selbst Weizenwogen oder gar urbane Ereignisse sind ihrer Musik allerdings so was von fremd, also die material-, oder eifacher gesagt, stilsynthetischen Möglichkeiten des Spektralismus, wie sie latent ein Poppe oder sehr virtuos Hans Thomalla einsetzen. Ich entdecke gerade eher wieder das Unverbundene, experimentiere mit einfachen Materialien von zeitgenössischer U-Musik, wie ich sie mir so vorstelle. Da ist nur noch Hören und Dramaturgie verlangt, besteht allerdings wiederum die Gefahr, nur noch in Logicspuren und Samples zu denken… Es ist schon ein Kreuz mit den Ohren!
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Wir sprachen neulich schon kurz darüber. Ist ja klar, dass es sich so entwickelt hat. Schön und gut. Aber WAS machst Du, wenn mal wieder ein „renitenter“ ( ;-) ) Student/Studentin käme, der KEINEN Laptop, kein Sibelius oder Finale zum Komponieren benutzt sondern nur Bleistift und Papier?
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Eben. Da fragt man sich doch: Sollte nicht doch wieder die Musik, die geschrieben wird, mehr „durchgehört“ sein bzw. wieder mehr „Langsamkeit“ beim Komponieren obwalten? Was Du schreibst, das würde doch eher dafür sprechen, wieder zu dem „konservativen“ Unterricht mit Papier und Bleistift (zumindest teilweise) zurück zu kehren.
Probier doch mal aus, und wenn es nur als Experiment ist: mit der Komposositionsklasse mal zwei Monate lang: Notensatzverbot bzw. Laptop-Verbot. Und dann mal vergleichen, wie/was dann komponiert wird, Erfahrungsberichte der Studenten, wie es für sie ist …
Nicht, dass ich prinzipiell GEGEN Silelius und Co. wäre; ich nutze es ja zunehmend selbst. Aber ich finde: die Vorzüge der Notensatzprogramme liegen vor allem in größeren Besetzungen bzw. darin, dass man bei größeren Besetzungen besser bzw. schneller revidieren/Stimmen erstellen kann etc. Dass das leidige Stimmenschnibbeln etc. entfällt. Das Notensatzprogramm sollte wieder mehr nur SCHREIBMASCHINE sein, so verführerisch Str+C-Taste bzw. die „Komponierwerkzeuge“ etc. auch sind.
Ich kann jung wie alt nur raten: lasst die Finger davon bzw. seid wenigstens vorsichtig/verantwortungsvoll damit…
Die Technik/technischen Möglichhkeiten lassen eben doch den Geist oder die innere musikalische Vorstellung und Einbildungskraft zusehends „erschlaffen“ [frei nach Gaucks wohl schon berühmten geflügelten Wort, dass Hartz IV – potentiell – Menschen in ihrer Eigenverantwortung/Mögichckeiten „erschlaffen“ lässt, wo was Wahres dran ist…]
Aber es hängt natürlich von jedem selbst ab, ob eine solche These zutrifft oder nicht. Generalisierungen sind immer problematisch.
@ Admin: Euer „Rechenprogramm“ wird auch immer ausgeklügelter. x + 3 = 7. Mannomann! Ich konnte schon damals nie gut mit Variablen Rechnen und hab Mathe immer gehasst. Also, liebes Badblog-Team: Wollt Ihr mich hier nun auch aus der spannenden ästhetischen Diskussion „excludieren“ ;-) ?
Vielleicht sollte man weniger von Hören heute als Strukturenerleben sprechen. Das ist aber eine sehr begrenzte Musik, die wirklich starke Strukturen liefert. Und letztlich machen die mir auch nur dann Spass, wenn sie doch einer alten Dramaturgie folgen. D.h., sie besitzen dann doch eine starke Tonhöhen kalkulierende Hand, sind nicht um ihrer selbst Willen erstellt, schreiben sich nicht selbst, sondern sind komponiert, handfest zusammengestellt worden, abgeklopft, abgelauscht worden. Das macht ja letztlich immer das personale im Schreiben aus.
Reine Strukturen sind ja an sich schön und gut, aber eben nicht unbedingt in den Niederungen des musikalischen Erlebens. Denke ich an hermetischste „erwürfelte“ Cage-Stücke, wie die Music of Changes oder jene Freeman Etudes, habe ich doch manchmal den Eindruck, als hätte Cage die nicht funktionierenden Passagen einfach weggeworfen, so ganz zufällig mit den Ohren entschieden. Das ist, was man auf jeden Fall von ihm mitnehmen kann! Selbst Stockhausen durchbrach seine Gruppen mit dem berühmten E. Aber was führte dort hin? Eine Mischung von Tonhöhen-Hören wie inneren Hören und eigenem Erleben.
Der berühmte Prozess, aus dem Kokon des hochkomplexen stolz verfassten eigenen Gebilde zu treten. Da wird jeder Ältere sagen, was sonst! Aber genau dies macht rechnergestützes Schreiben oft erstmals hinfällig, mag man auch sofort das Geschriebene anhören können. Man muss sich immer fragen, wie halte ich, welche Notationsebene auch immer, meinen Technikumgang interaktiv. Das geht vom Programmieren eigener Interaktivitäten, so man es kann, bis zum gnadenlosen Durchhören, das nicht sofort erfolgt, wozu der Rechner auch verleiten kann, sondern immer wieder mal Ausschalten und Tage später das Alte erneut durchhören, weiterbearbeiten, ohne dies gleich nur noch mit Wiedervorlage-Büroapplikationen zu vollziehen, was ich mir aber durchaus vorstellen könnte, wenn man in der Zweidimensionalität von Monitor und Tastatur nicht weiterkommt und die Zeit des Geschriebenen vergessen sollte. Eile mit Weile… Wer hat noch wirklich diese ruhige Musse?
5+9 = 15 ;-D Und ich darf trotzdem noch mit machen …
Ich finde, hier werden Leute ausgegrenzt, die eine Rechenschwäche haben ;-D !
Alexander, ich gehe ganz mir Dir d´accord.
Treffender kann man es eigentlich nicht sagen. Und ich glaube, die Jungen machen sich vielleicht doch mehr Gedanken über das Thema Durchhören und Langsamkeit, als wir denken und als so mancher wilde, computer-virtuose „Altmeister“ vielleicht …
Das Schöne an unserem Job ist ja: man kann alles, was man tut, egal mit welcher Methode, immer wieder überdenken. Dies zumindest gehört zum Selbstverständnis eines künstlerischen Komponisten bzw. wenn man nicht nur „Tonsetzer“ (oder neuer Vorschlag: „Notensatz-Programmvirtuose“ oder „Computerprogramm-„Virtuose) heißen will. Vermeintlicher „Fortschritt“ kann sich als Regression heraus stellen, und manchmal (aber wohl in selteneren Fällen!) umgekehrt.
Das wäre keinerlei Problem – ich zwinge die Studenten ja nicht dazu, sondern sie kommen von selber mit ihrer Dateien. Ich unterbreche auch das Arbeiten so oft wie es geht mit praktischen Beispielen am Klavier, was nach wie vor am schnellsten geht. Niemand wird von mir zum Computerarbeiten gezwungen, aber genau so wenig wird man auch von mir gezwungen, NICHT mit Computer zu arbeiten. Das wäre genauso sinnlos wie einem Schriftsteller zu verbieten, ein Textprogramm zu benutzen (was denke ich mal 99,9% aller Schriftsteller tun). Da wurde damals auch viel geunkt, dass jetzt das Ende des Schreibens gekommen sei, weil man plötzlich anders denkt. Die Qualität der Literatur hat sich aber ganz sicher nicht verschlechtert – überhaupt habe ich bei der Literatur am wenigsten dieses müde fin-de-siecle-Gefühl, das mich immer beim Hören von Neue-Musik-Konzerten überkommt.
Man muss auch eine der guten Seiten des Computers hervorheben, nämlich die Löschtaste. Früher ging es einem oft so, dass man sich selbst überredete, ein Stück sei ok so und nicht zu lang, weil man wusste, dass eine nachträgliche Kürzung einen ganzen Rattenschwanz an Aktivitäten nach sich zog: Taktzahlen umschreiben, Seitenzählung ändern, alle Stimmen ändern, etc.. Heute geschieht das auf einen Knopfdruck, und damit ist auch die Hemmschwelle, etwas zu kürzen viel geringer geworden.
Und das ist ganz sicher gut so – mein eigenes Komponieren hat das sehr verändert, und ich bin wesentlich selbstkritischer geworden, was Fragen des Timings etc. angeht.
Moritz Eggert
Löschtaste – sehr fein! Habe übrigens fast sämtliche Rotstiftskizzen inzwischen entsorgt. Irgendwann MUSS einem die ganze Lehrereingabe auch wieder egal sein. Also „gelöscht“! Allerdings: Der Rechner selbst hebt jede gelöschte Datei doch auf, so dass ein findiger Kopf sie wiederherstellen könnte. Im Notationsprogramm gilt allerdings erst ein mal: Aus den Augen, aus dem Sinn… Wie spannend ist es allerdings alte Papierskizzen irgendwann wieder hervorzukramen und daran weiterzuarbeiten bzw. als Ausgangspunkt für Neues zu gebrauchen. Schon lustig, wie elektronische Speichermedien, zudem vernetzt, kollektives Erinnern UND Vergessen sein können. So ist die Löschtaste das Re-Entry des ehemaligen Lehrer-Rotstifts? Allerdings: Wie leicht vergrub Xenakis in der Schublade höchstwahrscheinlich eine mit Zirkel und Lineal wie Rechenschieber erstellte hochkomplexe Skizze, wenn er die Übersicht verlor. Wie schwer tut man sich, ein ähnlich feingliedrig gestricktes Werk am Rechner komplett zu löschen? EIn Backup, das gar nicht so tief verschüttet wie die tiefste Schublade sein kann wird bei einer Dateiensuche sich urplötzlich auf dem Rechner wieder feilbieten. Mag ein Festpalltencrash so schlimm wie ein abgefackeltes Arbeitszimmer sein, so empfiehlt sich als radikaler Schnitt Rechner- oder Betriebssystemwechsel. Ganz altmodisch macht es unser aller in die Jahre gekommene Anton Ruppert, wie er mal gestand: Manchmal fährt eine Skizze in der S-Bahn ohne ih weiter…
@ Goljadkin: Und wo bleiben Ihre Anmerkungen bzw. erleuchtenden Hiebe – finde sie ja durchaus anregend? Oder sind wir Notationsheinis und Graphomanen im drehen um unser Notationsmaterial noch weltfremder denn je? Meinte doch mal eine Impro-Abend-Zuhörerin zu mir: Was wollen wir Komponisten eigentlich hier auf der Erde überhaupt noch; es sein doch viel spannender, was an Klangexperimenten Impro-Musiker hervorbrächten. Mein Gefasel über Bearbeitung von Material innerhalb wie ausserhalb der Zeit tangierte sie überhaupt nicht. Irgendwie hat sie ja gefühlt Recht. Dennoch denke ich, dass der Komponist eben eine andere Verdichtung des Materials bewirken kann, es schlichtweg länger abgehangen sein lässt wie zartes abgehangenes Fasanfleisch. Wild schmeckte ihr auch nicht. Wir bösen Komponisten also, die Wilderer und Abdecker, Musiker schiessend, ihre Ideen klauend? Ich würde sagen: Leben und leben lassen, ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Ja, darauf bin ich auch gespannt, auf die Goljadkinschen Peitschenhiebe. Dem Nickname nach zu mutmaßen, könnte es ja ein interessanter, noch weniger beachteter Komponist aus der russischen Taiga sein, oder? Jetzt haben wir ja das Siemens-Kapitel geschlossen und widmen uns wieder einem anderen Thema. Aber ich glaube nicht, dass Goljadkin hier eine Ermunterung braucht. Der wird sich schon von alleine wieder melden, schätze ich…
@ Moritz: Ich gebe übrigens unumwunden zu, Dein Argument mit der Löschtaste und dass der Computer die Hemmschwelle zum Revidieren großer Passagen etc. verringert, das ist stichhaltig. Auch vermutlich jenes, dass der Computer für die Schriftstellerei ein Segen ist [für die aber vermutlich mehr als für die Komponisten, weil ich finde, dass das Schreiben von Text und Noten irgendwie wieder zwei paar Schuhe sind]. Das Timing-Argument kann ich ebenso nachvollziehen. Zu Zwangsmaßnahmen wollte ich Dich dennoch nicht gerade ermuntern, höchstens mal als „Experiment“, wie ich schrieb.
@ Improvisieren bzw. diese böse, arogante „Impro“-Szene, die sich unsereinem so genialisch-überlegen fühlt ;-P :
ich selbst komme vom Improvisieren und habe zuerst, als Jugendlicher, nur improvisiert. Das wurde mir nach einer Zeit aber gerade langweilig, weil man oft – gefühlt – immer dieselben Klischees, dieselben (z.B. im Zusammenspiel mit anderen) irgendwie aufschnappt, im Ohr hat, wieder verwendet, sodass man gar nicht anders kann als irgendwann zum Komponieren zu kommen, wenn man anderes/mehr zu wagen oder ausgetretene Pfade verlassen möchte. So ging es mir zumindest.
Liebe Kolleginnen,
auf die Gefahr hin, den letzten Rest an Reputation zu verlieren:
Ich war unter euch vermutlich einer der Ersten, die den Computer zum Notenschreiben/Komponieren benutzten – damals mit Notator auf Atari-Basis und Roland D-10 als Eingabegerät.
Begeisterung brachte mich zu Mac und Finale …
dann etwa 2002 hab ich das alles weggeworfen und schreibe seit dieser Zeit ausschließlich mit der Hand – bei Kammermusikpartituren auf einem leeren Zeichenblock (meist A3 – neulich musste ich für ein Sextett A2 benutzen – da ist aber das Kopieren schweineteuer!), wo ich die Notenlinien einklebe, dort, wo ich sie brauche.
Ich genieße seit dieser Zeit eine nie da gewesene „grenzenlose“ kompositorische Freiheit und klangliche Unbeschwertheit.
Aber (ihr glaubt mir jetzt noch nicht) – früher oder später kommt ihr auch darauf: Wollt ihr was wirklich Neues entwickeln, ist der Computer das best wirkende Kreativgift!
Hier könnt ihr nur das vollführen, was euch die Programmierer ermöglichen – das ist in der Tat viel, aber es erschöpft sich auch sehr schnell in der unendlichen Variation der Oberfläche.
Cage wird heuer 100 – lernt ein wenig von ihm – und hört endlich damit auf das Millimeterpapier anzubeten.
Gruß aus Wien
– wechselstrom –
ähem 2+?=3
Ergebnnis: 8
Bravo Wechselstrom!
@Erik Janson: Eine gelungene Komposition hört sich „improvisiert“, d. h. „organisch“, „stimmig“ (alles blöde Adjektive, aber mir fallen gerade keine besseren ein) etc. an, eine schlechte „uninspiriert“ und „gewollt“. Interessanterweise verhält es sich bei Improvisationen genauso: Will man eine Improvisation loben, sagt man, „Das klang jetzt aber wie komponiert!“, will man sie dissen, bezeichnet man sie als „kopflastig“, also (im schlechten Sinne) „ausgedacht“.
@Alexander Strauch:
Seit Jahren pflege und kultiviere ich die Praxis, meine Improvisationen auf dem Klavier als Kompositionen zu verstehen und ernst zu nehmen. Naturgemäß sind die Ergebnisse mal besser, mal schwächer (wie vermutlich beim Komponieren auch). Der Rechner zeichnet die MIDI-Daten der Improvisation 1:1 auf – Schwachstellen können dann beliebig nachgebessert, Redundantes kann gelöscht, Gutes ausgearbeitet werden. Das alles geschieht anschließend am Bildschirm – aber nicht in einem Notensatzprogramm, sondern im Piano-Roll-Editor des Sequenzers. So bleibe ich möglichst nah an dem, was ich gespielt habe. Notation erscheint mir in dieser Phase wirklich lediglich als Hemmschuh.
Ich habe auf diese Weise auch Kammermusikalisches und Orchestrales geschaffen. Die Einzelstimmen werden dann eben „hintereinander“ improvisiert und durch Sample-Libraries zum Klingen gebracht. Man gerät dann im besten Fall in eine Art Zwiegespräch mit sich selbst.
Natürlich hat diese „bodenständige“ Methode Grenzen – dafür ist aber dann auch wirklich kein Ton lediglich „einem tonalen Konstrukt verhaftet“ oder folgt „einer gnadenlos durchgehaltenen Methoden-Orthodoxie“, schon gar nicht ist es so, dass die Organisation der Tonhöhen „schlichtweg keine Rolle“ spielt.
Sollten nun eines Tages tatsächlich reale Musiker meine Musik spielen wollen, so hätte ich keine Skrupel, meine MIDI-Dateien einem Janson’schen „Notensatz-Programmvirtuosen“ (von denen es ja, checkt man mal die entsprechenden Foren, Myriaden zu geben scheint) gegen entsprechende Vergütung zur Ausarbeitung zu übergeben. Meine Vorgabe an diesen Dienstleister wäre schlicht: Gestalte die Partitur so, dass die konzertante Interpretation meiner kompositorischen Intention, wie sie sich in der rechnergestützten Realisierung manifestiert, so nah wie möglich kommen kann.
Der „Urtext“ einer musikalischen Komposition ist bei dieser Methode nicht mehr die Partitur, sondern die MIDI-Datei (inkl. der Anweisung, mit welchem Sample dieser oder jener Ton zu realisieren ist).
Komponieren, wie ich es betreibe, hat also gar nichts mehr mit dem Erstellen von Partituren zu tun, weder auf Papier, noch im Notensatz-Programm. Dennoch erscheint mir die so entstandene Musik im Sinne Alexander Strauchs „handfest zusammengestellt“, „abgeklopft“, „abgelauscht“ und, vor allem, „personal“.
@ Ihr LINK, Ihr Klavierstück, Stefan Hetzel:
Alle Achtung! Na, das lohnt sich auch, das zu notieren bzw. als Komposition auszuarbeiten bzw. zu fixieren! Gefällt mir gut!
Das ist – zugegeben – ein weiterer (größerer als bisher genannter) Vorzug des Computers/Notensatzes/Midi, dass man
intuitiv und improvisatorisch arbeiten kann und dann bei der Ausarbeitung/Notation möglichst nah am ersten Einfall, am Improvisierten bleiben kann aber auch die Freiheit hat, Dinge zu ändern, z.B. das Improvisierte wie eine Art „Steinbruch“ zu behandeln, wo man bestimmte Ideen z.B. heraus meißelt und diese dann zu einer Komposition macht/ bzw. im wahrsten Sinne des Wortes diese neu ZUSAMMEN SETZT. Der Freiheit scheinen keine Grenzen gesetzt.
Die Zeitschichten im Kompositionsprozess werden also mehrdimensional und durchlässiger. Und das ist gut so.
Die GRENZEN zwischen klassischem Kopf-„Komponieren“ (z.B. Verstanden als das Grübeln über jedem Ton) und eher intuitiven, improvisatorischem Arbeiten verschwammen also immer mehr. Und das ist sicher summa summarum eine Bereicherung der Möglichkeiten durch die Technik.
Das ist keine Schande bekanntlich. Das muss sogar ein unverbesserlicher adornistisch-„revolutionärer“, immer mehr Ex-Bleistift-Brummbär wie ich zu geben ;-). Beethoven u.v.a. arbeiteten ja bekanntlich auch am Klavier, improvisierend mit dem berühmten Notizblöckerl daneben…
Bzgl. Ausarbeitung/Notensatz: Da würde ich persönlich dann doch an Ihrer Stelle auch lieber alles selbst machen und mir im Zweifelsfall den Notensetzer sparen (spart mögliche Fehlerquellen, einen Korrekturschritt und Geld). Denn das Erstellen von Stimmen und Layouten (z.B. dank der neueren Sibelius-Versionen) klappt ja inzwischen besser und ist um einiges Zeit sparender geworden. Und diese Zeit, die das beansprucht, das sollte einem das Begonnene, die Improvisation wert sein. Weil Sie ja schreiben, Sie verstehen Ihre in der Tat guten Improvisationen am Klavier als Kompositionen bzw. nehmen sie ernst.
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Genau dies ist dann m.E. in letzter Konsequenz dann AUCH noch der Job des KOMPONISTEN bzw. desjenigen, der den sog. „Urtext“ über Midi eingespielt hat, egal wie es zu Stande kam. Denn der Urheber kennt seine „kompositorische Intention“ (z.B. Dynamik, Phrasierung, wie möchte ich bestimmte Partien parametrisch etc. umgesetzt haben) ja selbst am besten, bzw. er hat die konkreteste und zumindest ursprünglichste Ahnung/Vorstellung davon. ER kann seinen ersten Einfall im Zweifelsfalle immer besser (zumindest näher an der eigenen Intention) rekonstruieren als wenn wieder jemand dazwischen geschaltet wird. Und der aufführende INTERPRET ist ja dann wieder ein weiterer Mittler. IHM kommen eigentlich die gestalterischen Aufgaben zu bzw. ihm wird vertrauensvoll das Werk zur intentionsgetreuen Umsetzung in die Hand (aus der Hand des Komponisten) gegeben. Streng genommen jedenfalls wird ansonsten jener Janson´sche „Notensatz“-Programmvirtuose bzw. vermeintliche „Dienstleister“ (er ist dann ja nicht nur reiner Dienstleister im Sinne von „Umsetzer“) zum Co.-Komponisten; bzw. es müsste dann bei Inverlagnahme oder GEMA-Anmeldung und auf den Konzertprogrammen – ehrlicherweise und genau genommen – jedenfalls heißen: HETZEL/ XY [sei es richtiger Name des Dienstleisters oder Pseudonym]: Klavierstück … o.ä.
Das kann man so machen, warum nicht?
Gruß aus dem pedantischen Werk(-begriff)- und Urhebertreue-Bewahrungsparadies und von einem aufrechten ACTA-Fan … ;-)
Erik Janson
@ Alexander Strauch:
Ich finde, gerade die Synthese aus optisch nachvollziehbaren Instrumentalgesten bzw. sogar -choreographien und dem Hörerlebnis ist eine der spannenderen Entwicklungen (nicht, daß es das alles nicht schon mal gegeben hätte…). Ich erinnere mich, wie regelrecht beeindruckt ich von Steen-Andersens „rerendered“ vor bald zwei Jahren in Darmstadt war. Daß diese „Musik“ als rein akustisches Erlebnis bestenfalls halb so gut funktioniert ist ja in der Grundstruktur derselben begründet (insofern finde ich es inkonsequent, daß das Stück auf einer CD veröffentlicht wurde; als ich einmal Heiner Goebbels darauf ansprach, wie er denn zur Veröffentlichung des Eislermaterials auf CD stehe, nachdem er lange über die szenischen Aspekte in diesem Stück geredet hatte, war seine Antwort schlicht die, daß er glaube, daß die Musik trotzdem auch für sich selbst funktioniere; das tut sie auch viel eher als bei Steen-Andersen, dennoch bleibt die Frage, wieso der szenische Anteil gleichsam als Ballast so einfach abgeworfen werden kann). Vielleicht hat sich das Gewicht zu sehr auf die Choreographie von sichtbaren Aktionen hin verschoben, so daß dem rein musikalischen Material gegenüber eine gewisse Indifferenz sich breit macht. Betrachtet (und hört) man z.B. AMID von Steen-Andersen genauer, so stellt man fest, daß die konkreten klanglichen Eigenschaften des Klavier-Glissandos offensichtlich keine Rolle bei der Komposition gespielt haben. Wie sonst soll man sich die störende und als schlicht fehlerhaft empfundene Dominanz des diatonischen Weisse-Tasten-Glissandos erklären? Nein, das Glissando muß als Geste herhalten, also als Sound-Design-Element. Es zeitigt als melodisches und / oder harmonisches Element keinerlei Konsequenzen. Um aber nur als Geste wahrgenommen zu werden, ist es zu spezifisch, fällt zu sehr aus dem „Tonhöhen“-Rahmen. Das ist nun wiederum eine Frage der künstlerischen Sorgfalt, wozu selbstverständlich auch eine gewisse Skrupelhaftigkeit beim Umgang mit diastematischen bzw. harmonischen Fragen gehört. Worauf ich hinaus will: Vielleicht ist es nicht so, daß dieser und den zukünftige Generationen die entsprechenden Fähigkeiten fehlen, vielmehr scheint es mir so zu sein, daß die (Über-)Betonung des KOnzeptuellen in welcher Form auch immer zum Zurückdrängen der anderen Parameter führt, bis hin zu vollkommener Rücksichtslosigkeit gegenüber harmonischer Entwicklung, formaler Stringenz usw. Das Denken vom szenischen Ergebnis aus führt dazu, daß man über’s Ziel hinausschießt und selbst die Musik als rein szenisches Element begreift, während es notwendig wäre, den umgekehrten Denkprozeß zu beherzigen, nämlich das szenische als musikalisches Element zu denken und zu komponieren. Da fallen mir noch einige Beispiele dazu ein, z.B. die Stücke mit live-Video von Michael Beil, wo zugunsten der spiegelkabinettartigen Videoeffekte am musikalischen Material „gespart“ bzw. dieses nicht mit der notwendigen Konsequenz bearbeitet wird. Oder die Stücke des Kollegen Kreidler, wo unter dem Druck der unbedingten „Musik mit Musik“-Prämisse die „normal“ komponierten Teile (z.B. „in hyper intervals“) stark abfallen in eine unspezifische Neue-Musik-Gräue. Keine Frage, ich finde die Ansätze der hier exemplarisch aufgeführten Komponisten allesamt mehr oder weniger interessant, bedenkenswert, inspirierend usw. Aber meine Erfahrung bestätigt sich immer wieder: sobald etwas zur ausschließlichen Ideologie erhoben wird, beginnt es sich selbst aufzufressen.
Goljadkin