Anna herzt den Wladimir und Anne die Sofia – Werbung und Musik im 21. Jahrhundert
Soll man sich aufregen? Neulich wollte hier noch mancher Neue Musik für Anna Netrebko komponieren, sie als Zugpferd für seine unverkäuflichen Tonwerke vorspannen. Dies macht aktuell kein Komponist. Dies unternimmt zum Zwecke der Wiederwahl der russische Noch-Ministerpräsident Wladimir Putin, wie die österreichische Zeitung „Die Presse“ vor ein paar Tagen verkündete. Seine Wahlkampagne gewann für sich 499 Prominente. Neben Anna Netrebko lassen sich der im Gegensatz zur ihr auch softe Neue Musik dirigierende Valery Gergiev und ein Fussballer namens Andrej Arschawin einspannen (was sagen uns in diesem Kontext die ersten fünf Lettern seines deutsch umgeschriebenen Namens!). Das ist ziemlich grausig! Denkt man an die Worte Hilary Clintons bezüglich des russischen „Njet“ im Weltsicherheitsrat, die Russland wegen seines Vetos gegen die gescheiterte Syrien-Resolution als „mitverantwortlich für jeden getöteten Syrier“ beschuldigte, müsste nun auch Anna Netrebko mit ihrer Putin-Unterstützung und dessen Politik ebenfalls im Clinton-Duktus als „widerlich“ bezeichnet werden? Konsequenterweise müsste ich dann meine Gasheizung abschalten, müsste Gerhard Schröder jetzt spätestens aus dem russisch-deutschen Ostsee-Pipeline-Konsortium aussteigen, etc. Apropos Schröder: Auch der versäumte es nicht, sich mit Künstlern zu umgeben, denkt man an Lüpertz und Immendorf. Bleibt man dran, so unterstützten Willy Brandt Grass, Böll und Co. Kein politischer Vergleich, aber national oder sozial willfährige Künstler, die sich vor den Polit-Karren binde lassen.
Bleiben wir bei den Musikern: „Will Musik nicht der Reklame für die Welt verfallen, so muß sie der eigenen Widersprüche und Unzulänglichkeiten sich bewußt werden und trachten, es besser, konsistenter, substantieller zu machen, ohne dabei auf das Muster irgendeiner ihr fälschlich als Ideal vorgehaltenen Vergangenheit zu schielen.“ So Adorno in „Dissonanzen“. Allerdings ist Musik, auch die Neue Musik, heute mehr denn je der Reklame ausgeliefert. Musik bzw. ihre herausragenden „Leistungsträger“, die selbst oftmals Ergebnis massiver Werbekampagnen sind, geben sich nicht nur politischen Zwecken hin, sie kassieren ganz offen horrende Honorare für schnöde Mammonverehrung. Es nimmt also nicht Wunder, wenn Anna Netrebko für Minerwalwasser oder Haartönung wirbt. Ist das Bewusstsein für eine gewisse Dosierung der eigenen Zurschaustellung ins bodenlose abgedriftet, kein Wunder, dass man für russische Präsidial-Schlitzohren wirbt.
Natürlich geht es auch harmloser, wie das Geigenmodel David Garrett, der in Männermagazinen für Bekleidung wirbt oder gleich seinen eigenen Duft vorstellt – Geigerschweiß oder Violinistensch***? Aber Musik und Kultur sind wohl besonders anfällig für Werbung, siehe wieder Adorno in „Dialektik der Aufklärung“:„Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht so völlig unterm Tauschgesetz, daß sie nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, daß man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame.“ Kein Wunder also, wie sich dieser Geiger aus dem ernsthaften Betrieb, wenn man von diesem überhaupt sprechen kann, wie sich nachher die Frage aufwirft, herauskatapultiert, mag er vielleicht tatsächlich E-Musik mit seinen Aufhübschungen konsumerabler machen. Kein Wunder, dass immerhin ein Auto-Konzern aus Ingolstadt noch an ihn glaubt.
Dieses nördliche oberbayerische Unternehmen setzt auch auf Anne-Sophie Mutter, in dem es Konzerte mit ihr veranstaltet oder fördert. Wer bewirbt da nun wen? Die Musikerin kann auftreten und für ihre Sache, die Musik eintreten, in dem sie Werbung eines Sponsors zulässt, der wiederum mit seinem Sponsoring wirbt. Im Verbund von Sponsor und Hochkultur erhält dies zudem etwas exklusives. So tritt die Geigerin gleich für Deutschland oder speziell die Neue Musik ein und liefert selbst wieder wunderbar verkäufliche Bilder, wenn sie die alte Sofia Gubaidulian auf einem DVD-Cover herzt. Aber ist dies wirklich so toll? Den dahinterstehenden Firmen geht es vor allem um Verkaufszahlen, der Künstlerin um Geld und Werbung für ihr soziales und pädagogisches Engagement. Stösst man allerdings auf ihre Gesamt-Edition aus dem Jahr 2011, sieht das strenge Design, reinste Designkunst um des Kunstgewerbes selbst, schleicht sich wieder Adorno, s.o., ins Hirn: „Reklame wird zur Kunst schlechthin, mit der Goebbels ahnungsvoll sie in eins setzte, l’art pour l’art, Reklame für sich selber, reine Darstellung der gesellschaftlichen Macht.“ Wir Neue Musik Freaks wissen Alle, wie sie sich für Wolfgang Rihm einsetzt, was dieses zwiespältige Bild wieder zurechtrückt. Rihm selbst hat ein nach ihm benanntes Stipendium mit der Stiftung einer Brauerei eingerichtet. Diese Stiftung geht nun sehr offensiv vor, profitieren Rihm bzw. seine Schülerschaft wie diese Stiftung werbetechnisch voneinander, so wirbt sie ganz offen für Spenden zur Unterstützung ihrer Arbeit. Bisher kannte ich nur Veranstalter, die um Spenden baten und daneben honorige Mäzene listeten. Jetzt bittet der Mäzen selbst um Geld – ist Neue Musik nicht genug mit Stiftungskapital ausgestattet? Interessant…
Musik nutzt dem Mäzen, wie Stockhausens Helikopter-Quartett einmal einem Salzburger Soft-Drink-Hersteller nutzte. Musik nutzt andererseits selbst massiv Reklame, um für sich zu werben. Wer kennt nicht all die dräuenden Komponisten-PR-Bilder, die diese wie Models vermarkten, wie es Garrett und Mutter vormachten? Am sympathischsten ist der Dauerbrenner „Schoenberg-Commercial“, der das ganze Metier wunderbar auf die Schippe nimmt. Ernster wird es, wenn Neue Musik selbst zur Werbung, Werbemusik wird. Deutsche Neue Musik sucht man vergebens. Schaut man nach Philipp Glass oder Steve Reich, kommt man schnell zu Ergebnissen. Filmkomponisten, die auch E-Musik machen, schreiben häufig genug richtige Werbemusiken, man scanne die Homepages entsprechender Adepten. Die ganze Naivität des Metiers sieht man am Beispiel eines Commercials für das Münchener Gasteig-Kulturzentrum, wo sich das postende Wesen über sein Machwerk freut, der Fetisch Werbemusik zu künstlerischer Realität wird:„Der Kinowerbespot der Münchner Philharmonie mit meiner Musik :-)“ Ich muss gestehen, auch ich habe eine Werbeleiche im Keller – Gott sei Dank wurde sie als zu vergeistigt abgelehnt!
Führt man sich nun all dies wie den aktuellen Streit mit den Werbekomponisten in der GEMA vor Augen, die gerichtlich eine genaue Zeitwertung ihrer künstlerischen Unsinnsschleifen erstritten, muss man mal wieder erst Recht eine härtere Neue Musik verlangen, vielleicht besonders die, die sich dem gesamten Treiben entzieht oder es gerade deswegen kritisch unter Beschuss nimmt oder die Mittel des noch freien Internets für eigene die Präsentation nutzt, ohne gnadenlos dem Fetischcharakter der Reklame und des Kulturbetriebs zu verfallen. Oder wann wirbt einer von uns für den nächsten Bundeskanzler, ausser Postings auf Facebook vorzunehmen? Wahrt Euer Gesicht, hütet Eure Töne!!
Komponist*in