Weghören in Winsen – zur drohenden Einstellung der Konzertreihe „ZuHören in Winsen“ des Ensemble L’ART POUR L’ART

Der Badblog mal wieder in Rettungsmission für ein ambitioniertes Konzert- wie Musikvermittlungsprojekt: Zuhören in Winsen. Kennt jemand Winsen an der Luhe, ausser jener Angelika aus einem Lied von Udo Lindenberg? Eine Stadt zwischen Oberelbe und Lüneburger Heide, gespickt mit baulichen Juwelen der Backsteingotik. Johannes Brahms verbrachte in der am Südrand Hamburgs gelegenen Stadt einige Zeit, ein Sohn der Stadt war Gesprächspartner Goethes. Laut Google-Maps ist Winsen 670 km zu Fuss, 760 km mit dem Auto von München entfernt, verdankt sie ihr Aufstreben dem Salzhandel und wurde wie meine Heimatstadt unter dem Welfen Heinrich den Löwen 1158 erstmalig urkundlich erwähnt. Das wären wohl alle Gemeinsamkeiten. Immerhin ein neuzeitliches Mittelzentrum mit klassischen Industrie-, Dienstleistungsbereichen und Handwerken, verweist die Stadtverwaltung auf ihrer Homepage stolz auf ihre Kulturvereine, Winsener Schlosskonzerte und ihre Stadthalle. Wohl wichtig für die Bürger der Kommune, dennoch nicht gewaltig anders als in hundertfach anderen bundesdeutschen Orten. Aufs Gaspedal gedrückt und vorbei gezischt!

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Doch Halt!

Wie München seit mehr als 65 Jahren die prominente zeitgenössische Konzertreihe „Musica Viva“ oder mehr als zwanzig Jahre die etablierten Neue-Musik-Festivals „Adevantgarde“ und „Münchener Musiktheaterbiennale“ vorweisen kann, gründete sich dort 1983 um den Schlagzeuger und Komponisten Matthias Kaul und die Flötistin Astrid Schmeling das bundesweit bekannte Winsener Ensemble L’ART POUR L’ART. 2007 initiierten sie und ihr Ensemble neben dem innerhalb weniger Jahre in der deutschen Neuen-Musik-Szene als einzigartig geltenden Konzertformat „ZuHören in Winsen“ eine aufsehenerregende Kinder-Kompositionsklasse, welche 2011 für ihre exzellente Arbeit mit dem „ junge ohren preis 2011“ für die brandaktuelle Verknüpfung von Musik und Medien prämiert wurde.

Die Grundlage dafür bildet das vorzügliche Engagement der Gründer, die mit Unterstützung von Musik 21 Niedersachsen einerseits das Netzwerk Neue Musik der Kulturstiftung des Bundes für die fünfzig Prozent der Finanzierung gewinnen konnten. Hinreichend ist uns Allen bewusst, dass für die andere Hälfte die Förderer vor Ort unabdingbar war. Zur Ermöglichung von Musik 21 Niedersachsen hatten sich so Riesen wie das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Niedersachsens, die Landeshauptstadt Hannover mit ihrem Kulturbüro, die Hannoversche Staatsoper, der Deutsche Musikrat, der Norddeutsche Rundfunk und landesweite Stiftungen zusammengefunden, um nach der Aufgabenstellung des Netzwerks Neue Musik einen „größeren Resonanzraum für die Neue Musik vor Ort entstehen“ zu lassen, neue „Wege von Vermittlung und Formaten zu erweitern“ und so nach Ende des Netzwerks ab 2012 „eine nachhaltige strukturelle Verankerung der Neuen Musik im kulturellen Leben der jeweiligen Stadt oder Region“ zu sichern. Ein starkes Stück!

Neben diesen landespolitischen „global playern“ gelang Astrid Schmeling das Wunder durch ihren Vortrag im Stadtrat Winsen, diese Stadt als zweitkleinsten Mitspieler für die Riesenriege (s.o.) gewinnen zu können. Statt den beantragten 10.000€ gelang es der Stadt die bescheidenere Summe von 7.500€ aufzubringen. Endlich konnte L’ART POUR L’ART loslegen. Zwar gibt es bereits seit 1999 die Kinder-Kompositionsklasse als Kurs. Durch die Verknüpfung mit „Zuhören in Winsen“ gelang es, die Unterrichtstheorie wesentlich um praktische Eindrücke zu erweitern. Musik wurde zur „unmittelbaren Lebenserfahrung“ durch die Paarung von Vorträgen über Entscheidungsprozesse in nichtmusikalischen Berufen und zeitgenössischer Kammermusik. Vom Radiomacher, Parkdirektor bis zum Werbtexter waren die Vortragsgäste, es erklangen Musiken von Cage und Pierre Boulez über HP Platz, Luc Ferrari, Johannes Schöllhorn, Gordon Kampe und Ole Hübner bis hin zur studentischen Kompositionsklasse aus Hannover und natürlich der eigenen Kinder-Kompositionsklasse.

Und natürlich begeisterte man in Winsen wie aus dem Nichts plötzlich BürgerInnen für die Hörabenteuer! Es bildete sich eine stetig wachsende Enthusiastenschar quer durch alle Schichten. Bildet sich im heutigen Breiten- wie Hochkulturleben immer stärker die Trennung der Generationen ab, wie verkürzt ausgedrückt Oper, Oldies und Gesangverein für die Senioren, Punk, Pop und Tennis für Generation Golf, Rap, Computerspiele und Jugendhaus für die Jüngsten, führte „ZuHören in Winsen“ Alle zusammen. L’ART POUR L’ART wollte vor allem die Schnittstellen von Kommunikation künstlerisch untersuchen und wurde so selbst zum lebensechten Forum. Angesichts erster Förderprobleme 2010, konnte der „Winsener Anzeiger“ stolz verkünden, wie die Bürger der Gemeinde gerade durch das Fremde der Neuen Musik sich neue Lebensinhalte eroberten, Menschen selbst Hamburg wegen „ZuHören in Winsen“ den Rücken zeigten, selbst der Musikhochschulpräsident aus Frankfurt/M. von Winsen begeistert schwärmte.

Statt Backsteingotik plötzlich Avantgarde im Fokus der Bekanntheit! Wie gut passt doch dieses Salzkorn „Neue Musik“ in die Kulturmischung von Bregenwurst und Heidschnuckenbraten der eigenen Tradition, damit die Jugend fördert, die im benachbarten Hamburg genug oft Urständ feiert, sowie das Image als Neuem aufgeschlossene Kommune pflegt im Gegensatz zur verkrusteten hanseatischen Unbeweglichkeit: Während Hamburg seit 2007 seine Kulturburg Elbphilharmonie baut und die Aufnahme des Betriebskonzepts erst wieder erneut verschieben musste, dessen Bewährungsprobe somit noch nicht erbracht werden konnte, zeigt Winsen dem seine Bürger zu Kulturzwangspendlern machenden Stadtstaat, wie man mit wenig Geld mir nichts, Dir nichts ein greifbares Wunder real werden lässt.

Leider sah das der Stadtrat nicht so! Bereits September 2009 versagte man einen Extrazuschuss für ein ambitioniertes Parkkonzert. Im Protokoll des Ausschusses für Kultur, Sport, Freizeit,Tourismus und Partnerschaften setzten sich nur die Grünen dafür ein. Die weiteren Ratsherren- und Damen hielten es immerhin für „interessant, aber zu elitär für Winsen“, sahen „keine Chance, diese neue Klangrichtung in den Luhegärten weiter zu unterstützen“, vermuteten, „ob dann nicht Steuergelder falsch ausgegeben werden“ oder dass man „sich lieber ohne diese Musik im Park entspannen“ möchte. In Anblick der positiven Aussenwirkung, dem Gegenteil von Verschwendung, wenn man an die Elbphilharmonie denkt, die Ausweitung der generationsdurchbrechenden kulturellen Ortslandschaft berücksichtigt, klingen diese Äusserungen der Ratsmitglieder wie Sätze aus den Geschichten der Bürger von Schilda. Im November 2009 fragt man bereits nach einem Vertragsausstieg, der gerade noch 2010 durch mediales Aufgebot, Publikumsproteste und Engagement von Musikland Niedersachsen verhindert werden kann.

Nun ist bekannt, dass die Förderung durch das Netzwerk Neue Musik Ende 2011 ausgelaufen ist. So zeigt sich mal wieder dessen zu kurz bemessene Laufzeit als Fehlkonstruktion, wenn es hart auf hart kommt wie im hiesigen Fall und Nachhaltigkeit nicht einklagbar wird. L’ART POUR L’ART benötigt zur Fortsetzung seines weit beachteten Projekts – wie in der NMZ 10/2009 oder dem Abendblatt HH – nun zusätzlich die andere Hälfte der Gesamtsumme von 15.000 € und stellte einen entsprechenden Zuschussantrag an den Stadtrat Winsen. Es besteht akute Gefahr, dass in der entscheidenden Sitzung am 14.03.2012 nicht einmal die bisherigen 7.500€ weiterbewilligt werden, wie es sich bereits in den letzten Ausschusssitzungen abzeichnete.

Die positiven Auswirkungen, die bundesweite Ausstrahlung und das gestiegene Renommee Winsens als progressiver Kunstort sollten Argument genug sein „ZuHören in Winsen“ eine weitere Chance zu geben. Es hat seine Existenzberechtigung mehr als nötig unter Beweis gestellt. So ist es schier unverständlich, warum nur Theater- und Gesangvereine sowie Volkstanzgruppen oder klassische Konzerte vergleichsweise üppig gefördert werden sollen, die garantiert auch wertvolle Arbeit leisten, aber generationsbedingt sich allmählich von Grund auf erneuern müssten.

Was ist also die richtige Zukunftsinvestition einer beständig bevölkerungstechnisch wachsenden Gemeinde, die sich unbedingt dem Neuen öffnen sollte? Einerseits werden die Probleme großstädtischer, andererseits hat die Stadt es jetzt in der Hand, durch einfache Mittel und Weichenstellungen die anstehenden Schwierigkeiten zu meistern. Will man nicht nur Schlafbürger anlocken, sondern auch engagierte, kulturell interessierte sowie durchaus finanziell gut dastehende Neubürger, ist gerade ein im Neuen wie Traditionellen fussendes Kulturprogramm Kapital, womit als im Sinne der „Umwegrentabilität“ eine sozialverträgliche Streuung der Bevölkerungssgruppen zu erreichen ist und letztlich einiges mehr an Einkommens- wie Lohnsteuerumlage abzubekommen sein wird als nur mit billigen Wohnraum zu locken und entsprechende Menschen mit  – politisch unkorrekt gesagt  – nachziehenden Problemlagen zu erreichen. So mischen sich wie exemplarisch bei „Zuhören in Winsen“ die Schichten und befruchten sich gegenseitig.

 Liebe BlogleserInnen, es bleibt uns mal wieder an Euch zu appellieren in die Tasten zu greifen und Eure Bitten und Proteste an den Stadtrat Winsen zu richten. Hier die von Astrid Schmeling überlassenen Ansprechpartner:

Bürgermeister André Wiese, buergermeister@stadt-winsen.de, Rathaus Stadt Winsen/L., Zi 1.03, Schlossplatz 1, 21423 Winsen/L.

CDU-Fraktion: André Bock, info@cdu-winsen.de

SPD-Fraktion: Dirk Oertzen, dirk.sabineoertzen@gmx.de

Freie Winsener: Andreas Waldau, andreas.waldau@t-online.de

Bündnis 90 / Die Grünen: Bernd Meyer, meyer.b@gruene-winsen.de

Winsener Liste: Heinrich Riedel, riedel-roydorf@web.de

Die Linke: Anja Stoeck, anja.stoeck@dielinke-harburg-land.de

 

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13 Antworten

  1. olehuebner sagt:

    lieber alexander,
    sehr guter text. meine eigene protestmail an oben genannte politiker ist bereits seit einigen tagen auf meinem blog nachzulesen. ich hoffe, dort alles, was diese konzertreihe ausmacht, so mehr oder weniger auf den punkt gebracht zu haben. der winsener anzeiger berichtete über mein schreiben in der ausgabe vom 25. januar 2012 und stellte sich dabei mehr als deutlich auf die seite der „zuhören in winsen“-befürworter.
    die fraktionen der grünen und der linken haben mir übrigens versichert, den antrag von l’art pour l’art zu unterstützen, der bürgermeister hält sich aus der angelegenheit raus. so siehts aus.
    also: schön schreiben und protestieren. noch ist „zuhören in winsen“ nicht verloren.
    best
    ole

  2. Erik Janson sagt:

    @ Alexander,
    sehr guter Text und Aufruf. Ja – auch ich – bzw. wer wird da NICHT zur Tastatur greifen und sich die Seele aus dem Leib tippen?

    Nun ist bekannt, dass die Förderung durch das Netzwerk Neue Musik Ende 2011 ausgelaufen ist. So zeigt sich mal wieder dessen zu kurz bemessene Laufzeit als Fehlkonstruktion, wenn es hart auf hart kommt wie im hiesigen Fall und Nachhaltigkeit nicht einklagbar wird.

    Ja, aus diesem (aber sicher nicht dem einzigen) Grund, befürchte ich, werden wir hier in nächster Zeit noch so manchen Aufruf/Hilferuf der Initiativen zu lesen bekommen, die unter der Netzwerkförderung endlich ein paar Jahre erblühen und neue Potentiale schaffen konnten… Pflänzchen, die nun drohen wieder auszutrocknen.

    Genau das ist/war die Krux der kurzatmigen und befristeten Netzwerk-Förderung, auch wenn es alles noch so „gut gemeint“ war: Da wird mal für ein paar Jährchen Geld in die Hand genommen und von den Machern „Nachhaltigkeit“ gefordert. Aber wie soll das funktionieren, wenn dann wieder nach wenigen Jahren ein wichtiges Standbein der Förderung ausläuft und wenn in der Zeit immer noch zu wenige Förderalternativen aus der privaten Wirtschaft, Sponsoring etc. sich auftun?

    Aus Nichts oder KAUM etwas wird eben doch nicht ALLES,
    das funktioniert nur für Esoteriker oder Leute, die an Wunder glauben, dass allein

    „Das Weizenkorn muss sterben um zu leben“ – nun, auch das funktioniert eben auch nur in der Bibel aber nicht im Kapitalismus (noch erst recht nicht im Kommunismus).

    Nehmen wir z.B. Düsseldorf mal raus bzw. da wurde ja von vorne herein kein Netzwerkzuschuss gewährt, wie in vielen anderen Regionen auch. Die Stadt tut hier, was sie kann und ist insgesamt ja nicht gerade arm (aber gerade gemessen daran könnte auch hier noch mehr getan werden). Aber auch in den Regionen der freien wie nicht-freien Szene, wo keine Netzwerkförderung statt fand (und wo man daher die Ungewissheit vielleicht weniger stark spürt, weil man weniger „zu verlieren“ hat) werden die Zeiten rauer werden. Man wird nun zunehmend auf das Geld der Kommunen hoffen (ein dürrer Strohalm, bedenkt man, was alles auf diese Kommunen zu kommen wird). Was nützt´s, das Jammern? Nichts. Negative Gedanken produzieren erst recht negative Realitäten (ich werde noch zum Spiritualisten und „Eso-„Psycho, ein Stück weit… ;-) ): immer weiter machen. Sich zu Wort melden. Immer wieder sagen: hallo, wir sind noch da…jetzt erst recht… Petitionen, Aufrufe, Briefe an die Kulturpolitik (und zwar vor allem die an oberster Stelle)werden gefragt. Dazu: Allseitige Solidaritäten sind angesagt zwischen allen und über alle Regions- und Landesgrenzen hinweg. Nur so bleiben wir überlebensfähig.

    Klingt jetzt vielleicht naiv für manche, aber:
    in jeder Krise steckt auch eine Chance für alle…
    Machen wir wenigstens Schluss mit jeglicher Mutlosigkeit und jeglichem Zynismus! Nur schwarzer Humor ist allenfalls noch erlaubt (mit Gruß vor allem nach Wien und München ;-)

    Allen ein schönes Wochenende, Erik

  3. uli.l sagt:

    „Wenn das Kaff nun einmal nicht will?“ Entweder man ist reich und kann sich selbst eine solche Sache leisten (das Initiieren einer Neue-Musik-Konzertreihe in der TOTAL-Provinz) … oder man muss damit leben, dass die – selbstgewählte/selbstauferlegte – Dumpfheit den Machtfaktor ‚Geld‘ ins Spiel bringt, wenn es um die Diskriminierung Andersagierender – hier: -tönender – geht. Das beste wäre, wenn die – im Artikel behaupteten zahlreichen – Davon-Begeisterten in Winsen selbst ihren Bürgerwillen durchsetzten und den von ihnen selbst ja wohl mit gewählten Vertretern die Hölle heiß machten; Unterstützung von außen – auch die wohlgemeinteste – kann da höchst kontraproduktiv sein. Also, liebe Freunde der Neutönerei in Winsen: Die eigene demokratische Kraft entdecken und alles dran setzen, dass die von Euch Gewählten auch Euren (kulturellen) Willen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen! Sobald das in ausreichendem Maße der Fall ist, dann (erst) kann m. E. Hilfe von außen hinzu treten. Nichts ist peinlicher als eine aufgekratzte Neue-Musik-Hilfstruppe aus allen Teilen der Republik, die sich über die Engstirnigkeit in der Provinz herablassend auslässt … und sich dabei stillschweigend als der überlegene Teil der kulturell aktiven Schicht versteht … und darauf basierend nur wieder einen Anlass/Gelegenheit gefunden zu haben glaubt, die eigene Überlegenheit zu zeigen/zu untermauern … Das Ergebnis solcher ‚Hilfe‘ mündet dann schnell in dem Satz: „Wenn das Kaff nun einmal nicht wollen will?“

  4. Alexander Strauch sagt:

    @ uli.l. Eines vorweg: als der Badblog auf die Vorgänge in Winsen aufmerksam wurde, dachte ich mir zuerst: „Was soll ich über dieses Kaff schreiben?“ Ein einfacher Aufruf hätte es auch getan. Klar. Uns vom Badblog kümmert besonders das Nachwirken des Netzwerk Neue Musik. So übernahm ich den Auftrag und schürfte etwas tiefer: Und fand sehr engagierte Macher in Winsen in den Leuten von L’Art pour L’Art. Fand weiter wie weitere Institutionen und Personen die Ergebnisse auszeichneten. Fand schöne Hinweise auf gute Sympathien in der Bevölkerung. Nur so eine Story: ein Komponist aus Essen war Gast in Winsen, blieb mit seinem Auto liegen. Er suchte ohne grosse Vermittlung durch seine Gastgeber selbständig einen KfZ-Mechaniker auf. Ins Gespräch gekommen zollte er „den Kauls“ vom Ensemble grössten Respekt und ließ den Komponisten gratis von dannen ziehen. Ob der nun gleich ein Ratsbegehren für „ZuHören“ vom Zaun brechen würde, weiß ich nicht. Muss man auch nicht einfordern. Aber es zeigt, wie es durchaus Menschen in dem Ort gibt, die das Engagement in der erfolgten Art respektieren, die einfach ihre Sachen machen lassen.

    Im Zuge der Recherche stieß ich dann auf die Ratsprotokolle. In ein und derselben Sitzung wurden jene bilderbuchartigen Vorurteile gegen „jene Klangkunst“ von „ZuHören“ geäussert und gleichzeitig freudig reklamierten CDU, SPD und die Freien Wähler Mittel für die üblichen Tanz- und Gesangvereine, die man mit relativer Einigkeit nach den herrschenden Pfründen verteilte. Besagte Ratsfrau, die hier den „Kauls“ ein gutes Wort verweigerte, wie in einer anderen Sitzung jenes Herbsts 2009 klar nach einem vorzeitigen Vertragsausstieg fragte, konnte nicht schnell genug gleich ihre Chöre reklamieren. Das ist übliches Ratsgeschehen in ganz Deutschland – gut! Aber dieser Gegensatz zwischen dem leben und leben lassen des einfachen Handwerkers und das Gurgel Zudrücken seitens der Politik im Sinne der Pfründesicherung fand ich zu krass um es links liegen zu lassen. Nicht mal den bisherigen Betrag wollte man dem Ensemble weiterhin gönnen, dessen Arbeit durchaus genau den gleichen Respekt verdient, wie die bisherige Traditionspflege.

    Verbunden mit dem kurzen Segen des Netzwerks Neue Musik, welches tatsächlich hier und da Dinge bewegte, die jetzt weiterlaufen, natürlich im Fehlen der 50%-Förderung durch den Bund. Nie dachte man in Bayern, dass sich in Augsburg z.B. ein Ensemble für Neue Musik dauerhaft neu aufstellen würde. Die machen weiter. Im Sinne des Konservatismus, des Geldmangels sind Winsen und Augsburg durchaus vergleichbar, beide Städte ähnlich weit von den nächsten Millionenstädten entfernt! Nun, Winsen ist natürlich viel kleiner mit seinen ca. 35TSD Einwohnern, Augsburg hat ca. 250TSD. Dennoch ist es eine Stadt, die eben nicht plattes Land ist, die quasi kostenlos von den zivilisatorischen Grosstaten der Hanseaten profitiert – CDU wie „Freie Wähler“ verweisen in ihrer Kulturpolitik z.B. schlichtweg auf die Abschiebung weitergehender als an der eigenen Tradition Interessierte gen Hamburg. Das ist natürlich der kalte Lappen in das Gesicht der Andersdenkenden! Liest man die Protokolle des Rats etwas genauer, fällt auf, dass das angestellte Personal die Belange von „Zuhören in Winsen“, nüchterner in ihrer Profession, sogar unterstützend sieht als die Politiker, die das Sagen haben bzw. dieses in diesem Bereich weidlich ausüben wollen. Die anderen Parteien, SPD schwankend, Grüne auf alle Fälle z.B. streben nach einem eigenen Kulturplan, der eben jenseits der Pfründe das Terrain ergründen soll.

    Aber was mach‘ ich es mir so schwer! Kurzum, die „Kauls“ gehören sehr wohl nach Winsen, sehen das nicht als selbstaufgelegtes Exil, sondern wirken schon länger vor Ort. Ihnen soll nicht nur ein wenig das Geld gekürzt werden, es soll ihnen schlichtweg ganz die Unterstützung versagt werden, weil man es ihnen wohl nicht gönnt, gerade mit ihren exotischen Dingen bescheidenen Erfolg zu haben und überegionales Renomme zu bekommen. Ich hoffe nur, dass sich sehr wohl die Freunde von „Zuhören“ ins Zeug legen werden. Das tun sie auch schon bereits! Natürlich sind sie Minderheit. Aber wie schon mal hier gesagt: auch Minderheit geniesst in einer Demokratie Schutz, ist sie zu würdigen. Natürlich im Verhältnis zu den bestehenden Mitteln, etc. Aber selbst diese werden nur an Minderheiten vergeben – oder singen alle Winsener in Chören, gehen zu 30TSD auf deren Veranstaltungen? Sei ihnen ihr „Mia san mia“ gegönnt sein, mögen sie die anderen aber nicht ganz unter die Fisch‘ buttern, sondern ein wenig bei die Fisch‘ lassen. Soll man dazu schweigen? Wenn Sie das können, Ihr Ding! Wir als Badblog aber nicht!. Punkt.

  5. Erik Janson sagt:

    Bravo Alexander,

    deinem neuerlichen Plädoyer ist eigentlich nichts mehr hinzu zu fügen. Ein wenig musste ich aber dann doch schmunzeln über den Beitrag von „uli l.“ zuvor. Dieser Herr – er sei nun vielleicht direkt aus der Region der „Winsner Uli-Chöre“…? oder anderswo her… – scheint jedenfalls genau zu WISSEN, was demokratie- oder blogtechnisch für diese Kulturregion gut ist und wie die Politiker dort ticken oder sich „erwärmen“ lassen [es ist bekanntlich nun FROSTZEIT in D. und Europa, man merkt´s], sehr interessant…

    Nun gut. Der Badblog und das Internet ticken nunmal – zum Glück – anders. Dem muss sich auch Winsen an der Luhe stellen. Wir sind halt unberechenbar, gell? Und die Frage ist doch: wird Winsen von den Regionalpolitikern (egal welcher Couleur!) oder von den Kirchenchor- und Konservativismus-Fans und Heimatverbänden dort nun wieder in die kuturelle Steinzeit der norddeutschen Tiefebene zurück geschoren..? Brrr, wäre das kalt und fies, vor allem in DIESER Jahreszeit(nach dem Motto: „ääätsch“ bzw.: „wo ja das Netzwerk – [wie sollte es auch?] – nach stolzen 3-4 Jährchen da was erblühen ließ, nun nicht mehr mit fördert..,da „kann es ja nicht „tragfähig sein“…und wir machen weiter mit Kirchenchhorförderung sowie Strickzirkeln und Hauswirtschaftskursen für Männer und stricken weiter unsere Winterpullis, mehr is nich…“?)

    Oder aber kann dort weiter Kulturarbeit ihren festen Platz behalten, auch für „UNGEHÖRTERE“ Musik (die aber mittels Kaul und L´art pour l´art zur GEHÖRTEN und international beachteten wurde)stattfinden, wenigstens im „S“ oder L“ (statt XL-format unter dem Netzwerk)?

    Diese Frage, Herr „uli l.“ ist sehr wohl vom überregionalen kulturellen Interesse. Ich finde es alles andere als eine Sache, die L´art pour L´art oder Herr Kaul mit den dortigen Kulturszene alleine auszufechten hätte! Dass dies geschieht, davon kann man ohnehin ausgehen!

    Maßstab ist doch, bitte schön, das, was in den vergangenen Jahren in Winsen erreicht wurde! Und dies ist mehr als beachtlich!!! Die Kirchenchöre in Winsen haben bestimmt nicht ein Fünfzigstel so viel an überregionaler, ja internationale Aufmerksamkeit erregt, behaupte ich mal. Aber darum geht es wie gesagt nicht. Die sollen ja auch weiter ihre Förderung erhalten. Aber ein Unding wäre, wenn Neue Musik Projekte dort nach so viel Engagement und Aufblühen/Expandieren wieder verschwinden würden und man dort so tun würde, als sei das alles nicht gewesen. bzw. nach dem Motto verfahren würde: „war ja schön, dass der Bund hier ein tolles Neue Musik Projekt gefördert hat. Aber nun, wo keine Gelder mehr da sind, da ziehen wir uns wieder ausschließlich auf „Altbewährtes“ zurück: Strickzirkel, Laienchorsingen, geistliches Lied etc. pepe.“

    Also: „So a Sauerei“, würde der Bayer Strauch vielleicht dazu jetzt sagen (oder seine weiteren Badblog-rhetorischen und argumentativen Trumpfkarten (sicher besser in die sachliche Materie eingearbeitet als ich) noch a bisserl für später aufheben ;-)

    Und, liebe Winsener Kulturpolitiker: sehen Sie es doch einmal so: Das Netzwerk und die Bundeskulturstiftung haben gewiss nicht umsonst die Neue Musik in Winsen unterstützt. Die Region hat davon profitiert bzw. – wenn auch in einer speziellen Kultursparte – international Aufmerksamkeit und Ansehen erhalten.

    Wenn mal wieder in Zukunft (und davon bin ich überzeugt, wenn wieder bessere Zeiten kommen, und die WERDEN kommen [ich unverbesserlicher Optimist] ein Geldregen auf kleine Provinz-Kommunen mittels überregionaler Zuschüsse (wie Netzwerk) herab regnen sollte, und wenn man dann weiß, wie Sie, liebe Kulturpolitiker, die erste Chance nicht genutzt bzw. in knapperen Zeiten nicht weiter gefördert sondern fallen gelassen haben, dann wird (egal in welcher Sparte: auch der der Kirchenchöre-Förderung) sicherlich künftig kein überregionales Geld (oder nur noch marginal) mehr nach Winsen fließen.

    Also, klingelt, da was? Hoffentlich!

    Servus miteinand´, meine volle Solidarität
    und zugleich Appelle an die Vernunft der dortigen Kulturpolitiker!

    Erik

  6. Goljadkin sagt:

    @ Erik Janson:

    Ja, so ist’s richtig, so überzeugt man Menschen: Ihnen erstmal vor Augen halten, was sie für Dumpfbacken sind und ihnen dann sagen, was sie zu tun haben. Großartig. Weg mit den ganzen Laienchören, die ja eh immer nur den ewiggleichen Kitsch schief singen, weg mit den Hauswirtschaftskursen für Männer (im Übrigen eine entlarvend reaktionäre Erfindung von Janson), weg mit den ganzen anderen gemeinschaftsbildenden Heimatschrottvereinen. Und her mit der Neuen Musik, der Krone menschlicher Schöpfungskraft. Wer das nicht anerkennt, ist wohl mindestens so eine Art Kultur-Kreationist, oder hängt irgendeiner anderen sumpfig-dumpfen Ideologie an.

    Ich übergebe mich.

    Goljadkin

  7. ulilu sagt:

    Erst einmal: aus *uli.l* ist jetzt *ulilu* geworden.

    Dann: Jetzt fühlen sich durch meinen – zugegebenermaßen etwas zugespitzt formulierten Beitrag – genau die aufgerufen, sich zu Plädoyers hinreißen zu lassen, die ich gemeint habe. Lieber Herr Janson, es ist ja rührend, dass Sie sich für Ihre Sache so vehement einsetzen, aber die Argumente sind genau die, vor denen ich immer „warne“; und die Art, wie Sie sie vortragen, ist ebenfalls genau die, vor der ich immer „warne“. Mit Ihrer Aufgeregtheit werden sie in keinem Provinzkaff der Welt irgend etwas bewegen, denn die Argumentation passt als Gegenstück zu genau in die Ablehnungsmuster von Provinzkaffpolitikern, sind also komplementär und neutralisieren sich gegenseitig.

    Es ist und bleibt eine Erfahrung (als Kulturaktivist in Kunstbereichen der „ungefälligeren“ Art), dass nicht überall der Ort für etwas ist; und aktuelle Musik – der Begriff „Neue Musik“ ist mir eh zu beladen – hat es nun einmal schwer, das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen. Und weil das so ist, ist es ohnedies gewagt, in irgend einem Vollprovinzkaff dank eines temporären Geldsegens etwas Gewagtes loszumachen … und es ist richtig naiv, sich nach Ende des wohlgemerkt von vornherein temporär angelegten Geldsegens darüber aufzuregen, dass die Vollprovinzkaffpolitiker pekuniär nun nicht mehr so mitspielen wollen, wie es den Schrägtönern zupass wäre. Es ist sogar richtig unfair, auf den armen Vollprovinzkaffpolitikern herumzulatzen, die gar nicht verstehen, worum es da möglicherweise geht. Leider haben es die Vertreter der Schrägtönerei es oft ebenfalls nicht drauf, es denen freundlich & sachlich verständlich zu machen, weil sie beispielsweise solche Sachen sagen wie „‚UNGEHÖRTERE‘ Musik (die aber mittels Kaul und L´art pour l´art zur GEHÖRTEN und international beachteten wurde)“. Das haut doch keinen einzigen Vollprovinzkaffpolitiker vom Hocker! Und einen mitdenkenden und aktiven Künstler auch nicht; der will gar nicht auf Biegen und Brechen in einem Vollprovinzkaff gespielt/gezeigt/aufgeführt werden (vlt. ist das bei Ihnen, Herr Janson, anders…). Der will einfach nur, dass (gerne auch seine) Kunst *geschieht*, irgendwann, irgendwo; wenn nicht hier, dann dort… Kunst sucht sich ihre – manchmal überraschenden – Orte und ist dann plötzlich da … und wieder weg. Und so wird das in dem Vollprovinzkaff Winsen auch sein: Da war mal was… und jetzt ist es woanders; und die Vollprovinz hat wieder ihre Ruh‘. Ist doch schön!

    Ich grüße allseits aus Buenos Aires, einem erstaunlichen Vollprovinzkaff (Vollprovinz ist nämlich überall :-)!

  8. olehuebner sagt:

    hach, ich liebe diese bad-blog-polemik, muhahahahaha ;-)
    also, zynismus hilft in der sache in der tat nicht weiter, jedenfalls nicht, wenn es darum geht, die verantwortlichen zu überzeugen, das ganze kindchen weiter zu stillen. nein, da geht es um sachliche argumentation, denn natürlich verstehen sie nicht, welch große bedeutung ihre „kleine konzertreihe“ mit gerade einmal vier konzerten im jahr (à la „na, die kriegense auch woanders. in hamburg zum beispiel“) in wirklichkeit hat. und gerade das habe ich ja in meiner ausführlichen mail versucht – eine vorstellung für die ausmaße dieses unterfangens „zuhören in winsen“ herzustellen.
    ich bin absolut dafür, neue musik und zeitgenössische kunst nicht nur in den metropolen, sondern auch in den kleinstädten stattfinden zu lassen. ja, eigentlich gerade da, denn in köln, münchen, düsseldorf, wien, berlin, hamburg werden wir ja geradezu zugeschüttet mit tollen konzerten und aktionen. nicht ganz selten, dass in köln zur gleichen zeit zwei oder mehr gleichermaßen sehenswerte veranstaltungen stattfinden und man ja naturgemäß leider nur zu einer gehen kann …
    natürlich hat zeitgenössische kunst in der kleinstadt kein zweck, wenn sich von herrn bauer müller über frau wirtin maier bis zu herrn stadtrat schulz kein mensch dafür interessiert. aber das ist ja in winsen anders! bitte denkt daran, das hier ist keine diskussion, die der armen, ehemals ruhigen kleinstadt winsen an der luhe von irgendeiner elfenbeintürmernen neue-musik-szene, die städte unter 600.000 einwohner gar nicht erst mit namen kennt, von außen auferlegt worden ist, sondern sie ist aus dieser stadt selbst erwachsen, wo wirklich viele leute zu den konzerten und diskussionen mit interesse und begeisterung gehen, wo auch die, die nicht hingehen, das wahrnehmen (astrid schmeling sagte mir vor kurzem, sie habe zufällig jemanden über die konzertreihe sagen hören (aufgepasst!): „das sind die einzigen, die hier kultur machen, das kennt jeder und keiner geht hin.“ – „keiner geht hin“ stimmt nicht, habe ich mich selbst von überzeugt, aber ansonsten spricht dieser satz doch bände, oder nicht?), wo sich die lokale zeitung mit halbseitigen artikeln einmischt und wo mir der bürgermeister persönlich schrieb: „[D]ie Förderung des Ensembles L’art pour l’art wird gegenwärtig in Winsen kontrovers diskutiert. Überzeugten Gegnern stehen dabei engagierte Befürworter gegenüber, jeweils mit guten Argumenten. Viele wenden sich an mich, um eine Entscheidung in ihrem Sinne herbeizuführen.“ (spricht ebenfalls bände).
    kann es mir als künstler egal sein, wo meine kunst stattfindet? ich finde nicht. winsen reiht sich nicht in tolle neue-musik-städtenamen wie köln – london – new york – los angeles – tokyo ein, aber winsen liegt mir sehr am herzen. gerne kann auch meine musik in gummersbach oder kleinmachnow (bei hufi! :-) ) gespielt werden, aber winsen ist etwas anderes. das, was l’art pour l’art dort auf die beine gestellt hat in relativ kurzer zeit, ist in der neuen musik in deutschland ziemlich einzigartig (vergleichbar vielleicht noch mit der „stolzen“ *hüstel* stockhausen-stadt kürten) und soll jetzt zugrunde gemacht werden, weil die gemeinde die – ehrlich gesagt: in relation zu der tragweite dieses kulturangebots ziemlich läppische – summe von 15.000 euro nicht aufwenden will. und zu glauben, dann könnte sich halt in einer anderen kleinstadt eine neue-musik-reihe etablieren, ist leider sehr utopisch – denn weniger förderung geht immer, mehr ist schon sehr schwer. na toll.

  9. Alexander Strauch sagt:

    @ olehübner: Danke! Polemik spielte für mich keine Rolle. Wenn jemand das findet: Ich zitierte nur aus öffentlich zugänglichen Material, das für sich selbst spricht, wenn man dort weiterliest. Jeder Chor und Tanzverein wird seinen wertvollen kulturellen Beitrag leisten genauso wie aber auch „ZuHören“. Interessant: Will man den Traditionsvereinen Mittel nicht gewähren, wird klar argumentiert. Geht es um „ZuHören“ spielten z.T. sachliche Argumente keine Rolle. Das fällt auf, das ist öffentlich, das muss benannt werden. Alles Andere wäre schädlich Schere im Kopf. Und ich denke, dass der Respekt vor der Stadt Winsen im allgemeinen zum Ausdruck kommt, verknüpft mit dem Versuch einer weitergehenden infrastrukturellen argumentativen Würdigung. Spätestens die KFZ-Story im Kommentar dürfte die weitere emotionale Anteilnahme, Toleranz wie Unterstützung vor Ort aufzeigen! Und Ole, Du hast recht: wenn sich ein Ort für neue Kunstformen öffnet, interessiert, begeistert, wie klein und dann langsam wachsend wie auch immer: Selbst Projekte in abgelegeneren Orten sind nicht unbedingt selbstgewählte Jammertäler – es sind eben auch Wirkstätten zeitgenössischer Ausdrucksformen aller Künste. Warum z.B. finden v.a. die bedeutendsten Treffen Neuer Musik in mittleren und kleinen Städten wie Darmstadt und Donaueschingen und eben nicht Frankfurt und Stuttgart statt? Abgesehen von den ganz speziellen Entwicklungen liegt eben auch ein besonderer Zauber gerade auf diesen Orten, gerade auch für Neue Musik, die oft magischer ist, als man wahrhaben möchte…

  10. Alexander Strauch sagt:

    @ ulilu: Winsen als Vollprovinzkaff zu bezeichnen, DAS finde ich respektlos. Es gibt dort beide Seiten, die lieber alles beim Alten lassende, die verändernde. Letztlich geht es um gegenseitigen Respekt, in dem die Bevölkerung garantiert in weiten Teilen weniger Probleme hat, als Politiker es glauben mögen. Egal ob Bundestag oder Stadtrat: es tritt wohl imm eine gewisse Abgehobenheit der Politiker ein, wie es natürlich auch Künstlern widerfahren mag. Und es braucht desweiteren eben nicht S21-Aufstände, um Kultur zu erhalten. Es braucht Vernunft. Ja, Dingen den Rücken kehren kann eine Reaktion sein. Davor muss aber schon einiges Traumatisches geschehen sein. Im Falle Winsens sind aber wohl eher Träume wirklich geworden. Möge doch jede Seite die andere weiterträumen lassen – warum sollte nicht mal eine Winsener Liedertafel eines Tages erstmal Arrangements und dann auch machbare Stücke eines Mitglieds der Kinder-Kompositionsklasse singen? Ich würde auf Dauer eher aufs Utopische setzen, als das Resignative, welches die jetzige Zeit all zu oft Realität nennt. Es mag Alles seine Zeit dauern – jeder Aufbau dauert und dauert. Wie schnell der Abbau – und der ist zu vermeiden. Ich finde es bedenklich, wieviele Kollegen so blind wie Sie sein können: Nur wo Infrastrukturen aufgebaut werden, so klein so gross sie sein mögen, kann der einzelne Künstler auf Dauer existieren. Und was folgt auf die Künstler? Manchmal eine gewisse Gentrifizierung, aber auch weitere Belebungen, wie eben Bürger für eine wachsende Stadt, die durchaus auch wegen einem breitgefächerten Kulturangebot sich ansiedeln oder eben nicht wegziehen. Oder anders: jede kleine Gemeinschafts-Initiative ermöglicht Einzelnen das Dasein, ermöglicht ein Stadttheater in grösseren Orten eine kleine Freie Szene, ein breites institutionelles Leben in Zentren auch eine entspr. Vogelwildheit. Und das macht Orte reizvoll, zieht sogar Wirtschaftszweige an oder erlaubt selbst in sonst sich leerenden Gegenden das Halten von Hochqualifizierten wie schwächeren Geldbeutel tragende Interessierte. Eben jene weichen Faktoren. Wenn Sie nur auf Resignation aka Realität setzen, dann sollten Sie auch schnell das Saarland hinter sich lassen. Oder warum bleiben Sie doch dort? Weil es Dinge ermöglicht, die langsam gewachsen sind, die einmal anfingen. Und jetzt beginnen sie eben auch in Winsen. Oder enden, wenn die „Kauls“ solch ein Vogelstraussdenken wie sie an den Tag legen. Letztlich: wenn jede Schicht, Berufsgruppe für sich Berechtigung einfordert, warum soll dies der aktuellen Kunst nicht erlaubt sein? Was fasziniert nicht mehr als lebendige Kulturgeschichte. Und ob Sie es glauben oder nicht: das ist gerade für unser Land ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. Wie es noch Öko-Innovationen sind, wenn nicht China bald überholt. Und noch eins drauf: Schneidet Euch endlich mal den Respekt für UNSERE Kultur ab, wie sie Asien allseits uns entgegenbringt, gerade der klassischen wie auch aktuellen Kultur! Schielt nicht auf den TGV nach Paris, zieht in die Toskana, sondern liebt dieses wundervolle, wundersame wie verwundende und auch schreckliche Land. Jetzt gelte ich Ihnen wohl als nationalliberal – weit gefehlt! Aber wer Respekt will muss diesen auch sich selbst gegenüber haben.

  11. Goljadkin sagt:

    @ Alexander Strauch:

    In der Sache selbst mag man geteilter Meinung sein. Ich finde, da ist auf beiden Seiten eine gewisse Naivität im Spiel, weder ist der Aufbau von Infrastrukturen zeitgenössischer Kunst die Voraussetzung oder gar der Garant von „blühenden Landschaften“; noch führt die blanke Zurückdelegierung an die „Vollprovinzkäffer“, ihren Kram doch bitte allein zu regeln dazu, daß irgendwo anders von ganz alleine irgendetwas Neues entsteht.
    Was aber unter gar keinen Umständen hilfreich ist, ist der aufgeregt-wutbürgerliche, aggressiv-abqualifizierende Ton, in dem Erik Janson hier die Sache „vertritt“. Wer solche Unterstützer hat, der braucht sich nicht wundern, wenn er allerorten unter dem Fußvolk auf Ablehnung trifft. Immer nur den anderen (= hier: den Lokalpolitikern) einen mangelnden Horizont zu unterstellen ist nicht zwangsläufig ein Beweis für einen eigenen weiten Horizont.

    Goljadkin

  12. ulilu sagt:

    @ Alle, die noch mit diskutieren, insbesondere aber @ Alexander Strauch & Godjakin:

    [1] Einen Ort – kulturell (!) – als Vollprovinzkaff zu bezeichnen, ist nicht herabwürdigend, sondern eine zugegebenermaßen pointierte aber die tatsächlichen Gegebenheiten am präzisesten beschreibende Bezeichnung kultureller Zustände; ein Problem von Vollprovinz ist, dass sie diesen ihren eigenen vollprovinziellen Zustand nicht anerkennen kann bzw. will, warum auch immer … Wer meine Einlassungen hier genau gelesen hat, wird festgestellt haben, dass mein Vollprovinzbegriff sich nicht auf die Einwohnerzahl einer menschlichen Ansiedlung bezieht, sondern auf den in einer solchen herrschenden kulturell-geistigen Zustand. Und letzterer entsteht aufgrund komplexer Vorgänge innerhalb der relativ geschlossenen Gruppe einer Kultur-tragenden Schicht und wird gesteuert u. a. durch über diese hinaus weisende Beziehungen zum Machtfaktor Kapital. Ganz klar ist, dass Vollprovinz also ein zunächst individueller geistiger Zustand ist, der durch ein inneres Bedürfnis nach Überwindung dieser persönlichen – eigenen! – vollprovinziellen Beschränktheit(en) mehr oder weniger temporär überwunden werden kann … und sobald man auch nur ein wenig nachlässt mit dieser Überwindungsleistung, fällt man wieder zurück in Richtung vollprovinzieller Zustände. Und diese Aktivität, kulturell – im weitesten Sinne – etwas durch eine stete, einem inneren Antrieb entspringende und diesem folgende Leistung zu bewerkstelligen, zu vollbringen, ist der einzig mögliche Ansatz, Vollprovinzialität zu überwinden. Aus diesem Grund ist Kultur immer „anstrengend“; zu aller erst einmal für denjenigen (f/m), der (m/f) sie schöpferisch entstehen lässt, aber ganz klar auch für den, der sie aktiv reproduziert und/oder rezipiert. Je mehr man von dieser Anstrengungsleistung in einer menschlichen Ansiedlung ganz gleich welcher Größe spürt, desto kulturell aktiver erscheint sie dem von draußen herein Kommenden.

    Und das ist wohl das, was auf „Winsen an der Luhe“ – [ich hoffe, jeder merkt den harten Schlag, den es gerade tut, wenn man den Namen dieser Siedlung plötzlich anführt] – seit der Aktivität im von mir oben genannten Sinne von ein paar ‚Zwangstätern‘ zutreffen mag. Aber wenn es schon an der Tankstelle zu kulturell rührenden Szenen kommt, muss dort etwas geschehen sein. Und jetzt ist es AUF JEDEN FALL Sache der lokalen Kultur-tragenden Schicht, sich für den Erhalt des Erreichten einzusetzen … oder – im Extremfall – in Würde vor den eigenen Augen sterben zu lassen, was in langen Jahren mühevoller Arbeit entstanden ist. So hart geht es in dieser Welt nun einmal zu … und ich bin ziemlich sicher, dass die Arbeit dort für einige Menschen, die davon profitieren durften, ein Leben lang wertvoll wirksam sein wird. Und das ist es, worum es geht, und das reicht auch schon vollkommen aus; mehr muss es gar nicht sein. Der Wunsch, (die) Dinge – für die Ewigkeit – zu Verdauerhaften, ist nicht mehr wirklich zeitgemäß; die Dinge – auch in der Kultur – sind fließender geworden; sie waren es immer schon, aber heute wird uns das durch eine gewisse Beschleunigung wahrnehmbarer vor Augen geführt als es das in früheren Zeiten gewesen sein mag (ich weiß es nicht, ich war nicht dabei ;-). –

    Es gibt jetzt noch einige erstaunliche Äußerungen von Mitdiskutanten, die mich doch arg überrascht haben: (1) [@ Alexander Strauch] „Schneidet Euch endlich mal den Respekt für UNSERE Kultur ab, wie sie Asien allseits uns entgegenbringt, gerade der klassischen wie auch aktuellen Kultur!“ – Das ist in jeder Hinsicht falsch; dort bringt man unserer Kultur nicht deswegen Respekt entgegen, weil sie es verdient habe (… in Klammern: hat sie, natürlich), sondern aufgrund von mehrfachen, katastrophalen, zutiefst (die eigene) Kultur-erschütternden, kolonialen und post-kolonialen Ereignissen, die ausgerechnet auch noch ‚unserer‘ Kultur entspringen … und sie hat etwas abgrundtief Trauriges, diese Bewunderung der „Kultur des Dominators“, angesichts der Tatsache, dass es oft einher geht mit der Ignoranz der eigenen, ‚irre‘ hoch stehenden Kultur; das ist sehr gut abzulesen an vielen künstlerischen Hervorbringungen von Künstlern (f/m) aus Asien … aber das ist ein anderes sehr weites Feld. – Kurze Replik auf die Äußerung: Ich bin (Teil) unsere(r) Kultur; ich respektiere sie, indem ich sie – (selbst)kritisch! – schaffe, ausübe und – in dem einen oder anderen Wortbeitrag – begleite; machen wir hier doch alle, oder? // (2) „Wenn Sie nur auf Resignation aka Realität setzen, dann sollten Sie auch schnell das Saarland hinter sich lassen. Oder warum bleiben Sie doch dort?“ – Wie haben Sie bloß herausgefunden, dass ich in der kleinen Provinzhauptstadt des Saarlandes meine Basis habe? Das ist eine tolle Rechercheleistung; Respekt! Mich dafür dann auch gleich noch mehr oder weniger unverhohlen zu ‚beschimpfen‘, ist eben – ja, tut mir Leid, ich muss es so schreiben – vollprovinziell. Was um alles in der Welt hat diese ‚persönliche Verunglimpfung‘ in dieser streckenweise so niveauvollen Diskussion verloren? Sie werden es mir sagen. Ich sage dazu folgendes: Saarbrücken wird von mir geradezu gepiesackt. – Ausgangslage: (a) Dort hat man es hinbekommen, dass das „Saarland Museum“ (Museum für moderne Kunst) bis auf Weiteres geschlossen ist, weil ein vollprovinzielles Grüppchen sich nicht entblödet hat, sich gehörig selbst zu bedienen; jetzt kümmert sich die Staatsanwaltschaft um die Sache, die Kunst ruht derweil. (b) Dort hat man es hinbekommen, die „Stadtgalerie“ zu schließen, weil eine mit nicht mehr zeitgemäßen kulturellen Justierungen ausgestattete Gruppe dafür gesorgt hat, dass man als Besucher dort *immer* allein‘ war; jetzt hat die Kunst – dort – auch ihre Ruh‘. (c) Das „Saarländische Staatstheater“ verdumpfbackt unter der aktuellen Intendantin zusehends, weil sie befürchten muss, dass ihr die Mittel immer noch mehr gestrichen werden – offene Androhungen seitens des Trägers, des Saarlandes – (der Vorgänger ist gegangen, weil er den Verdumpfbackungskurs nicht mehr mittragen wollte); aktuelle Kunst geht da kaum noch … und hat somit ihre Ruh‘. (d) Die lokale Beteiligung am „Netzwerk Neue Musik“ – und da wären wir wieder beim Thema – hat es geschafft, es nicht geschafft zu haben, weiter gefördert zu werden; das ist von vornherein nicht überraschend, denn die Clique, die das betrieben hat, hat einen vollprovinziellen Kurs der Exklusivität betrieben, mit einem vollprovinziellen Gestus der Erhobenheit – nicht Erhabenheit – über den anderen Kulturschaffenden der Vollprovinzstadt (der „Freien Szene“, mit einigen wenigen – exquisiten – Ausnahmen); die Hervorbringungen waren in der Regel von schlimm-schlechter Qualität, ganz besonders die letzten, die sich Mauricio Kagel widmeten; jetzt hat die Kunst auch da wieder ihre Ruh‘. – Zu guter Letzt will ich aber das Geheimnis lüften, weshalb ich mich dort immer noch aufhalte bzw. (s. o.) meine Basis habe: Dort steht meine Waschmaschine; und es gibt – JA – den TGV, den ich vorzugsweise gen Westen besteige, für Ausflüge nach Südamerika aber ausnahmsweise auch in Richtung Osten. So, jetzt ist es raus; bitte weitersagen.

    Für heute reicht es (mir); ich gehe mir jetzt am Kiosk um die Ecke die meueste Ausgabe des „Argentinischen Tageblattes“ holen; und es ist z. B. die „vollumfänglichste Überwindung von Vollprovinzlertum“, wenn der ältere Herr mir dort die Zeitung mit der Bemerkung überlässt, komm‘ sie morgen bezahlen. Er konnte mir auf den etwas zu großen Peso-Schein nicht rausgeben, er hatte mich noch NIE in seinem Leben zuvor gesehen … das ist der Geist dieser Stadt, das ist urban. Wer jetzt zur Lektüre von Henri Lefebvre greift, liegt richtig.

  13. olehuebner sagt:

    dies hat vermutlich auch schon den einen oder anderen von euch per mail erreicht:

    „Liebe MitstreiterInnen für eine vielfältige Kultur in Winsen,

    vielen Dank für Ihren, Euren vehementen Einsatz.

    Am Mittwoch hat der Winsener Rat beschlossen, keinen Cent für die Winsener Aktivitäten des Ensembles L’ART POUR L’ART mehr zu zahlen.

    Die überwältigende Flut von Zeitungsartikeln, von Leserbriefen, sowie von E-Mails aus der gesamten Republik an die Mitglieder aller Fraktionen wurde von den Ratsmitgliedern als Belästigung empfunden, man war empört. Fazit : Der Bürgerwille ist dem Winsener Politiker nicht zumutbar. Ein interessantes Demokratieverständnis.

    Übrigens geht es hier nicht um Sparpolitik, der Winsener Haushalt hat ein Plus von 177000 Euro. Es geht um Kultur.

    Gegenwärtig ist völlig offen, was aus unseren Niedersächsischen Aktivitäten wird. Wir werden versuchen das Gesamtkonzept der Kompositionsklasse mit der Konzertreihe zu retten. Vielleicht gelingt es.

    Noch einmal vielen Dank

    Es grüßt das

    Ensemble L’ART POUR L’ART“

    dazu fehlen mir, ehrlich gesagt, einfach die worte. so viel ignoranz will man doch wirklich selbst dem ignorantesten politiker nicht zutrauen. an der entscheidung wird sich nichts mehr ändern, aber trotzdem – oder gerade aus diesem grund – wäre es meines erachtens jetzt noch einmal der zeitpunkt, dass sich die prominenz der szene vehement gegen die winsener politik ausspricht – mit einer erneuten flut von protestzuschriften.

    in dem sinne, beste grüße
    ole