Neue Musik – die beste Gesundheits- und Altersvorsorge!

Am Freitag letzter Woche war wieder mal musica viva in München. Ach, schon verrechnet! Als Badblogger verkalke ich allmählich. Nein! Am Samstag war musica viva. Emilio Pomarico winkte nett den BR-Sinfonikern zu, die in zahlreich Soli aufgesplittet ihre Bestes gaben. Zumindest sah es so aus. Olivier Messiaens „Couleurs de la cité céleste“ ließ die Vögel aller Kontinente in Ragas und gregorianischen Chorälen mit Tam-Tam so zwitschern, dass man wieder verblüfft war, wie diese blockartige Musik auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch mächtig beeindruckt. Sogar die Saallüftung piepste in den Generalpausen mit, so erfrischend war es. Younghi Pagh-Paans „Hohes und tiefes Licht“, eine Geigen-Bratschendoppelkonzert-Uraufführung, löste bei ihren Fans Gekreische aus, auch wenn man von den Soli mehr sah als hörte, so leise wie das Orchester raunte. Zu guter Letzt raubte Elliott Carter mit seiner „Symphonia: sum fluxae pretium spei“ aus der Mitte der Neunziger einem den Atem, so durchflochten wirkten seine Strukturen. Wie punktuell manches Melos auch nervte, im langsamen Mittelsatz gab’s eine patriotische Trompete, die Neue Musik nach Filmmusik zu Soldat James Ryan klingen liess. Das kompositorische Altersheim rockte den Herkulessaal.

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Aber wen wundert es. Daheim forschte ich weiter, besonders nach US-Komponisten. Und ganz klar: Neue Musik hält die geriatrische Versammlung besonders lang am Leben. Wenn dies mal die kulturknausrigen Politiker in den Staaten wahrnähmen, hätten die sich die Streitereien der letzten Jahre über Pflichtversicherungen sparen können. Jeder Amerikaner würde einen mp3-Player mit Neuer Musik härterer Art aus der US-Heimat verordnet bekommen und würde älter denn je? Wer dies glaubt…

Elliott Carter, mit 103 der Rolls Royce unter den Methusalems, zeigt mit bestem Beispiel, dass man nicht unbedingt ein deutsch-holländischer Boulevard-Schauspieler sein muss. Ihm folgt gleich Milton Babitt (1916 – 2011). Die Mischung aus Patriotismus und softer moderner Musik führt Aaron Copland mit 90 Jahren an. Hätte er doch mehr Struktur riskiert, könnte er vielleicht Carter Konkurrenz machen. Mario Davidovsky (geboren 1934) scheint etwas verstummt zu sein, so kann man ihn nur animieren, doch noch weiterzumachen. Der Ober-Hobo unter den Amerikanern, Harry Partch, erreichte immerhin glückliche 73. Für einen Menschen mit Strassenerfahrung ein  schönes Alter. Wie auch immer, Neue Musik und die Beschäftigung mit ihr, die durchaus genauso anstrengend für den Schreiber sein kann, hält lebendiger als man der Neuen Musik ständig den Exitus diagnostiziert

Wie traurig sieht es da an der U-Musikfront in den Staaten aus. Elvis Presley wurde nur schlappe 42 Jahre alt, Michael Jackson schaffte es trotz gesundheitsgefährdender Schönheitsbleichen immerhin bis zum einundfünfzigsten Jahr. Lenny Bernstein, weder im U noch im E richtig zuhause, oder doch in Beiden zugleich, brachte sich mit Alkoholüberfluss und Mikrotönemangel um die Ecke. Aber die paar Zwöltonreihen seiner Werke kaschierten das drohende frühere U-Musikende. George Gershwin , der nur 38 wurde, hätte wohl ebenfalls weniger Tennis denn Kontrapunktstunden mit Schönberg geniessen sollen. Und als Rapper geht es schneller zu Ende als man bis 25 zählen kann, siehe Tupac Shakur. Höchstwahrscheinlich macht der schnelle Erfolg als U-Musiker, der natürlich hart erarbeitet wurde, aber mehr unter Körper- denn Denkeinsatz, eher einen zunichte als das brave Strukturen ausrechnen am häuslichen Küchentisch, derweil die frühverstorbenen Kollegen der leichten Muse öfters mit dem Küchenmesser nach dieser stachen, wie in den Scream-Filmen dieses Monster, wenn die Einfälle mal wieder ausblieben. Aber was soll es! Jeder ist seines Schicksals Schmied: Dem einen kann es mit Arbeit und Einnahmen nicht schnell genug gehen, dem anderen liegt was an Langsamkeit. Allerdings ist die auch nicht wirklich ein Garant für Langlebigkeit: Morton Feldman schaffte gerade mal die 61… Oder liegt es letztlich daran, dass man möglichst gesund seine Zeit der eigenen 50-70 Jahre gut bewältigt? Also flüstert keinen Gesundheitspolitiker das „Ergebnis“ dieser Studie. Aber da kommt schon so was schwarzes mit weissem Gesicht aus der Küc…

Komponist*in

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4 Antworten

  1. HCB sagt:

    Nicht nur Mozart und Vivaldi: Auch Neue Musik tut gut. Vor allem den alimentierten Komponisten. Würden jetzt Kritiker sagen. Aber auch wenn sie „schlecht“ täte und man Durchfall und Pickel bekäme, würde man sie doch hören. Vielleicht wäre Neue Musik erst richtig erfolgreich, wäre sie richtig gefährlich. Die Teufelsdroge aus dem Zauberkeller von Moritz Eggert, der Komponist wird steckbrieflich gesucht. Am Wochenende habe ich zum Thema Vermittlung ein Forum auf dem Internationalen Kulturmanagement Kongress der Leuphana Universität moderiert. Christoph Meyer von der Oper am Rhein und Dr. Irene Kletschke waren die Referenten. Meyer bringt jährlich als Blutauffrischung seines Genres eine Uraufführung raus, und Dr. Kletschke hat beobachtet, dass die Neue Musik sehr oft die Vermittlung integral im Werk berücksichtigt. Als performatives Kompositonselement sozusagen. Dann erfolgt etwa die derzeit oft zitierte Publikums-Interaktion werkgebunden zwangsläufig. Ist das ein Zukunftsmerkmal? Beispiele gibt es viele. Moritz Eggerts Fußballoratorium hat ja auch die Teilhabe des Publikums im Werk konstitutiv festgeschrieben.

  2. Erik Janson sagt:

    Elliot Carter, ja, ein ganz großer.

  3. wechselstrom sagt:

    aha, geht noch nicht