Grosses Neujahrsauskotzen

Die stille Zeit der Freude, der guten Vorsätze zog diesmal an mir vorbei, als sei Stille allein ein musikalisches Vehikel. Einzig still bin ich selbst geblieben, habe zuerst ein wenig arrangiert, um in die Gänge zu kommen, später endlich komponiert. Nach beiseite legen der Feder, wegpusten des Radierstaubs… Nein, so kann, darf man das heute nicht mehr formulieren, sonst gilt man als Vollender romantischer Musikfragmente; besser: Nach drücken der Apfel+S taste, nach betätigen von Apfel+P und Apfel+Q, letzen krampfhaften Trackpadzuckungen ein Blick in den Badblog, in Facebook & Co.: Die Kollegen und Bekannten stritten sich um, tauschten sich aus über erste Werke Ferneyhoughs, Tonalität, Musik aus, mit und nach Intuition, Expertenkultur. Ich hätte unmittelbar platzen können, in Anbetracht all der alten Kamellen, die wohl die vergangenen zehn Weihnachtsfeste nicht mehr unter dem Baum weggekarrt worden sind, wie Geschenke, die selbst mit nettesten Zureden und Versprechungen niemand mehr anfassen wollte. Ein wenig focht ich den Ferneyhoughaustausch mit, bei den anderen Themen hätte ich mich zu Tode kommentieren können, denn alle Seiten haben ja total Recht und genauso nur Unrecht. „Neue Musik“ ist momentan immer noch viel zu verkopft, zu vernischt, zu lang, zu ernst, usf. Andererseits machen es sich Viele mit ihr zu leicht, zu flapsig, zu unüberlegt, zu gering kalkuliert, zu rückgriffig, zu old-fashioned, etc. Na ja, nicht weiter schlimm. Ich hätte mir die Schlaftablette „alles alter Café“ verordnen können.

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Angesichts der eigenen gerade mal wieder zu Papier gebrachten Noten geschah aber ganz was Anderes: Die totale Krise brach bei mir aus!! Das Stück ist nichts Anderes, als eine Auskomposition eines spektralen Klanges, ein Weg hin zu ihm, klangliche, melodische, kontrapunktische und diese drei Arten synthetisierende Wege in weniger als zehn Minuten. Das klingt in dieser Beschreibung nach simpler Anwendung von Handwerk und wohl einigen halbwegs dramaturgischen Entscheidungen an den hoffentlich richtigen Stellen. Nun könnte ich zufrieden sein, sollte am Besten die Klappe halten und es wäre gut damit! Natürlich reflektierte ich das gerade Geschriebene anhand der Stille-Zeit-Diskussionen. Moritz Eggert brachte die „Lebenszugewandtheit“ in einem seiner letzten Artikel ins Spiel. Mmh. Schaue ich auf viele Takte meines neuen Stückes ist es dem „Leben“ höchst ab-gewandt. Wie sagte mal Claus Steffen Mahnkopf gut simplifizierend in einem seiner Artikel, ich kann es nur sinngemäß wiedergeben, da ich nicht schon wieder etliche seiner Texte lesen kann: die Musik zwischen Berg und Lachenmann hätte den Tod, die Popmusik die Liebe zum Inhalt. Höre ich mein Stück, wie es knallt und auf- wie abschnurrt, kann es da wohl weniger um Liebe gehen. Es geht auch nicht um Leben, selbst wenn man einige Strukturen auf Wachstum und dergleichen beziehen könnte. So scheint das Un-Humane, das Tödliche, ja der Tod, eine gewisse Trauer, ein Dagegenstemmen und Hindurchgehen eine Rolle zu spielen. Immerhin besäße es nach den letzten drei Substantiven bzw. substantivierten Verben einen Hauch von Agieren, Lebensregungen. Gut, nochmals davongekommen!

Prompt stieß ich auf eine Replik auf Moritz‘ Badblogbeitrag. Johannes Kreidler ruft im Gegensatz zu Eggerts „mehr Intuition“ zu „mehr Expertenkultur“ auf. Er stellt einleitend fest, dass er wie Moritz gerne zu „mehr Pop in Neuer Musik“ aufruft. Da habe ich ja wieder komplett versagt vor Beiden! Analog zu der Todesdiagnose meines Stückleins kann es diesem nur an Pop fehlen. Ich gestehe, dass ich manchmal kleine Songs für meine Laienensembles zusammen stöpsle, was oft gar nicht so glatt von der Hand geht, wie Popmusik sich dann verkauft: als ein in allen Facetten ihres Entstehens nur „easy“ seiendes Etwas. Mancher wird hierbei sagen: Tja, wenn es Dir an Intuition, Spontaneität mangelt, kann ja auch kein richtiger Song zustande kommen. Es sei diesen „Manchen“ entgegnet, dass selbst in einfachsten tonalen Gebilden die richtige, wippend machende Setzung der Töne nur im Schweiß ausgebadet werden kann. Abgesehen von diesen Ausflügen in das Populäre muss ich immer wieder mal betonen, dass ich gnadenlos aus der sogenannten Klassik komme, damit groß geworden bin, bis heute nur recht wenig Pop und Rock gehört habe, mich ansprach, ich selbst in der Disse meistens nur von Langeweile angeödet bin, eher zu Stravinsky oder Ausbrüchen wie statischen Momenten Griseys viel eher ein der Musik folgendes Bewegungsbedürfnis habe. So wäre ich im Staate der Expertenkultur Kreidlers total verloren: ich müsste im Nebenjob auch DJ wie Smutny, Lilienstern oder A. Schubert sein, um zeitgemäß meiner postmodernen musikalisch vielseitig interessierten Person den richtigen Ausdruck zu verleihen. Mein bescheidenes Problem ist dabei, dass ich mich wohl eher mit F. Schubert beschäftige, Debussy für mein bescheidenes Orchester instrumentiere, unter brutalster Ausnutzung der zehn Flöten und null Oboen wie Blechbläser, merkwürdige Schlager für meinen Revuechor mit komischen Harmonien und Pausen wie quietschenden Tenören schreibe.

Guck‘ ich wieder auf mein Stück, das immerhin einen strassenverkehrsspezifischen Titel trägt, wird es dann wiederum strukturell jetzt geforderten Schreiben nicht entsprechen. Nach all den tonlos, dann von einem Sekundglissando gefolgten Tremolo anfangenden Stücken, den Klicktrackorgien, den Zitatmeeren, verfolge ich dies jetzt immer weniger, suche mehr nach Struktur, von Tonhöhen ausgehend, möglichst ökonomisch, manchmal überhaupt nicht komplex notiert. Und die notwendigen Berechnungen bringe ich auf zwei kleinen post-its unter! Vor Mahnkopf könnte ich sowieso nicht bestehen, Johannes würde nach durchaus nach mehr Struktur fragen, Moritz wäre es zu düster. Ab in die Tonne damit! Also doch lieber Schuberts einundzwanzigste nach der Vollendungs Methode Helene Berg in Seancen rekonstruieren? Ach was, jetzt finde ich doch nicht die Papierkorbfunktion meines Rechners…

Aber da hilft mir wieder Mahnkopfs Publikationseifer: Irgendwo schrieb er mal über die Musik Anfang des 21. Jahrhunderts, nach Steigerungen von Stockhausen zum Wolkenkuckucksheim des Komplexismus, dass sich heute v.a. die Allerlautesten durchsetzen, Aufmerksamkeit erzeugen. Im Zeitalter der Medien keine Frage, gehe ich vollkommen d’accord, was für eine Binsenweisheit, aber eine schmerzliche. Mich ärgert dennoch, dass letztlich komponierende Menschen wie hier angeführt, die der Neuen Musik einen Namen geben oder ihn ihr wieder nehmen Deutungshoheit erlangen, es überhaupt schaffen, mich von meinem Pfad temporär abzulenken. Ich sage nicht, dass es unbedingt ihre Absicht ist. Dennoch erzeugen sie mit ihrem „Ich weiss es besser“ Gerede, vielmehr Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren, als manchmal nötig wäre, leider manchmal zu oft die Kollegen damit übertönen, gerade wenn diese nicht mit „Pop“ oder so Ähnlichen hantieren können oder wollen oder nicht in der Lage sind, die Waffe „Wort“ richtig einzusetzen. Beim Letzteren will ich gar nicht hinten anstehen, weiß ich durchaus die Wortkeule auszupacken, mache es ja auch hier, verletze garantiert mehr, als ich es gerade möchte. Dennoch muss ich mich hier und heute einfach mal „auskotzen“, nach Arnos „inter annos“-Beitrag nun ohne Videoshow.

Zu guter Letzt nochmals Mahnkopf: Neue Musik verdient heute ihren Namen nicht mehr bzw. das Meiste, was unter ihrem Label so komponiert wird. Darum stritten sich wohl jetzt auch Moritz und Johannes, wie das heutige Schaffen zu benennen ist. Oder was man an gefürchteten Killern der Neuen Musik, wie Härte, Strenge, Intellektualität, Struktur, Werkcharakter und wieder der Dekonstruktion all dieser Dinge einfordeern sollte. Nicht zu vergessen, dass die Neue Musik jetzt immer älter wird, die ersten Stücke der Seriellen sechzig Jahre zurückliegen, die ersten Werke Lachenmanns wie Ferneyhoughs sowie der Beginn der Postmoderne auch bald fünfzig Jahre her sein werden. Somit drängt es nach Antworten, die wahrlich nur durch improvisatorisches sich selbst Zuhören Moritz‘ oder krasse Strukturarbeit zu erhalten sind. Und die verdammt Alles verengende Frage, wie man das an den Mann bringen soll bzw. den nötigen Freiraum für richtiges, erstmal publikumsfernes Komponieren erhalten kann. Zu sagen, dass dies nur jede für sich kann, das wäre vor zehn Jahren noch Standard gewesen. Jetzt aber muss es heißen, dass wir nur Alle vereint in den richtigen Momenten ein „Weiterkommen“ von lebendiger Kunstmusik erreichen können. Dazu dürfen wir sie aber nicht auf Teufel komm raus auspopularisieren wie durchintellektualisieren. Die Devise lautet: Ja zu Leben und Tod in der Musik! Ja zu noch mehr Eigenständigkeit des Einzelnen aber auch viel mehr Solidarität denn je zuvor! Und Ja zu Lebensregungen der Komponistenzunft, die auch wieder andere Bereiche und Genres zurückerobern. Aber ein deutliches Nein zur Vorschriften, welche Genres dies zu sein haben. Und ganz ehrlich: all den Neo-irgendwas-auch-das-Publikum Komponisten sollten mal wieder mehr ihre Strukturarbeit denn Verkaufsstrategien denken, die Nur-für-mich-Selbst-ohne-Publikum-KollegInnen sollten das hohe Roß der Selbstbeweihräucherung mal wieder loslassen. Ihr wisst gar nicht, wie beide Fraktionen die Zartbesaiteteren an die Wand fahren. Es steht mir kaum zu, mich als einen solchen zu deklarieren. Aber es gelte: erst das Werk, dann das Wort!

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6 Antworten

  1. wechselstrom sagt:

    Grosses Neujahrsauskotzen

    Anlässlich eines Besuches der ersten österreichischen Whisky-Brennerei (in Roggendorf/Niederösterreich) erzählte der Betreiber über seine Anfänge als Schnapsbrenner (er hat vorher von der Milchwirtschaft gelebt):
    „Produzieren ist leicht – Verkaufen ist schwer“
    Hersteller alkoholischer Getränke haben wohl ähnliche Probleme wie Komponisten.

    Ein fröhliches und unbeschwertes 2012 wünscht

    – wechselstrom –

  2. Alexander Strauch sagt:

    Hilft nicht Milch gegen Alkoholübersäuerung? Wohl Hausfrauenrezept. Schon eine lustige Reihenfolge, von der Milch zum Schnaps! Empfehle zur Erbauung jenes merkwürdige Ferneyhoughsche Orchesterstück als Destille: man kommt so oder so als was Anderes hinten wieder raus: La terre est un homme. Der Mensch ist Erde? Dies erst zum Aschermittwoch…

  3. wechselstrom sagt:

    Was nun haben Landwirte (Milchwirtschaft), Schnapsbrenner und Komponisten gemeinsam: Alle leben (auch) von Subventionen.

    Ohne jetzt allzu viel Werbung für die Angelegenheiten einer Destillerie machen zu wollen, möchte ich erwähnen, dass der Verkauf von Whisky erst min. 3 Jahre nach dem Brand erfolgen kann (so lange muss das Getränk im Fass lagern).
    Und wie lange dauert es bei Kompositionen?

    So ist Ihre Anmerkung:

    Schon eine lustige Reihenfolge, von der Milch zum Schnaps!

    eigentlich DIE entscheidende Frage.
    Das Destillat (E-Musik), das lange reift, aber auch lange hält, oder die Milch (Popmusik), die frisch verbraucht werden muss, da sie schnell faulig wird?

    Mischgetränke aus Milch und Whisky gibt es auch. Hier greift aber nicht einmal die Methode Louis Pasteurs zur Haltbarkeitsverlängerung; diese cross-over-Getränke müssen sofort konsumiert werden, und sie werden auch nicht aus dem teuersten Whisky gemixt.

    – wechselstrom –

  4. Wolfgang Ponader sagt:

    Es ist ein echtes Trauerspiel, wenn man so etwas liest!Da verliert wirklich JEDER den letzten Respekt vor dem Metier…….
    Weinerliche neo-romantizistische Nabelschau mit Altersdünkel und (auf der anderen Seite) jugendlicher Frische-Arroganz verquirlt. Jeder für sich…kein Plan…keine Orientierung…..keine Außenwirkung!
    Leute, macht etwas richtiges, lasst die Musik sein…ein Feld, das es wirklich nicht mehr zu beackern lohnt.
    Mein Gott und für solchen Endzeit-Schwachsinn habe ich Jahrzehnte lang jungendliche Hörer-Kundschaft aquiriert, lächerlich!

  5. @ ponader: Ihr Lebenswerk an Musikvermittlung müssen Sie nicht gleich in Frage stellen. Wenn Sie mein Neujahrskater soweit brachte, dann tut’s mir wahrlich leid. Sehen Sie’s doch so: Sie „akquirierten“ Ihre Schüler weniger für die Worte, eher für die Töne.

    Ausserdem: Sie treffen mitten ins Geschehen:

    kein Plan…keine Orientierung…..keine Außenwirkung!

    So fühlt sich Komponieren heute tatsächlich an bzw. sollte man eine ordentliche Portion Selbstbestätigungsgabe mitbringen, um in dürren Momenten, die schnell zu Lebensjahren werden, nicht ganz unterzugehen. Im Prinzip kritisiere ich dies ja auch: Bevor heute jemand noch Töne produziert, muss er erst die richtigen Worte dazu finden. Also erst der Stempel, dann das Papier.

  6. strieder sagt:

    Wer aufgrund eines (anscheinend missverstandenen Artikels) soetwas sagt, scheint ja nicht wirklich was für die Neue Musik übrig zu haben bzw. die Musik nicht mal wenigstens nur zu mögen …