Die Verherrlichung der Stille
Immer wieder begegnet man ihr, in Texten und vor allem Kritiken über Musik, der Beschwörung der Stille. Spätestens seit Cages „Silence“-Texten und „4’33““ ist es geradezu Mode geworden, ominös entweder daraus zu zitieren oder der Stille zwischen den Tönen eine geradezu mythische Kraft zuzuschreiben.
Nun bin ich der letzte, der etwas gegen Stille hat. Wenn ich die Wahl habe, entweder einem der Casting-Zombies aus einer der endlosen Casting-Shows dabei zuzuhören, wie er (oder muss man „es“ sagen?) einen schlechten Song schlecht singt, oder mich absoluter Stille hinzugeben so wähle ich gerne letzteres. Stille ist etwas schönes. Auch ist es schön, wenn weder in Ubahnhöfen noch in Fahrstühlen noch in Supermärkten noch in leeren Restaurants irgendeine verschissene Muzak läuft, oder noch schlimmer: gute Musik, die dort nicht hinpasst (wie zum Beispiel die jahrelang in München am Ubahnhof Giselastraße gespielte „Serenade für Streicher“ von Tschaikowskij – ich bin sicher, dass diese Musik dort mindestens 25 Selbstmorde und mehrere Gewaltverbrechen verursachte, aber leider kann ich es nicht beweisen).
Aber mit der Stille und der Musik ist es wie mit dem Leben und dem Tod. Wo das eine ist, gibt es das andere nicht, und umgekehrt. Oder um Epikur zu zitieren: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.“.
In einem Stück Musik ist Stille nichts als Rhythmus – die Pause zwischen zwei Tönen, zwischen zwei musikalischen Ereignissen. Diese Pausen können sicherlich aufgeladen, mit Erwartungshaltung gefüllt sein, geschenkt. Es gibt viel tolle Musik, die mit diesen Pausen wunderbar umgeht, so zum Beispiel Wilhelm Killmayers nach wie vor fantastische Stücke aus den 70er Jahren, wie „The Woods So Wilde“, oder „Symphonie 1“ und „Symphonie 2“. Aber seien wir mal ehrlich: es ist keine Stille. Stille herrscht, wenn die Musik vorbei ist (oder auch nicht, denn meistens tritt etwas anderes an deren Stelle, z.B. Applaus). Absolute Stille ist ohnehin etwas sehr seltenes und nicht wirklich interessantes – man fühlt sich sogar unwohl, wenn man z.B. längere Zeit in einem schalltoten Raum verbringt (das weiß jeder, der mal im Rundfunk gearbeitet hat). Wo Leben ist, gibt es keine Stille. Daraus folgt: Wo Musik ist, gibt es keine echte Stille.
Nichtsdestotrotz fühlen sich immer wieder Kritiker poetisch inspiriert, die Stille zu verherrlichen. Die Stille vor oder die Stille nach den Tönen hat es ihnen angetan. Vielleicht sehnt man sich als Kritiker danach, schließlich muss man meistens gezwungenermaßen Mucken anhören.
Ist es zu ergründen, das Wesen der Musik?
Tja, Hammerfrage, Hammeranfang, für eine Kurzkritik eines Konzertes mit András Schiff, übertitelr „Resonanzkunst“, FAZ, 12. Dezember, Seite 28, Autor: rre
András Schiff begibt sich bei seinem Klavierabend in der Kölner Philharmonie auf auserlesenes, abgelegenes Terrain, und wirft, wie um die Frage zu beantworten, seine Wünschelrute aus.
Na, so lange er uns nicht mit anderen Ruten kommt…bestimmte Karikaturen des wunderbaren F.K. Waechter fallen hierbei sofort ein („Sein Spiel ist bezaubernd – wenn ihm nur nicht sein Schwanz aus der Hose hängen würde“ aus „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“).
Zum faszinierenden Fundstück werden acht Takte Musik von Jörg Widmann. Ein zweistimmiges, still (sic!) bewegtes Linienspiel, das der Pianist so zart wie kraftvoll in den Raum bannt; leuchtend verklingt es auf einem Hochton, während in der Unterstimme, pianissimo, ein fernes Echo tönt. Es ist das erste der im vergangenen Jahr für Schiff geschriebenen „Intermezzi“, auf dessen acht sphinxhafte Takte eine Generalpause folgt.
Vorneweg: András Schiff – einer meiner Lieblingspianisten. Jörg Widmann – einer meiner Lieblingskomponisten. Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen. Aber dieses Sprachgewubber haben beide nicht verdient: Klar, wenn das „achttaktige Stück“ vorbei ist, folgt zwangsläufig eine Generalpause, daran ist nichts geheimnisvolles, selbst wenn Hochtöne „leuchtend verklingen“ (wow).
In ihr hat Widmann auskomponiert, wohin es alle Musik nach ihrem Erklingen zieht: Stille. Sie währt vielleicht fünf Sekunden – ein Moment zerbrechlicher Schönheit, der den inneren Blick ins Unbegrenzte öffnet, in dem die verklungene Musik von außen „lauter wird in unsern Seelen“ (Jean Paul).
Mir ist auch schon ganz lauter vor dieser Sprachgewalt. Aber es kommt noch besser:
Schiff stellt Widmanns innige Echoraummusik in einen Resonanzraum…
(ich nehme an hier ist gemeint, dass er sie in der Kölner Philharmonie spielt, ein ganz hübscher Resonanzraum)
…und knüpft sie beziehungsreich an ähnlich erinnerungsversunkene Stücke: die Intermezzi op. 117 von Brahms, epigrammatische Totenklagen Kúrtags…
(hierbei entscheidend: wo „Kúrtag“ steht, muss irgendwann auch mal „epigrammatisch“ stehen)
…die „Geistervariationen“ von Schumann, Miniaturen von radikaler Reduziertheit, intim und inwendig, die bei Schiff über Abgründen errichtet sind, dem Verstummen nah. Ihre lieblichen Wohnungen öffnen sich dem, der heimlich lauscht.
(also weder „rre“ noch dem Publikum in der Kölner Philharmonie, denn die lauschen ja nicht „heimlich“, sondern einem öffentlichen Konzert)
„Das Geheimnis nach einem Klingen, auch das antizipierende Vor-Klingen – der Raum dazwischen macht für mich das Wesen der Musik aus.“ schreibt Jörg Widmann zu seinen „Intermezzi“, und es ist András Schiff, der diesem Raum Gestalt verleiht, ihn hörbar und erlebbar macht.“
Naja, er spielt das Stück halt. Und wie es eigentlich klang, dieses achttaktige Stück – erfahren haben wir es nicht. Irgendwie „Echoraummusik“ oder so. Aber die Stille danach, die war irre!
Schöneres ist von einem Interpreten nicht zu erwarten.
Und schönere Kritikerlyrik auch nicht vom Feuilleton. Danke, rre, jetzt weiß ich endlich, was man als Komponist machen muss: kurze, fragmentarische Stücke schreiben, voller ominöser Pausen, diese dann „sphinxartig“ irgendwie platzieren vor Meisterwerken der klassischen Musik (man kennt ja seinen Platz – als lebender Komponist sitzt man grundsätzlich am Katzentisch der Musik). Je weniger Töne man schreibt, desto mehr kann der Kritiker hineininterpretieren.
Zuviel Musik, zuviel Lebendigkeit würde da nur stören.
Gibt es eigentlich stille Kritiken? Wäre auch mal ganz schön…
Moritz Eggert
Komponist
Moritz, Danke für diesen Beitrag.
Spricht mir aus der Seele. Wie oft wird das Thema Stille“ und „Lauschen“ bemüht oder das der „konsequenten Reduktion“ etc., wenn einem (Kritiker wie manchmal Komponisten) nichts (besseres) einfällt.
Die Stille (die wir nicht mehr haben), wird auch zur Weihnachtszeit immer wieder aus dem Ärmel gezogen. Alle Jahre wieder… Auch dieses „Stille nacht“ kann ich nicht mehr hören.
Lieber Moritz, „Stille“ ist tatsächlich ein hartnäckiger Fetisch der Musikkritik und auch einiger Komponisten (bsp.weise in der Improvisierten Musik, wo ich mich etwas besser auskenne; hier wären v. a. Radu Malfatti und Taku Sugimoto zu nennen), aber auch von Toningenieuren habe ich schon gelegentlich verblüffende Apotheosen des Ton-Losen zu, äh, hören bekommen. All dem gemein scheint mir eine Verwechslung von Stille mit Ruhe bzw. so etwas wie „Innehalten“, „innerer Sammlung“ oder Ähnlichem zu sein – ein nur allzu verständliches Bedürfnis im Zeitalter des information overload. Eine Verklärung der „Stille“, hervorgebracht von Menschen, die professionell viel Musik hören müssen, scheint mir also eher eine Art Zivilisationsphänomen zu sein, eine mögliche Vorstufe eines bevorstehenden burnout, wo dann diabolischerweise ein Tinnitus jegliche Stille für den Rest des Lebens verhindern kann.
Wieder geht es um die Verbalisierung der Musik, die ja geschrieben wurde, weil etwas mit Worten oder Bildern nicht zu sagen oder auszudrücken war. Irgendwie wollen manche Kritiker partout beweisen, dass es nur darauf ankommt, w e r die Worte findet und montiert, um es dann doch mit der eiegntlich nonverbalen Aussagekraft der Musik aufzunehmen zu können.
So passiert es, dass wir Leser am Ende weder eine deskriptive Darstellung der objektiven, kompositorischen Substanz erhalten n o c h eine brauchbare Hinführung zum sinnlichen Geheimnis der gespielten Musik.
Die stillen Pausen sind als gestaltete Zeitmaße immer auch Musik. Und sind es immer gewesen.
Was man aber heute bedenken sollte: Das kompositorische Angebot von freigestellter Stille, in die dann die Musik nach-oder vorklingt, ist vieleicht ein Phänomen unserer zugedröhnten Welt. Komponisten müssen erst mal tabula rasa machen, damit das Publikum neu hören kann.
Die Zeit wird kommen, da wir ein Konzert mit psychoakustischer Gymnastik beginnen.
Klingt für mich wie die Gebrauchsanleitung zum Betrieb eines Dieselmotors (VorKlingen – VorGlühen)- wer baut den schnellsten Traktor? tocka-tocka-tocka —-kghrrr -pfff – (Stille)
– wechsrelstrom –