Der „Yeah“-Faktor. Oder: „Denglisch für Komponisten“.

turbulent ging der November zu Ende: das YEAH! Festival tobte durch Osnabrück und endete festlich mit der Verleihung des 1. YEAH! Young EARopean Award und des junge ohren preis 2011. Die Tage in Osnabrück waren so wunderbar wie aufreibend und klingen bei uns noch vielstimmig nach.

So begrüßte mich neulich eine Email der von mir sehr geschätzten Ingrid Allwardt und Katharina von Radowitz vom Netzwerk für Junge Ohren. Weiter geht es so:

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Die Preisträger des 1. YEAH! Young EARopean Award stehen fest
Fünf Musikprojekte haben sich im Rennen um den 1. YEAH! Young EARopean Award durchgesetzt. Der Preis wurde in zwei Kategorien vergeben: In der Kategorie „Performance“ wurden das österreichische Sonus Brass Ensemble mit dem inszenierten Konzert Rocky Roccoco und das Projekt slagRoom des Percussion-Ensembles Triatu + 1 in Zusammenarbeit mit Jeugd en Muziek aus Belgien ausgezeichnet. In der Kategorie „Process“ gewinnen Small Composers des Figura Ensembles (Dänemark), Von Sternen, Nebeln und Galaxien der regionale X, Steiermark, Arcana Festival St.Gallen/Gesäuse (Österreich) und VOID der Hamburger Klangwerktage – Festival für zeitgenössische Musik. Ein Sonderpreis der Deutschen UNESCO-Kommission geht an den Komponisten und Gitarristen Marc Sinan und die Dresdner Sinfoniker mit ihrem Intendanten Markus Rindt für das Projekt Hasretim – eine anatolische Reise

Was ist hier zu bemerken, zu ironisieren? Eigentlich gar nichts – es handelt sich um einen vollkommen üblichen Text wie man ihn jeden Tag dutzendfach ins Postfach bekommt. Vielleicht fällt uns deswegen auch gar nicht mehr auf, wie sehr sich die Sprachlichkeit der Neuen Musik verändert hat. Sie ist – und das ist der vielleicht entscheidenste Trend der letzten Dekaden gewesen – immer internationaler geworden, ihre Sprache ist das Englisch und im Deutschen Sprachraum immer mehr das Denglisch, also die Vermischung englischer Begriffe wie „Performance“ oder „process“ (im obigen Besipiel) mit deutscher Sprache. So heißt ein Blechbläserensemble eben nicht mehr Blechbläserensemble (zu lang, zu deutsch), sondern auf jeden Fall „Brass Ensemble“ (was völlig ok ist, denn die Jungs wollen ja auch im Ausland spielen).
Was lernen wir noch? Die Hamburger Klangwerktage haben also den „Young EARopean Award“ gewonnen, mit einem „Process“ namens „Void“, was auch immer das ist. Trotz Englischkenntnissen macht sich hier Ratlosigkeit breit: was genau hat da gewonnen? Ein „Prozess“ namens „Leere“? Sloterdijk, hilf!

Wie sehr die Sprache der Neuen Musik nicht nur inzwischen von englischen Hilfswörtern sondern auch von abenteurlichen Sprachkonstruktionen abhängig ist, mag folgendes Beispiel verdeutlichen:

In der Kategorie Best Practice für Konzertformate gewinnt das Ensemble Xthesis aus Vorarlberg mit der Produktion Die verlorenen Schritte. Den Preis Kategorie Best Practice für partizipative Projekte erhält das Projekt Rückspiegel: eine Hörsituation des Konzerthaus Berlin im Rahmen von ohrenstrand.net, in Zusammenarbeit mit der Komponistin Juliana Hodkinson und Berliner Schulen. Ausgezeichnet in der experimentellen Kategorie LabOhr wird das Musik-Sport-Projekt Klangsport der Gruppe theaterformen aus Münster in Zusammenarbeit mit dem Landessportbund und der Sportjugend NRW

„Xthesis“ (???), „partizipative Projekte“ (früher hieß das: „Musik zum Mitmachen“), „Rückspiegel: eine Hörsituation“ (what the f***????), „ohrenstrand.net“ (soll ich mir da jetzt einen Strand aus lauter Ohren vorstellen? Und die Musik ist die Welle, die da drüber klatscht? Genau so ist es? Das-habe-ich-mir-gedacht.net. „experimentelle Kategorie LabOHR“ könnte genausogut auch „expEARimentelle Category LabOHRatOHRy“ heißen, wenn man die Begriffsdopplung noch mehr auf die Spitze treiben will. Und was zum Teufel ist „Klangsport“? Können Klänge überhaupt Sport treiben?
Überhaupt: das Thema Ohren! EARopean, Ohrenstrand, LabOHR! Wie viele Ohren müssen es noch sein? Ich bin wirklich kein Cage-Hasser, aber wenn ich noch einmal irgendwo den Begriff „Happy New Ears“ lesen muss, dann kotze ich. Ehrlich.
Was, Hans Zender hat gerade seinen Preis so genannt? Und der ging an EnNO POPpe?

Noch mehr gefällig? In der selben Mail lese ich:

SOUNDCAKE – Ohrenhoch Kids 2010
Aus Anlass der Nominierung für den diesjährigen junge ohren preis zeigen die ohrenhoch-Kids und Knut Remond die Videodokumentation SOUNDCAKE und offerieren parallel dazu die grandiose TONTORTE, ein Zeitdokument der multikulturellen Ausstrahlung von Neukölln. Ein geschmackvolles Highlight für die Ohren als Alternative zu Spekulatius und Marzipankartoffeln – garantiert kalorienarm.

Was wollen uns „Klangkuchen“ und die Ohrenhoch-Kids sagen (wer sind die und was wollen die von mir? Sind das etwas Borribles?) Immerhin sind es nicht die Händehoch-Kids, denn die trifft man sonst in Neukölln, garantiert ein geschmackvolles „Highlight“ zu später Stunde. Und sicher ganz kalorienarm, höhö! Und wer erklärt mir jetzt den Unterschied zwischen „Soundcake“ und „TONTORTE“? Was weiß Knut Remond was ich nicht weiß, und was hat das Ganze mit der „multikulturellen Ausstrahlung von Neukölln“ zu tun???

Wie gesagt, ich will mich hier nicht über das Netzwerk Junge Ohren lustig machen – die geben hier ja nur wieder, was ihnen aus der ganzen Republik so geschickt wird. Und wenn wir ehrlich sind, sind wir alle nicht gefeit vor Anglizismen und „witzischen“ Wortspielen. Ja, auch ich war mal an Titelfindungen wie „ADEvantgarde“ und „Lauschangriff“ beteiligt. Ich schäme mich auch dafür.

Sicher ist nur: Die Zeiten von Bezeichnungen wie „Verein für musikalische Privataufführungen“ sind lange vorbei. Heute würde das: „intimate music: NOW“ oder „Xsciety V-OHR-führungen INitiative“ heißen.

Moritz Eggert

PS: Ich bin übrigens stets interessiert an schönen Beispielen von „Neue Musik – Denglisch“

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6 Antworten

  1. Erik Janson sagt:

    Kleine Ergänzung dazu: die vielen Mottos zu Konzerten und Konzertreihen, wie z.B. „anglophilie“ des Ensemble Surplus.Die Einladung, mit einem kreativ erstellten Zwitter aus Britanien- und USA-Flagge war (bezeichnenderweise am Tag des Konzertes erst) in meinem Briefkasten. Würde einem mal einfallen, ein Konzert oder eine Reihe ironisierend oder als Gegentrend mit „Germanophilie“ zu betiteln, gälte man sicher vielen als „rechts“, als nationalistisch, politisch inkorrekt oder dergleichen.

  2. Erik Janson sagt:

    An den Admin! Hilfe, was habt Ihr mir für ein Elch-mäßiges, norisch-braunes ICON verpasst.
    Macht das ein Zufallsgenerator?
    Ich will sofort mein altes Icon mit dem blauen GRIMM GESICHT (Zähnefletschen) wieder haben!

    Schönen Tag und allseits viel Spaß mit den Anglizismen. Das steckt sogar mich schon an, bin auch schon teilweise auf englischsprachige Werktitel umgeschwenkt. Was tut man nicht alles…

    ;-)

  3. wechselstrom sagt:

    Ich will auch sofort mein altes Icon mit dem grünen GRIMM GESICHT (Zähnefletschen) wieder haben!

    – wechselstrom –

  4. Erik Janson sagt:

    @ Wechselstrom: Fürchte, die neoliberal-harmlosen Logos haben wir uns selbst zu zu schreiben. Wir sind zu HANDzahm hier geworden, die Hörner sind abgewetzt …. ;-)

  5. strieder sagt:

    Seid doch mal kreativ und bastelt ein eigenes :P

  6. @ streder, stimmt. ich habe die alten wavatare trotzdem reaktiviert. die neuen – passend – hießen retro. Und in der tat, die werden automatisch generiert über die mailadresse mit der man hier unterwegs ist. (man kann also sehen, wenn man die versehentlich falsch eingibt, dann ist der wavatar auch anders ;)