In der Fremde (6): Ludger Kisters in Neuseeland, Teil 1
Auf der Suche nach Berichten von Erfahrungen deutscher Komponisten im Ausland stieß ich auf den Komponisten Ludger Kisters, der wahrscheinlich die weiteste Reise von allen unternommen hat, nämlich nach Neuseeland.
Da Neuseeland so ziemlich der weitest vorstellbare Ort von Deutschland ist, wissen wir naturgemäß fast nichts darüber, außer dass man dort „Herr der Ringe“ (in dem Ludger sogar als Statist mitgespielt hat) gedreht hat und es irgendwie schön dort ist.
Ludger ist in Rheinbach bei Bonn geboren und hat eine vielseitige Ausbildung bei Komponisten wie Michael Obst (Weimar) und Jack Body (Wellington) genossen, mit einem starken Schwerpunkt auf Elektroakustik und Computermusik, Klanginstallationen und der Beschäftigung mit außereuropäischen Instrumenten wie auch KLangmaterial. Seine Reisen führten ihn um fast die ganze Welt, unter anderem auch für den BR in den Regenwald. Sein Schaffen beinhaltet auch eine Kammeroper, „Das Laboratorium mundi des Herrn Agrippa“, sowie Kammer- und Orchestermusik.
Mehr Infos sind hier zu finden: http://www.ludgerkisters.de/page2.php
1) Was hat Dich damals bewogen, nach Neuseeland zu gehen? Waren es musikalische oder private Gründe, oder einfach nur Neugier auf eine andere Kultur?
Meine Erfahrungen mit Neuseeland haben ihren Ursprung in einer vierwöchigen Reise im Jahr 2001. Diese Reise führte zu dem Wunsch, längere Zeit auf diesen Inseln im Pazifik zu verbringen. Ein wichtiger Grund für meinen 2003 folgenden, einjährigen Aufenthalt in Neuseeland war die traditionelle Maori-Musik, welche ich bei einem Konzert in Auckland kennen gelernt hatte. Dabei interessierten und faszinierten mich insbesondere die geräuschhaften und mikrotonal gespielten Instrumente. Auch hatte ich die Musikhochschule in Wellington (School of Music, Victoria University of Wellington) und ihr gut ausgestattetes Tonstudio besucht sowie mit einzelnen Kompositionsprofessoren (John Psathas und Jack Body) gesprochen und auf diese Weise einen sehr positiven Eindruck von den Studienmöglichkeiten gewonnen. Ein weiterer Grund war die einzigartige Natur dieser sehr dünn besiedelten Inseln, welche ich bei ausgedehnten, mehrtägigen Wandertouren schätzen gelernt hatte. Und schließlich hatte mir auch die entspannte und sehr gastfreundliche Atmosphäre in Neuseeland überaus gut gefallen. Hinzu kam noch das Angebot, an der Musikhochschule in Wellington als Kompositionstutor zu arbeiten, aber auch die großzügige Förderung des Studienaufenthalts durch die Weimarer Musikhochschule war für die Entscheidung nicht unerheblich. Insofern handelte es sich um eine Mischung aus musikalischen und privaten Gründen.
2) Was würdest Du als die gravierendsten Unterschiede zwischen der Deutschen und neuseeländischen zeitgenössischen Musik(szene) beschreiben? Welche Probleme gibt es/ was ist besser (in Neuseeland)?
Eine entspannte Atmosphäre fand ich auch in der zeitgenössischen Musikszene vor, d.h. „Schubladendenken“ ist meiner Ansicht weniger ausgeprägt als in Deutschland, genreübergreifende Projekte, z.B. mit DJs, Free Jazz-Musikern etc. sind häufiger. Die technische Ausstattung des elektroakustischen Studios in Wellington war zum damaligen Zeitpunkt zwar nicht so umfassend wie die der Weimarer Musikhochschule, dafür gab es aber eine längere Tradition von Soundscape-Kompositionen, welche in Neuseeland, bedingt auch durch die einzigartige Natur, bis in die 1960er Jahre zu den Arbeiten von Douglas Lilburn zurückreicht. Sehr spannend fand ich die vielfältigen Beziehungen zwischen traditioneller Maori-Musik und Neuer Musik in Neuseeland, welche sich in verschiedenen Kompositionen manifestiert haben. Dabei geht es auch um eine Emanzipation von der lange Zeit prägenden britischen Musiktradition, um die Suche nach einer spezifisch neuseeländischen Musik. Eine vergleichbare Suche kenne ich in Deutschland nicht. An dieser Stelle erscheint es mir zunächst sinnvoll, auf die Musikkultur der Maori detaillierter einzugehen:
Maori-Musik
Von Asien kommend besiedelten polynesische Völker eine Vielzahl pazifischer Inseln, z.B. Hawaii, die Osterinseln und auch Neuseeland. Die Polynesier, welche wahrscheinlich von etwa 1250 bis 1300 n. Chr. Neuseeland besiedelten, nennen sich Maori, in ihrer Sprache heißt Neuseeland Aotearoa, „Land der großen weißen Wolke“. Ab ca. 1800 begannen die ersten Europäer, sich in Neuseeland anzusiedeln, zunächst Robben- und Walfänger sowie Missionare. 1840 schlossen die meisten Maori-Häuptlinge mit den europäischen Siedlern den Vertrag von Waitangi. Darin wurde festgelegt, dass Aotearoa Teil des britischen Königreichs wird und als Gegenleistung der Besitz und die Kultur der Maori geschützt werden sollte. Die Deutung des Vertragstextes ist aber bis heute z.T. umstritten, da der Vertrag in zwei Versionen existiert, nämlich auf Englisch und Maori. Der Vertrag ist bis heute Grundlage des mittlerweile unabhängigen Staates Neuseeland, allerdings kam es im 19.Jh. trotz des Vertrags zu Kriegen zwischen Europäern und Maori, welche für einige Maori-Stämme u.a. den Verlust wertvollen Lands nach sich zogen. Weitere widerrechtliche Enteignungen durch die Kolonialregierung folgten, des Weiteren dezimierten eingeschleppte Krankheiten die indigene Bevölkerung beträchtlich. Von 1907 bis 1962 wurde die Ausübung der traditionellen Maori-Religion in Neuseeland unter Androhung von Gefängnisstrafe verboten, in Schulen durfte nur Englisch gesprochen werden. Heute sind etwa 15 Prozent der 4 Mio. Einwohner Aotearoas Maori, neben Englisch ist Maori seit 1987 offizielle Landessprache, allerdings wird diese polynesische Sprache nur noch von einem Viertel der Maori-Bevölkerung beherrscht. Seit 1975 gibt es das Waitangi Tribunal, welches Verletzungen des Treaty of Waitangi durch Landrückgabe, Geldzahlungen etc. zu entschädigen versucht. Während traditionelle Tänze wie der aggressiv wirkende Haka Ka mate! Ka mate! (er entstand zu Beginn des 19.Jh. und wird z.B. regelmäßig vom nationalen Rugby-Team vor den Spielen aufgeführt) und die kunstvoll geschnitzten Versammlungshäuser (Marae) das Erscheinungsbild Aotearoas bis heute prägen und auch weiter entwickelt werden, wurde die Tradition der Maori-Musikinstrumente, Taonga puoro – Klangschätze – genannt, im 19.Jh. vor allem in Folge der Missionierung unterbrochen. Da diese Instrumente in der traditionellen Religion der Maori eine zentrale Rolle einnahmen, wurden sie von den Missionaren verboten oder angesichts des Niedergangs der Religion von den Tohunga (Priestern) selbst zerstört. Die große Bedeutung der Musik für die traditionelle Religion der Maoris zeigt sich z.B. an folgendem überlieferten Satz aus einem Schöpfungsmythos: „It was in the night that the Gods sang the world into existence.“ Seit den 1980er Jahren gibt es eine Bewegung, die Instrumente wieder zu neuem Leben zu erwecken, insbesondere innerhalb der Maori-Community, aber auch im Rahmen von Rockmusik, Free Jazz und Neuer Musik. Dazu werden Instrumente aus Museen nachgebaut und alte Maoris nach ihrer Spielweise und Funktion befragt. So wurde das Porotiti (kleines Schwirrholz) zu Heilzwecken eingesetzt, während das Purerehua (großes Schwirrholz) eine Verbindung vom Spieler zur Geisterwelt aufbauen sollte. Da die Natur bis heute von großer spiritueller Bedeutung ist, imitieren viele Instrumente durch Aussehen und Klang die Natur, z.B. das Putorino, eine Mischung aus Trompete und Flöte, welches durch seine Form das kokonartige Gebilde nachahmt, welches von weiblichen Exemplaren einer neuseeländischen Nachtfalterart bewohnt wird. Die leisen Lockrufe des Nachtfalterweibchens werden zudem durch die Flötenklänge des Putorino imitiert. Ein weiteres Beispiel ist das Hue puru wai, ein getrockneter Kürbis, welcher durch kontinuierliches Drehen die Klänge eines kleinen Bachlaufs evoziert. Die einstimmigen Tonhöhenverläufe traditioneller Maori-Musik sind meist mikrotonal und überschreiten selten eine Quarte. Europäische Melodik, Dur/Moll-Harmonik und Instrumente wie die Gitarre haben die Maori in vielen Waiata (Lieder) übernommen, z.B. im Liebeslied Pokarekare ana.
(Fortsetzung folgt in ca. 3 Tagen)
(Das Interview führte Moritz Eggert)
Komponist