Ferientagebuch I (Versuche, durch Fremdeinwirkung die Schreibblockade zu überwinden).
Am 23. 7. 2011 um 20:37, im ICE 290
Das Bloggerdasein ist eine Pein (unfreiwilliger Reim). Ständig fragt man sich, worüber man als nächstes schreiben kann, täglich bekommt man Mails von aufgebrachten Lesern – von den Kommentatoren ganz zu schweigen – und immer wird man auf der Straße angesprochen, Mensch Herr Monrad Møller, da haben Sie sich aber ganz schön aus dem Fenster gelehnt etc. Ganz selten wird einem auch freundlich auf die Schulter geklopft, wird schon wieder!. Trotzdem schreibe ich weiter, denn: manchmal kommt hier ein kleines migriertes Nachbarskind zur Tür rein und fragt mich, im Türrahmen lauernd, schreibst du wieder Internet?. Die Bejahung dieser Frage ist das Schönste, was man diesem Kind geben kann. Es hüpft dann freudig und klettert den Türrahmen empor. Leider gibt es das Kind aber gar nicht, ich bilde es mir nur ein. Aber jetzt fiel mir noch ein, was man hier schreiben könnte. (Über Musik muss man ja nicht schreiben. Oder doch?). (Ich sollte mir mal die tausend Klammern abgewöhnen, schlechter Stil). Dieser Ort könnte der perfekte Platz sein, um einen schon lange gehegten Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen. Seit ich Zeitung lese, und das ist schon eine ganze Weile, denn ich war als Kind sehr neugierig und ein fleißiger Leser alles Les- und Unlesbaren, träume ich davon, einmal alle Rubriken, zu denen Berühmtheiten eingeladen oder interviewt werden, auszufüllen (wahrscheinlich eine frühe Sehnsucht nach Ruhm). Angefangen beim Fragebogen des „Focus“ bis zu „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“, was man dann natürlich umbenennen müsste. Die Rubrik, die ich am liebsten ausfüllen würde, wäre eine, die mittlerweile eingestellt wurde, „Die Platte meines Lebens“ aus der Zeit. Da aber die Platte meines Lebens entweder mit Palestrina ist, oder ich sie noch nicht gefunden habe, lohnt es sich wahrscheinlich doch nicht, an diesem Ort darüber zu schreiben. (Außerdem ist das Konzept „Platte“ ja sowieso veraltet).
Am 30. 7. 2011, 20:41 in Leipzig-Stötteritz
Soeben googelte ich den Focus-Fragebogen. Ich bin froh, dass ich ihn nicht beantworten muss. Schon die erste Frage: „Was gefällt ihnen an sich besonders?“ Hm. Keine Ahnung. Auf jeden Fall eine Wesenseigenschaft, nichts körperliches. (Peinlich berührte Stille). Erinnert mich jetzt grad an den Gehörbildungsprüfer von neulich: „Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben, Herr Monrad Møller?“ Hm. Keine Ahnung. Auf jeden Fall eine Wesenseigenschaft, nichts körperliches.
Die nächste Frage im Focus: „Welches politische Projekt würden Sie beschleunigt wissen wollen?“ Vielleicht die Heiligsprechung von Lady Di? Ne, ernsthaft. Ein bisschen resigniert bin ich schon, in Bezug auf politische Dinge. Und: es gibt so viel zu tun. Blöder Fragebogen.
„Was treibt Sie an?“ Die Vergänglichkeit?
„Wem würden Sie einen Orden verleihen?“ Orden sind überbewertet.
„Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz?“ Stolz ist überwertet. Vielleicht aber darüber, dass ich heute morgen noch vor dem aufstehen mit mir selbst geredet habe.
„Als Kind wollten Sie sein wie …?“ Ich kann mich daran erinnern, dass ich irgendwann mal vor dem Spiegel stand und mein Kinn zu einem imaginären Doppelkinn an die Brust gepresst habe und dann im Pfälzer Dialekt gesagt habe „Ich bin Helmut Kohl“. Den fand ich aber damals schon doof.
„Wie können Sie am besten entspannen?“ Rotwein wäre jetzt die richtige Antwort, mag ich aber eher nicht so. Ich leg mir freitagabends immer son schönen Lachenmann auf und schlafe dann dabei ein.
„Was ist für Sie eine Versuchung?“ Endlich eine Frage, die ich mag. Der Fragesteller scheint davon auszugehen, dass es eine Art Sünde gibt. Da bin ich total dafür. Also für die Idee der Sünde. Ich komme bei Hollywood in Versuchung. Mag ich manchmal. Ist aber voll dumm. Ach und was die Sünde betrifft, möchte ich noch sagen, dass es viel mehr Übertretungen gibt, als man so denkt. Zum Beispiel ganz viele überflüssige Stücke.
„Was war Ihr schönster Lustkauf?“ Neulich kaufte ich mir die gesammelten Schriften von Adolf Loos. Hab mir aber schon viele schöne Sachen gekauft. Voll der Kapitalismusscheiß hier.
„Welches Lied singen Sie gern?“ „Quotidianus“ von Julio Estrada.
„Schenken Sie uns eine Lebensweisheit …“ Man kann Kapern und Oliven nicht gegeneinander ausspielen.
„Für welchen Maler würden Sie viel Geld ausgeben?“ Ich gestatte mir, die Frage umzuformulieren.
„Für welchen Komponisten würden Sie viel Geld ausgeben?“ Huch, jetzt funktioniert die Frage nicht mehr. Der Komponist als Prostituierter, wie schön.
„Wo hätten Sie gern Ihren Zweitwohnsitz?“ Ich reise gern.
„Was können Sie besonders gut kochen?“ Sehr vieles. Ich höre dabei auch gerne „Neue“ Musik.
„Was wäre Ihre Henkersmahlzeit?“ Obst von Enno Poppe.
„Mit wem würden Sie gern einen Monat lang tauschen?“ Das ist wirklich eine sehr sehr schwere Frage. Ich bin eigentlich ganz zufrieden so. Was wäre der Sinn eines solchen Tausches? Meine Antwort ist: siehe „Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?“
„Hier können Sie drei Bücher loben …“ Die Beantwortung dieser Frage widme ich Martin Schüttler: 1. Dunja Wild: „Sehnsucht nach Mutterglück“, 2. Kristina Brunner: „Schicksal am Rosensee“, 3. Claudia von Hoff: „Ihr Traum war nicht die Fürstenkrone“
„Wo bleiben Sie beim Zappen hängen?“ Dokumentationen und Werbung.
„Wo zappen Sie immer weg?“ Dokumentationen und Werbung.
„Ihre Lieblingsschauspielerin?“ La Toya Jackson.
„Ihr Lieblingsschauspieler?“ Der Typ von Mr. Bean.
„Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?“ Man, die fragen nerven, man muss ständig generalisieren. Ich würde gerne einen verrückten Typen nehmen, denn „ein Film ist nur so gut wie sein Bösewicht“. Geht aber nicht als Liebling.
„Was sagt man Ihnen nach?“ Das weiß ich nun wirklich nicht.
„Was mögen Sie an sich gar nicht?“ Manchmal bin ich sauer auf alle und ich bin ein schlechter DJ auf Partys.
Jetzt habe ich doch alle Fragen beantwortet.
Am 6. 8. 2011 in Oeversee, Schleswig-Holstein
Gestern vor dem Einschlafen hatte ich wieder so einen Aufschreck-Moment. Ich schrieb dann in mein Notizbuch: „Gute Kunst setzt nicht Frage-, sondern Ausrufezeichen.“ Was nicht heißen soll, dass gute Kunst nicht AUCH Fragezeichen setzen darf. Wie gesagt, es war kurz vor dem Einschlafen.
Ansonsten ist hier Flaute, verzeiht mir. (Das Wetter ist auch beschissen!).
Noch mal umformuliert: „Für welchen Mahler würden Sie viel Geld ausgeben?“