In der Fremde (5): Daniel N. Seel in Korea (2. Teil)

…und hier der zweite Teil des Textes von Daniel N. Seel:
(Moritz Eggert)

Zweiter Teil

Werbung

Vor dem rekonstruierten Königspalast, dessen Original die Japaner zerstört hatten, posieren als mittelalterliche Wachen kostümierte Soldaten mit falschen Bärten. An kitschigen Fassaden dieser Art für nicht allzu zahlreiche Touristen ist den Regierungen seit jeher mehr gelegen als an der Förderung der eigentlichen Kultur und als an der Bewahrung des nationalen und universalen Erbes.
Das Wichtigste an der Musik scheint dabei die dazugehörige Lightshow zu sein – man hört sie nur noch aus Lautsprechern, meist von großen Bühnen, fast nie in passenden Räumen und seltenst in voller Länge. Kleine, nette Häppchen genügen dem Volk und den Besuchern anscheinend vollkommen.

Weder die jüngere noch die ältere Generation haben das Bewusstsein oder die Kraft, auch kein ernsthaftes Interesse daran, in die Kunst des Landes zu investieren und die Strapazen, die zum Beispiel in der traditionellen Musik mit der oralen Überlieferung verbunden sind, auf sich zu nehmen. Die letzten großen Meister sterben aus, werden vergessen oder schaffen sich selbst ab. Eine handvoll Musikwissenschaftler versucht schnell noch schriftlich zu fixieren, was nicht schriftlich fixiert werden kann, zu bewahren, was auf bequemem, archivarischem Wege nicht zu bewahren ist, bevor der lebendige Reichtum einer jahrhundertealten Tradition, welche sogar die japanische Besatzung überlebt hat, endgültig von Profitsucht und Fortschrittsgläubigkeit, von nationalistischen Komplexen, überladener, verkrampfter Eitelkeit und unheilvoller Obrigkeitshörigkeit verdrängt und somit der Vergessenheit anheim gefallen sein wird.

Was mich allerdings nach wie vor an koreanischer traditioneller Musik fasziniert und bewegt, was ich auch noch ertrage, wenn ich es höre, wo ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben habe, weil (vielleicht) noch ein Tier im Zoo überlebt hat:
der klassische Gesang (Kagok, Kasa, Shijo), die höfische Musik, die, wenn man Glück hat, einmal im Jahr mehr oder weniger authentisch aufgeführt wird (Chongmyo Cheryeak, Yongsanhoesang…), die Volksmusik und volkstümliche Varianten (Sanjo, Shinawi, P´ansori, Ch´ang-geuk…) und die beinahe ausgestorbene schamanistische Ritualmusik.
Was man getrost vergessen kann ist der koreanische Jazz, der koreanische Pop, die koreanische Neue Musik: da gibt es nichts, so gut wie nichts, alle zehn Jahre mal ein misslungener Ausbruchsversuch. Da gibt es auch keine Subkultur, da ist alles tot.

Vielleicht ähnelte und ähnelt meine Haltung aber auch allzu sehr derjenigen der Missionare der frühen Neuzeit, die glaubten, den Menschen den Christus zu bringen, stattdessen aber den Grippevirus einschleppten. Mein Beitrag zur kulturellen Entwicklung in Korea ist jedenfalls, so muss ich mit ein wenig Abstand resignierend feststellen, kein allzu großer gewesen.
Immerhin aber habe ich den Eingeborenen keine Glasperlen verkauft um an ihre Goldschätze zu gelangen, wie manch einer meiner kulturimperialistisch veranlagten Kollegen. Den Vorwurf, zu den Ausbeutern zu gehören, kann man mir nur schwerlich machen. Allerdings wurde ich in Korea, wie alle armen Schweine von Lehrbeauftragten, oft und lange genug ausgebeutet. (Ein neues Gesetz soll dies nun ändern: man bietet einigen wenigen Lehrbeauftragten feste und besser bezahlte Stellen an – und setzt dafür das Gros der Gelegenheitsarbeiter auf die Strasse…)

Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, auch einmal diese Erfahrung gemacht zu haben: nicht zu wissen, wie man die Familie ernähren und wovon man das Benzin zahlen soll, das man braucht, um an den Arbeitsplatz gelangen zu können. In jedem Fall ist es eine überaus interessante Erfahrung, zusätzlich zum täglichen Stress – dem unbefriedigenden Unterrichten unbegabter und uninteressierter Studenten, dem Ausweichen vor den Attacken bornierter Kollegen oder Verwaltungsangestellter, dem täglichen stundenlangen Gedränge und Gerangel mit dem Auto, im Bus oder in der U-Bahn – einmal im Leben dauerhaft um die Ausstellung von Arbeitsvisa und um eine Aufenthaltserlaubnis kämpfen zu müssen, von ignoranten Beamten von Behörde zu Behörde geschickt und als Ausländer gedemütigt zu werden.

Ich könnte mir nun noch den zweifelhaften und wenig komischen Spaß machen, von meinen Komponistenkollegen zu erzählen, Musiker, deren Namen man außerhalb Koreas selten bis nie gehört hat, Menschen, bei denen man, wenn man sie erst einmal kennen gelernt hat, sogleich froh wäre, sie lieber nicht kennen gelernt zu haben, Schreibunkundige, die eine Musik schreiben, die man lieber nicht hören möchte, Professoren, die im Ausland studiert haben, aber weder jemals eine kompositorische Idee hatten noch irgendwann einmal ein wenigstens minimales handwerkliches Vermögen oder auch nur eine Ahnung von grundlegenden musikalischen Sachverhalten erworben haben, die auch kein Interesse an Musik, weder im Allgemeinen noch im Speziellen, an den Tag legen.

Der BMW in der Garage, das Schwelgen in Macht, das Herrschen über Untergebene, das soziale Prestige, das Geld auf dem Konto, all das und nur das macht Sinn und Zweck einer Musikprofessur in Korea aus. Gelegentlich kommen noch sexuelle Ausbeutung und finanzielle Erpressung der Studenten und Studentinnen hinzu. Doch die Damen und Herren Professoren können ganz beruhigt sein: denn hinter die Fassade des Titels schaut niemand, will auch niemand schauen, denn im Grunde weiß man es schon, hat man die verstörende Gewissheit, dass sich dahinter ein gähnender Abgrund, eine gewaltige Leere auftut, dass sich allerorts eine erstaunliche kriminelle Energie regt.

twosisters

Aber lassen wir das lieber. Gerade komme ich mir wie ein Abklatsch Malinowskis vor. Und es ist schon wahr: irgendwann sind mir die Koreaner furchtbar auf die Nerven gegangen. Mein (zugegebenermaßen gelegentlich auch unangebrachtes) Granteln wurde denn auch zuweilen als Feindseligkeit, als Ausdruck meiner Eitelkeit oder gar meiner Verzweiflung, zumindest aber als Abtrünnigkeit missverstanden. So war es jedoch nie gemeint und das ist es auch im Grunde auch nicht.

Ich kann mir einfach nicht helfen: vieles in Korea halte ich schlichtweg für furchtbar, grundfalsch und menschenfeindlich. Ich ertrage den Spruch nicht mehr, dass das alles leider nun einmal so sei und dass man daran leider überhaupt nichts ändern könne. Ich will nicht mehr hören, dass man dies und das, egal wie unsinnig und schädlich es sein mag, schon immer so getan habe, und auch weiterhin genau so tun werde. So sei das Leben in Korea eben. Diesen fatalistischen Quatsch, den ich tausendmal gehört habe, will ich nicht mehr hören. Denn in Wahrheit ist er nicht mehr als ein Opportunismus, eine dumme Ausrede, genährt von der Hoffnung, wenn nicht jetzt so doch später einmal selbst zu den Ausbeutern zu gehören.

Dies hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich die grundlegende kulturelle Differenz zwischen Europa und Asien nicht nachvollziehen könnte. Denn das tue ich sehr wohl, Differenzen stören mich auch nicht weiter. Es ist aber nun einmal nicht eine bloße Differenz, die mich abstößt, wenn in China Delinquenten mit Genickschuss hingerichtet oder in Saudi-Arabien Gliedmassen abgehackt werden. Korea ist da zwar nicht ganz so barbarisch, aber auch hier finden sich diverse Barbarismen, die mir überaus zuwider sind. (In der deutschen Gesellschaft, gerade auch in der deutschen Kunst- und Musikszene, begegnet einem übrigens Ähnliches…)

Meine Erfahrungen in Korea haben meine Zweifel genährt, die ich ohnehin immer schon mit mir trug, wenn es um die zahlreichen, bemühten und naiven Versuche, mit anderen Kulturen in einen so genannten Dialog einzutreten, geht. Dieser Dialog findet in Wahrheit nicht statt, er kann gar nicht stattfinden, denn was herrscht, ist entweder die unangebrachte Harmonisierung durch das Ausblenden und Verdrängen der Differenz oder aber die Stilisierung der Differenz zum Exotischen, zur Pikanterie. Beides wird der Sache nicht gerecht.

Allerdings halte ich es auch nicht für so schlimm, einige Komponisten auf Firmenkosten nach Dubai oder Istanbul zu schicken. Natürlich kommt musikalisch im Ergebnis selten etwas dabei heraus, was in direkter Weise mit dem fremden Land zu tun hat. Doch man gewährt den privilegierten Komponisten immerhin eine kurze Gnadenfrist der Fremdheit – und das ist schon viel wert!
Natürlich kann man über die Absurdität des deutschen Musikzirkus unentwegt lachen oder sich über die Verschwendung von Geldern aufregen, aber warum sollte eine reiche deutsche Firma seinen Günstlingen nicht einen netten Urlaub schenken? Sinnlos ist fast alles, was in der Manege geschieht – aber in diesem Fall hat wenigstens der Künstler ein wenig davon profitiert und dabei vielleicht sogar Muße und Inspiration gefunden, ein schönes, befreites, neuartiges Stück zu schreiben, wer weiß?

Doch zurück zu Korea:
Was mir bleibt, sind in erster Linie Erinnerungen an Momente der Glückseligkeit, an geliebte Menschen, die zum Teil schon nicht mehr sind, an eine vergangene Musik, die weitestgehend nicht mehr ist, an Orte und Zeiten, die es nicht mehr gibt und nicht mehr geben wird.
Was bleibt ist weitgehend die Ödnis von Landschaften, die mit Beton und Stahl überzogen, von Bergen, die eingeebnet und abgetragen, von Flüssen, die kanalisiert und begradigt sind. Was bleibt, ist die Wüste einer Musiklandschaft, die kein Leben mehr zulässt.
Neue-Musik-Zombies, wo man hinschaut, the horror, the horror…

Doch genug des Lamentierens, ein Teil meines Koreas lebt mir schließlich noch, und wenn es auch fast nur in meiner Frau, in meinen Kindern und in mir selbst sein sollte. Außerdem gibt es noch einige, wenn auch nur sehr, sehr wenige widerständige und, wie ich hoffe, unverwüstliche „Bewahrer der Tradition“ (wie schrecklich das klingt: als ob ich ein Neokonservativer wäre…), von denen, neben ein paar Koreanern, der Berliner Matthias R. Entreß einer ist.

Nun denke ich allerdings gar nicht mehr oft an Korea, auch nicht in der Nacht, und um den Schlaf bringen mich die koreanischen Mafiosi auch schon lange nicht mehr. Heute hat sich das alles, Gott sein dank!, beruhigt und ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, in meiner deutschen Heimat Fuß zu fassen. Leider ist auch hier die „cosa nostra“ der Neuen-Musik-Szene nicht so ganz meine Sache. Andererseits liegt, insbesondere mit Blick auf Korea, geradezu ein Trost darin, zu wissen, dass es auch hierzulande nicht allzu einfach ist, als Komponist zu überleben.

(Daniel N. Seel)

2 Antworten

  1. Thomas Kessler sagt:

    „Der Zug fährt unbekümmert weiter, auch wenn der Hund laut bellt.“

    Koreanisches Sprichwort, frei übersetzt und mit herzlichen Grüssen von Thomas Kessler

  2. Thomas Kessler sagt:

    “Der Zug fährt unbekümmert weiter, auch wenn der Hund laut bellt.”

    Koreanisches Sprichwort, frei übersetzt und mit herzlichen Grüssen von Thomas Kessler