Volkes Stimme: Kommentare zu Kommentaren

Patrick wies schon vor einiger Zeit auf einen Artikel im „Tagesspiegel“ hin, in dem die CDU-Kulturexpertin Monika Grütters zum Streit um Subventionen Stellung nimmt. Darin verteidigt sie – zu Recht – die drei Opernhäuser Berlins und versucht mit verschiedenen Argumenten (z.B. Deutschland als historisch gewachsenes „Kulturland“, die politische Rolle von Kultur am Beispiel von Ai Weiwei, wirtschaftlich positive Verflechtungen des Kulturbetriebes, die besondere Rolle Berlins als kultureller „Katalysator“ etc.) den Sinn von Kulturförderung zu unterstreichen. Das alles ist nicht neu und eine Reaktion auf den in Berlin tobenden Streit darüber, ob eine Opernkarte mit 250-,EUR subventioniert werden darf oder nicht, aber wirklich total ok in Inhalt wie Absicht.

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Nun gibt es auch beim Online-„Tagesspiegel“ Kommentare, und Patrick meinte, dass gerade diese besonderer Betrachtung würdig seien, denn natürlich regen sich hier sehr viele Leute genau über diese 250,-EUR auf.

„Spock“ bringt Volkes Stimme auf den Punkt (die folgenden Zitate sind weder redigiert noch rechtschreibtechnisch aufgehübscht):

Subvention des Steuerzahlers für ein Opernticket ist trotzdem zuviel! 430 Millionen Euro alleine von der Bundesregierung! Aber der überflüssige Bundesbeauftrragte für Kultur und Medien samt seiner Bürokratie will halt auch beschäftigt werden.

…und „apfelundbirnen“ findet das Ganze sogar „obszön“:

Obszön ist…
dass von diesen 250,- EUR wahrscheinlich realistische 200,- für Verwaltung und Pensionen draufgehen. Also nicht für die Putzfrau, auch icht für den Bühnenarbeiter und nicht für den Künstler.

Exakt daran krankt der ganze Staat!

Und das ist… Asozial. Genau das, sonst nichts.
Genauso, wie klassiche SPD-Schuldenpolitik.
Das ist Umverteilung zu Lasten der Zukunft.
Banken verdienen daran!
An Sozialisten!
Stets!

Und Politiker (natürlich), die im Amt bleiben wollen.

Der Tagesspiegel möge jenseits davon mal eroieren,
wie die Verteilungsquoten im Staats-Zwangsfunk sind…

Wieviel davon, von den vielen Gebühren geht für
Verwaltungsapparat und Pensionskassen drauf?

Also völlig nutzlos und unproduktives Zeug?

Wird so ähnlich sein, wie bei Opern
und Theater, wie gesagt:

Genau daran, dass das Geld nicht bei den richtigen,
den kreativen, produktiven ankommt: Genau daran
krankt es in diesem Land!

Das Lustige an diesem Kommentar ist, dass der Schreiber glaubt, er beschimpfe hier eine böse „Sozialistin“, während es sich doch um eine CDU-Politikerin handelt….

„onkelrie“ versucht zu differenzieren, und prangert ebenso die „Bedeutungslosigkeit“ von Frau Grütters an:

Frau Grütters
liefert ein leidenschaftliches Plädoyer für die Verwendung von Steuermitteln (die in Deutschland vor allem bei den Arbeitnehmern eingesammlt werden) durch kleine parteipolitische Kungelrunden ab. Wodurch sollen unsere Berufspolitiker sonst ihre Bedeutung beziehen?

Wenn ihre Argumente für die Subvention alle stimmen würden, dann stünden die Vermögenden Deutschlands (die kaum Steuern zahlen) Schlange, um die Kultur hierzulande aus ihren Privatvermögen zu unterstützen. Warum tun sie das denn nicht? Diese Frage sollte Frau Gütter beanworten – oder hat die Angst, dann ihre Bedeutung zu verlieren?

Es ist eine interessante These, dass vor allem Arbeitnehmer Steuern zahlen – tun das nicht alle? Aber klar ist: die Ansicht des „Volkes“ ist es, dass Banker und Unternehmer vor allem Steuern hinterziehen und eigentlich niemandem irgendein „Göld“ (Thomas Bernhard) abgeben wollen. Womit das Volk wahrscheinlich leider nicht so ganz unrecht hat. Aber so ganz recht eben nun wieder auch nicht.

„Elsolami“ fordert mehr „Qualitätssicherung“ bei Oper und Konzert und ist der Meinung, man dürfe ruhig Geld geben, aber bitte nur für gute Sachen:

Das Problem ist nicht nur, dass für einen elitären Kulturbetrieb mit Selbstbedienungsmentalität so viel Geld des Steuerzahlers verbrannt wird, sondern vielmehr, dass die Subventionen qualitätsunabhängig vergeben werden. Statt den immergleichen Tourneezirkus von hochbezahlten, alternden Stars hätte ich gern mehr Kreativität gesehen.

Da kann man ja fast anhand eines durchschnittlichen Konzertprogrammes zustimmen! Aber…

Und – ich würde auch gerne in Oper, Ballett und Theater mit meinen Kindern gehen. Kann ich aber nicht, weil meistens statt anspruchsvoller Aufführungen irgendwelche abartigen Transenshows (auch Regietheater genannt) aufgeführt werden.

„Transenshow“ als neuer Hassbegriff für Regietheater ist natürlich schon sehr hübsch. Wahrscheinlich stolperte dieser arme Mensch (oder Menschin?) in eine ganz besonders gender-crossende Inszenierung. Dass aber Regietheater generell von „Transen“ gemacht werde und auch nur „Transen“ auf der Bühne zeigen würde, wäre mir neu. Und überhaupt, warum dieser Hass gegen „Transen“?

Wie in jeder Kommentarspalte gibt es aber auch Verteidiger der Kultur, Vorhang auf für „f.u.“ und „stephanstephan“:

Gehen sie ins DT …
jede Menge anregende Stücke und für Kinder gibt es ermäßigte Karten zu 9 Euro.

F.U.

Ob „F.U.“ seinen Namen englisch ausgesprochen haben will? Ein bisschen unheimlich ist es schon, dass er die „Transenshows“ für Kinder „anregend“ findet.

Augen auf !

Das kreative Angebot ist da.

Leider wird dieses nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung genutzt.

Was ist dazu zu sagen, wenn mir gestern 8 von 10 Auszubildenen nicht mal sagen konnte, was das TIPI oder die Bar jeder Vernunft ist ?

Nun, ich kann auch nicht sagen, was TIPI, PIPI, und die Bar jeglicher wie auch jeder Vernunft sind. Vielleicht, weil ich nicht in Berlin wohne?

Darauf antwortet die Transenfeindin „elsolami“:

Eben darum
Wenn eine gute Veranstaltung nur im Kleingedruckten von Tip oder Zitty zu finden ist, dann wurden Werbeetats falsch eingesetzt oder waren schlicht nicht vorhanden. Dafür gibt es für sinnfreie Aufführungen an der Deutschen oder Staatsoper Riesenkampagnen. Übrigens, Regiethetater gibt es leider auch am DT.

Vielleicht heißt ja „DT“ auch Deutsches Transentheater, höhö… Komisch, wenn ich „Tip“ oder „Zitty“ aufschlage und mir den Veranstaltungskalender anschaue, stelle ich fest, dass eigentlich ALLES kleingedruckt ist, sonst würde es gar nicht auf die Seiten passen, denn in Berlin geht ja immer wahnsinnig dufte viel ab, überall und immerfort.

Bevor sich die Situation aber verfährt, kommt „aepfelundbirnen“ mit der Aufstellung überhaupt:

128,46 Euro im Monat für Lebensmittel
Etwas Harz-IV-Realität zum Vergleich zu den 250,- EUR Subventionen, die Staatssozialisten sozialpornokratisch [aber Halt, aepfelundbirnen, hier sprach doch die CDU, schon wieder vergessen??] pro Ticket draufsubventionieren:

Der Harz-VI Regelsatz für Erwachsene
lt. tagesschau.de v. 27.09.2010:

Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke
128,46 Euro
Bekleidung, Schuhe
30,40 Euro
Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung
(ohne Miet- und Heizkosten, die separat erstattet werden)
30,24 Euro
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände
27,41 Euro
Gesundheitspflege
15,55 Euro
Verkehr
22,78 Euro
Nachrichtenübermittlung
31,96 Euro
Freizeit, Unterhaltung, Kultur
39,96 Euro
Bildung
1,39 Euro
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen
7,16 Euro
andere Waren und Dienstleistungen
26,50 Euro

Die Summe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben ergibt 361,81 Euro.

Da diese Ausgaben 2008 erfasst wurden, werden sie für 2011 mit einer angenommenen Teuerungsrate fortgeschrieben und daher auf 364 Euro aufgestockt.

Nicht zum Existenzminimum gehören neuerdings Alkohol und Zigaretten. Sie waren zuletzt noch mit etwa
14 Euro

im Regelsatz berücksichtigt worden. Um den Flüssigkeitsverlust zu ersetzen, der nach Einschätzung der Ministerialbeamten durch den Verzicht auf etwa zwölf Liter Bier entsteht, werden aber 2,99 Euro

im Monat für Mineralwasser im Regelsatz hinzugerechnet.

K.w.T.

Aha, Hartz IV-Empfänger sind nach Ansicht der Ministerialbeamten auch automatisch Alkoholiker – das war mir auch neu. Finde ich ein bisschen diffamierend. Und – ist das wirklich so penibel in der Tagesschau aufgelistet worden, Zahl für Zahl?

Aber, „sozialticket“ kommt zur Rettung:

Sozialticket
In den Berliner Kulturinstitutionen, die vom Staat oder der Stadt gefördert werden, gibt es so genannte „Sozialtickets“ für HartzIV Empfänger / Inhabern vom „Berlin Pass“ ab

3 EURO!

Genau diese Karten sind mit dem Höchstsatz von bis zu 250,-/Pro Karte gefördert!

Sparen an der Kultur ist sparen an Bildung und Horizonterweiterung. Nur so kann das Regietheater als „Transenshow“ bezeichnet werden. Berlin hat ein wunderbares Angebot an innovativem Kinder- und Jugendtheater. ZB im Theater in der Parkaue, Atze, Ballhaus Naunynstraße u.v.m.

An den 3%, die im berliner Haushalt für Kultur eingeplant sind kann man kaum noch sparen – das ist ein Tropfen auf den heißen Stein!

Richtig! Und der oben beschriebene Durchschnitts-Hartz-IV-Alkoholiker kann mit seinen 31,96 EUR für „Kultur“ dafür sogar 10.653333 mal im Monat in „Transenshows“ gehen, bzw. ins DT. Da weiß man doch, was man für sein Sozialgeld bekommt: Transen, Transen und nochmals Transen. Und die singen dann auch noch!

„spock“ lässt das nicht unkommentiert:

Da wird sich der für Hartz IV
Empfänger aber freuen, wenn sie ihm 100 Euro für Nahrungsmittel aber 250 Euro für den Opernbesuch geben!

Naja, die 250,-EUR für den Opernbesuch bekommt ja nicht der Hartz-IV-Empfänger, sondern all diejenigen, die ihm diesen Opernbesuch ermöglichen, davon auch viele quasi-Hartz-IV-Empfänger (z.B. junge unterbezahlte Sänger, ausgenutzte Balletttänzer wie auch Regieassistenten am Rand des Existenzminimums, ganz abgesehen von den vielen weiteren sich nun wirklich nicht bereichernden Personen, die so in einem Opernhaus arbeiten). „It’s the present that keeps on giving“ würde dazu eine mit falschen Juwelen behängte Schmoddertussi im amerikanischen Verkaufsfernsehen sagen.

Auch „aepfelundbirnen“ regt sich auf:

Echtheit und Schuldenfunktionärskitsch
Zwangskultur, Wegenehmerei und Umverteilerei Wäre ja noch hinnehmbar, wenn da ordentliche Bürger sitzen würden, die das weggenommene, hart erarbeitete und viele Geld sinnvoll und angemessen, ehrlich und echt einsetzen würden. Solche Leute sitzen dort nicht. Nicht mehr jedenfalls. Die Schuldenbürokratische Klasse hat sich in diesen Etagen und Positionen breit gemacht. Und genau das akzeptiert der leistende und produzierende Teil der Gesellschaft, also der Mittelstand, nicht mehr. Die klassisch sozialistischen und sozialdemokratischen Geldverbrennungs-Orgien und ihre äusserst unsozialen (!) Ergebnisse sind bekannt. Seit Helmut Kohl kommen nun die schuldensozialistischen Schlechtleistungen mediokrer minderwertschaffender CDU-Marxisten hinzu. Schauen sie nur auf die Wahlergebnisse, auch die der Gelbsozialisten. „Das Prekariat will Cash“ titelte kürzlich treffend der Tagesspiegel: Ja. Die sitzen nicht dauernd und täglich in der Oper. Und ja: Der Produktivbürger (also alle jenseits der Auszock- und Subventions- und Ausbeutungswirtschaft), die, die den Laden tatsächlich am laufen halten, toleriert die Subventionsbürokraten, die Schuldenbürokratische Klasse nicht mehr: Die Konsequenzen daraus sind grausam. Die Schuldenoper ist grausam. Neuverschuldung ist grausam. Versteckt grausam wirkungsvoll: Wie Tschernobyl-Funkushima-Strahlung. Die Sozialistenoper ist grausam.

Das, was in Berlin als widerwärtiges funktionärsgefälschtes Schmierentheater gegeben wird:

GIBT ES AUCH IN ECHT!

„CDU-Marxisten“, „Schuldenoper“, „Das Prekariat will Cash“ – hier werden harte Geschütze aufgefahren, so hart, dass wohl auch „aepfelundbirnen“ am Ende nicht mehr weiß, was er/sie eigentlich sagen will. Ich weiß nur, die Schuldenoper ist grausam wie Funkushima (sic!) – Strahlung. Das wäre doch ein schöner Titel für meine nächste Oper. Oder eine Oper von Johannes (Kreidler). So richtig schön „unsozial“ sollte diese Oper sein, denn „so wird’s mir kommen“ (Anonymus).

„derritter“ wirft ein:

Wo bleibt das Prinzip der Marktwirtschaft ?
Warum subventioniert der Steuerzahler das Vergnügen einer Randgruppe ? CB

Naja, die Randgruppe wäre ja gerne eine Gruppe im Mittelpunkt, das geht aber nur, wenn alle Babys im Mutterleib schon ein Instrument lernen und auf den zwei Brüsten der Mutter links „Mozart“ und rechts „Lachenmann“ eintätowiert ist. Denn dann würden alle verstehen, wozu Kultur gut ist und alles wäre wieder gut…

„Tuelle“ ist genervt:

ganz Ihrer Meinung
…und das Schwimmbad um die Ecke wird geschlossen. Ich denke ein Opernhaus sollte ausreichen.

Manchmal geht ja auch beides, wie Arno neulich berichtete (Schwimmbadoper mit Robben). Also zwei der Berliner Opern in Freizeitbäder umfunktionieren? Unter manchen Dirigenten schwimmt manches Orchester dort bestimmt gerne!

„Outside Observer“ beschwert sich:

Nein, mal ehrlich – ich finde es dumm, das eine gegen das andere aufzurechnen.

Also doch nicht Schwerter äh Opernhäuser zu Pflugscharen äh Schwimmbäder äh ach ich weiß nicht?

„stephanstephan“ klärt auf:

Was ist Kultur ?

Kultur ist die Gesamtheit aller Formen der Kunst, der Liebe und des Denkens, die, im Verlaufe von Jahrtausenden, dem Menschen erlaubt haben, weniger Sklave zu sein.

(André Malraux)

Doch wer definiert den Wert?

„Kultur war immer etwas, das nur wenige Leute verstanden.“

(Vivienne Isabel Westwood“

Ich könnte hier noch ewig weiter machen, aber wer will, kann ja selber nachlesen.
Bleibt mir nur eins zu sagen:
Kultur ist alles. Auch Kommentare – hier im Bad Blog wie auch im Berliner Tagesspiegel. Kultur ist: miteinander reden. Sich verstehen, oder auch nicht.
Kultur ist, wenn einem der Kopf schwirrt, und niemand mehr recht hat.
Kultur ist eine Transenshow im DT.
Kultur ist „grausam wie Funkushima“. Oder „F.U.shima“.

Oder wie die Köchin der Kantine der Bayerischen Staatsoper einmal zu mir sagte: „Wuist a Kultuarknödln?“.

Moritz Eggert

transenshow

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15 Antworten

  1. Max Nyffeler sagt:

    Hinreißende Zitate! Wenn die Wut am größten, zeigt sich das literarische Volksvermögen am deutlichsten.

    Am schönsten finden ich diesen apfelbirnen-Menschen mit seinen „Gelbsozialisten“, den „klassisch sozialistischen und sozialdemokratischen Geldverbrennungs-Orgien“ und den „schuldensozialistischen Schlechtleistungen mediokrer minderwertschaffender CDU-Marxisten“. (Man beachte den Stabreim!) Das hat schon fast Thomas Bernhard-Qualitäten.

  2. peh sagt:

    Danke Moritz! Dem Affen Zucker geben dann natürlich solche Berichte, wie sie über Intendantengehälter an die Öffentlichkeit dringen. Da kann man lang über „Quasi-Hartz-IV Empfänger“ an den Bühnen sprechen…
    http://www.morgenweb.de/nachrichten/kultur/20110523_mmm0000001699493.html

    Wo es um Zahlen geht: Neulich sprach irgendein Politiker dauernd davon, dass järhlich mehr Menschen ins Opernhaus gehen als zu allen Fußballspielen zusammen gerechnet. Hat jemand die Quelle?

  3. eggy sagt:

    @peh: Im Leben gilt immer eine Regel „Überbezahlt sind immer die Anderen“
    Bis heute abend bei Cindy und Aribert!
    Moritz

  4. wechselstrom sagt:

    Unter dem Begriff „Kultur“ werden regelmäßig die größten Verbrechen begangen.

    – wechselstrom –

  5. Max Nyffeler sagt:

    Jetzt fehlt noch die Einordnung des Begriffs „Kulturpolitik“.

  6. wechselstrom sagt:

    @ Max Nyffeler,

    in den „Mitteilung über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“, im Originaltext hier nachzulesen stehen viele Sätze, die man bedenkenlos mittragen kann – also alles, was unter den Oberbegriffen Menschenrechten, Völkerverständigung, Toleranz, Fiedenserhalt und dergleichen zu subsummieren ist.

    Darin gut verpackt sind aber auch Sätze wie:

    „Kultur sollte verstanden werden als eine
    bestimmte Anzahl unverwechselbarer geistiger und materieller Züge, die eine Gesellschaft
    und eine gesellschaftliche Gruppe kennzeichnet. Darunter fallen die Literatur und die Künste,
    aber auch Lebensweisen, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen.“

    in der Einleitung, oder:

    „Gleichzeitig hat durch die Globalisierung die
    Begegnung mit anderen Kulturen in aller Welt zugenommen. Dies hat unsere Neugier erhöht
    und uns mehr Möglichkeiten gegeben, den Austausch mit anderen Kulturen zu suchen und
    von ihnen zu lernen, wodurch die Vielfalt unserer Gesellschaften noch größer geworden ist;
    allerdings wurde dadurch auch Europas Identität in Frage gestellt und seine Fähigkeit,
    interkulturelle und kohäsive Gesellschaften zu gewährleisten.“

    Zudem wird anerkannt, dass die Kultur unverzichtbar ist, damit die EU ihre
    strategischen Ziele Wohlstand, Solidarität und Sicherheit erreichen und gleichzeitig ihre
    Präsenz auf der internationalen Bühne ausbauen kann.

    Gleichzeitig stellt die Kommission fest, dass der [Kultur]Sektor besondere Merkmale aufweist, vor
    allem eine gewisse Heterogenität (Berufsverbände, kulturelle Institutionen mit
    unterschiedlichem Grad der Unabhängigkeit, Nichtregierungsorganisationen, europäische und
    nicht-europäische Netze, Stiftungen usw.) und die bisherige mangelnde Kommunikation
    zwischen den Kulturindustrien und anderen im Kulturbereich Tätigen. Sie sieht eine wichtige
    Aufgabe darin, den Sektor stärker zu strukturieren.

    Einrichtung eines „Kulturforums” für die Anhörung der Stakeholder und Unterstützung bei
    der Gründung einer Plattform, die sich selbst organisiert bzw. einer Reihe von Stakeholder-
    Plattformen

    Hilfe bei der Schaffung einer Grundlage, auf der einzelne Künstler und Intellektuelle auf
    europäischer Ebene („Kulturbotschafter”) repräsentative Ansichten äussern können ..

    Welche Ziele kann man daraus ableiten?
    Der Künstler im Dienst der Politik?
    Einbindung von NGOs in den Brüsseller Bürokratismus?
    Von Stärkung autonomer Bestrebungen lese ich nichts – zumindest einmal wird die Frage der Legitimität aufgeworfen, jedoch in einem Zusammenhang, der Legitimität eher als notwendiges Übel begreift.

    Beste Grüße aus dem Labor

    -wechselstrom –

  7. Bekehrter sagt:

    Recht nett geht es dann auch weiter, wenn man sich das „Mehr zum Thema“ nicht entgehen lassen will, heißt es unter dem markigen Anreißer Subventionen doch Land fördert jedes Ticket mit 100 Euro.

    Da griff prompt ein selbsternannter Querschläger in die Tasten, wählte die Überschrift Touristenlarifari und tat sodann kund:

    Unglaublich was den Touristen an Geld in den Hintern geblasen
    wird,trotz ihrer doch eigentlich vollen Geldbörse.
    Die meisten Nutzniesser der Karten würden wenn sie wüßten von wo das Geld weggenommen wurde, locker selbst den Hunderter zücken.
    Und dann, schon seit hundert Jahren immer derselbe Text, dieselbe Musik,die verstaubte Opernlyrik. Da schau ich doch mal gerne nach dem Kinderzirkus Kabuwazi, ach ja gestrichen, der Oper wohl zu liebe.

    Nicht fehlen dürfen natürlich die unerschwinglichen Opernkarten. Nur einige Spielverderber konnten es nicht lassen, dazu einige Werte einzuwerfen.

    Aber noch viel besser läuft das in der Provinzpresse. Da bleiben die Querschläger in den Leserkommentaren nämlich unter sich. Dazu, um sich darüber nicht aufzuregen, braucht man schon sehr viel Humor. Auf Beispiele muß an dieser Stelle deshalb verzichtet werden.

  8. Max Nyffeler sagt:

    @ Wechselstrom:

    Aufschlussreiche Zitate, in der Tat!

    Vor allem hat mich beeindruckt: Das großzügige Angebot, dem „einzelnen Künstler und Intellektuellen“ die Möglichkeit zu verschaffen, „repräsentative Ansichten“ äußern zu können. Das erinnert an die Auftritte der sowjetischen Verbandsfunktionäre in den internationalen Organisationen und der befreundeten Presse.

    Und dann – abgesehen von der Schamlosigkeit, mit der hier der Zugriff auf die Kultur praktiziert wird – ist es ja wohl ein Hohn, zu sagen, man brauche die Kultur, „damit die EU ihre strategischen Ziele Wohlstand, Solidarität und Sicherheit erreichen (…) kann“, wenn gleichzeitig über eine verfehlte Währungspolitik der Wohlstand von Millionen von Menschen zunicht gemacht wird.

    Ich bin gespannt, wie lange dieses Kommissariat sein Geschwurbel noch produzieren kann. Spätestens wenn die (jetzt schon absehbaren) Kosten der Euro-Fehlplanung spürbar und greifbar bei den europäischen Bevölkerungen ankommen, werden die Sprechblasen zerplatzen. In GR ist es ja bereits so weit. Hierzulande leider noch nicht. Bill Clinton hat gesagt: „It’s economy, stupid.“ Die Realität wird auch die EU-Ideologieproduzenten auf grausame Weise einholen.

    Danke für den Link. Ich habe aber weder Zeit noch Lust, mich durch diese Brüsseler Sesselfurzer-Lyrik hindurchzuarbeiten.

    Ein Gruß nach Wien, MN

    PS: Eigentlich dachte ich bei meinem Satz nur an die wackere Kulturpolitik im nationalen Untergehölz, aber Sie haben Recht, es wäre absolut notwendig, sich die weitgehend verdeckten Strategien des Kommissariats einmal gründlich anzuschauen.

  9. Max Nyffeler sagt:

    @ Bekehrter:

    Die Aussage der Grünen Kulturexpertin Ströver im verlinkten Beitrag des „Tagesspiegel“, es gebe „dramatische Wettbewerbsverzerrungen“ zwischen den kulturellen Landesbetrieben und der rein privat finanzierten Szene, ist eine klassische FPD-Position. Die Kannibalisierung der Liberalen ist unaufhaltsam, armer Rösler…

  10. Arno sagt:

    @Max Nyffeler: Da irren Sie gewaltig. Sie hätten den Artikel vielleicht wirklich ganz lesen sollen. Frau Ströver ist die letzte, die jemals irgendeine FDP-Position eingenommen hätte. Im Gegenteil – geht es ihr in dem betreffenden Artikel doch gerade darum, zu kritisieren, dass diese „dramatischen Wettbewerbsverzerrungen“ eben jene negativ betreffen, die man in der Kulturszene als „kleine Häuser“ oder „kleine Veranstalter“ (darunter auch alle freien Projekte in Sachen Tanz, zeitgenössische Musik, zeitgenössisches Musiktheater etc.) bezeichnet. Also genau das G e g e n t e i l von einer (möglichen) FDP-Position. (Das „möglich“ steht in Klammern, weil es bei der FDP, im Gegensatz zu den Grünen, natürlich überhaupt keinen ernsthaften Kulturpolitiker gibt.)

  11. Max Nyffeler sagt:

    Die Klientel der beiden Parteien ist verschieden, das ist mir auch klar. Aber dass Subventionen zu Wettbewerbsverzerrungen führen, ist eine Binsenweisheit und gehört zum uralten (wirtschafts-)liberalen Argumentationsvorrat gegen Regulierung. Ob das nun von der FDP oder von den Grünen ausgesprochen wird, tut dem Wahrheitgehalt zunächst keinen Abbruch. Wenn aber Frau Ströver die Wettbewerbsverzerrung nicht beseitigen, sondern nur umstrukturieren will, indem sie die Subventionen woanders hin lenkt, dann sollte sie sie auch nicht anprangern, denn damit widerspricht sie sich selbst; Subventionen für per se zu Wettbewerbsverzerrungen, wohin sie auch gehen, und es gibt immer Leute, die sich dabei benachteiligt fühlen. Obendrein setzt sie sich mit der verunklarenden Benutzung dieses Begriffs dem Vorwurf der Unredlichkeit aus.

    Bei näherem Hinsehen verstehe ich ehrlich gesagt immer weniger, was sie mit ihrer Wettbewerbsverzerrung meint. Vielleicht einen fairen Wettbewerb zwischen freier Szene und den Opernhäusern und Orchestern? Aber das wäre wohl zu abstrus.

    Ich bin ja zunächst auch auf dieses Scheinargument hereingefallen, indem ich dachte: Schaut mal an, jetzt übernimmt sie klassische liberale Forderungen, um auch bei den wirtschaftsorientierten Leuten noch Stimmen zu holen. (Deshalb meine Bemerkung vom armen Rösler.)

    Im übrigen soll sie sich doch ruhig für Umverteilung einsetzen, die Berliner Opernhäuser haben ohnehin nicht viel zu bieten für das Geld, das sie verbraten. Nur soll sie es eben nicht mit getürkten Argumenten tun.

  12. Arno sagt:

    Kann ja sein, dass Strövers Aussagen für S i e so klingen, als würde eine Grüne in Wahrheit FDP-Argumente in Anspruch nehmen. Aber das macht eine Diskussion darüber mit Ihnen auch recht schwierig bis – ehrlich gesagt – unmöglich. Wenn Sie nur sagen möchten: „Die Grünen sind wie die FDP – nur mit Fahrrad“ (habe die Urheberin dieser Aussage gerade nicht im Kopf…): okay, Ihre Meinung. Wenn Sie eine richtige Diskussion über Subventionskultur möchten: dann bitte nicht weiter mit Binsenweisheiten um sich werfen…
    Für mich ist klar, was Ströver meint: Sie hinterfragt auf eine Weise, warum die großen Häuser basisgefördert sind (und Intendanten auch geldmäßig kaum hinterfragt werden…) – während viel viel weniger der Subventionsgelder für Hauptstadtkulturfonds etc. (also: für die freie Szene…) zufließt.

    Sie schreiben: „Ich bin ja zunächst auch auf dieses Scheinargument hereingefallen, indem ich dachte: Schaut mal an, jetzt übernimmt sie klassische liberale Forderungen, um auch bei den wirtschaftsorientierten Leuten noch Stimmen zu holen. (Deshalb meine Bemerkung vom armen Rösler.)“

    Da kann ich nur sagen: Frau Ströver will nirgendwo Stimmen holen, da Sie zur nächsten Abgeordnetenwahl nicht mehr antritt. Sie steht lediglich auf der Seite derjenigen Kreativen, die für einen Bruchteil dessen, was festangestellte Künstler (z. B. Orchestermusiker, die wir natürlich alle lieben und brauchen – keine Ironie!) verdienen, Kunst machen. (Und nicht unbedingt „schlechtere“ – obwohl Kunst natürlich mit diesen Maßeinheiten eh nicht funktioniert…)

    Sie schreiben weiterhin: „Im übrigen soll sie sich doch ruhig für Umverteilung einsetzen, die Berliner Opernhäuser haben ohnehin nicht viel zu bieten für das Geld, das sie verbraten. Nur soll sie es eben nicht mit getürkten Argumenten tun.“

    Nun ja. Auch hier wird es nicht einfach, ernsthaft darauf einzugehen. Vor allem, weil es so klingt, als würden S i e jetzt plötzlich FDP-Argumente verwenden…

  13. Max Nyffeler sagt:

    Eine schöne Formulierung, „Die Grünen sind wie die FDP, nur mit Fahrrad“! Das trifft sicher einen Aspekt der Grünen, aber eben nur einen. Genauso gut könnte man ja auch sagen: „Wie die CDU, nur mit Attac“, oder „wie die Linke, nur mit dem lieben Gott“ (Kretschmann) etc. Es macht ja vermutlich die Fasziniation dieser Bewegung aus, dass sie so viele Inhalte traditioneller Parteien übernimmt, ohne sich irgendwo festnageln zu lassen. Während andere noch traditionell-ökonomistisch argumentieren und damit ins Leere reden, haben die Grünen längst die kulturelle Argumentation für sich fruchtbar gemacht und damit breite bürgerliche, und nicht nur linke, Schichten hinter sich gebracht. Insofern ist doch alles logisch, was die letzten und wohl auch die nächsten Wahlen angeht, und man muss den Hut ziehen vor den Grünen, wie sie nach Gramscis Rezept erst die kulturelle Hegemonie errungen und diese dann in eine politische umgemünzt haben. Nur hoffe ich, dass sie auch mit den ökonomischen Notwendigkeiten klar kommen werden und nicht als erstes die Deutsche Bank abschaffen wollen. Es scheint, dass die jetzige Euphorie noch vieles gnädig zudeckt, was an Widersprüchen demnächst aufbrechen wird. Und wenn Frau Ströver, die ich nicht so gut kenne wie Sie (und die zwar nicht für sich persönlich, aber doch für ihre Partei Stimmen sammelt, was ja auch legitim ist), dann nicht mehr eine irreführende Marktterminologie verwendet, wo es einfach um die Umverteilung von Staatsubventionen geht, bin ich es auch zufrieden. Und wie gesagt: Ich finde es nicht abwegig – und ziemlich sicher ist es auch mehrheitsfähig -, wenn die Grünen den vielen Kleinen mehr und den paar Großen weniger geben wollen. Die großen Institutionen werden immer Sponsoren finden (z.B. Deutsche Bank), die kleinen nicht. Ich habe es vielleicht ein wenig salopp formuliert, aber mit FDP hat das aus meiner Sicht nichts zu tun, sondern mit dem Geld, das, gerade in Berlin, nicht mehr vorhanden ist.
    Aber über das fehlende Geld sollen sich dann die Kulturpolitiker/innen den Kopf zerbrechen, dafür werden sie bzw. ihre Parteien schließlich gewählt. Ein undankbarer Job, ich möchte ihn nicht haben.
    In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen schönen Abend. Ganz ohne Kulturpolitik. MN

  14. wechselstrom sagt:

    @ Max Nyffeler,

    Ich will Ihren Gedanken aufgreifen und die Kulturpolitik des „nationalen Untergehölz“ als „wacker“ bezeichnen.
    Nationales Untergehölz sind Länder, Städte, Gemeinden und der Begriff „wacker“ mag eine Mischung aus Standhaftigkeit in Zeiten schärferer Auseinandersetzungen, gepaart mit einem Bewusstsein für notwendige Modernisierung und Mobilität beschreiben, wobei ein gewisses Quantum an Ironie in der Vergeblichkeit dieses Tuns mitschwingt.

    Man sollte vielleicht in die Bewertung der Kulturpolitik der „kleineren Einheiten“ (incl. Berlin) zunächst die Unschuldsvermutung einbringen.
    Kulturpolitik verursacht zwar, besonders in Zeiten knapper werdender Mittel Verteilungs- und Grabenkämpfe, aber sie tut das nicht per se. Anders ausgedrückt: Die Grabenkämpfe würde es auch ohne Kulturpolitik geben, sie würden sich dann ausschließlich über die Wirtschaftsebene etablieren.

    Im Verhältnis zwischen groß und klein, also z.B. hier das Opernhaus, dort das Straßentheater, folgt automatisch die Frage nach dem Ausgleich eben dieser gerade erkannten Ungleichheit.
    Diese Ungleichheiten (die ja auch in der jeweiligen Finanzausstattung ihren Niederschlag finden) ausgleichen zu wollen führt, wie Sie bereits sagten, ins Leere, sie sind ebenso strukturbedingt, wie die Tatsache, dass Berlin größer ist als Gramatneusiedl.
    Ich stelle mir gerade eine Szene vor, wo sich zwei Musiker am Bahnhof treffen und der eine mit Stolz verkündet „Ich hab´ jetzt einen Gig in Wien“ und der andere ebenso stolz kontert „Ich spiele morgen im Rahmen der Gramatneusiedler Kulturtage“.
    Ebenso kann man sich schwer vorstellen, dass letztgenannter Künstler seinen Auftritt in seine Biografie als besonders wertvoll einreiht, auch wenn er dort (eben in Gramatneusiedl) das beste Konzert seines Lebens gegeben haben mag.

    Man erkennt den Umstand, dass auch der Künstler Kraft seines Handelns Kulturpolitik betreibt, und er zugleich in seinen Entscheidungen in die oben erwähnten Strukturen eingebunden ist, mag er diese auch ausblenden oder in die Zeitdimension verschieben. Denn, was ist dem Unterschied zwischen Wien und der Provinz anderes gezollt als, im Besten Fall Mitleid auf der einen und Ehrerbietigkeit auf der anderen Seite, im schlimmsten Fall Verachtung bzw. Prahlerei.

    Wie kann der Künstler diesem Paradox entgegnen:
    Ich glaube am besten mit künstlerischen Mitteln – der einfachste und zugleich langweiligste Weg ist über die Programmgestaltung auf der einen und ätzende Provinzkritik auf der anderen Seite; es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, so denke ich, die jenseits von Anbiederung bzw. offensiver Ablehnung Bestand haben.

    Wie sich kleinere Städte ein Profil, das überregionale Ausstrahlung erreicht aneignen können, dafür ist Darmstadt ein bekanntes Beispiel:
    Obwohl vom Namen her wenig appetitanregend, gab dort nicht nur eine wackere Jugendstilbewegung, die noch durch manche architektonische Sehenswürdigkeit präsent ist, es hat sich dort eine ebenso wackere Musik-Biennale etabliert, die regelmäßig für Aufregung, selbst bis in die unendlichen Weiten des Bad Blog of Musick sorgt.

    Mit besten Grüßen aus dem 16. Hieb (vulgo Ottakring)

    – wechselstrom –