Was vom Netzwerken übrig blieb

Schleunigst muss ich einen Artikel fertig schreiben für die nächste Ausgabe der NMZ. Es geht darin um die Zukunft der Netzwerke. 2008, als die Chose losging, habe ich einen Radiobeitrag verfasst, in dem die Netzwerker aus NRW zu Worte kamen. Da war der Sounding D-Zug wahrscheinlich noch nicht einmal ein sündiger Gedanke in der Luft. Sämtliche Zitate dieses Beitrags sind Gesprächsauschnitte, aufgenommen am 22./23. Januar 2008, in diesen Tagen wurde er auch geschrieben. Hier erstmals in „Textfassung“. Ein Rückblick.

Millionen für Neue Musik – Neue Musik für Millionen?

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„Mehr Musik!“, „Entdeckung“ oder „MehrKlang“ heißen einige der fünfzehn Initiativen, die Ende des vergangenen Jahres vom Kuratorium des Netzwerk Neue Musik (NNM) bundesweit zur Förderung ausgewählt worden sind. Gleich drei dieser Projekte knüpfen ihre Netzwerke in NRW. Ziel der Förderung ist „eine nachhaltige regionale Vernetzung und kreative Vermittlung der Neuen Musik an eine breitere Öffentlichkeit“. Zwölf Millionen Euro hat die Kulturstiftung des Bundes bis zum Jahr 2012 dafür bereitgestellt.

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Gibt es so etwas wie unvermittelte Musik? Die Antwort liegt auf der Hand. Natürlich nicht. Musik wird vermittelt durch einen Musiker, der wiederum produziert Schallwellen, die subjektive Reaktionen aulösen, die unter anderem dadurch bedingt sind, was wir in unserem Leben bereits gehört haben, wie unser Wahrnehmungsapparat ausgestattet ist, was wir zuvor gegessen haben – und wie unser Nachbar riecht und schnauft. Die subjektive Erfahrung von Musik ist so vielen (potenziellen) Störfaktoren ausgesetzt, dass man tatsächlich nie – oder nur nach eingehender Prüfung – davon ausgehen sollte, dass ein Gegenüber dasselbe meint, wenn es von Musik spricht. –

Musik klingt immer anders, auch abhängig davon, wie man sie präsentiert.

Begibt man sich zu den Horten bürgerlicher Musikpflege, so erfüllen meist – mehr oder weniger liebevoll gestaltete – Programmhefte eine vermittelnde Funktion, ein bemühter Moderator oder ein eloquenter Dirigent. Das alles reicht dem modernen Veranstalter längst nicht mehr, um jener angeblich aussterbenden – oder zu anderen, besser konsumierbaren Weidegründen abgezogenen – Spezies habhaft zu werden, die sein bestes Argument ist, die Fleischtöpfe öffentlicher Subvention für seinen Veranstaltungsort weiterhin offen zu halten: des Publikums.

„Wenn man es salopp ausdrücken will, franst ja die Musik in allen Städten überall hin aus“, sagt Michael Kaufmann, Intendant der Essener Philharmonie. „Es gibt ja viel mehr schon an Aktivitäten, wenn man mal Städte gesamt oder Regionen gesamt sich an guckt. Egal, ob irgendwo Response- Projekte oder Soundscape-Projekte oder was auch immer passiert. […] Und spätestens ab Ende der 80er Jahre, wo man erkannt hat, dass in den schulen der Musikunterricht immer weniger wird und die Kulturinstitute versucht haben, diesen Musikunterricht wieder zu kompensieren, das bis heute noch tun, hat ja eigentlich eine ganz klare Bewegung eingesetzt: […] rauszugehen und zu sagen, wir erzählen euch etwas über Musik.“

Auch Renate Liesmann, Jury-Mitglied im Auswahlgremium der Kulturstiftung des Bundes, verortet die Vermittlungsbestrebungen des Netzwerk Neue Musik im Kontext einer übergreifenden Bildungsdiskussion.

„Man hat erkannt, dass doch viele Versäumnisse in den letzten Jahrzehnten passiert sind. Und dass viel zu sehr auf messbare Vermittlungswerte gesetzt wurde. […] Das sozusagen die kulturelle Bildung eigentlich das Herzstück jeglicher Bildung ist, […] das ist wieder erkannt worden und aus diesem gesamten Umkreis ist zu verstehen, dass die Musik eine größere rolle spielt […] und in diesem Gesamtzusammenhang muss man auch sehen, dass die neue Musik, da man sie ja auch hoch subventioniert, durch die Rundfunkanstalten und auch die Städte tun es, dass man hier an das Publikum von morgen besonders denken muss. “

Michael Kaufmann bestätigt dies: „Und wenn man nur sagt, es gibt sowieso in jeder Stadt vielfach Aktivitäten, dann ist es glaube ich relativ logisch, dass man sich versucht, eine Bündelung auszudenken.“

Stimmt, eigentlich logisch. Doch offenbar bedurfte es in vielen Städten und Regionen dieses Anstoßes von Außen, um den Prozess der Vernetzung in Gang zu setzen. Gewonnen haben nicht nur jene Städte, in denen tatsächlich Vermittlungsaktivitäten für die kommenden vier Jahre gefördert werden. Gewonnen haben alle Antragsteller, die sich – häufig zum ersten Mal – mit den Mitstreitern aus anderen Institutionen an einen Tisch gesetzt haben. Wer darauf gehofft hatte, von der Bundeskulturstiftung Startkapital zu erhalten um etwas aus dem Boden zu stampfen, hatte das nachsehen. Der offene Begriff von Vermittlung, dem sich das Kuratorium verschrieben hat, gestattete es den Antragstellern, dass sich in ihren Projekten jeweils die gelebte musikalische Wirklichkeit einer Stadt oder einer Region abbildet. So reden die Anträge nicht einem Marketingdeutsch von vernetztem Handeln das Wort, sondern bauen auf vorhandenen Strukturen auf, die Stiftung bietet neuen Schmierstoff für Getriebe, deren Funktionsweise optimierungswürdig scheint.

„Essen ist 2004 gegründet in der Situation wo eigentlich niemand im Ruhrgebiet auf ein neues Konzerthaus gewartet hat“, gesteht Michael Kaufmann ein. „Und ich war überzeugt, dass der Sinn dieses Konzerthauses eigentlich darin bestehen müsste, Kräfte zu bündeln und wie unter einem Brennglas klar zu machen, dass nun wirklich ein Haus der Musik für die ganze Region da sei.“

Die Philharmonie Essen ist ein Sonderfall – sie ist das einzige Konzerthaus, das als Antragsteller erfolgreich war. In Köln beispielsweise, reiht sich die Philharmonie gemeinsam mit über dreißig anderen Veranstaltern, Ensembles, Bildungsträgern oder Vereinen unter die Netzwerker ein.

„Was wirklich das Kölner Netzwerk von allen anderen unterscheidet, ist diese Breite der Akteure“, hebt Rainer Nonnenmann hervor. Der Musikwissenschaftler und –journalist hat den den Kölner Antrag mit auf den Weg gebracht und gehört dem Vorstand eines frisch gegründeten Trägervereins an, der die Arbeit des Kölner Netzwerkes in den kommenden vier Jahren lenkt. „Die Vielzahl der unterschiedlichen Akteure und ganz besonders eben, dass hier in Köln alle Partner unter Partnern agiert haben ist eine Besonderheit. Gleichberechtigt. Und keine Institution sich als alleiniger Antragsteller sich da nach und nach andere Akteure mit hinzu geholt hat und eigentlich die Prädominanz über das Projekt behielt. Sondern hier in Köln sind tatsächlich alle gleichberechtigt an diesem Netzwerk beteiligt“.

Als eines von drei Projekten wurde Köln neben Berlin und Stuttgart von der Stiftung mit der Höchstförderung von 800.000 Euro für den Zeitraum von vier Jahren bedacht – Gelder für Vermittlung, die von den Kommunen in gleicher Höhe gegenfinanziert werden mussten. In Köln wurde diese nicht unbeträchtliche Summe von Kulturdezernten Georg Quander tatsächlich durch neue Gelder aufgebracht, nicht durch Umwidmung bereits bestehender Ausgaben. In Moers beschied man sich mit weniger. Das dritte in NRW beheimatete Netzwerkprojekt zählt gemeinsam mit Städten wie Passau oder Augsburg zu den kleineren und für manche auch überraschenden Siegerprojekten. Ein Alleinstellungsmerkmal hat die Jury von der Moerser-Idee überzeugt: als einziger von über 81 Antragstellern setzte die Stadt ganz auf die improvisierte Musik.

„ Das ist ja auch die spannende Frage bei der Vermittlung, was überhaupt Improvisation bedeutet. Wie weit Improvisation geht.“ So Rainer Michalke, künstlerischer Leiter des Jazzfestival Moers und des Netzwerkprojektes „nimm!“. Michalke setzt in Moers auf Interventionen. Musik soll in der Stadt präsent sein, in den Unternehmen, in den Schulen, die erste Ratssitzung nach den Sommerferien soll vom Improviser in Residence eröffnet werden. Diese neue Stelle als „Stadtmusikantin“ hat in diesem Jahr die Saxophonistin Angelika Niescier inne, die dafür ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt für ein Jahr nach Moers verlegt und in das Stadtleben eingreift, wo es möglich ist – durchaus an ungewohnten Stellen.

Natürlich wir wollen in die Institutionen gehen, an die Arbeitsstätten der Bürgerinnen und Bürger. […] Wir versuchen ja auch das Unterhaltende, das Kurzweilige, das Spannende, das Interessante herauszuarbeiten, das Ganze nicht als Katharsis zu verstehen, wo man durch muss, wo man leiden muss, um hinterher als ein geläuterter Mensch da zu sein. Das kann nicht, das ist nicht unsere Aufgabe. Es geht ja mehr darum den Spaß, den wir selber haben, wenn wir diese Musik hören, dass wir davon vielleicht ein bisschen vermitteln können. Das ist ein Prozess.“

Gesprächskonzerte unter dem Titel Avant-moers Festival und das Schleusenprojekt im Zuge dessen alle Moerser Schulkinder dreimal in ihrer Schulzeit durch improvisierte Musik hindurchgeschleust werden sollen, flankieren künftig das im Mai stattfindende Moers-Festival. Essen stellt sein Projekt unter das Motto Entdeckung.

„Wenn die Behauptung, oder die Forderung die wir gern aufstellen, stimmt, dass Kultur einer der Motoren der Gesellschaft sei und dafür sorgt, dass Gesellschaft sich fortentwickelt, dann können wir uns nicht nur mit Vergangenheit beschäftigen, sondern da müssen wir uns mit Zukunft und mit Gegenwart beschäftigen. […] Und ich denke, je selbstverständlicher wir damit umgehen, je weniger wir sagen, es ist eine Nische. Desto selbstverständlicher kommen die Leute auch zur neuen Musik in die Konzerthäuser.“

Seit der Eröffnung strickt Essen seine Programme um einen composer in residence. Auch in den kommenden vier Jahren werden Persönlichkeiten wie Wolfgang Rihm oder Unsuk Chin die Essener Entdeckungen prägen. Viele der neuen bunten Vermittlungsmaßnahmen wurden zuerst im angloamerikanischen Sprachraum erprobt. Dort spricht man allerdings nicht von Vermittlung sondern von education – und Ausbildung spielt auch in Köln eine zentrale Rolle, wo man im Netzwerk auf vier verschiedene Schwerpunkte setzt: Eine Schule der Vermittlung soll die Akteure des Kölner Netzwerkes fit machen für ihre Aufgaben als Multiplikatoren. Laien und Berufsgruppen, die man für die neue Musik interessieren will, sollen in einer Profilgrundschule Neue Musik Berührungsängste verlieren und Zugänge kennen lernen. Die Ankündigung von „Neuer Musik Plus“ verspricht künftig Veranstaltungsprogramme und Festivals zu den Themen Neue Musik und Film, Neue Musik und Elektronik und Neue Musik im kulturellen Kontext. Was hier noch trocken klingt, soll schließlich helfen, der Neuen Musik mit den positiven Konnotationen der als „Plus“ firmierenden Sparten den Staub von den Schultern zu pusten. Eine vierteljährlich erscheinende Zeitschrift, ein gemeinsamer Internetauftritt und ein gemeinsames Marketing ergänzen die geplanten Maßnahmen. So sollen beispielsweise unter dem Label Schlüsselwerke Aufführungen von Schlüsselwerken der Neuen Musik firmieren, die nach den Geschichtsbüchern endlich auch die Konzertsäle erobern sollen.

„Letztlich soll das Publikum davon profitieren, das jetzt noch nichts von neuer Musik ne Ahnung hat, neue Musik-Erfahrung machen soll“, sagt Rainer Nonnenmann. „Das ist das Ziel, was letztlich dahinter steckt. […] Wenn ich die Erfahrung aber einmal gemacht habe, dann brauche ich keine sekundären Vermittlungen mehr, dann ist Vermittlung im Sinne von Erfahrung direkt schon gelungen.“

Bis es soweit ist, kann sich auch das bereits Neue Musik affine Publikum an einer Vielzahl zusätzlicher Veranstaltungen, Zugangsmöglichkeiten oder Komponistenbegegnungen erfreuen, denn dies, zeigt die Erfahrung ist häufig immer noch der beste Weg der Vermittlung.

„Vielleicht auch beginnt so eine Vermittlung schon mit der Tatsache, dass die Musikerinnen und Musiker, die diese Musik machen, ganz normale Leute sind, die witzig sind, die genauso sind, wie die Leute, […] die Schlager singen oder sonst irgendwie was tun“, hofft Rainer Michalke.

Michael Kaufmann setzt auf die Kraft der Persönlichkeiten: „Ein Aspekt ist sicher: meet the composer. Ist auch nicht was ganz Neues. Aber wenn Kinder und Jugendliche den Menschen treffen können und mit dem reden können, der Werke schafft, dann produziert das das, was wir vielleicht unter dem Begriff Nachhaltigkeit verstehen können. Nämlich, dass da wo wir jetzt kleine Pflänzchen weit außerhalb der Philharmonie oder des eigentlichen Musiklebens schaffen, was wächst, was wir sonst nicht hinkriegen könnten.“

Zwischen den Netzwerkern in NRW wurden bereits die ersten Kooperationen vereinbart. Auf regelmäßigen Treffen aller Netzwerkteilnehmer in Berlin soll der Erfahrungsaustausch lebendig gehalten werden.

„Wir schrauben alle am gleichen Rad und haben ähnliche Ziele und der Austausch über die jeweiligen Erfahrungen […] wird uns alle voranbringen“, hofft Rainer Michalke. „Diese nationalen Kooperationen, die daraus entstehen, werden möglicherweise ein großer Mehrwert sein dieser Aktion. […] Ich bin überzeugt, dass gerade über die Zusammenarbeit innerhalb dieser Netzwerke noch ganz, ganz viel passiert, von dem wir alle noch gar nicht wissen, wo uns das hinbringen wird. Im positiven Sinne.“

In Köln hat man konkrete Ziele vor Augen. Einerseits will man an eine große Tradition anknüpfen, andererseits erhofft sich Hermann-Christoph Müller, Musikreferent der Stadt Köln, von den Netzwerkaktivitäten neuen Schub für einen lange gehegten Traum der Kölner Musikschaffenden: „Man kann dieses Projekt in einem großen Bogen sehen, der beginnt mit der freien Szene in Köln den ich Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre verorte. […] Wenn man von dort den Bogen jetzt schlägt über dieses Netzwerk, dann wäre vielleicht eines der nachhaltigsten Projekte dieses Netzwerks die Entstehung eines Zentrums für neue Musik. denn das ist auch eine vieldiskutierte und lange diskutierte Idee hier in Köln, seit über zwanzig Jahren. […] Das Netzwerk wäre natürlich auch ein Bestandteil und würde darüber hinaus noch bestand haben. Dieses Zentrum für neue Musik wäre eine Spielstätte, in der dann endlich auch avancierte Musiktheaterproduktionen produziert und auch gezeigt werden könnten.“

Mit solchen Perspektiven punktet man als rheinischer Netzwerker bei den Stiftern aus Berlin. Schon aus Lokalpatriotismus kann Jury-Mitglied Renate Liesmann-Baum daher nur zustimmen:

„Das wäre natürlich das Schönste und vornehmste Ziel, dass hier etwas hängen bleibt und in eine, ja, Situation mündet, wo man sagt, also, ja, da ist wirklich etwas entstanden, was es vorher nicht gegeben hat.“

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Musikjournalist, Dramaturg