Martern aller Arten in Marzahn (2)
Vor nun auch schon wieder 1 1/2 Jahren berichtete ich schon einmal über die Hans-Werner-Henze-Musikschule Marzahn-Hellersdorf und ihr fantastisches Nachwuchs- und Jugendsinfonieorchester unter der Leitung des Dirigenten Jobst Liebrecht.
Damals stand eine akute Drohung einer Kürzung ins Haus, die u.a. durch Reaktionen auf den Artikel im Bad Blog verhindert werden konnte. Doch es ziehen schon wieder dunkle Wolken über Berlins „Problembezirk“ auf.
Noch einmal zur Erinnerung: Durch den unermüdlichen Einsatz von Martina und Rainer Feldmann – damals noch Lehrer an der Musikschule – und anderen wackeren Lehrkräften, aber vor allem durch den Wunsch der Schüler selbst wurde damals das Jugendorchester der Musikschule ins Leben gerufen mit dem Willen, es zu einem anspruchsvollen Klangkörper zu entwickeln und künstlerisch wertvolle Projekte mit jungen Musikern zu verwirklichen, die weit über das „normale“ Repertoire von Musikschulorchestern hinausgehen. Dass dies in einem Berliner Bezirk wie Marzahn-Hellersdorf geschieht, mit Kindern aus ganz anderen Schichten als denen, die ihre Kinder ohnehin auf musische Elitegymnasien schicken, hat natürlich auch eine stark kulturpolitische Komponente. Dass so eine Arbeit erfolgreich sein kann und überregionale Anerkennung finden kann, zeigte das Orchester gleich mit seinem ersten Großprojekt, der CD-Aufnahme von Hans Werner Henzes Kinderoper „Pollicino“, die dann auch gleich den Klassik-Echo gewann. Aber auch die weiteren Projekte des Orchesters konnten sich sehen lassen: speziell für die Aufführung von experimenteller Musik wurde ein „Geräuschorchester“ gegründet und immer wieder wurden Aufträge an zeitgenössische Komponisten vergeben, Musik speziell für das Jugendorchester zu schreiben. Gerade erst vor kurzem gelang auch eine beeindruckende Ersteinspielung und erstmalige vollständige Rekonstruktion von Paul Hindemiths „Plöner Musiktag“, einem Werk aus einer Zeit in der es Komponisten noch als Verpflichtung empfanden, mit Leidenschaft Musik für Kinder und Jugendliche zu schreiben, und nicht, weil es dafür eben noch im Gegensatz zu anderswo Geld gibt (diesem Eindruck kann man sich heute oft nicht erwehren).
Jobst Liebrecht beschreibt den Gründungsvorgang so:
Das Jugendsinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf wurde 2005 an der Musikschule Marzahn-Hellersdorf auf eigene Initiative der Musikschüler gegründet. Initialzündung für die Jugendlichen war das in England erlebte Gemeinschaftserlebnis einer großen, gemeinsam musizierenden Gruppe. Die Gründung des Jugendsinfonieorchesters war der kulminierende Höhepunkt der Musikschularbeit der vorangehenden Jahre, in denen die Ensemblearbeit immer im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit der Musikschule stand. Die Gründungsmitglieder des Orchesters, etwa 45-50 Jugendliche, waren fast alle Schülerinnen und Schüler der Musikschule und aus der dortigen Nachwuchsarbeit hervorgegangen. Sie suchten zum einen eine Intensivierung der gemeinschaftlichen Aktivitäten, zum anderen weitergehende fachlich-musikalische Herausforderungen. Es waren in der Regel die fortgeschrittenen Schüler der Musikschule.
Dieser Gründungsvorgang des Orchesters, an dem auch eine Vielzahl von Musiklehrern aktiv mitbeteiligt war, ist insofern bedeutsam, als er in mehrfacher Hinsicht verdeutlicht, dass das Jugendsinfonieorchester von Anfang an eine Kernkompetenz der Musikschule Marzahn-Hellersdorf verkörperte.
Die Anzahl nahmhafter Musiker, die zusammen mit dem Orchester aufgetreten sind, oder bei Projekten mitgeholfen haben (wie zum Beispiel der leider viel zu früh verstorbene Schlagzeuger Edgar Guggeis) ist inzwischen kaum noch überschaubar. Beim Plöner Musiktag sang zum Beispiel der Bariton Dietrich Henschel mit, der sonst in den großen Opernhäusern dieser Welt auftritt.
Neben all dem betreibt Jobst Liebrecht vor allem klassische Aufbauarbeit – von klein auf lernen die Jugendlichen und Kinder in Ensembles zu spielen, und natürlich muss auch das sonst übliche Repertoire von Jugendorchestern bedient werden (sehr oft Filmmusikarrangements). Das Marzahn-Hellersdorfer Jugendorchester ist aber ein Beweis dafür, dass reiner Spass am Musizieren, künstlerischer Anspruch wie auch soziale Initiative unter einen Hut zu bringen sind.
Der Kalender des Jugendorchesters ist voll: So stehen zum Beispiel aktuell Auftritte beim Berliner Classic Openair, zusammen mit der Salzburger Domkantorei im Berliner Dom, sowie in der Basilika Waldsassen auf dem Programm.
Um so unerklärlicher ist daher ein erneuter Versuch der Verantwortlichen (u.a. der Schulleiterin Yvonne Moser), das Orchester erneut „einzudampfen“. Faktisch ist im Moment eine Kürzung der Arbeitszeit von Jobst Liebrecht (Dirigent) und Sven Schabram (Projektkkoordination) um die Hälfte im Gespräch, das Notenarchiv unter Frau Puppe soll sogar um 3/4 gekürzt werden. Da all diese Kräfte ohnehin schon zu Minimalhonoraren, also quasi ehrenamtlich, arbeiten, ist dies natürlich schon eine krasse Vorgehensweise.
In einem Konzeptpapier zur Reform der Orchesterarbeit schreibt Yvonne Moser:
„Musikstücke, zu denen die SchülerInnen ein positives Verhältnis haben, fördern die Motivation zur Probenarbeit und damit die musikalische Entwicklung voran (sic!). Inhaltlich sollten Werke für Orchester im Original und in Bearbeitungen aus allen musikalischen Epochen sowie eine stilistische Vielfalt das Übungsfeld bestimmen.
SchülerInnen sollten sich mit der ausgewählten Literatur identifizieren können….In Musikschulensembles entstehen keine langfristig feststehenden personellen Strukturen. „
Hier muss man natürlich zwischen den Zeilen lesen: in Wirklichkeit heißt dies nämlich „weniger Neue Musik, weniger Experimente, weniger Gewagtes, mehr traditionelles Repertoire und Filmmusikbearbeitungen“, und so war es natürlich auch als stete Kritik mancher Unkenrufer an der Orchesterarbeit hinter den Kulissen zu hören. Während die fantastischen jungen Musiker der Hans-Werner-Henze-Musikschule die größten Erfolge gerade mit Projekten anspruchsvoller zeitgenössischer Musik feiern konnten, ist dies den Verantwortlichen scheinbar unheimlich oder irgendwie nicht genehm, ebenso wie eine kontinuierliche Arbeit eines Dirigenten (Voraussetzung für Qualitätsbestand) – was natürlich kaum verständlich ist. Aber anscheinend bietet gerade das „andere“ dieses Jugendorchesters – und eigentlich wünschte man sich, dass alle Musikschulorchester so wären wie das der Hans-Werner-Henze-Musikschule – Angriffsflächen für musikalisch konservative Ansichten.
Jobst Liebrecht schreibt zu dieser Problematik:
„Ich bin mir bewußt, daß es immer auch leichtere Werke geben muß, bei denen die jüngeren Schüler ins Orchester eingeführt werden können. In unserem letzten Konzert waren dieses, wie bisher meistens auch, die Filmmusiken. Im Classic Openair-Konzert habe ich auch deshalb extra das Philip Glass-Violinkonzert gemeinsam mit der Solistin und den Jugendlichen ausgewählt, weil es deutlich etwas einfacher zu spielen ist. Nach der jetzigen Planung werden ungefähr acht Schüler des Nachwuchsorchesters dabei mitmachen können. Ich habe einen entsprechenden Brief mit dem Angebot für dieses Stück an Frau Blank für den Streicherbereich geschickt, und hoffe noch auf weiteren Zulauf. Bitte nehmen Sie den höchst engagierten Jugendlichen im Orchester nicht ihren Enthusiasmus und ihren Glauben an die Wichtigkeit ihres Tuns – das ist doch ungeheuer wertvoll und fördernswert, was sie dort leisten.“
Als Ironie des Schicksals bekommt Hans Werner Henze – Namensgeber und Patron der Schule – der als Komponist nun wahrlich für erfolgreiche Jugendprojekte steht (Montepulciano, Deutschlandsberg), in diesen Tagen den Preis fürs Lebenswerk der GEMA. Es ist also ein schrecklicher Hohn, dass ausgerechnet jetzt das Orchester das seinen Namen trägt in ein 08/15-Jugendorchester umgewandelt werden soll.
Vielleicht ist es möglich, mit diesem Artikel die Verantwortlichen dazu zu bewegen, ihr Vorhaben noch einmal zu überdenken. Sicherlich gibt es für ihre Pläne auch Gründe, aber wäre es nicht angemessen, sich einfach mal mit allen zusammen – auch den Kindern selber, denn die sind die wichtigsten – an einen Tisch zu setzen, und darüber zu sprechen wie man das Besondere, dass dieses wunderbare Orchester der Hans-Werner-Henze-Musikschule Marzahn-Hellersdorf ohne Zweifel darstellt – bewahren und fördern kann anstatt den Mut zu verlieren? Dieser Mut würde ganz sicher belohnt werden, und die erfolgreiche Geschichte des Orchesters könnte weitergeschrieben werden.
Gerne auch hier in diesem Blog.
Moritz Eggert
Komponist
Sehr geehrte Bezirksbürgermeisterin Pohle, sehr geehrter stellvertretender Bezirksbürgermeister Komoß, sehr geehrter Bezirksstadtrat Richter, sehr geehrte Bundestagsabgeordnete des von Marzahn-Hellersdorf Pau!
Vor gut einem Jahr stand die bisherige Probenarbeit des Jugendsinfonieorchesters schon einmal am Scheideweg, habe ich mich solidarisch dazu geäussert. Denn sehr wohl durfte ich 2007 das wunderbare Orchester der Hans-Werner-Henze-Musikschule erleben, hatten die Schüler gegenteiligen Gerüchten zum Trotz wirklich Spass an meinem modernen Marimbakonzert, an den klassischen und romantischen Stücken sowie an der Filmmusik. Der Dirigent des Orchesters, Jobst Liebrecht, investierte viel Engagement, Zeit und Kompetenz, um das Orchester auf dieses spass- wie lustvolle Niveau zu hieven, was es so erfrischend von all den anderen Schul- und Musikschulorchestern unterscheidet. Es ist zwar wichtig das klassische Kernrpogramm, neues Unterhaltendes zu pflegen. Den einzigartigen Stempel für alle Beteiligten dürfte aber die lebendige Zusammenarbeit mit lebenden, zeitgenössischen Komponisten sein, wie es bisher üblich war.
Jetzt sollen die Mittel und Zeitdeputate so eingeschmolzen werden, dass der Etat um 50% schrumpft, analog dazu des Dirigenten Liebrecht Deputat, genauso die Orga-Arbeit, das wichtige Notenrchiv auf nur noch 25%. Genauso dürfen nur noch drei Auftritte im Jahr stattfinden, davon zwei Drittel ausschliesslich in Marzahn-Hellersdorf. Im Prinzip sind so ambitionierte, kreative Projekte besonders mit Zeitgenössischem nicht mehr möglich, beschränkt man sich auf Jugendorchester-Allerlei. Als Moderne ist dann nicht mehr die Neue Musik mit ihren rhythmischen wie harmonischen Kühnheiten möglich, die Zeit wird nur noch für Piraten-der-Karibik-Suiten reichen, wie im Bezirk Mitte, wo man über Weill kaum hinaus kommt – so sehr Weill natürlich zu schätzen ist.
Bedenken Sie: bisher konnte Ihr Randbezirk mit Dingen glänzen, die den Renomee-Vierteln in Ost wie West nicht gelingen mochten, natürlich wohl auch wegen dort erfolgter Kürzungen. Aus dem fernen München, wo auch nicht Alles glänzt, Kultur und Bildung aber kommunal zur Zeit eher aus- als abgebaut werden, allen Krisenrufen zum Trotz, kann man Ihnen nur wünschen, das bisherige Niveau zu halten und nicht in Finanzproblemen und Kollegenkrach von Musiklehrern und Leitung abzusägen.
Es ist immer wieder die Rede, dass gerade Jugendorchester keine kontinuierliche Arbeit zulassen würde aufgrund der Verweilkürze der Jugendlichen in diesen Ensembles. Wenn man nun aber davon ausgeht, dass vom 13. bis 18., gar 20. Lebensjahr die Mitgliedschaft in solch einem Orchester über 5-7 Jahre denkbar ist, wie schnell die Zeit in diesem Lebensabschnitt für die Heranwachsenden vergeht, ist doch mehr Kontinuität drin als man uns Glauben machen möchte. Die einzige Kontinuität die diesem Kurzzeitintervall entspricht, ist die Penetranz Ihrer Verwaltung in puncto Kürzungsabsichten. Gerade für Marzahn-Hellersdorf muss es doch eine Ehre sein, solch ein Spitzenjugendorchester in dem oft problembelasteten Umfeld zu haben, eine Freude es zu stützen und so jugendliche vor dem Abdriften zu schützen. Gerade Jugendliche mit intellektuellen Hintergrund wie musizierende Kinder sind auch nicht vor Extremismus gefeit, wenn man sie nicht fördert. Sehen Sie es doch so: diese Jugendlichen sind wohl die musisch Begabtesten Ihres Bezirks. Besonders diesen muss man aber Unterstützung zeigen, Kontinuität zeigen, sogar ein mehr an Förderung riskieren über das übliche Giesskannendenken hinaus. Sie werden sozialen Support um so leichter einfordern können. Aber so wie es jetzt wohl sein soll, klingt die 2/3 der Konzerte im Bezirkregelung fast schon wie ein Reiseverbot.
Also erfrauen und ermannen SIe sich, lassen Sie das Orchester in Ruhe, beruhigen Sie den Lehrerneid und bringen die Kontinuität an Finanzierung zu Wege, die Ihnen und dem Orchester zur Ehre gereicht. Oder veranstalten Sie doch mal ein Benefizkonzert des Bezirkrats für Ihre Musikschule – ich hoffe, Sie beherrschen Instrumente und wissen so, von was Sie in Ihren Kürzungsgedanken reden. Machen Sie Ihr Viertel nicht zum x-ten Kürzungsopfer des eigenen Wirkungskreises, nur weil Kultur und Bildung keine Pflichtaufgabe sind. Aber gibt es nicht auch ein Gewohnheitsrecht für bestehendes, v.a. Gutes?!? Ach, wären Sie doch endlich mal wieder Kunst- und Musikfreunde nicht nur der toten Kollegen, sondern auch des Zeitgenössischen. Immer derselbe Kampf, und Sie reihen sich wieder unrühmlich ein…
Mit Trauer,
Alexander Strauch
– Komponist –
@Alexander: gut so, ich werde auch noch morgen etwas schreiben. Jetzt gilt es vielleicht auch, musikalische Organisationen auf diese Geschichte aufmerksam zu machen: Siemens, Jeunesse Musicale, Netzwerk Junge Ohren, Deutscher Musikrat, tc.. Und die NMZ sollte auf jeden Fall über diesen Skandal berichten. In einer Zeit, in der bessere musikalische Nachwuchsförderung in ganz Deutschland auf der Agenda steht, kann man nicht ein erfolgreich gewachsenes Projekt zerstören. Man würde sich wünschen, dass Yvonne Moser vor lauter Scham im Boden versinkt…
Moritz Eggert