Musik zur Beruhigung

Unsere Welt wird inzwischen bestimmt von Musik, die im Hintergrund läuft. Musik, die uns beruhigt.

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Anscheinend brauchen wir im Moment besonders viel dieser Musik, so zum Beispiel wenn wir im Flugzeug bei air berlin sitzen und uns über die Kernschmelzen in Japan und das Leben von unzähligen Menschen Sorgen machen. Mancher mag Trost in klassischer Musik finden. Was gibt es im Programm? Schnell das Air Berlin – Magazin aufgemacht:

Ja, der katastrophengequälte moderne Flugreisende erholt sich natürlich gediegen bei „Mstislav Rostropovich“s Suiten für Solo Cello, BWV 1007-12“. Ach, die berühmten Solosuiten von Bach sind jetzt von Slava komponiert? Spannend. Da ist man richtig froh, dass die „Fledermaus Overture“ noch von „Johann Strauss Jr.“ ist, der etwas später auch als „Johann Strauss II“ vorkommt, mit seinem berühmten Walzer „Vienna Blood“, der wahrscheinlich als Filmmusik für die „Twilight“-Serie um schwindsüchtige Teenievampirchen komponiert wurde.
Ah, Beethoven ist auch vertreten, mit seiner „Sonata in A-Flat Major“, wahrscheinlich ein Auftrag aus England, denn die englische Schreibweise in einem komplett deutschsprachigen Flugmagazin machte ja sonst keinen Sinn.

Nach Beethoven muss man natürlich auf dem selben kompositorischen Niveau weitermachen, daher passt „Jon Schmidt“ super, dessen berühmtes Stück „First Love“ wir direkt danach hören dürfen. Solange es nicht „First Shit“ heißt, mag uns das recht sein, aber vermutlich handelt es sich genau darum.

Ach, Rachmaninoff und seine unvergleichlichen „Symphonic Dances“. Danach brauchen wir unbedingt „Chailly Cecilia“ (oder ist es Cecilia Chailly?), die uns akustisch mit der „Wassermannmusik“ verwöhnt. Ist damit vielleicht eines der Tierzeichenstücke von Stockhausen gemeint? Wir werden es nie erfahren, liebes Air Berlin-Magazin.
Es folgt die Gemeinschaftskomposition “ Concerto for Violin in E Minor“ von „Orchestra of Aix, Pierre Lafont und Pinkas Sztaifberg“. Vielleicht ist es auch von Brahms oder irgendeinem anderen schon lange toten und deswegen nicht mehr erwähnenswerten bärtigen Komponisten, man weiß es nicht so genau bei diesen E-Moll-Konzerten. Direkt gefolgt wird das von der „Surprise“-Symphonie von „Franz Joseph Haydn“, der sich sicherlich auch über den eher selten erwähnten ersten Vornamen freut. Danach passt perfekt Ludivico Eunaudis „The Snow Prelude“, denn eventuell könnte einen die „Surprise“ von Haydn zu sehr erschreckt haben und man muss jetzt erst einmal wieder runterkommen.

Toll schließlich auch zu erfahren, dass die „Symphony of Sorrowful Songs“ nicht etwa von Gorecki ist, sondern natürlich komponiert wurde von den Mitgliedern des „Baden Baden Philharmonic Orchestra“ zusammen mit „Teresa Erbe“ und dem unvergleichlichen „Werner Stiefel“. Die sich dann auch gleich einen Stiefel daran verdienen. Das alles passt ins Bild unserer Zeit: Schöpfer sind nicht so wichtig, die Interpreten sind es aber, und daher ist „Chailly Cecilia“ auch wichtiger als Stockhausen und „Werner Stiefel“ bedeutender als Gorecki. Wir müssen uns wahrscheinlich daran gewöhnen, dass wir als Komponisten in den Augen der Öffentlichkeit so eine Art Auslaufmodell sind.

Und was läuft auf CNN? Bilder des Tsunami unterlegt von dräuenden, Neue Musik-artigen Synthie-Klängen. Ich empfehle für das nächste Mal natürlich stattdessen „erschreckende“ Musik mit 44 kreischenden Violinen von der Horror-CD von UE zu verwenden, komponiert von Hauer, dem wahren und patentierten Erfinder der 12-Tonmusik. Es schlagen ja noch nicht genügend Leute Kapital aus dem Leid anderer.

Moritz Eggert

Guttenbergnote: Alle Zitate in Aunführungszeichen sind aus dem aktuellen Flugmagazin von Air Berlin, Seite 88, „Bord Radio“-Programm. Ich nehme mal an, dass da ein Affe irgendetwas abgetippt hat in der Redaktion.

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2 Antworten

  1. danke für einen weiteren sehr unterhaltsamen blog!

    um nochmal zu frank zappa zurückzukehren – im „frank zappa companion“ finde ich folgende interviewpassage:

    Q: how about the role of music in society? for example, kent nagano, who conducted the berkeley symphony, said, „a composer has a job to do within a culture. which is not to say a composer should write what the public already wants to hear, but rather that the public is employing the composer to lead them, to show them a direction.“ what do you think of that?
    A (FZ): I don’t think a composer has any function in society at all, especially in an industrial society, unless it is writing movie scores, advertising jingles, or stuff that is consumed in industry. I respect Kent; however, I think he takes a very optimistic and naive attitude toward what it takes to be a composer. if you walk down the street and ask anybody if a composer is of any use to society, what kind of answer do you think you would get? I mean, nobody gives a shit. if you decide to become a composer, you seriously run the risk of becoming less than a human being. who the fuck needs you? all the good music`s already been written by people with wigs and stuff on.

    .. ist natürlich klassischer FZ-„tonfall“, FZ-typischer zweckpessimismus, aber wie so oft mit mehr als einem körnchen wahrheit. – ich liebe es, musik zu schreiben und komponist zu sein, weiss aber natürlich nicht, wie es mir ergehen würde, wenn ich nicht gleichzeitig auch instrumentalist/“performer“ wäre, sondern „nur“ komponist…

  2. querstand sagt:

    @breinschmid keine angst vorm „nurkomponisten“. es kommt immer auf den musikbereich an, von dem aus man komponist oder spieler begutachtet. als jazzer übt man beides, wenn man komponiert, eher symbiotisch aus. als u-musiker, sänger, band wird man gerne für den autor gehalten, wie es im flieger selbst mit den e-musikern passiert, ist aber eher der produzent der komponist oder ein ganzes team tätig oder die band ist genau dieses team, lässt sich zwar der texter und melodiefinder exakt benennen, steckt hinter dem gesamtergebnis mehr dahinter. bei uns e-leuten haben komponierende musiker oder dirigierende komponisten den vorteil, sich als interpret mitverkaufen zu können, leben v.a. davon. der nurkomponist, welcher nicht zusätzlich für film, funk und werbung schreibt, hat’s augenscheinlich schwerer. aber ist er nicht oft genauso musiker, der aber nur ungern als solcher auftritt? das mag gesellschaftlich erstmal komisch wirken. nur sollte man nicht vergessen, dass zappa am ehesten die usa-sicht aus der warte eines komponisten einnimmt, der, so sehr er nach e will, doch aus u kommt, also einem bereich, wo reine komponisten unvorstellbar sind oder der begriff einer puren komposition auch nicht so einfach zu fixieren ist. ausserdem ist das musikleben in den staaten für e-musik-komponisten doch niemals so ausdifferenziert wie hier. der e-musik-löwe ives aus den usa war zumal auch kein spielender musiker, sind hierzulande komponisten alles von professor bis friedhofsgärtner und komponieren doch. es geht wohl erstmal um einen selbst, wie zappa ja auch, der v.a. anfangs als spielender musiker von der schriftlichkeit des komponierens berauscht war. was nun plebs denkt: geiger und bassgeiger können sie erkennen, cellist und bratscher nur extrem selten. spricht man als komponist, wird nach dem instrument gefragt, erzählt man vom cello, kapieren sie wie o.g. bahnhof, erwähnt man sein klavier, fragen die leute, ob man der tochter mal keyboardunterricht geben könne. also alles nicht so schlimm, brav weiterunterrichten oder sonstwie jobben und honorare einfordern, was eher ein polit- als plebsproblem ist…

    gruss, a. strauch