Flächenbrand Kulturabbau – ein Gastartikel von Peter Schöne

Vor Weihnachten ist man ja gerne „besinnlich“; also lasst uns weiter über die momentane kulturelle Situation sinnieren…
Diesmal möchte ich den Bariton Peter Schöne zu Wort kommen lassen – wir Komponisten tendieren dazu, vor allem unsere eigene Sichtweise der Dinge zu diskutieren, daher finde ich es sehr aufschlussreich, wenn sich hier mal ein Interpret Gedanken macht.
Peter Schöne ist als hervorragender und vielseitiger Sänger ein absoluter Verfechter zeitgenössischer Musik, was seine zahlreichen Uraufführungen und Einspielungen dokumentieren. In seinem Text gibt es einige wie ich finde sehr interssante Gedanken, und natürlich schreibt er aus eigener reeller Erfahrung als Sänger an einem Opernhaus (momentan Erfurt). Ich bin nicht ganz so optimistisch wie er was Neue-Musik-Festivals angeht, aber es ist klar, dass diese auch eine wichtige Funktion erfüllen, nämlich Musik zu präsentieren, die anderswo keine Chance mehr hat.
Vielen Dank an Peter, diesen Artikel hier einmal schon vorab zu veröffentlichen!
Moritz Eggert

Peter Schöne

Flächenbrand Kulturabbau

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Aktuelle Situation
Das Landestheater Flensburg ist in Not, Bonn will das Schauspiel schließen, Wuppertal hat diesen Schritt schon getan, Oberhausen, Hagen, Moers oder Essen sind ebenfalls geeignete Kandidaten für eine Schließung und zwar der kompletten Spielstätten. Und auch im Osten des Landes sieht es nicht besser aus, Leipzig muss mit massiven Kürzungen umgehen, die Anzahl der Opernhäuser in Berlin wird immer wieder gern diskutiert, Dessau und Altenburg/Gera sind gerade noch mit knapper Not einer Schließung entgangen, in Erfurt schreit man nach einer Stärkung der größeren Häuser zu Lasten kleinerer, in Sachsen steht die Landesbühne vor dem Aus. Auch in der bildenden Kunst sieht es nicht viel rosiger aus. Um ein Beispiel zu nennen: Zum Ende des Jahres 2010 sollen die Stadtgalerie Kiel sowie das KulturForum Kiel geschlossen werden. Im Nachbarland Holland macht man sich gleich daran, einen kompletten Rundfunksender samt Sinfonieorchester und Rundfunkchor abzuschaffen. Von der freien Kulturszene und den dortigen Kürzungen zum Teil auf Null wollen wir gar nicht reden – siehe Berliner Kammeroper.
Die Richtung ist klar:
In der Politik herrscht ein Paradigmenwechsel. Die neue Generation hat keinen Respekt vor der Kultur. Muss sie auch nicht, denn unsere Kultur definiert sich heute auf ganz andere Weise. Also wird abgeschafft, was in diesem Bereich nicht mehr für nötig befunden wird.
Natürlich drängen all die Künstler aus den geschlossenen oder bald zu schließenden Einrichtungen in den noch verbleibenden Markt und erhöhen damit ungewollt den Druck auf alle in dieser Branche wirkenden Menschen.
Der Vergleich ist vielleicht etwas hergeholt, aber im Prinzip ist es in etwa wie bei der Entwicklung des Kohlebergbaus in den letzten 50 Jahren.
Anfangs fanden viele Menschen dort Arbeit und siedelten sich sogar bewußt in Gegenden wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet an. Dann wurde ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt, weil Kohle aus dem Ausland billiger hergestellt und beschafft werden konnte. Aber natürlich hatte man eine Unzahl Menschen, die nichts anderes in ihrem Leben getan hatten, als im Bergbau zu arbeiten. Diese Menschen waren auf einmal arbeitslos und zwar ohne echte Alternative. Ähnlich ist es in der Kunst. Viele haben ihr ganzes Leben der Kunst verschrieben und müssen nun mit zusehen, wie ihnen die Basis des Schaffens entzogen wird, mit einer Geschwindigkeit, die vor wenigen Jahren zwar erkennbar, aber unvorstellbar war.

Um den Rückbau dieser Kunst zu verstehen, muss man ein wenig in die Vergangenheit blicken, die uns diesen Reichtum an Kultur erst ermöglichte.

Entstehung der Kulturlandschaft
Ab etwa 1650 bilden sich im gesamten Deutschen Reich deutsche Theatergesellschaften nach dem Vorbild der englischen Komödianten. In den folgenden 150 Jahren reisen diese Theatergesellschaften durch die Lande und bespielen die damals vorhandenen größeren Säle in Rathäusern und Schlössern. An den Höfen stellt man Musiker und Theatermacher auch fest an.
Mit der Erstarkung des Bürgertums werden Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts bürgerliche Theater eröffnet, die in der Folge auch eigene Spielstätten erhalten. Ein halbes Jahrhundert später reißt man einige dieser oft aus Holz gebauten Spielstätten nach wiederholten Bränden ab (allein durch die Bühnenbeleuchtung die damals mittels Öl und später mit Gas gespeist wurde) und in der Folgezeit, also um 1900 entstehen endlich viele der heute existierenden Theaterbauten und Opernhäuser samt ihren Ensembles bestehend aus Technikern, Ankleidern, Maske, Schneiderei, Schreinerei, Schlosserei, Ausstattung, Kulissenmalern, Verwaltung, Dramaturgen, Sängern, Musikern und der Verwaltung samt der Leitung. Bauherren sind die Städte und die darin lebenden wohlhabenden Bürgerfamilien, die sich Kultur in ihre Stadt holen wollen. Sie versprechen sich davon vermutlich das Gleiche, was sich zuvor die Könige und Fürsten versprochen hatten: Einerseits Unterhaltung und andererseits Anerkennung und also ein gewisses Prestige, das die Macht und den Einfluß stärkt.
Während zu Zeiten Bachs und Mozarts noch der Hofstaat für die Künstler aufkam, tritt mit der Erstarkung des Bürgertums und der Entmachtung des Adels der bürgerliche Staat an diese Stelle als Geldgeber.

Erfindung und technischer Fortschritt
Mit der fortschreitenden Industrialisierung wird Anfang des zwanzigstens Jahrhunderts die Schallplatte erfunden und mit ihr die Möglichkeit, Musik und gesprochenes Wort festzuhalten und zu vervielfältigen. Was zunächst als Segen für die Breitenwirkung der Kultur in der Bevölkerung erscheint, entpuppt sich später als Geißel der Kultur. Denn noch kann das Medium Schallplatte und die beginnende Rundfunkübertragung mit der Realität nur schwer mithalten. Zu schlecht ist noch die Wiedergabequalität. Das Live-Erlebnis ist nicht zu ersetzen. Auch das Kino, also die direkte Aufzeichnung der Realität zur Wiedergabe wird in dieser Zeit geboren.
Die Zeit bis 1945 ist durch Kriege geprägt die einerseits die Kultur zu politischen Zwecken instrumentalisieren und deswegen die Entstehung der Technik zu Propagandazwecken vorantreiben, und andererseits zu Zwangsschließung etlicher Spielstätten aus Kriegsgründen führen.
Nach Kriegsende und in den 60er Jahren eröffnet man die meisten Opernhäuser und Theater wieder. Die Ensembles werden wieder eingesetzt und die Kultur hilft das Erlebte wenn nicht zu bewältigen, so doch zumindest zu lindern.
Doch Theater und Oper erhalten verstärkt Konkurrenz. Der in den 30er Jahren erfundene Fernsehen (ab dem 22. März 1935 wurde in Deutschland das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Welt in hochauflösender Qualität ausgestrahlt) setzt sich in den 60er Jahren immer mehr durch. Es ist nicht mehr nötig, am Wochenende zur Unterhaltung ins Theater oder in die Oper zu gehen, man hat sie ja bequem zuhause. Sendungen wie „Erkennen sie die Melodie“ zeigen, dass in der ersten Zeit sogar eigene Orchester im Fernsehen engagiert waren um zum Beispiel in Ratesendungen mitzuwirken. Trotzdem ist auch damals die Bildqualität sowie der Ton zu schlecht, um das Live-Erlebnis ersetzen zu können.
Das Wirtschaftswunder ist auch positiv bei den Arbeitsbedingungen in den Theatern zu spüren, denn in dieser Zeit entstehen viele der Errungenschaften in den Künstlerverträgen, die auch heute noch Grundlage bei Vertragsabschlüssen mit Künstlern sind. Feste Ruhezeiten nach Vorstellungen, Mindestgage, Wochenend- und Abenddienstausgleich sind nur einige Beispiele.
In den Bereichen Chor, Orchester und Bühnentechnik sind die Verträge sogar unbefristet und Familienplanung für Theaterschaffende wird dadurch überhaupt erst ermöglicht.
All diese Errungenschaften sind jedoch in den letzten Jahre immer wieder Thema für Diskussionen und wurden bereits teilweise durch Haustarifverträge, teils durch direkte Abschaffung umgangen. Doch dies hat natürlich seinen Grund in der Tatsache, dass die Theater und Opernhäuser mit immer weniger Geld wenn nicht sogar mehr, dann zumindest die gleiche Leistung erbringen müssen.
Soweit zur historisch herangewachsenen Kultur, also jener, der die sogenannte „Ernste Musik“ angehört, oder das Schauspiel, oder das Konzertwesen der klassischen Musik.
Neben diesen Bereichen hat sich von der Oper über Operette und Musical auch noch der Bereich der Unterhaltungsmusik und Unterhaltungskunst entwickelt, der ebenfalls in direkter Konkurrenz mit der so genannten ersten Kunst steht.

Das Problem unserer Tage – Multimedia
Heute hat sich die Lage völlig verändert.
Das gleiche Bürgertum, dass sich noch Anfang des 20. Jahrhunderts Theater und Opern in seine Stadt baut und diese Errungenschaft als Wertzuwachs für die Lebensqualität und das Ansehen der Stadt erachtet, gibt heute sein Geld lieber dafür aus, die mediale Ausrüstung in den eigenen vier Wänden permanent zu erneuern und in die auf den Markt drängenden neuen Produkte zu stecken. Einen neuen Flachbildfernseher oder Video-Beamer (neuerdings in 3-D-Technik) und eine entsprechend teure Surround-Soundanlage haben die meisten zuhause. Sehr zur Freude der Länder und Konzerne, die diese Geräte herstellen (das ist jedenfalls nicht Deutschland) und die sich herzlich wenig darum kümmern, wie sich die Kultur jenseits des Profits entwickelt.
Unbestritten ist dann ein großer Teil des Haushaltsjahresbudgets der Familien nicht mehr für Theater-, Opern oder Konzertbesuche übrig. Aber wenn man sich dann doch bequemt, die eigenen Wände zu verlassen, dann wird bevorzugt das Großereignis besucht. Manche tun dies, weil man sowohl sehen kann als auch gesehen wird. Die meisten aber wollen mindestens einen ähnlichen Unterhaltungswert, wie sie ihn vom Fernsehen her kennen. Dafür werden auch astronomische Preise in Kauf genommen, ähnlich wie bei Events im Sport oder im Paralleluniversum der Unterhaltungsmusik.
Daß man sich eine möglichst gute multimediale Ausstattung nach Hause holt, ist übrigens ein sehr natürlicher Vorgang. Erstens ist das bequem und extrem vielseitig, zweitens bieten aufgezeichnete Opern-, Konzert- und Theateraufführungen auf Musik-CDs, Super-Audio-CDs, DVDs und Blue-ray-3-D-Discs eine unvergleichlich hohe Qualität auch bei der dargebotenen Leistung der Künstler, denn man kann ja das Beste zusammenschneiden.
Live ist solche Qualität nur schwer zu erreichen. Und da sind wir beim Problem der Aufzeichnung und Vervielfältigung im Allgemeinen, jener Gnade, die es auch einer Breiten Masse ermöglichte Kultur sogar in den eigenen vier Wänden zu genießen ohne selbst aktiv zu werden. Die Geißel dieses Aufzeichnungs- und Konservierungswahns ist das Problem der heutigen Künstler und Produktionskonzerne, denn mit jeder Aufnahme die von irgendeinem Stück hergestellt wird, verschwindet ein Stück Vielfalt.
Durch die Möglichkeit, eine Aufzeichnung mehrmals anzusehen, gewöhnt man sich an eine bestimmte Interpretation. Nachvollziehbar ist dies zum Beispiel an einem Stück aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik. Nehmen wir ein Lied der Beatles. Man hat sich genau an den Sound der Aufnahmen gewöhnt, an die Stimmen, an den Sound der Instrumente. Wenn eine Coverband diesen Song heute nachspielt, dann vermisst man genau diesen Sound und nimmt jede Abweichnung, sei sie auch künstlerisch begründet, als störend wahr. Das ist bei klassischer Musik und ihren Interpreten nicht anders.
Abgesehen davon, dass es also wenig sinnvoll ist, zum wiederholten Mal Beethovens 5. Sinfonie aufzunehmen, weil sich viele Menschen eben an die Aufnahmen alter Größen des Musikgeschäfts gewöhnt haben und das möglichst auch im Live-Konzert genauso hören wollen, ist es ohnehin noch weniger sinnvoll, davon auch noch Tonträger herzustellen, wenn doch (fast) alles auch in der „Riesenwolke“ Internet zu finden und auch zu kaufen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch dort Super-Audio-Qualität und 3-D-Filmmaterial von Aufführungen zu erhalten ist.
Das Gleiche geschieht in den letzten Jahren zunehmend im Bereich der Videoaufzeichnung von Opern- und Theateraufführungen. Es scheint fast, als wollten Künstler und Theater versuchen, die Realität abzubilden und mit dem Kino oder vor allem dem Heimkino zu konkurrieren.
Übrigens gab es, nur eben etwas früher, bereits eine vergleichbare Entwicklung in der bildenden Kunst, nämlich in dem Augenblick als die Fotografie erfunden wurde und es nicht mehr nötig war, sich porträtieren zu lassen. Eine der Lebensgrundlagen von Malern endete damit. Ab diesem Moment musste die Malerei ebenso wie die Plastik sich neue Ausdrucksformen suchen. Sie wurde abstrakt und verkauft sich heute hervorragend.

Die kommende Generation
Was den Nachwuchs betrifft, stellt sich die Situation noch ganz anders dar. Wahrscheinlich nur, wer selbst ein Instrument gelernt hat, in einem Chor singt oder als Kind schon das Glück hatte, an Opernaufführungen teilzunehmen oder sie von den Eltern gezeigt zu bekommen, wird noch zu schätzen wissen, was es heißt ein Klavierkonzert zu spielen, eine Arie oder gar ein Kunstlied zu singen. Die breite Masse interessiert sich dafür wenig und erkennt auch den unermesslichen Reichtum der Kultur nicht. Musik wird trotzdem konsumiert, aber der Unterhaltungssektor ist auch hier Tonangeber. Heute scheint es jedenfalls für Millionen Menschen sehr wichtig zu sein, wie in diversen Castingshows im Fernsehen, einige Wenige darum ringen, eine kurzfristige Unsterblichkeit in der Unterhaltungsmusik oder Unterhaltungskunst zu erlangen.
Es ist nicht so, dass die Menschen keine Musik mehr bräuchten und keine Theaterstück mehr sehen wollen. Nein, die Shows, die im Fernsehen gezeigt werden, sind so echt, dass kein Theaterstück mithalten kann. Es fließen echte Tränen, authentisch, ungeschminkt. Es wird gezankt, geflucht, gepöbelt aber auch versöhnt, geliebt und gefeiert, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Und Musik haben wir den ganzen Tag um uns. Im Auto, im Supermarkt, auf der Skipiste ebenso, wie im Fahrstuhl und im tragbaren Abspielgerät, das wir, sei es in Form eines Mobiltelefons, oder in anderer Art mit uns führen.
Der Besuch im Theater oder in der Oper findet also allenfalls noch aus Imagegründen statt.
Und welchen Jugendlichen kann man noch mit den spärlichen finanziellen Möglichkeiten, die den Stadttheatern für Inszenierungen zur Verfügung stehen, aus der Reserve locken, wenn Kinoereignisse oder das Home-Cinema unvergleichlich atemberaubendere Effekte liefern können?
Es bleibt der vielbeschworene Live-Charakter der Aufführungen, der, wie viele behaupten, durch nichts zu ersetzen ist.
Aber das scheint die kultursatten Bürger und die von ihnen gewählten Politiker nicht davon abzuhalten, Live-Spielstätten zu schließen.

Konzentration der Kunst, Konsequenzen und Ausblick
Zweifellos findet eine Flurbereinigung statt. Nicht, weil den Künstlern Böses gewollt wird, sondern weil es keine Mittel mehr dafür zu geben scheint.
Die Frage ist also, wie man diesen Prozess im Sinne einer Chance nutzen könnte.
Zuerst sollte man erwägen, ob es nicht gleichzeitig mit der Abschaffung der kleineren Kulturstätten auch sinnvoll ist, die Ausbildung neuer Künstler massiv einzuschränken, denn wenn Ähnliches wie in Holland geschieht, wo sollen dann all die mit viel Geld ausgebildeten Sänger, Musiker, Regisseure, Ausstatter und nicht zuletzt Dramaturgen, Intendanten und Dirigenten arbeiten?
Vielleicht wäre in dieser Situation ein komplettes Umdenken erforderlich. Vielleicht sind die Strukturen zu starr, in denen Kunst und Kultur erschaffen werden. Vielleicht ist es nicht sinnvoll, fest angestellte Künstler an den Häusern zu halten. Vielleicht müssen sich die Künstler selbst viel mehr spezialisieren.
Ein fiktives aber realistisches Beispiel:
In einem normalen Stadtheater singen im Solisten-Ensemble: ein russischer Bass, ein amerkanischer Tenor, ein französischer Bariton, eine deutsche Soubrette, eine kanadische Sopranistin und eine polnische Mezzospranistin. Sie alle müssen, ob sie wollen oder nicht, das gesamte Spektrum von italienischer über französische und russische bis zur deutschen Oper, Operette und meist auch noch Musical abdecken und zwar auch in den Originalsprachen der Stücke, obwohl sicherlich jeder der Künstler seine eigenen Stärken hat. Der russische Bass fühlt sich vielleicht in der italienischen Oper besonders zuhause und hat sich in seiner Ausbildung darauf konzentriert, die Soubrette ist vielleicht besonders gut in der deutschen Oper und liebt die Operette, in der sie auch mit Sprachwitz brillieren kann, weil es ihre Muttersprache ist. Die polnische Mezzosopranistin hat vielleicht eigentlich in ihrer Ausbildung besonders viel Wert auf Barockmusik gelegt und wäre eine hervorragende Interpretin auf diesem Gebiet. Sie alle aber müssen beständig in einem System funktionieren, das gar keine Spezialisierung zulässt. Sie alle müssen auch in einem System arbeiten, das nicht mehr in der Lage ist, einen adäquaten Lohn für die Ausbildung und für das tagtäglich in Eigenverantwortung Geleistete aufzubringen. Und zwar deshalb, weil Theater und Opern starre Gebilde sind, in denen man alles versuchen muss, egal ob man es gut kann oder nicht. Entweder man ist engagiert, fest und zu allen Bedingungen, oder man ist nicht engagiert mit allen Konsequenzen. Dazu kommen die heiligen Kühe der festangestellten Orchester und Chöre, deren Mitglieder quasi nur durch Insolvenz des „Unternehmens“ Oper bzw. Theater zu kündigen sind und eine Anstellung auf Lebenszeit zu meist höheren Gagen haben, als die auf Schleuderposten sitzenden Solisten. Ganz zu schweigen von den riesigen und teuren Verwaltungsapparaten, die momentan nötig scheinen.
Beim Publikum und bei Festivals hat eine Spezialisierung und die Auflösung fester starrer Strukturen schon längst stattgefunden: Es gibt Fans der alten Musik, es gibt eine große Anhängerschaft der zeitgenössischen Musik, es gibt Leute, die sich am liebsten Goethe und Shakespeare ansehen, andere wollen ein Theaterstück erleben, dass erst vor kurzem geschrieben wurde. Es gibt Festivals für zeitgenössische Musik, es gibt Alte-Musik-Ensembles die auf den entsprechenden Festivals zu erleben sind und es gibt auch schon kleinere Festivals die sich besonderen Jubiläen von Komponisten widmen.
Wieso also verschaffen sich die Theater nicht Alleinstellungsmerkmale gerade dort, wo viele Spielstätten in unmittelbarer Nähe voneinander gebaut sind?
Wieso gibt es immer noch keine feste Spielstätte, in der man fast ausschließlich zeitgenössische Oper sehen kann und die diese Entwicklung auch maßgeblich vorantreibt und unterstützt? Wie muss überhaupt diese Form der zeitgenössischen Oper in Zukunft aussehen? Momentan muss sie sich den unumstößlich scheinenden Strukturen des „normalen“ Theaterbetriebs unterordnen. Etwas wirklich Neues kann daraus nur schwerlich entstehen. Hier ist Mut gefragt und ein Ausbrechen aus vorhandenen Denkmustern. Vielleicht muss das Publikum viel stärker einbezogen werden?
Wieso gibt es kein Theater, dass sich der Barockoper verschreibt? In der man Spezialisten für diese Musik engagiert, Forschung betreibt und die Aufführungen so zu einem besonderen Ereignis werden lässt? Warum gibt es keine Operettenhäuser, die Sänger engagieren, die sich neben einer guten Stimme durch exzellente Dialogbehandlung und Aussprache auszeichnen.
Das noch verbleibende und zweifellos interessierte Publikum ist längst flexibel genug die entsprechenden Orte aufzusuchen und die Mobilität stellt in den Ballungsräumen auch kein Problem mehr dar.
Dies sind sicher nur kleine Ideen, erdacht von einem Einzigen. Die Kultur zeichnete sich schon immer mit den Eigenschaften „lebendig“ und „sich verändernd“ aus. Nur eines ist klar, wenn eine Einrichtung erst ganz geschlossen ist, dann ist sie für immer zu. Daher sollte zuerst versucht werden, über Alternativen nachzudenken.
Vielleicht ist es deshalb auch gut, wenn der Flächenbrand zuerst viele Jobs in der Kulturszene zerstört. Vielleicht entsteht daraus ein neues Kulturland Deutschland. Das wäre verantwortungsvoll und durchaus wünschenswert.

Peter Schöne

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13 Antworten

  1. Lieber Herr Schöne,
    danke für Ihren Artikel, der in einer persönliche Bestandsaufnahme einer Reihe von Symptomen der kränkelnden Kulturlandschaft erfasst. Dennoch kann ich Ihnen bei Ihren Schlußfolgerungen nur bedingt folgen.
    Zum ersten glaube ich nicht an die Mobilität der Masse, denn so globalisiert unsere Welt im Netz erscheint, so lokal begrenzt und im Kirchturmdenken verhaftet ist sie, wenn es um den Besuch von Opernhäusern geht.

    Nach wie vor gibt es gerade in den kleineren Städten eine große Zahl von Besuchern, die eben vor allem in ein Opernhaus gehen, um IHR Ensemble, IHR Theater zu erleben, der Lokalstolz der bürgerlichen Schicht ist ganz und gar noch nicht erloschen. Wenn ein Theater wie das Hagener, welches Sie ja gut kennen, jährlich weit über 150.000 Besucher zählt, so bin ich mir sicher, daß nur ein Bruchteil dieser Menschen den Weg in ein anderes Opernhaus auf sich nehmen würde, gäbe es das Theater Hagen nicht, weil es eben nicht in IHRER Stadt liegt. Und gerade das ist ja auch eine Grundlage dessen, was die deutsche Kulturlandschaft als weltweit einzigartig auszeichnet, ein Föderalismus, der eben viele Leuchtfeuer bietet.
    Und diese Leuchtfeuer sollten dann eben auch in vielen Farben strahlen dürfen, gerade die Stadttheater leben ja von der Vielfalt Ihres Repertoires. Nach wie vor ist eine Auslastung von 70% gang und gäbe, man kann also nicht von einem Modell sprechen, daß sich überholt hat, vielmehr wird es leider von vielen Politikern und Journalisten fälschlicherweise als tot dargestellt.

    Eine Spezialisierung ist doch darüber hinaus schon gegeben, es gibt in jedem Haus Schwerpunkte, die mit den jeweiligen Führungspersonen wechseln. Wie soll denn ein Haus in einer mittleren Großstadt aussehen, daß ausschließlich barocke Opern spielt? Und soll es das dann auch bei Intendanten- oder anderen Leitungswechseln weiterführen?

    Darüber hinaus finde ich, daß es keineswegs zuviele ausgebildete Musikerinnen und Musiker gibt, denn eigentlich ist die Qualität bei Probespielen und Vorsingen in den letzten Jahren leider eher schlechter geworden. Ich denke eher, daß es an der Zeit ist, die Ausbildung den neuen Gegebenheiten anzupassen, sprich mehr Wert auf das zu legen, was tatsächlich in den Orchestern und Opernhäusern verlangt wird, Praxisnähe eben, damit taten und tun sich die deutschen Hochschulen immer schwer, ebenso wie mit fehlerfreier Beherrschung der deutschen Sprache.
    Ich teile durchaus Ihren Ärger über manche tarifvertraglichen Besonderheiten, aber ich finde eine kontinuierliche Veränderung und Flexibilisierung des Ganzen erstrebenswerter als eine Abschaffung ausgerechnet der Häuser, die das Land am meisten braucht, gerade in einer Zeit in der die Bildung auf der scharzen Liste bedrohter Arten erscheint.

    Die Mittel, die für die Kultur in Deutschland ausgegeben werden, machen nach wie vor einen Bruchteil des Gesamthaushaltes aus und dieses Geld gibt es nach wie vor, dass machen schon die Summen klar, die in Projekte wie Bankenfonds und Unternehmensrettungen gesteckt werden. Gestärkt werden müssen hier von Bundes- und Landesseite aber vor allem die Kommunen.

    Der Wille zum Sparen und zum Umdenken ist an den meisten Theatern da, man hat ihn sich viel früher zu eigen gemacht als in anderen Branchen. Es kann jedoch nicht sein, daß ein nach wie vor erfolgreiches System plattgemacht wird, weil die freiwillige Kommunalaufgabe Kultur an erster Stelle der Spar- und Streichliste steht.

    Deutschland droht seinen Ruf als ein Land mit breiter Bildung und kultureller Vielfalt zu verlieren. Sich dem Entgegenstellen kann man nur, indem man die Theater stärkt und Ihren Weg der Öffnung in vielen Bereichen unterstützt. Nicht zuletzt fangen die Theater und Orchester vieles auf, was die Schulen an Angebot gestrichen haben oder streichen mussten.

    Und hier liegt dann auch der Hase im Pfeffer, hat der Pudel seinen Kern und springt der Punkt. Die Theater sind gezwungen, sich Ihr Publikum für die nächsten Jahrzehnte heranzuziehen. Selten war eine junge Generation einer solchen Orientierungslosigkeit ausgesetzt. Hier weiter anzusetzen ist das einzig Richtige. Das es dafür zahlreiche Ideen gibt ist selbstverständlich, ein Abwarten der kulturellen Apokalypse ist es allerdings nicht…

    Liebe Grüße
    Florian Ludwig

  2. querstand sagt:

    @schöne/eggy/ludwig:
    Der Gedanke, dass zuviel oder falsch ausgebildet wurde und wird, schoss mir bereits 1991 zu Beginn meines Musikstudierens durch den Kopf. Wenn man an all die AbsolventInnen eines einzigen Jahrgangs der frühen Neunziger denkt, hätte man locker ein einziges Opernhaus komplett in Management, Regie, Orchester, Dirigat und Gesang an Soli und Chor abdecken können. Überträgt man das überspitzt auf die Zeit von 1992 bis 2010, also 18 Jahre, wären das 18 Häuser gewesen. Wieviel Häuser oder Sparten an Häusern in jenem Zeitraum verschwanden, fusioniert worden sind, kann ich nicht sagen. Gefühlt waren es wohl 18 kleine und mittlere Häuser. Also alles Jahrgänge seit 1991/92, die seitdem keinen Job bekommen haben dürften. Tatsächlich ist die Hälfte der Absolventen nach dem Studium pädagogisch oder bewusst freischaffend als Künstler und Lehrer unterwegs, so dass nur neun Häuslein blieben. Nachdem unser Kultursystem nach wie vor begabte und weniger begabte Menschen auch aus dem Ausland anzieht, dürfte die „pipe“ allerdings heute wirklich mehr denn je verstopft sein. Spannend war übrigens letzthin ein Gespräch mit Muttern: als sie Mitte der 1960er für ihre Chorstelle am Münchener Nationaltheater vorsang, bewarben sich damals ca. 100 Sängerinnen auf diese Stelle. Garantiert waren viele Bewerberinnen niemals so ausgebildet, wie man das heute minimal erwarten würde. Dennoch war der Andrang damals auch schon riesig, so wie heute wieder oder immer noch. Um meiner Mutter Ehre zu retten: am Ende blieben nach 3 Runden 2 Sängerinnen übrig. Blattsingen atonaler Phrasen entschied dann das Vorsingen.

    Dem gesamten Markt würde heute natürlich eine gewisse Entspannung nützen, weniger Absolventen und Stellenbewerber, die ggf. noch talentbezogener und sorgfältiger ausgebildet wären als jetzt, das hätte schon was. Es wird akademisch zwar fleissig umstrukturiert für Bachelor und Master, wirklich weniger Menschen scheinen aber nicht die Gänge der Hochschulen zu bevölkern. Eher vergössern sich die Institute, bieten noch mehr Studiengänge an, ist plötzlich der Erwerb eines Doktortitels das höchste an einer Musikhochschule, wo doch eigentlich die Meisterklasse die Krönung gewesen ist. So produziert die Hochschullandschaft nicht vollkommen am Bedarf der professionellen Kultureinrichtungen vorbei, bastelt aber doch erheblich Menschenmaterial für den eigenen Bestand.

    Garantiert ist der heutige Praxisbezug an den Hochschulen höher als noch vor 20 Jahren. Aber wie oben gezeigt spielt der eigene Akademismus doch die Hauptrolle. Vielleicht sollte die Ausbildung vielmehr wieder praxisbezogen stattfinden, die Hochschule vielleicht nur so eine Art universitäre Berufsschule sein. D.h., dass die Opernhäuser sich bereits die begabtesten vor dem Beginn eines Studiums im heutigen Sinne greifen. Die Praxis nicht total verschleissend am Hause stattfindet, die gesamte Theorie in der Schule. Die Konsequenz wäre sogar Kompositionsstudenten an den Opernbetrieb anzubinden. Allerdings wäre dazu die Stärkung des Ensemblegedankens mal wieder aufs Tapet zu bringen. Das klingt zuerst konservativ.

    Ein Ensemble würde aber einem Hause ein viel stärkeres eigenes Gesicht geben, als der heutige Kaufbetrieb. Da könnte man dann auch stilistische Schwerpunkte setzen. Wobei ich das eher saisonal oder an eine gewisse Phase einer Intendanz gekoppelt sehe. Grosse Städte, Frankfurt aufwärts, könnten sich allerdings ehr wohl auch Schwerpunktbühnen leisten, unter einer Verwaltung, mit vielen künstlerischen Gesichtern. Vielleicht so wie das Theater an der Wien, das ja inzwischen Akzente in besonders Neuem und Altem setzt, noch etwas schwachatmig allerdings.

    Das sind natürlich Phantastereien, aber ein wenig in diese Richtung wäre schon ein Beginn. Das Problem sind heute doch v.a. diese Abkoppelungen der Fakultäten in den Hochschulen selbst sowie die Praxisferne. Im Prinzip sollte einer Musikausbildung immer der Hautgout einer Stadtpfeifferei anhaften. Bleibe ich bei meiner Familie, in Beschreibung solider musikalischer Ausbildungen: mein Grosspapa väterlicherseits war Cellist und Posaunist, verdiente vor dem 2. Weltkrieg sein Salär v.a. in Werksrochestern, die die Arbeitenden mit Hochkultur versorgten – soviel zur Theorie der rein bürgerlichen Musikausbildung und des entsprechenden Weltbilds in Bezug auf die jetzt herrschende Meinung zum Zustand des Niveaus zu Beginn des 20. Jhds. Die klassische Musik war viel breiter gestreut, als das unsere bundesrepublikanischen Pädagogen je zu glauben meinten. Vielleicht hat sich seit 1968 auch zu sehr das Unwissen der Pädagogen, die mit allem „Bürgerlichen“ aufräumten, was doch so „Arbeiterklasse“ war, man denke an die Wiener Arbeiterchöre Weberns und in allen wichtigen Industriezentren damals. Zurück zum Opa: der lernte so um 1900 sein Handwerk an einer uralten oberschlesischen Stadtpfeifferei. Mein Vater selbst durch Krieg ohne Schulabschluss lernte erst an einer Kirchenmusikschule, studierte dann in Berlin am Konservatorium und half schon immer fleissig an der Lindenoper aus. Das Studium am Konservatorium verebbte dann. Er sang dennoch im Bayreuther Festspielchor, war bei der Soldaten-UA in Köln dabei, dann in München an der Staatsoper. Meine Mutter machte ihre Handelsmatura, arbeitet als Kauffrau, nahm privat Gesangsunterricht, ein Semster sogar mal an der Münchnener Musikhochschule, dann Ochsentour durch die Provinz, Choristin in München – man erinnere sich der atonalen Endaussscheidung.

    Was will ich damit: der gesamte Betrieb, die Ausbildungsseite, die Führungsebene wie due Ausführenden, alle haben in den letzten Jahrzehnten zuviel Macht in ihren eigenen Ecken aufgebaut, sich so unglaublich gross aufgeblasen, wichtig gemacht, dass das flexible Flutschen durch den Betrieb heute schier unmöglich wurde. War dies früher die Regel, ist dies heute die ultraseltene Ausnahme. Dennoch sind gerade die gefragtesten KünstlerInnen immer wieder Menschen, die v.a. abseitige Wege beschritten haben. Natürlich gibt es auch Menschen, die gerade die Behutsamkeit einer Hochschule brauchten, die erst danach aufblühten, die Kurve nochmals ganz anders nahmen. Gerade bei Komponisten ist dies meist der Fall. Die wirklich Interessanten wurden dies erst mit Ü30/40 – ich muss mir ja auch noch ein Quentchen Hoffnung eingestehen. Dennoch wäre viel mehr Praxis als heute angesagt. Ich habe viel nicht vor sondern nach den Konzerten eigener Musik und Ausübung gelernt und wohl das meiste während der Praxis. Zudem: wenn einerseits der Ausbildungsbetrieb wieder theatraler werden sollte, wie sieht es dann mit dem Lied, der Kammermusik, der Pädagogik aus? Gerade hier führt doch auch der Werkstattcharakter – natürlich anders aufgebaut – zu den brauchbarsten Ergebnissen. Was natürlich komplett an den Hochschulen fehlt und auch der Ausweg immer mal wieder aus all den Institutionsmühlen sein kann: wie gründet man sein eigenes Ensemble, seine eigene Produktion? Und hier steckt eigentlich das wahre Kapital, die Landschaft komplett umzukrempeln. Wenn man schon soviel über Institutionen redet, sollte man auch bereit sein ggf. seine eigene zeitweilig zu fristen oder gar blühen zu lassen. Kunst muss immer Risiko sein weniger Tarifvertrag. Allerdings sollte man für den Kulturnormalen Tarifverträge auch nicht zu kleinreden, die Sicherheit ist schon auch nicht schlecht… Fazit: weniger ist mehr, und bitte mehr selber machen.

    Dann fällt es auch wieder leichter, sich selbst als die Speerspitze, Avantgarde, das Neue zu sehen und zu bezeichnen. Wie wäre eigentlich mal da eine Umdefinition: Neue Musik ist nicht das fremdbezeichnete durch Presse, Förderer und Akademien. Neue Musik ist das was sich als solche dezidiert selbst bezeichnet, egal ob Schlager oder Komplexismus.

    Gruss,

    Alexander Strauch

  3. peh sagt:

    Wie schön, mal die Sicht eines Interpreten dabei zu haben! Aber:
    Der Ruf nach Spezialisierung scheint mir verspätet. Ist es nicht längst so, dass ein Haus wie Hagen – um das Beispiel von Florian Ludwig aufzugreifen – einen anderen Auftrag wahrnimmt als die Oper in Essen? Ist es nicht so, dass die Häuser in Erfurt – um das Beispiel von Peter Schöne – für ein vollkommen anderes Publikum spielt, als das Haus in Weimar? (Ein Besuch jüngst in beiden Häusern – mit einem tollen Peter Schöne auf der Bühne übrigens – hat mir die Unterschiede drastisch vor Augen und Ohren geführt…) Und ist es nicht so, dass das Zeitalter der Spezialisierungen längst hinter uns liegt? Die ganze Spezialistenkultur ist ein Produkt der Nachkriegszeit! Heute kranken doch die Szenen daran, dass Sie in Ihren Wagenburgen verharren. DIE MAUER MUSS WEG! Vor allem aus den Köpfen. Heute sind wir doch in der glücklichen Situation, dass Sänger, Instrumentalisten und Musikdenker mit allen diesen unterschiedlichen Formen, Musik zu machen in Berührung kommen können – und zwar durchaus auch während der Ausbildung. Dass der Fall der Sänger mit ihrem sensiblen Instrument noch einmal anders liegt und ein Universalistentum, wie es die wendigen Klangkörper des 21. Jahrhunderts wohl auszeichnet, nicht ohne weiteres auf ein paar Stimmbänder zu übertragen ist, ist klar. Und es wird ja sicher auch immer Spezialisten geben. Doch der rosige Weg in die Zukunft – und zu aufregenden Spielplänen – führt doch wohl über die grandiose Situation, dass universell denkende Menschen mit weitem Blick den Auftrag annehmen für den Ort an dem sie sind, etwas zu veranstalten. Wenn das gelingt – so könnte es sein, dass es auch Menschen von weither anzieht. Doch wer von vornherein darauf setzt, die ohnehin selbstbezügliche Szene weiter in ihren umzäunten Bereichen zu internieren, der redet meiner Meinung nach einer „Consulting-Mentalität“ das Wort, die mit englischen Fachbegriffen so manche Arbeitsbiographie zerschlagen hat. Unwiederbringlich.

  4. Elmar Zeitler sagt:

    Sehr geehrter Herr Schöne,
    Sehr geehrte Diskutanten,

    ich möchte der sehr interessanten Diskussion folgenden Aspekt hinzufügen, den vor kurzem der Chefredakteur der Zeitschrift „Opernwelt“, Stephan Mösch, in der Sendung SWR2 Musik aktuell äußerte.

    Auf die Frage, welche der 84 Musikttheater in Deutschland denn die nächsten Jahre überstehen werden, antwortete Herr Mösch sinngemäß: Nur diejenigen, die eine eigene, unverwechselbare Identität entwickeln und damit für die sie finanzierenden Städte einen Imagegewinn bringen werden überleben.

    Als Positivbeispiel nannte Herr Mösch die Frankfurter Oper, die unter der Intendanz von Bernd Loebe aus der Krise zu einem Haus aufgestiegen ist, das vom Pförtner bis zum GMD an unverwechselbaren Produktionen arbeitet.

    Als Negativbeispiel nannte er die Deutsche Oper Berlin,
    wo gerade eine Inszenierung der Tojaner über die Bühne ging, ohne das die Orchestermusiker vorher ein intensives
    Partiturstudium leisteten. Sie waren nämlich vorwiegend mit ihren Tarifstreitereien beschäftigt.

    Wer also nicht mit jeder Produktion eine Marke setzt, sondern nur Repertoireware reproduziert, wird von der Bildfläche verschwinden.

    Folgerichtig erkannt auch von Konstantin Richter in der Zeit:

    http://www.zeit.de/2010/46/DOS-Nabucco

  5. Erik Janson sagt:

    @all, spannende Beiträge konkret hier,
    jedem ist in gewisser Weise was Richtiges ab zu gewinnen.

    Die Crux ist m.E.: Das gesamte Kunstsystem (ob nun Festivals, Opernhäuser, freie Szene, Vereine, ob Veranstalter, Rundfunkanstalten frei Schaffende etc.) sind mehr oder minder ähnlich (nur in anderen Größenordnungen und Verhältnissen)vom Kulturabbau und von der zunehmenden Beherrschung – gewissermaßen des „Massengewusstseins“ -durch Massenmedien (und Ver-Oberflächlichung von Wahrnehmung, folglich kulturellem Überdruss) und Konsumzwängen etc. betroffen (die – richtig gesagt – die Aufmerksamkeit immer mehr von wesentlichen Dingen wie echter BILDUNG etc. ab ziehen). Jammern und Wehklagen allenthalben. Manche werden dabei aggressiv, manche resignieren und ziehen sich in ihr Kämmerlein zurück Wieder andere machen gute Miene zum bösen Spiel oder lavieren sich durch.

    Komponisten wie aber auch Interpreten (ob nun Orchestermusiker, Theaterleute oder frei Schaffende, Musikwissenschaftler, Rundfunkleute) und auch Professoren wie Studenten müssten dabei eigentlich viel mehr gemeinsam und solidarisch handeln über alle Grenzen und manchmal ästhetische oder biographisch bedingte Antipathien, über Konkurrenzdenken etc. hinweg.
    Ob das nun uns Künstlern berufsbedingt nun schwerer fällt als manch anderen oder nicht, spielt dabei keine Rolle mehr. Denn das wird überlebenswichtig.

    Es muss das Besitzstandswahren auf ALLEN Ebenen aufhören,
    und selbst wenn zuerst diejenigen anfangen selbstkritisch zu sein, zu verzichten, die sowieso kaum was zu verlieren haben. Vielleicht fällt das – nichtmal paradoxerweise –
    gerade denen am leichtesten, die in Zukunft (oder weil sie „zu alt“ erachtet werden…) sowieso kaum noch Chancen haben, von ihrer Kunst allein zu leben oder die sogar mehr gezwungen werden „Jobs“ anzunehmen fern ihrer inneren Berufung. Wer NICHTS (oder nicht viel) zu verlieren hat, der geht auch Risiken ein, macht eher den Mund auf. Wem es noch gut geht, der sieht da keinen „Leidensdruck“ oder keinen Anlass vielfach. Das liegt in der menschlichen Natur. Aber wir bestehen ja nicht NUR daraus bekanntlich…

    Das alles, was ich sagen will ist keineswegs gleich bedeutend damit, dass man sich gemeinsam und ohne Widerstand/Protest dem Kahlschlag, der Ökonomisierung hin gibt. Ich sehe es eher so: Entweder wir handeln gemeinsam gegen die UNTERORDNUNG aller Lebensbereiche (Kultur, Bildung) unter nur noch Ökonomie-Aspekte (Kosten- Nutzen-Relationen) bis zum geht nicht mehr, oder es bleibt bald nur noch das zynische Warten auf eine Art kulturellem Collaps, wie differenziert und unterschiedlich auch immer der für den Einzelnen aussehen mag. Wie früher oder später (oder für wenige gar nicht) dieser dann auch kommt.

    Der Begriff „neu“, „NEUE MUSIK“ gehört jedenfalls endgültig zur toten Geschichte, wenn er nur noch mit Besitzstandswahren assoziiert wird, und auch deshalb weil häufig kein echter Dialog mehr zwischen den Szenen untereinander oder zwischen Komponisten und Publikum (oder potentiell neuem Publikum) mehr statt findet.

    Krisen, ob ökonomische (die auf die Kultur durch schlagen) oder kulturelle Krisen, sind doch eigentlich potentiell CHANCEN; aber wenn wir diese Chance nicht gemeinsam ergreifen, wenn wir resignieren, jeder weiter „sein Ding“ macht und denkt: „wie überlebe ich am besten noch/ am längsten“?, dann sind wir alle auch nicht lernfähig. Und es ist ja immer leicht, für z.B. jemanden, der seinen Job noch hat oder sicher im Sattel sitzt, mal in die Runde zu werfen: „wahrscheinlich müssen wirklich soundso viele Stellen dran glauben“ oder „wahrscheinlich ging/geht es uns „zu gut“…

    Das Problem ist, dass das derzeitige System bzw. die zunehmende Ökonomisierung, Technisierung, Rationalisierung unserer Lebensbereiche – mehr denn je vielleicht in der Geschichte (aber wie ich glaube nicht zwingend UNumkehrbar) – vom WIR mehr zum ICH geführt hat und droht nun zur Resignation und Erstarrung zu führen.
    Also in dem Sinne: Angst oder Resignation haben noch nie
    Krisen gelöst, Hoffnung und Handeln schon eher, auch wenn man nie garantieren kann, was für uns alle (oder für den Einzelnen) dabei heraus kommt.

    In diesem Sinne, schönen Tag,
    Erik

  6. eggy sagt:

    @Erik: Ich stimme Dir vollkommen zu, dass Angst und Resignation nichts bringen. Allerdings: realistisch müssen wir auch sein. Daher müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wie bedrohlich die Situation eigentlich ist. Das nervt mich selber genauso wie Dich, denn ich würde auch gerne über Schöneres reden.

    Von den Leuten die hier diskutieren nehme ich an, dass sie sich mit dieser Thematik täglich beschäftigen und sich auch über neue Ideen intensiv Gedanken machen, aber zu viele Kollegen „lavieren sich so durch“ wie Du richtig sagst, und scheren sich darum nicht wirklich. Es herrscht gerade in der Neuen Musik eine Festivalbetriebsblindheit, die erstaunlich ist.

    Den Ernst der Lage in Erinnerung zu rufen, dazu tragen solche Diskussionen bei, und ich bin für die vielen guten Beiträge von wirklich berufenen Leuten hier sehr dankbar!

    Moritz Eggert

  7. Erik Janson sagt:

    @ Moritz,

    ja, stimme Dir zu mit dem Stichwort „Festivalbetriebsblindheit“ und auch dass wir realistisch sein müssen, wie ernst die Lage ist. Ich meinte mit dem Ruf nach Handeln, mit meiner Hoffnung etc. auch, dass diese Strukturen überdacht und reformiert werden müssten. Damit meine ich NICHT „Festivals abschaffen“ oder weniger Geld o.ä. sondern: mehr „Durchlässigkeit“, mehr Transparenz bei den Kriterien etc., wer in diese Szene rein kommt und wer nicht, mehr Chancen und auch mehr Offenheit gegenüber Komponisten, die nach neuen Wegen suchen. Mehr Basisdemokratie. Denn das ist klar: ohne das wird es nichts mit Solidarität und neuer Hoffnung sondern liefe alles weiter wie bisher.

  8. Uwe Teisler sagt:

    Sehr geehrtes Forum,

    ich empfehle jedem Interessierten, noch einmal das Gespräch von Theo Geißler mit Prof. Dr. Susanne Keuchel vom Bonner Zentrum für Kulturforschung anzusehen.

    Die eigene Erfahrung ist naturgemäß Maß aller Dinge, der
    Blick der Forschung aber vielleicht trotzdem hilfreich.

    Dabei gibt Frau Dr. Keuchel durchaus auch Anregungen, wie
    ein Konzertformat der Zukunft für neue Publikumsschichten gestaltet werden könnte.

    http://www.nmz.de/tags/zentrum-fuer-kulturforschung

  9. querstand sagt:

    Spezialisierte Theater: Wie bereits angeklungen gibt es Opernhäuser, die aufgrund eines kräftigen Produktionspofils seitens einer klugen Leitung, Dramaturgie oder Intendanz deutlich Schwerpunkte setzen. So gibt es Häuser mit vielen Stücken des 20. Jhds in vorsichtiger Mischung bspw. von Janaceck zu Schreker zu Berg zu Glanert oder so ähnlich. Dann gibt’s Häuser die neben den zehn grossen Kulinarik-Namen sich auf die Straussalternativen Schreker, Zemlinsky und Co. konzentrieren wollen. Oder die Weber, Schubert, Schumann und Co. oder früher romantischer Belcanto oder Mozartalternativen oder der ganze bekanntere und unbekanntere Barock. Dies geschieht am reinsten festivalartig, wenn es streng fokussiert sein soll. Oder es muss immer mit dem Üblichen gemischt werden.

    Allerdings ist selbst jener Gemischtwarenladen mit der Zwerg, My Fair Lady, Oberto, La Grande-Duchesse de Gérolstein, Feen, Jakob Lenz, Les Indes galantes etc. oder schwächeren Stücken jener Art und Umfelder ein Profil, so schwammig es werden mag je allgemeiner es wieder sein muss. So strampeln tatsächlich alle vor sich hin, im schlimmsten Fall wird dann eine schleswig-holsteiner Carmen zum Wohl-und-Wehe-Profil. Je nach Grossstadt oder Kleinstadt kann es riskanter oder gleichförmiger sein, wobei in der Gleichförmigkeit das Risiko dann Zauberflöte oder Zaide heisst.

    Es entscheidet letztlich das, was die Kulturpolitik für „kostendeckend“ und „publikumsnah“ hält, ohne selbst sparsam zu wirtschaften, ohne selbst jemals in die Oper zu gehen, es sei denn der OB der nächsten Grossen Kreisstadt kommt zu Besuch oder der chinesische Vizevizevizemandarin. Wird die Kasse klamm, so deutet man auf das Theater, das entweder zu provokant oder zu langweilig, immer natürlich zu teuer sein soll. Man ergeht sich in Jahres-, Monatsbilanzen, wo man bei anderen kommunalen Einrichtungen 50 Jahre Amortisation ansetzt, wo doch die Rohre von 1990 heute schon morsch sind.

    Zudem sind die 5 bis 20 Millionen Euro zwar ein grosser Betrag, aber nur deshalb, weil sich Herr und Frau Mustermann genau unter diesen Zahlen viel Geld wirklich vorstellen können und es somit nach unglaublich grossen Einsparpotenzial klingt, eben so wie ein sonntäglicher, länger ungeknackte Lottojackpot. Dass es sich bei diesem Jackpot meist um 1 bis 5 Prozent des politischen Haushalts handelt, dass Arbeitsplätze und Umwegrendite wieder Geld erzeugen oder bei deren Wegfall noch hörere Kosten verursachen würden, das verschweigt man, der zu gewinnende Jackpot klingt so toll. Lustigerweise büssen gerade die Gewinner jener grossen Lottogewinne ihre 20 Millionen schneller ein, als der einstellige Millionär, entgleitet ihm das Geld schneller als nach einer Theaterschliessung die letzte Abfindungsrate ausbezahlt ist.

    So ist eine qualitative wie quantitaive Profilierung eine wunderbare Glückslotterie geworden, wird Cages Zufallsmusik überspitzt gesagt weniger auf der Bühne denn als antiphonaler Gesang zwischen populistischer Politik und zugeknöpfter Verwaltung aufgeführt. Selbst die Oper Frankfurt kann nicht zu 100% ein rein modernes Profil wagen, selbst das Theater an der Wien muss Neue und Alte Musik mischen. Reine Unternehmen Neuer Musik, wie die Berliner Kammeroper, die jetzt schliessen soll und wohl auch wird, wenn kein Wunder geschieht, die Zeitgenössische Oper Berlin oder all die anderen Unternehmen können entweder jährlich nur eine oder zwei, wenn sogar nicht eher nur noch zweijährlich, oder nur als Festival stemmen. Bleibt nur das Theater an der Wien. Warum eigentlich nicht mehr Profilschärfungen in Berlin und München? Eine Intendanz, drei sich fundamental unterscheindende Programmverantwortliche, die bewusst immer was anderes als der eine machen müssen, über Jahre hinweg nicht nur eine Saison. Da fehlt wohl noch oder immer schon der wirklich lange Atem auf allen Seiten. Wenn da die Streiks der Orchestermusiker mehr erzeugen würden, weil sie nicht extra bezahlt im anderen Haus spielen wollen! Ein Kunststreik! Aber nur ein Geldstreik, so wie Komponisten auch eher um Tantiemen und GEMA-Beiträge als die Kunst streiten. Wenn aber die Musiker wie weinende Kinder kämpfen würden: buhu, ich gebe meinen Wagner-Laster nicht gegen Deinen Rameau-Teddy her, schon gar nicht gegen des Anderen Poppe-Racers. Das wäre doch ein Streik! Zwar gibt es keine drei Traviatas an einem Abend mehr, aber unter Berufung auf die doch auch ähnlichen Konkurrenzen von alter Staats- und Krolloper dilettieren Flimm, Homoki und Harms weiter, so spannend ich tatsächlich die Konkurrenz Staats- gegen Komische Oper vor einigen Jahren fand, Mussbach mit/gegen Homoki, was weiss ich…

    In München will man nun nach der Gasteigpyramide eine Residenzgarage als Konzertsaal bauen. Zugegeben, der Gasteig nervt schon seit seinen Anfängen. Aber statt ihn zu renovieren möchte der Staat Bayern der Stadt München wieder eins auswischen. Kein Gegensatz der künstlerischen Profile, nur ein Wettstreit im Gleichen, in unterschiedlichen Rankings – was für ein Schmarren. Statt dass man da zusammenarbeitet oder einfach das Finanzministerium in eine Garage umzieht und endlich seinen jetzigen Innenhof freimacht, den alten Odeonssaal, der dem Odeonsplatz seinen Namen gibt – was weiss ich… Oder alle drei Opernhäuser (Nationaltheater, Prinze und Gärtnerplatz) wirklich drei unterschiedliche Programme fahren. Eine Operettenbühne als solche braucht niemand mehr, eine Zauberflöte genügt, lieber unterschiedliche Stücke für unterschiedliche Räume und Auslastungen, Stilschwerpunkte und samt neuen Orchestersaal auch endlich einen Carl-Orff-Saal und eine Black-Box die wirklich für multifunktionales Theater taugen. Aber stattdessen führt man nun eine Diskussion um eine Vereinsamung des Gasteigs im Grossen. Im Kleinen soll die freie Theaterszene ein Performing Arts Center bekommen, statt dass man dafür lieber auch hier den Gasteig ummodelt und den kleinen Theater nicht endgültig das Geld kappt, die man mit solch einem Center nicht mehr bräuchte. Interessant ist dabei: es kämpfen Staat gegen Stadt, Hochkultur gegen Freie Szene, einzelne Lobbys von Kulturverkäufern nicht aber die Kulturproduzierenden selbst. Diese werden gar nicht wirklich nach ihren Bedürfnissen befragt, werden erst Juries vor Inhalten bestimmt. Ein Einandervorbeireden wie im Wiesnlärm, nur ohne deren Versöhnungsschunkeln, dafür eigenes Eierschaukeln ohne Ergebniserguss.

    So müsste man wirklich viel lauter werden. Traue ich mir das zu? Solche städtischen Künstler- und Politikdiskussionsrunden machen mich derzeit nur zum türknallenden Raumverlasser. Dabei wäre natürlich ein Haus, das rein Neues Musiktheater wagt, als kleine und grössere Produktionen wirklich mal wichtig. Stücke müssen 30mal gespielt werden, dann lohnen sie sich, selbst im rein durch Kartenverkauf und v.a. Sponsoren finanzierten Musicalbetrieb ist das so, in dem sich immer noch genug öffentliche Gelder wiederfinden, siehe hier das Deutsche Theater – in Berlin jetzt eine Oper, in München ein Musicalstadl. So könnte es auch bei Experimentelleren sein, in einem Haus das aufgrund seines reinen Profils in der Richtung besonders jenes Publikum anzieht.

    Wenn verrückte Amis regelmässig samt Flugreise die Münchner Staatsoper extra besuchen, ausserhalb der Festspiele, tun sie es bei einer entsprechenden Neue Musikbühne vielleicht auch, wenn da auch wagemutige Stars mal ran müssen/dürfen. Man tut immer so, als ob Netrebko und Co nur Verdi wollen und können. Weniger grosse Berühmtheiten oder selbst die grössten könnte man vielleicht ab und an mal als Zugpferder einsetzen – gerade in die Jahre gekommene Stars sind da offener als man denkt, gerade wenn der ganz grosse Druck endlich fehlt, kann man Neue Musik wagen… So bleibt mal wieder nur: es einfach mal wagen, ein längerer Atem. Gerade hier in München, fern den Berliner und Wiener Banalitäten im Grossgrausigen könnte man sowas eher als sonstwo wagen, da tatsächlich auch ein Publikum anwesend wäre, was solche Vorstellungen besuchen würde.

    Das Münchner Publikum ist nur etwas träge, Wenn man sie geschickt ruft, kommen sie jetzt schon. Wenn man aber den alten Weg geht von einer Premiere und nicht mal eine Woche später schon die letzte Vorstellung, die Zeitungen oft erst fünf Tage später darüber schreiben – tja, dann muss das neueste Theaterlein scheitern. Bspw. berichtete die SZ erst diese Woche von der Frankfurter Purcell-Bartok-Produktion, wo der Blog hier viel schneller war. Und irgendwie war der von mir geprügelte M.M.Møller so viel besser als die SZ…

    Fazit: längerer Atem, mehr Ausrichtung an den Bedürfnissen der Künstler als an denen nur der Geldgeberkonkurrenzen, wie Erik Janson schon mit Basisdemokratie einforderte, die es in München gibt, aber auf falscher Ebene, eine Traute auch mal welt- oder landberühmte Stars für solch ein Projekt zu gewinnen.

    Gruss,

    A. Strauch

  10. Meine Frage generell: Ist die heutige Oper generell überhaupt noch zeitgemäß?
    Ich meine nicht, zumal: Wenn man sich die Anfänge der Entstehung der Oper vor Augen führt und das heutige Rezeptionsselbstverständnis dem gegenüberstellt, wo man in erster Linie im Ernstfall auf seinem Hintern 5 Stunden still sitzen muss, während man in der Renaissance z.T. im Seitengang laut redend herumgeschlendert ist oder in einer vorhangverdeckten Lounge während der Vorstellung gevögelt hat. Ganz zu schweigen vom mehrmaligen Applaus inmitten einer Arie.
    Die Leute wollen nicht irgendwelche kleinbürgerlichen basisdemokratischen Spielchen haben nach dem Motto: Welchen Spielplan hättens denn gerne? Sondern sie wollen real am Geschehen beteiligt sein, und wenn nur als Komparsen. Nicht zuletzt das erklärt auch den Siegeszug des aktuellen Medienkonsums mit SMS-Bildmessage usw.
    Also: Die Leute aktivieren statt sie weiter als Quotenrezipientenfutter zu mißbrauchen.

  11. querstand sagt:

    Wenn das Verhältnis Musik, Text, Szene stimmt oder ein Element allein grandios ist, taugt Oper heute allemal – verrückt nach ihr sind genug. Wenn Oper langweilt, dann hilft nicht einmal Interaktivität. Interaktion entsteht in jedem Format, wenn es die Menschen packt. Das Oper dies kann, ist bewiesen. Das Computerspiele dies können, ebenfalls. Nur das eine ist nicht das andere. Gerade wenn Computerspiele wie ein Film wirken, saugen, saugt da auch Oper, der älteste Film in Real-3D. Und ob da jemand Moderator spielt, alle zappen dürfen oder ein altes Schauspiel oder der neuste Tsunami in Musik gesetzt wird – wenn’s die Leut‘ anfixt, ist jede Oper recht und zeitgemäß.

    Basisdemokratie: dies bezieht sich rein auf die Frage, dass es inzwischen Kulturverwaltung gibt, die die betroffenen Antragsteller ihre Juries selbst wählen lässt, aktuell hier in München. Dann plant diese Administration ein nettes Performing Arts Center, gefährdet kleine, virile Theater, statt das eigene bestehende Kulturzentrum endlich brauchbarer zu machen, lässt sich auf einen Wettbewerb mit dem Staat bzgl. Konzertsäle ein, die letztlich beide nur verlieren. So redet man aneinander vorbei trotz entspr. Foren. Produzentenpotenzial und Publikumsströme werden nicht genutzt, das Risiko von Spezialbühnen für neues Musiktheater, für Alte Musik etc. in längst existenten, jetzt sinnlos konkurrierenden Theatern wird nicht wirklich ausgereizt, Berliner Verhältnisse auf 10mal höheren Niveau, nur dass die Geldsorgen nicht so drücken, die Politik dann doch klüger ist als die der Hauptstadt…

  12. Berlin ist nicht mit München vergleichbar, um etliche Längen ärmer, ABER….(dafür werden viele Kulturausgaben für große Häuser vom Bund gestützt und bezahlt, was aber dringend notwendige Veränderungen eher blockiert als befördert, der Berliner Senat macht sich durch diese Budgethoheitsabtretung langfristig kulturpolitisch vollkommen überflüssig und die Berliner Kulturpolitik zur willigen Nutte von Interessen, die durch von außen herangekarrte Gelder bestimmt wird).
    Natürlich soll(wird es in der Zukunft weiter Opernangebote bzw. Musiktheater geben, aber nicht in dem Maße, dass anderes, Innovatives übrhaupt keine Chance mehr hat und wir uns im ewigen weiter so zu Tode langweilen. Im Folgenden kurz einige radikale Vorschläge:
    1) Wagners Werke sollen nur noch auf dem Hügel in Bayreuth gespielt werden (und nirgendwo sonst). So hat es der Meister vorgesehen, und so soll sein Wille auch respektiert und nicht verwässert werden.
    2) In Berlin soll es ein Opernhaus mit ständigem Repertoirebetrieb geben, der Rest der freiwerdenden Gelder (der beiden anderen Häuser) soll für freie projektbezogene Opernproduktionen ausgegeben werden (z.B. auch für die lange im Gespräch gewesene, nunmehr begrabene zeitgenössische Oper. Viele Anregungen aus diesem Konzept sollen übernommen werden, aber nicht als festes Haus).
    3) Einmal im Jahr soll es in der Hauptstadt ein innovatives Musiktheaterfestival geben (auch mit neuartigen Herangehensweisen an bestehende Stoffe, aber höchstens mit einem Anteil von 50%,ähnlich wie das jährliche Berliner Theatertreffen), dieses Festival könnte dann auch auf eine kleine Tournee über Land gehen.
    undsoweiter…..

  13. juancho sagt:

    hier noch ein link zum thema: christine lemke-matwey über die (möglicherweise) schwindende akzeptanz von kultursubventionen:
    http://www.tagesspiegel.de/kultur/die-rechnung-bitte/3637110.html