Klimarettung in Sao Paulo Teil 1: Die lange Ankunft (frei nach Raymond Chandler)
Der Brasilianer an sich ist herzlich, gastfreundlich und liebt Kinder (so steht’s im Reiseführer). Und er liebt es, das Ankommen zu zelebrieren.
Vor lauter Ankommen am Flughafen Sao Paulo kommt man gar nicht mehr zu sich: zuerst einmal kommt man aus dem Flugzeug (an) und geht 30 Minuten einen langen Gang entl(an)g. An dessen Ende kommt man dann in der Einreisezone an, dieser Prozess samt Schlangestehen und Überprüfung des Ausweises dauert 1 1/2 Stunden nur aufgelockert durch Unterhaltung mit netten Liedbegleitern aus München, die man alle 10 Minuten wiedersieht, wenn die Schlange wieder den selben Knick macht. Dann kommt man in der Gepäckhalle an, dort hat man das Band aufgrund des langen Wartens auf die Ankommenden/Reisenden schon wieder abgeschaltet und die Gepäckstücke wieder ins Flugzeug zurückverladen, aber man erbarmt sich und lässt sie nach einer halben Stunde Warten dann doch noch mal zurück aufs Band. Nun könnte man dem Irrglauben verfallen, man sei nun endlich in Sao Paulo angekommen, aber nein, denn nun reiht man sich in die sich insgesamt 20 mal durch die Halle windende Schlange vor der Zollkontrolle ein, die nach einer weiteren Stunde Anstehen in einen dunklen Gang mündet. Am Ende dieses Ganges steht der Grund für die lange Schlange: eine einzige (!!!!) Zollbeamtin, die alle tausend Reisenden einzeln durchcheckt.
Aber noch immer ist des Ankommens nicht genug – erst einmal müssen wir in den Menschenmassen unseren Guide Rodrigo finden, der sich geschickt abseits und ganz hinten versteckt hält. Dann müssen alle Versprengten eingesammelt werden und man trifft sich vor der Schalterhalle – um dann wiederum eine weitere Stunde auf den Bus zu warten, der natürlich im Morgenstau aufgehalten wurde.
Hätte Bunuel einen Film namens „Der diskrete Charme des Ankommens“ drehen wollen, er hätte hier genau den richtigen Ort dafür gefunden.
Ein ganz normaler Tag in Sao Paulo also. Aber warum bin ich eigentlich hier?
Geduldige Leser unseres Blogs werden sich an meine Berichte über die Vorbereitungen des aus 3 Opern (von Klaus Schedl, Tato Taborda und Ludger Brümmer/Peter Weibel) bestehenden Amazonas-Projektes in Karlsruhe erinnern, inzwischen waren ja die Aufführungen in München, und nun sind wir also in Sao Paulo. Lissabon – ein weiterer Gastspielort – wurde leider abgesagt, da Portugal sich kurz vorm Staatsbankrott befindet, und man deswegen natürlich unnötigen Kultur-„Ballast“ (siehe Patricks letzten Artikel) abwerfen muss.
Ich bin also hier mit riesiger Mannschaft, in meinen zwei Rollen als Walter Raleigh („Tilt“ von Klaus Schedl) und singendes Kondom bzw. trommelnder Schamane („Amazonas-Konferenz“ vom ZKM) gemeinsam mit dem besten Ensemble für neue Musik ohne großes „N“ in München, piano possibile, dem Team des ZKM, der Biennale, den Komponisten, den Sängern, den Schauspielern, etc.
Nun sitze ich hier im Hotel und es ist ja noch nicht so wahnsinnig viel passiert, da ja probenfrei ist. Im Flugzeug ist es mir gelungen, die Schlüsse all der Filme anzuschauen, die mir bei meinen letzten Flugreisen durch Landungen entgangen waren (irgendwie läuft ja weltweit im Flugzeug dasselbe). Daher hier meine kurze Filmkritik: „Alice im Wunderland“ (Burton): hmmmm….ähhh, muß nicht sein, „Kampf der Titanen“: Arrgh! Scheusslich! Peinlich!, „Invictus“ (Eastwood): Feelgood-Movie, ok aber nicht weltbewegend, „Date Night“: ganz schlimme Scheisse, „Valentinstag“: hier sollte man den Mantel des Schweigens über einen der widerlichsten und anbiedernsten Filme der letzten 10 Jahre breiten).
Aber immerhin: In der Süddeutschen lese ich Unglaubliches: Die Abholzung des Regenwaldes ist zurückgegangen! Also waren wir schon erfolgreich mit unserem international mahnenden Projekt, die Mächtigen des Marktnihilismus bzw. Marktkapitalismus haben ein Einsehen gehabt, die Kunst hat wirklich etwas bewirkt! Zumindest bleibt das zu Hoffen….eine Legitimation für die nächsten 20 Biennalen kann hier also direkt abgeleitet werden – Gut so!
Bleibt uns also nur noch, das Mahnen auch vor Ort anzubringen, den Brasilianern den amazonischen Schmerz (Sloterdijk) zu zeigen. 5 Aufführungen im SESC Pompeia, 21.-25. Juli. Los geht’s!
Moritz Eggert
Komponist
Dafür mehr legale Abholzung!
Schuld sind die Komponisten, die immer noch soviel Skizzenpapier verschwenden – das ist natürlich nur böse Kolportage.
In der Frankfurter Rundschau stand vor einigen Tagen, dass unerfreulicherweise der legale Raubbau vergrössert werden soll. Verschärft würde dies durch extrem lange Fristen für die Wiederaufforstung – bis zu 30 Jahre (!) – und mangelnden Gesetzesvollzug, dass eigentlich nur 20% auf gewissen Grundstücken eingeschlagen werden dürfen. Dagegen wirkt die Freude über den zurückgegangenen illegalen Holzabbau fasst vernachlässigenswert. Ja, durch die extrem langen Fristen scheint dieser nahezu legalisiert zu werden.
Zudem scheint es sich bei der illegalen Brandrodung oft um „einfache“ Leute zu handeln, die für extrem unfruchtbare und nur wenige Jahre nutzbare Felder den Wald opfern oder wegen Goldschürfens den Urwald ausrotten, Menschen eben, die weit entfernt von der viel grösseren quasi industriellen legalen Rodungsnutzung zu agieren scheinen. Das Ergebnis ist natürlich das Gleiche: Wald weg, Ressourcen weg, Lebensraum für Ureinwohner zerstört sowie Klimamaschine kaputt.
Die meisten erinnern sich doch noch an die Bilder der rauchenden Rodungsflächer in Indonesien vor einigen Jahren? Da hat man wohl am stärksten die illegale Nutzung eingedämmt. Wie sich das Parlament in Brasilia entscheiden wird, man darf gespannt bleiben!
Und Hoffen! Aber ob man mit der Ressourcenverschwendung der letzten Biennale darauf hoffen sollte? Das stimmt mich doch rigoros depressiv, wenn man an das schlimme, nicht mal schultheaterwerte Gekünstel von Weibel, Brümmer und Co. denkt, die mediale Aufbauschung des gesamten Themenkomplexes, der dann im letzten Teil des Abends weit unter Privat-TV-Niveau abgehandelt worden ist.
Es bleibt eigentlich nur der Gedanke an Schedls „Tilt“, wie die okzidental-koloniale Ausbeutungskultur auf den jungfräulichen Wald stösst, ihn penetriert, gerade auch wegen der Angst vor ihm und ihn sich bedingungslos unterwirft, natürlcih durchaus unter eigenen riesigen Opfern!
Ich kann nur hoffen, Moritz, dass Ihr in Sao Paulo mit höheren Dezibel zu Gange sein dürft als in der fast schon lyrischen Münchener Uraufführung. Ich wünsche mir zu dem Thema keine zwanzig Biennalen mehr, da muss jetzt schon mehr geschehen. Am Besten natürlich, wenn man Bezüge zwischen der eigenen, deutschen Welt und dem Regenwald herstellt: was helfen z.B. pflanzliche Benzinersatzstoffe, wenn dafür der Wald dran glauben muss, was hilft veganische Sojamilch, wenn dafür der Regenwaldbewohner keine Pflanzen mehr für seine Subsistenzwirtschaft vorfindet, was hilft bei uns die Reduzierung von Emissionen, wenn dafür durch Emissionshandel die Ausstossbilanz in Brasilien verschlechtert wird?
Das muss direkt angegangen werden, jenseits von naiver ZKM-Künstelei. Soll sich die Biennale lieber den Menschenrechten widmen, auch der der Yanomami. Als Gefühlsmaschine ist ein Musiktheater, eine Oper immer das richtige Feld der Anklage, zumal wenn aus der hiesigen, lokalen Problembenennung auf nachhaltige Konsequenzen für weiter entfernte Regionen geschlossen werden kann. Oder weibelsch, nach der Holzhammermethode seines „Amazonas“-Beitrags: was schert mich ein toter Baum, wenn mich ein sterbender Indianer kümmert? Und für unsere 3D-Freaks: der fallende Riesenbaum in „Avatar“ ist ja ganz schön dramatisch in Szene gesetzt. Letztlich bewegt aber uns doch mehr das Schicksal der heimatlos gewordenen Bewohner. Und da muss Musiktheater auch ansetzen. Besinge das Leid des Menschen, dann siehst Du das Wehe der reinen Natur!
Aus der Ohrenwerkstatt,
A. Strauch
Yeah, Alexander, Right on!