Klangbesäufnis in Neufundland Teil 4: Impro Night

Es gibt Fußballspiele, die einen glücklich machen. Es gibt Konzerte, die einen unglücklich machen.

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Heute war es umgekehrt, und ohne das wunderbare Konzert heute Abend wäre wohl zu viel „Doom and Gloom“ nach dem Spanienspiel gewesen.

Was gab es? Zuerst Frank Pahl, einen amerikanischen Klangbastler aus Michigan, der selbstgebaute Automateninstrumente verwendet, um eine zauberhafte und poetische Musik zu erzeugen. Man muss sich das so vorstellen: auf kleinen Orgeln drehen sich mehrere Stifte, die immer wieder neue Klänge erzeugen, hierzu sitzen Frank Pahl und seine Musiker an kleinen Orgeln, Melodikas und einem Fender Rhodes und erzeugen disziplinierte und zarte melodische Verläufe von großer ätherischer Qualität. Es ist letztlich simple, modale Musik, aber man kann sich ihrem hypnotischen Charme nicht entziehen.

Frank Pahl und einige seiner Instrumente

Frank Pahl und einige seiner Instrumente

Dann tritt die taiwanesische Percussionistin Aiyun Huang auf mit einem der besten Performances des Festivals: eine Soloschlagzeugkomposition auf Szenen aus Quentin Tarantinos Lieblingsfilm „Die fliegende Guillotine“ (jeder der diesen Film kennt weiß, dass es sich hier um den vielleicht abgefahrensten Kung-Fu-Film aller Zeiten handelt). In stetem Wechsel wird das Schlagzeug mal introspektiv, dann wieder gewalttätig: Zu schnell geschnittenen und auch visuell geloopten Kampfszenen wird ein wahres Percussionfeuerwerk entfacht, das voller Komik ist. Das Stück konzentriert sich auf eine der Nebenfiguren des Films, einer in Weiß gekleideten Kämpferin, und erzählt quasi in Musik deren Geschichte zu Ende, die im Film nur angerissen wird. Absolut fantastisch, Dieser kleine Ausschnitt gibt nur unvollständig die Wirkung wieder: A. Huang: Tension Study II: Eagle Claw Wu Tsiano Chen Wins

Diane Landry, die auch schon mit der Installation des „Ritters der unendlichen Verzweiflung“ aktiv war, zeigt ein Stück für Solo-Nähmaschine, eher eine Kunstperformance als Musik, aber immerhin, es wird ein elektrisches Netzwerk auf eine Quebec-Karte genäht, Anspielung darauf, dass Neufundland seinen Strom in einem Anfall nationaler geistiger Umnachtung für 100 Jahre an die USA zum gleich bleibenden Preis verkauft hat, und die Kabel hierfür durch Quebec laufen.

Rick Sacks, ein weiterer fantastischer Schlagzeuger, ist auch ein Musikclown, aber eben einer, der nicht den billigen sondern den subtilen Gag sucht. Seine Performance für Sample-Schlagzeug, in der gesampelte Wortfetzen und  Alltagsgeräusche kleine Theaterstücke von nie länger als 1 Minute ergeben, ist wunderbar, ebenso sein wildes Stück auf elektrischer Marimba, das die „Bohlen-Pierce-Scale“ verwendet, eine spezielle Intonation, der auch einige unserer Blogleser frönen (zum Beispiel Peter Köszeghy).

Und schließlich einer der Höhepunkte jedes Sound Symposiums, die „Impro Night“, in der zufällig gefundene Ensembles aus Sound Symposium-Künstlern die Bühne für nur flüchtig abgesprochene Stücke nutzen, die rigoros (um die bei Improvisation oft unvermeidliche Redundanz zu vermeiden) nach 5 Minuten mit einem Gong abgebrochen werden. Inzwischen hat man diese Zeitspanne aber so verinnerlicht, dass dies bei keiner einzigen der vielen Improvisationen, die alle auf ihre eigene Art Zuschauern wie Performern unglaublichen Spaß machen, nötig wird.

Durch die nach wie vor kühle Nacht geht man nach Hause mit dem Gefühl, doch noch etwas Schönes erlebt zu haben an diesem bitteren Tag, und hegt den Wunsch, solch farbige und abwechslungsreiche Konzerte möge es mehr geben auf der Welt.

Hätte Müller nur gespielt.

Moritz Eggert

St. John's bei Nacht

St. John's bei Nacht