Gedanken beim Hören eines Stückes von Helmut Lachenmann

Vorvorgestern: Orchesterkonzert bei der Münchener Biennale. Man spielt (u.a.) Lachenmann. Notturno. Musik für Julia. Für Cello und Orchester. Lucas Fels spielt Cello, Ulf Schirmer dirigiert das Münchener Rundfunkorchester.

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Alles ist hervorragend, von sublimer Qualität. Unglaublich, wie Lucas Fels mit großer Souveränität die feingliedrigsten, wohlausgehörten Klänge auf seinem Cello erzeugt, mit traumwandlerischer Sicherheit die abenteuerlichsten Flageolette erzeugt. Das Orchester spielt mit phantastischer Klangkultur, Von Ulf Schirmer klug und souverän geleitet. Die ausgeklügelten Klangreiche des großen Helmut Lachenmann werden perfekt realisiert, man hört jede Ablösung, alles geht ineinander wohlgefällig über, die Orchestermusiker zischen, singen, kratzen auf ihren Instrumenten, sie sträuben sich gegen nichts, jedes Detail ist wunderbar zu hören, man ist konzentriert – vielleicht nicht übermäßig leidenschaftlich – bei der Sache. Lachenmanns Musik ist endlich angekommen, im Konzertbetrieb angekommen, man merkt, dass das Publikum mit Ergriffenheit und der gebührenden Ernsthaftigkeit lauscht. Das ist ein Verdienst der unermüdlichen Aufklärungsarbeit, die die Neue Musik in den letzten Jahrzehnten sowohl an den Akademien als auch an den Schulen geleistet hat.
Es ist klar, dass es sich hier um große Kunst handelt. Kunst, der man konzentriert lauscht, den es handelt sich um Lachenmann, einen Pionier der Moderne, der seine Musik, seine phantastische Musik, dem Kampf mit dem Establishment abgerungen hat, dem spiessigen Konzertbetrieb.

Wie oft muß der große Lachenmann in seinem Leben vor bornierten Orchestern gestanden haben, die seiner Musik mit Arroganz und Häme begegneten? Wie oft musste er sich mit Spott und schierer Unfähigkeit herumschlagen? Doch davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Der gebildete A-Orchester-Musiker von heute beherrscht die Lachenmannsche Musik aus dem ff. Es fließt kein Schweiss mehr. Man spielt kontrolliert, auch die wohldosierten Emotionen sind unter Kontrolle. Nichts schlägt mehr über die Stränge, Heute ist man stolz darauf, alle Effekte zu beherrschen, die auf einem Instrument zur verfügung stehen. Man hat als Streicher heute einfach seinen „Neue Musik“- Bogen (für col legno und ähnliches) und auch sein „Neue Musik-Hemd“ (mehr Armfreiheit).
Ach, wie glücklich sind wir heute. Die Zeiten der Ignoranz sind vorüber.

Die Neue Musik ist – wie gesagt – angekommen. Angekommen im Bewusstsein, wenn auch vielleicht (leider) noch nicht im Herzen. Aber das kommt auch noch. Die erlesenen Zuschauer klatschen begeistert. Sie sind Kenner. Sie können die Größe eines bedeutenden, eines wichtigen Komponisten wie Lachenmann erkennen.

Und dennoch – man ertappt sich dabei, dass die Gedanken wandern:
Wie wäre es, wenn dem Lucas Fels der Bogen bei einem edlen sul ponticello abrutschte? Wenn ein gehauchter Ton nicht gelänge, die Klarinette sich überschlüge, die Oboe mit einem hässlichen Geräusch ob ungewohnter Lage einsetzte? Wenn die ergriffene Stille durch einen zornigen Konzertbesucher gestört würde, der türenknallend und empört den Saal verliesse? Wie wäre es, wenn bei Orchester wie bei einem Teil des Publikums ein…WIDERSTAND zu spüren wäre? Immerhin ist die Musik gegen einen solchen einst angeschrieben worden, und das ist in der Komposition zu spüren. Man fragt sich, vielleicht ketzerisch, ist es überhaupt eine authentische Aufführung, wenn dieses Element der Musik fehlt? Ist es noch Lachenmann, auch wenn jeder Ton stimmt? Wenn alles glatt läuft in einer Musik, die gegen das glatt laufen geschrieben wurde, gegen eine abgefuckte „Spassgesellschaft“ (Zitat Lachenmann)?

Das Stück ist zu Ende.
Wir klatschen.
Es klingt wie das Rascheln von Papier.

Moritz Eggert

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3 Antworten

  1. querstand sagt:

    Ein wunderbares Stück – ich hörte es schon einmal bei der musica viva, damals Münchener Kammerorchester! Man gleitet aus Tonhöhen allmählich in den Sog des Geräuschs, der Stille. Viel zu schön komponiert für jegliche Art von Widerstand. Übrigens – ausverkauft war jenes Konzert damals auch nicht, aber in der Muffathalle als Sonderveranstaltung gut besucht. Die Konzerte, jetzt 2010 bei Biennale Plus, in Philharmonie und Herkulessaal, künstlerische Highlights der Biennale, ein eigenes Fest. Aber mitten im Musiktheaterfestival, mit den gleichen Farben beworben – gähnend leer. Dabei ist das Publikum hier gar nicht so avantgardephob, aber es wird schlichtweg nicht abgesprochen, im Zweifelsfall durch die Opern, die dann auch kein Interesse für Konzerte wecken. Wien modern – warum eigentlich kein München modern? Da leitet ein Kulturmanagement-Professor die Biennale, und weit und breit wenig Gäste? Das bewährte Biennale-Team leistet grandiose Arbeit, ist der berühmte Magen, dem aber doch irgendwie das Haupt fehlt… Erst bei der Amazonas-GP sah ich sowas wie Andrang bzw. auch bei der Hochschulpremiere. Mais le reste, c’est silence..

  2. mehrlicht sagt:

    Heute ist man stolz darauf, alle Effekte zu beherrschen, die auf einem Instrument zur verfügung stehen. Man hat als Streicher heute einfach seinen “Neue Musik”

    Moritz, ich nehme an, diese Sätze sind auch im leicht ironischen Teil Deines Beitrags zu verorten? Ich glaube, bis Musiker (offensichtlich vor allem außerhalb von München) bei der von Dir beschriebenen Haltung angelangt sind, ist noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Schön, dass es bei vielen Ensembles selbstverständlich geworden ist. Und interessant, wie sich dann das Wesen eines Werkes verändert. Noch ein Aspekt: wenn Du das „glatt laufen“ und „Kontrolle“ erwähnst, ist es dann nicht doch ein Ausdrucks-Aspekt, der Dir (trotz Klangkultur) fehlte? Genau dieser fehlende Aspekt macht übrigens viele Hochglanz-Aufnahmen von Schumann und Beethoven völlig unerträglich…

  3. eggy sagt:

    @mehrlicht: Nein, das war tatsächlich nicht ironisch gemeint. Ich habe selber noch die Zeit der „renitenten“ Orchester erlebt, unmögliche, alberne, aggressive Proben zuhauf, zum Teil bei wirklich großen Namen wie George Crumb oder Hans Werner Henze. Natürlich kann man so etwas auch heute erleben, es hat sich aber schon ein irrsinniger Wandel in der Orchesterlandschaft getan, das merkt man besonders bei den jungen Musikern, die neu in die Orchester kommen.
    Vielleicht auch aufgrund der zunehmend schwierigen Marktlage hat sich schon eine andere Disziplin ausgebreitet, und die Ausbildung an den Hochschule hat sich auch spürbar verbessert (was nicht heißt, dass sich nicht auch noch mehr tun könnte).
    Im Ausland war das ohnehin schon länger so: Gerade in England und den USA, wo die einzelnen Musiker alles andere als sicher auf ihren Orchesterstühlen sitzen und auch nicht so verbeamtet sind wie hier, merkt man schon deutlich, dass der spieltechnische Horizont des durchschnittlichen Musikers wesentlich weiter gefasst ist, Vielseitigkeit hilft halt eben auch beim Überleben als Musiker.
    Ich arbeite ja relativ viel mit Orchestern, und vielleicht liegt man auch der Täuschung auf, dass man mit zunehmendem Alter und vielleicht auch Anerkennung anders behandelt wird als als junger, noch nicht arrivierter Komponist. Aber dennoch: es hat sich spürbar etwas getan, da würde auch ein Helmut Lachenmann zustimmen.