MP3s am Geschmack erkennen
Laut dieser (schon etwas älteren) Meldung wird die Qualität komprimierter Audioformate, wie MP3, „[…] selbst von geschulten Hörern oft besser oder zumindest gleichwertig empfunden als sogenannte Lossless-Formate oder Audio-CDs.“
„Zu diesem Schluss kommt die Testplattform TrustedReview in einem Blindversuch mit mehreren Personen.“ heißt es weiter. Es handele sich bei dem Vergleich nicht um einen Versuch „[…] mit streng[en] wissenschaftlichen Parametern […]“.
Was soll man davon halten?
Nichts.
Denn worunter gerät ein Vergleichstest, der nicht unter wissenschaftlichen Bedingungen vorgenommen wurde?
Richtig, unter Verdacht. Zumal natürlich gleich „[…] der Fraunhofer MP3-Experte Bernhard Grill im Gespräch mit pressetext […]“ verdächtigerweise dazu seinen was geben durfte?
Richtig, seinen Senf.
Pressemeldungen sind inzwischen einfach nichts weiter als Werbung für eine bestimmte Lobby. Diese Pressemeldungen werden schön formuliert, ihr Wahrheitsgehalt ist wurscht, sie werden ohne eigentlichen (oder sogar verfälschenden) Informationswert in die Welt hinausgeschickt.
Ein paar (gefälschte/manipulierte/forcierte/frisierte) Daten im Dienste der MP3-Lobby, ein paar O-Töne, ein paar Verweise – nur, damit die MP3-Industrie, die natürlich mit DingsReview unter einer Decke steckt, noch mehr von diesen Playern verkaufen kann? (Meiner hat seine Batterieklappe übrigens im Juli 2009 in Würzburg verloren. Hat dieses kleine Schwarze zufällig jemand gefunden?)
Vielleicht. (Der Verschwörungstheoretiker, Gruß an. I., haut sich an die Stirn und schreit: „Natüüüüürlich, Mann!“)
Besonders schön – will heißen: entlarvend – ist die Formulierung, es habe ein Versuch „[…] mit mehreren Personen […]“ stattgefunden. (Ich lass jetzt meine üblichen Kommentare mal sein… Nur eine Andeutung: Welchen Geisteszustandes waren diese Personen?). All das erinnert mich an eine Meldung, die ich vor geschätzten zwei Jahren las, als es um die Weiterentwicklung von Instrumentensamplern ging. Diese – so hieß es in der Meldung damals (die Quelle kann ich, zugegeben, leider nicht mehr angeben, sorry) – könnten ein Orchester insofern schon ersetzen, als dass ein Versuch „mit amerikanischen Professoren“ (auch hier nur eine Andeutung: Warum habt ihr volldemente Professoren – selbstverständlich seit Jahrzehnten „em“ – für Provinzialrömische Archäologie gefragt?) gezeigt habe, dass die Probanden die Aufnahme des zweiten Satzes, Allegretto, von Beethovens Sinfonie Nr. 7 mit Instrumentensampler nicht von der eines echten Orchesters unterscheiden konnten. Ich habe mir die Samplerversion damals angehört – und nach drei Sekunden wieder ausgeschaltet, weil es natürlich unerträglich war. (Ich liebe übrigens Samples, aber es klang einfach furchtbar.)
Ich habe übrigens auch nichts gegen MP3. Nur ich behaupte (ja, unwissenschaftlicher geht es jetzt eben nicht mehr!), dass ich, der Autor dieser Zeilen also, MP3s erkenne (und natürlich von der Tonqualität her gegenüber CDs schlechter finde). Schon einige Male habe ich das vor Freunden bewiesen.
Da fällt mir ein lieber Kollege vom Rundfunk ein, die Alte-Musik-Konifere (mein Lieblingsversprecher) Bernhard Morbach. Er erzählte mir kurz nach Neujahr im Studio, seine Frau habe ihn auf eine Sylvesterparty mitgeschleppt. Die Musik kam vom MP3-Player. „Und wegen dieser Scheiß-MP3-Qualität hatte ich dann auch erst gar keine Lust zu tanzen!“
Will heißen: Er hört die Unterschiede.
Ich auch. Die Meldung (und hier muss nun wirklich Unwissenschaftliches mit Unwissenschaftlichem vergolten werden) ist also falsch.
Genauso, wie ich die Behauptung eines Freundes, der hier schon allein MP3-thematisch ins Spiel kommt (er übertreibt auf seinem privaten Blog gerne mit einem, auch sympathischen, Hang zur Technologie, welche früher oder später sowieso alles und jeden ersetze und zwangsläufig kommen werde und kommen müsse – und sei hier prompt nicht genannt; er empfindet es wahrscheinlich eh als unangenehm, dauernd zur Sprache zu kommen, wiewohl ich ihn sehr schätze), die besagt, alle Gummibärchen schmeckten – trotz der Farbunterschiede, die aber nur Makulatur seien – gleich (von wegen: „Ih, die durchsichtigen Bärchen mag ich nicht!“).
Das ist ebenso unwahr.
Das zeigte nicht zuletzt ein Blindtest neulich vor Kollegen. (Zum letzten Mal für heute: Ja, unwissenschaftlich.) Ich habe Zeugen. Ich schmecke jede Farbe heraus! Ohne Fehler! Wirklich!
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Ich habe vorgestern meinen Computer an die (ziemlich gute) Stereoanlage angeschlossen und dachte, der mp3-Pop von meiner Festplatte würde sich ziemlich gut anhören. Denn aus den 2.1 Computerlautsprechern hat er sich schon ganz gut angehört. Leider war das Gegenteil der Fall. Schlechter Wein wird in guten Gläsern noch schlechter, und was sich auf dem iPod gut anhört kann aus der Anlage nach Mist klingen. Das heisst nicht, dass mp3s schlecht sind, sondern dass jedes Format das richtige Ausgabegerät braucht.
Auch wenn ich ein Jahr zu spät komme… habs erst jetzt zufällig gefunden.
Natürlich klingen MP3s schäbig – wenn man mit zu niedriger Bitrate, den falschen Codecs oder ungünstigen Einstellungen an die Sache rangeht. Doch schon 192 kbps mit nem anständigen Codec sind zumindest bei der allermeisten Popmusik ein harter Prüfstein für Blind-Tester. Unter fast allen Abhörbedingungen (darunter unter allen, bei denen MP3 heute noch angebracht ist, also Auto und Portable) ist da für kaum jemanden an irgendeiner Stelle ein Unterschied zur CD auszumachen. Kritisches Material, z.B. Applaus (der klingt bei schlechten MP3s wie eine Pfanne mit heißem Fett) verrät sich da noch am ehesten, aber auch sehr selten.
Hörtests seriöserer Art gab es auch – zu Zeiten, da die Codecs noch nicht die volle Reife hatten. Die c’t testete einst mit 128 und 256 kbps gegen die CD – mit teils überraschendem Ergebnis:
http://www.heise.de/ct/artikel/Kreuzverhoertest-287592.html
Und: MP3s werden nicht besser, wenn ihre Grundlage aus bereits kaputtgemastertem, geclipptem Sondermüll besteht, wie bei Popmusik zumindest seit Jahren üblich. Die kann man um mehr als 1 dB im Pegel reduzieren – das MP3 wird wieder Vollaussteuerung melden. Beim Thema Clipping und Lautheitskrieg gäbe es viel mehr Anlaß zu Aktivitäten als bei 192er MP3s. So gesehen haben Produktionen aus den Gebieten Jazz und Klassik sogar noch Vorteile. In meinen eigenen Tests konnte ich da auch bei 192 kbps keine nennenswerten Unterschiede hören.
Aber das Thema erledigt sich sowieso. Wenn einem 1-Terabyte-Festplatten regelrecht nachgeworfen werden (da passen 1600 Stunden CD-Qualität drauf!) und man mit FLAC noch einmal verlustfrei auf das doppelte aufstocken kann, muß niemand mehr MP3s erstellen – zumindest nicht zum heimischen Anhören. Man kann ja weiterhin 192er MP3s fürs Auto oder die Bahnfahrt parallel erstellen – dafür reicht es locker.