Schwerings Scoop

Es sagt eine Menge aus über die publizistische Lage dieser Stadt, wenn man heute einmal den durchschnittlich halbseitigen, gefühlt einspaltigen, sogenannten Kulturteil des Kölner Stadtanzeigers aufschlägt. Der ksta kommt aus dem Haus Dumont, wie alles, was in dieser Stadt morgens auf der Fußmatte liegt oder der Fisch eingepackt wird.

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Der selbstverschuldet arbeitssuchende Spitzendirigent Fabio Luisi will sein Taschengeld nun mit einem Gastdirigat beim Gürzenich (nur echt mit „sch“ am Ende) – Orchester aufbessern. Markus Schwering, der für seine Kolumne gern schon einmal den Kopf gedankenschwer mit der Hand abstützen muss, gibt sich einmal ganz investigativ und befragt aus diesem Anlass Fabio Luisi.

SCHWERING (keck): Sie dirigieren wenig Uraufführungen.
LUISI (COOL): Früher schon, jetzt weniger.
SCHWERING (erregt): Taugt die aktuelle Produktion nichts?

Es folgt eine differenzierte Antwort des italienischen Maestros:

LUISI: Das Neue ist nicht immer gut, aber es ist sehr schwer, zu wissen, ob es gut oder schlecht ist, solange es nicht komponiert ist. Es geht auch nicht darum, dass wir immer Uraufführungen machen, viel wichtiger sind Wiederaufführungen von zeitgenössischer Musik. Uraufführungen sind oft genug ein Alibi eines Orchesters, das sagt: Guckt mal, wir interessieren uns für Neue Musik. Dann aber verschwinden die Sachen in der Versenkung. Eine Uraufführung geht vorbei, sie trägt nicht zur Etablierung einer Komposition im Repertoire bei.

Das ist eindeutig zu differenziert für den kölschen Zeitungsjungen: lieber noch mal nachfassen:

SCHWERING (mit lauerndem Blick): Wie sieht es bei der Oper aus?
LUISI (wiegelt ab): Das meiste Neue ist nichts. Aber es gibt Werke, die wieder und wieder aufgeführt zu werden verdienen. Reimanns „Lear“, Pendereckis „Teufel“, auch einige Henze-Stücke. Aber es sind wenige, das stimmt.

Tata! Da hat er sie! Die Überschrift! Knackig, knapp, ein Knaller! Und hübsch konservativ!

„Das meiste Neue ist nichts“

Jaja. So sieht die Zeitung aus, die mit ihrer Meinungsmacht in einer Stadt wie dieser leider mehr kaputt machen kann, als einem lieb ist. Und steter Tropfen höhlt den Betonkopf.

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Musikjournalist, Dramaturg

5 Antworten

  1. HCB sagt:

    Luisi ist ein Dirigent, der in der Neuen Musik ständig nach Wichtigem sucht und immer wieder auch fündig wird. In Leipzig und Dresden hat er in diesem Punkt nachweislich viel geleistet, sein Repertoire pflegt auch die Missing Links zwischen ausgehender Romantik und Moderne wie Franz Schmidt.

    Wenn alle wären wie Luisi, hätte die Neue Musik weniger Probleme. phan, sprechen Sie mit Luisi direkt, er wird sich freuen. Und vielleicht hat er ja auch mal Lust auf das Fußball-Oratorium in Zürich…die Grasshpooers und der FC werden sich freuen….

  2. peh sagt:

    Lieber HCB, danke für die Hinweise. Mein Artikel zielte weniger auf die Aussagen Herrn Luisis, der ja Bedenkenswertes zum Thema UA und Wiederaufführung äußerte, als auf eine Berichterstattung, die nicht anders als tendenziös zu bezeichnen ist. Ein Phänomen, das man immer häufiger beobachten kann: von Hirnforschern, die die Verarbeitung von Zwölftonmusik nicht messen können und es der Musik in die Schuhe schieben oder klavierspielenden Bundestagsabgeordneten, die ihr Radio in Momenten ausschalten, wenn sie sich ermuntert fühlen sollten, es einzuschalten. Und wenn Sie einen direkten Draht zu Luisi haben, scheuen Sie sich nicht, ihn mir zu vermitteln. Würde mich über das Gespräch selbstverständlich freuen.
    Gruß, Patrick

  3. fuel sagt:

    Beim Lesen der in diesem Artikel zitierten Passagen stelle ich mir im Vergleich zu dem vollständigen Interview auf der verlinkten Seite beim Kölner Stadt-Anzeiger folgende Frage: Waren Sie bei dem Interview dabei oder woher entnehmen sie die Information, dass Schwering die hier erste zitierte Frage „keck“ stellt, Luisi „cool“ antwortet und Schwering daraufhin „erregt“ weiterfragt?

    Die Wahl der Überschrift bei einem Interview soll doch – so verstehe ich es zumindest – beim Leser Interesse hervorrufen das Interview zu Lesen. Das ist der Sinn jeder Überschrift. Ob das mit dieser Überschrift funktioniert ist dann eine andere Frage, aber zumindest ist das in der Tat wie Sie schreiben eine knackige Aussage des Interviews. Und dabei handelt es sich immerhin um Worte Luisis! Den Zusammenhang kann im abgedruckten Interview ja jeder nachlesen. Natürlich hängt an der Auswahl der Überschrift und an den gestellten Fragen des Reporters zwangsläufig eine Tendenz, aber die wird bei keinem Interview vermieden werden können. Es ist immerhin ein Interview und kein Bericht. Einer fragt, einer antwortet. Daher frage ich mich: Ist hier nun Schwering der konservative oder Luisi? Es sind Luisis Worte, die Schwering dann eben wohl so interessant hält, so dass er sie für die Überschrift des Interviews auswählt.

    Ob das dann als tendenziös zu bezeichnen ist, wage ich zu bezweifeln. Tendenziöse „Berichterstattung“ müsste dem Wort nach übrigens auch vielmehr an einem Bericht, aber weniger an einem Interview, überprüft werden – und auch der beste Bericht kann niemals zu 100% objektiv sein.

  4. peh sagt:

    es ist doch immer wieder schön, wenn aus dem archiv etwas „hochkommt“. und nur wer noch nie ein interview geführt, verschriftlicht und redigiert hat, kommt auf die idee, ein zeitungsinterview für authentisch zu halten. sorry, ich dachte sowas lernt man heute selbst an der musikhochschule, dass das alles KONSTRUKTIONEN sind. und ich muss es für ein anzeichen von leseschwäche halten, wenn ein offensichtlich als ironische verfremdung gekennzeichnete „szenenanweisung“ zu einem interview nicht als solche erkannt wird. und wenn jemand – der sich angeblich der musik zugetan fühlt, wie ein herr schwering – meint, damit der musik einen dienst zu tun, wenn er untote schreckgespenster hochhält, dann ist das kritisierenswürdig. wie sie schon festgestellt haben, ist es eine frage der auswahl, was man aus einem interview herauspickt und in die überschrift hievt…

  5. Dr. Peter Brinkemper sagt:

    Das ist einfach nur gruselig. Herr Schwering ist ja selbst ein Objekt jenes Kahlschlags, den er dann in Bezug auf die Neue Musik weiter bedient. Die Flapsigkeit dieser Präsentation einer Lieber-Nichts-Neues-„Methode“, dieses Sich-Krümmen im irgendwie angeblich schon Angekommenen, das auch keiner mehr richtig kennt, im Schnodder-Interview durchzunudeln, hilft keinem weiter. Weder den Kennern, den Liebhabern, noch den Banausen. Erinnerung an große Klassische Moderne, an Klassik und Romantik, das Sich-Aufbäumen heutiger neuer Produktioenn zwischen Eklektizismus und genialen Einzelwerken, dazu die nivellierte audio-visuelle Spotify-Umwelt, das ist das Bermuda-Vieleck, das Nadelöhr, durch das das Gute gelingen, widerstehen, verlocken und eindringen mag.