CO 2 H Squared (Abenteuer im ZKM, Teil 9)
Schwierig, heute etwas zu schreiben.
Sagen wir mal so – so nahe an der kompletten Auflösung war die Produktion noch nie. Nachdem die anderen Sänger erschienen sind, gab es am Morgen zuerst einmal eine Grundsatzdiskussion über die Art der Musik und die Vorbereitung des Projektes.
Dies ist noch ein harmloser Ausschnitt
Danach ein Versuch, den Schluss des Stückes vom Blatt zu singen. Ein Korrepetitor spielt die Töne so zaghaft mit, dass niemand sie hört. Es klingt wie Kraut und Rüben. Danach kommt Weibel, dem dies vorgeführt wird. Weibel strebt die Flucht nach vorne an: „Es war mir eine Ehre, dieses Werk zum ersten Mal gehört zu haben – es handelt sich um etwas völlig Neues!“. Als Zweifel daran laut werden, wird die Diskussion kurz unangenehm und ist auf der Kippe des berühmten Satzes „Ich reise ab“. Weibel wirft uns vor, wie Generationen von bornierten Musikern alles Neue zu sabotieren. „wie auch die letzten tausend Jahre!“ . Das ist insofern lustig, als doch einige von uns selber Komponisten sind (zum Beispiel Christian Kesten), die dies ganz bestimmt nicht vorhaben und eigentlich stets kooperativ sind. Aber man kann beide Seiten verstehen, auch Weibel. Letztlich ist alles ein Kommunikationsproblem – Man versucht konstruktive Vorschläge zu machen: Ludger Brümmer bittet schliesslich darum, die Musik „al fresco“ (so sagt er es nicht, aber so ist es wohl gemeint) aufzunehmen und dann anhand dieser Aufnahme eine Art Gruppenimpro zu machen.
Danach verbringen wir alle mehrere Stunden damit, einen kleinen Teil des Stückes aufzunehmen. Mafalda erleidet eine Art Zusammenbruch, als sie vom Dirigenten Heinz Friedl trotz intensivem Bemühens ständig korrigiert wird und sich herausstellt, dass sie seit Tagen aus einer falschen Stimme übt. Auch in meiner eigenen Stimme gibt es mehrere Inkongruenzen – manchmal spielt die MIDI-Spur etwas anderes als da steht, bei vielen Tönen fehlen Silben, etc.. Man sieht es fatalistisch, will aber natürlich auch sein Bestes geben….
Am Nachmittag ist frei, damit das Tonstudio des ZKM etwas basteln kann. Am Abend dann große Probe auf der Bühne, mit allen. Man spielt uns denn Anfang vor: Anstatt mit Klaviersamples wie bei den vorherigen Proben, sind nun alle Stimmen durch unterschiedliche Instrumentalsamples dargestellt. Das klingt dann wie ein Demo von Sibelius Essentials. Nun stellen wir uns alle auf die Bühne – die Idee ist, mit diesen Samples parallel zu singen. Zuallererst stellt man fest, dass Samples und Clicktrack nicht parallel laufen. Noch einmal 15 Minuten Pause, alles wird nochmal umprogrammiert. Dann singen wir wieder – jetzt mit richtigem Clicktrack und dem Lichtkonzept, das das „Game of Life“ darstellen soll. Nach unserer Darbietung herrscht erst einmal betretene Stille.
Dann Weibel: „Wir haben herausgefunden, dass sie als lebende Elemente vom Spiel des Lebens auf der Bühne ablenken. Wir haben uns entschieden, dass sie hier gar nicht physisch anwesend sein sollen“.
Wir sollen das Leben, darstellen, aber weil wir lebendig sind, stören wir dabei irgendwie. Andererseits ist die Idee der Flucht nach vorne, eine möglichst verrückte Gruppenimpro, vielleicht nicht schlecht gewesen. Morgen soll weiter aufgenommen werden, vielleicht ändert sich nochmal alles.
Danach großer Umtrunk in der nahen Bar – als ich ankomme, gibt es schon nichts mehr zu Essen. Dann lieber nüchtern bleiben und bloggen.
Noch drei Tage.
Moritz Eggert
Komponist