MaerzMusikBericht II

Gestern also wieder in die Philharmonie. Zur MaerzMusik. Es gab:

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HEINZ HOLLIGER
Tonscherben (1985)

BERND ALOIS ZIMMERMANN
Stille und Umkehr (1970)

THOMAS KESSLER
Utopia (2009)

Staatskapelle Weimar
Heinz Holliger, Leitung

Das war alles sehr gut geprobt. Und schöne Klänge gab es auch beim Einstiegsstück, Holligers „Tonscherben“. Bei hier und da bemerkenswerten Einzelklängen blieb es aber. Und richtig gut waren die Klänge auch nur im Pianissimo. Merkwürdiges Phänomen. Jeder Klang, der über die Mezzoforte-Grenze hinaus ging, war – vor allem, wenn er allein vom Blech kam – plump und wirkte wie tausend Mal gehört (mit der textlich logischen Konsequenz, die wir Klaus Lage zu verdanken haben). Sobald Holliger – der sein eigenes Stück irgendwie albern zitternd dirigierte, als gelte es, ein schüchternes Laienensemble zu motivieren – ein paar Steine in sein Wortspiele provozierendes Stück „Tonscherben“ warf, desto brüchiger wurde das Glashaus. (Hä? Egal.)

Bernd Alois Zimmermanns „Stille und Umkehr“ (1970) bohrte sich dagegen ins Gehirn. Im Programmtext wurde kurz die unvermeidliche Zimmermann-hat-der-musikalischen-Postmoderne-wesentliche-Impulse-gegeben-Debatte angerissen. Davon ist in Zimmermanns Stück, das kurz vor seinem Freitod entstand, nichts zu spüren. Ich war ganz wach und dennoch unendlich müde – gleichzeitig. Aber nein, die Kugelgestalt-der-Zeit-Debatte ist ja auch abgefrühstückt. Ein Stück Musik jedenfalls, das mich sehr traurig gemacht hat. Das ist bei B. A. Zimmermann häufig so. Ich kann da Biographie und Werk wirklich schlecht auseinander halten. Unwissenschaftlich, ich weiß. Entschuldigung. Die ganze Zeit dieser Zimmermannsche „Lebenston“-Tinnitus d, der hier ja eigentlich „Todeston“ heißen müsste… Ich erinnere mich an meine Zivildienstzeit in einem Kinderkrankenhaus. Da gab es auch eine Onkologie, also eine Krebsstation. Irgendwann geriet mir eine Broschüre in die Hände. Die war für Eltern gedacht, die ihr Kind verloren haben. Das Wort „Trauermeditation“ (wurde als Thema innerhalb eines Workshops-Seminars für betroffene Eltern angeboten) ist in mir geblieben. Zimmermanns „Stille und Umkehr“ ist genau dies. Man ist unendlich traurig, schläft kurz vor Erschöpfung ein, wacht wieder auf und wundert sich darüber, daß man überhaupt schlafen konnte und im Zustand des vorübergehenden Bewusstseinsverlusts seine Trauer vergessen hatte. Mann, Lücker, ist gut jetzt.

Nach der Pause, in der es einige Promis zu sehen gab (Alfred Brendel, Nike Wagner, mich, Mark André, Dieter Schnebel, Beat Furrer, James Clarke, Klaus Huber, Younghi Pagh-Paan, Christine Fischer, Georg Katzer und viele andere) stand dann Thomas Kesslers „Utopia“ auf dem Programm.

Es ist gemein, aber gerade bei derartigem technischen Aufwand (jeder Musiker hatte ein Laptop neben seinem Notenpult stehen und war außerdem mit einem Fußpedal ausgestattet) und großspurigen Ankündigungen meine ich vorher immer genau zu wissen, daß ich enttäuscht sein werde.

Und da ich für die Berliner Zeitung da war, musste das natürlich verschriftlicht werden. In etwa so erscheint es wohl morgen (wenn der zuständige Redakteur die Fischotter nicht tötet!):

Farben wurden hier reichlich ausgeschüttet. Sie gleißten von verschiedenen Rängen der Philharmonie auf den Hörer herab. Neue Musik, die die räumliche Verteilung von Orchestermusikern und überdies die Beschäftigung mit ungewohntem technischen „Zubehör“ verlangt, stößt meist früh auf institutionelle Widerstände. Insofern ist dieses Werk sehr wohl utopisch und in seinem gelungenen Klang-Werden durch die von Dirigent Heinz Holliger hervorragend eingeschworene Staatskapelle Weimar ein Stück „konkrete Utopie“. Nur ist Kessler leider kein Komponist, der dezidiert musikalisch-utopisch im Sinne einer greifbaren Gestalt, einer fesselnden, zwingenden Struktur denkt. Man fragt sich: möchte man bei der Reise an einen „Un-Ort“ – so die Roh-Übersetzung des Utopie-Begriffes – nicht auch einmal etwas richtig anfassen, sich einer plastischen Begegnung länger als nur zwanzig Sekunden hingeben?

Kesslers Orchester-Wucht, in der die Instrumente individuell verstärkt und gleichzeitig mit ringmodulierten Sinustönen verglitscht wurden, funktionierte wie ein Tierfilm, in dem man innerhalb von 30 Minuten ohne Übergang 500 verschiedene Lebewesen vorgestellt bekam. Wie gerne hätte man sich von einer inneren Strukturidee fesseln lassen und, um bei dem Tierfilmbild zu bleiben, beispielsweise nähere Details über die Nahrungsbeschaffung, die Paarung, die Geburt und den Tod von Fischottern erfahren.

Trotzdem beeindruckte das Werk durch seine in der Tat immense Klanggewalt. Die innere Ideenlosigkeit jedoch veranlasste einen anwesenden dänischen Komponisten zu dem berechtigten Urteil: „The best bad piece I ever heard!“

Nach dem Konzert noch hinter der Bühne sinnlos auf „Stimmenfang“ gegangen. Daraus resultierte aber nichts, was produktiv gewesen wäre. Tschüß.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.