In Ulm, um Ulm, und für Ulm ganz dumm – rettet „Neue Musik im Stadthaus Ulm“

Liebe Baddies,
Wieder einmal ist es meine traurige Pflicht, euch auf einen drohenden Kahlschlag in Sachen Neue Musik hinzuweisen – diesesmal geht es um die äußerst verdiente Reihe „Neue Musik im Stadthaus Ulm“, die Jürgen Grözinger schon seit langer Zeit erfolgreich leitet. Da Briefe eben doch manchmal helfen (so jüngstens bei der Hans-Werner-Henze-Musikschule Marzahn geschehen, wo die Empörung unter anderem in diesem Blog tatsächlich geholfen hat), möchte ich euch bitten, seinem Aufruf Folge zu leisten.

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Hier sein Schreiben:

Werte Freunde / Cari Amici

dass ich mich heute als künstlerischer Leiter des Festivals „neue musik im stadthaus ulm“ an euch wende, hat einen dramatischen Grund:
Das nunmehr seit 14 Jahren existierende Festivals mit dem nicht ganz so genauen Titel (war doch die „herkömmliche“ neue Musik nur ein Aspekt des Gesamtprojekts) ist in seiner Existenz entscheidend gefährdet. Die Stadt Ulm möchte in den kommenden Jahren im Zeichen der aktuellen Krise rund 5 Millionen € seines Gesamthaushaltes einsparen, was vor Ort „konsolidieren“ genannt wird. Die Einsparungen, die das Stadthaus leisten soll, entsprechen in der Summe dem einzig noch frei verfügbaren Budget für Veranstaltungen, also dem, mit dem unser Festival finanziert wird. Stadthausleiterin Karla Nieraad wies in den Verhandlungen darauf hin, dass dieser vom Gemeinderat beschlossene Sparkurs das „Aus“ für das Festival bedeutet, sofern sich keine externen Mittel durch Sponsoren oder Stiftungen auftun sollten.
Was das für das Haus, das die Stadt vor noch nicht mal ganz 20 Jahren stolz von Stararchitekt Richard Meier auf den zentralen Platz direkt gegenüber dem gotischen Ulmer Münster bauen ließ als Ganzes bedeutet, ist eine Thematik für sich.

Ich sehe es als dringend notwendig an, für diese Problematik in Ulm ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen, eine Diskussion anzuregen, die sich durchaus auch vor Emotionalität nicht scheut. Denn es geht nicht nur um das Gesamtbild einer Stadt von innen wie nach außen, sondern um den Erhalt eines essentiellen städtischen Raumes des geistigen und sinnlichen Austausches.

Der sich aufzeigende Ulmer Weg bedeutet einen fatalen Raubbau an dem, was eine städtische Kultur leisten muss, nämlich den Erhalt und die Sicherung des Fortbestands sowie die Förderung der Weiterentwicklung unserer vielfältigen kulturellen Traditionen und Werte, anstatt sie einem rein marktorientierten Kulturbegriff zu überlassen, der sich lediglich am kommerziell geschaffenen Mainstream orientiert.
Ein derart respektloser Umgang mit den geschaffenen Werten einer Stadt wäre nach meinem Empfinden gleichzusetzen mit kulturellem Vandalismus.

Zentrales Anliegen des Festivals ist der Versuch der Darstellung und Vermittlung von musikalischen Ausdrucksformen des 20. und 21. Jahrhunderts und darüber hinaus der Spiegelung dessen in thematischen Verflechtungen, die weit in die gesellschaftlichen und politischen Register ragen. Niemals sollten die Konzerte ausschließlich einen elitären Neue-Musik-Zirkel ansprechen, vielmehr waren sie über die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte ein Angebot an vielfältige Gruppierungen eines potentiell an Musik interessierten Publikums und darüber hinaus einer kulturell aufgeschlossenen Bevölkerung.

Die Reihe entwickelte sich zu einem Festival, das vom Ulmer Publikum und von Musikern, Komponisten und nationalen wie internationalen Künstlern anderer Sparten hoch gelobt und oft als einzigartig in seiner Konzeption und Realisation bezeichnet wurde. Schon aufgrund der sehr beschränkten Mittel galt ein Hauptziel nicht der möglichst großen Zahl von Uraufführungen, sondern einer Darstellung bereits komponierter Musik, selbstverständlich mit Betonung auf die letzten Jahre und Jahrzehnte. Linien sollten aufgezeigt werden von der Klassischen Moderne (oder gar manchmal zurück bis zur Klassik und zur Alten Musik) über die unterschiedlichen Ästhetiken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu Postmoderne und Modellen aktueller Club-Musik.

Links zu den letzten Veranstaltungen:

http://www.facebook.com/l/a4cf9;www.stadthaus.ulm.de/stadthaus/neue%20musik.48150.htm
http://www.facebook.com/l/a4cf9;www.stadthaus.ulm.de/stadthaus/weitere_infos.61572.htm
http://www.facebook.com/l/a4cf9;www.stadthaus.ulm.de/stadthaus/weitere_infos.48723.htm
http://www.facebook.com/l/a4cf9;www.stadthaus.ulm.de/stadthaus/weitere_infos.52791.htm

Wichtiger Baustein war die Gründung des Ensembles „EuropeanMusicProject“, das fortan als „Ensemble in Residence“ die Entwicklung und Realisation ungewöhnlichster Programmkonzepte ermöglichte, welche allein ein einzigartiges Profil in der Landschaft auch renommierter einschlägiger Festivals ermöglichte. Einige CD‘s wie auch Radiofeatures geben hiervon Zeugnis.

Ein Budget auf der einen Seite, das weit unter sämtlichen vergleichbaren Veranstaltungsreihen anderer Städte lag, und demgegenüber der Anspruch, sich messen lassen zu können im Versuch einer einmaligen, wie ich meine, wirklich zeitgemäßen Form der Vermittlung zeitgenössischen musikalischen Schaffens, ist nur mit äußerstem Idealismus zu kompensieren.

An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass sich das Stadthaus selbst nun für das Festival engagiert:
Durch einen selbst erwirtschafteten Übertrag kann das Festival für 2010 und 2011 noch auf einen Minimalsockel gestellt werden, der keinesfalls für Konzerte in der herkömmlichen Weise ausreicht, aber zumindest eine Basis für die Akquise von weiteren Mitteln darstellt.

Das Stadthaus möchte einen Freundeskreis aufbauen (bei Interesse bitte direkt im Stadthaus Ulm oder auch bei mir melden); außerdem werden intensiv Möglichkeiten des Sponsorings sowie die Unterstützung durch Stiftungen untersucht. Ideen hierzu sind ebenfalls herzlich willkommen!

In keinem Fall können diese Inititaiven jedoch eine komplette Einstellung städtischer Unterstützung kompensieren!

Zudem möchte das Stadthaus die Projekt-Arbeitsphase künftig von den bisherigen 12 Tagen auf lediglich 7 Tage reduzieren, um den Raum notwendigerweise gewinnbringend bewirtschaften zu können.!
In dieser Form soll das Projekt vom 19.-25 April 2010 stattfinden.

Mein Anliegen, die Stadt Ulm von der Notwendigkeit des Erhalts des Festivals nachhaltig zu überzeugen, geht weit über meine und unsere persönlichen Interessen hinaus. Es geht um uns alle als Teil einer heterogenen demokratischen und öffentlichen Kultur, welche als essentieller Gegenpol zur globalen ökonomischen wie politischen Verstrickung Bestand haben muss.

Ich möchte euch anregen, sofern ihr meine Auffassung teilt, dass es nicht hingenommen werden sollte, wenn einzigartige und notwendige Projekte stillschweigend eingestellt werden sollen. Ich meine, eine öffentliches Zeichen von Empörung ist nötig!
Bitte richtet eure Worte an folgende Adressen:

Kulturbürgermeisterin Frau Mayer-Dölle:

Rathaus Ulm
Frau Bürgermeisterin Sabine Mayer-Dölle
Marktplatz 1
89073 Ulm

Mail:
s.mayer-doelle@ulm.de

Jürgen Kanold/Leiter der Redaktion Kultur Südwest Presse Ulm:

Neue Pressegesellschaft mbH & Co.KG
Redaktion Kultur
Herrn Redaktionsleiter Jürgen Kanold
Frauenstraße 77
89073 Ulm

Mail
j.kanold@swp.de

Ich möchte euch bitten, die Schreiben mit eurem Namen und Adresse, sowie Email zu „signieren“ – und auch mir eine Kopie zukommen zu lassen.

Im Voraus bedanke ich mich herzlich.

Euer

Jürgen Grözinger

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Irgendwie passend hierzu die heute außergewöhnlicherweise im Feuilleton erschienene Todesanzeige von Heinz-Klaus Metzger:

metzger

Am Ende hilft nur noch der Glauben.

Euer Bad Boy,
Moritz Eggert

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2 Antworten

  1. 7. November 2009

    […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Bernd-Chr. Kämper und Ali N. Askin, EiserfeldWolf erwähnt. EiserfeldWolf sagte: bckaemper RT @musikzeitung Rettet die “Neue Musik im Stadthaus Ulm" http://bit.ly/1Dlhwx […]

  2. 25. Januar 2010

    […] In Ulm, um Ulm, und für Ulm ganz dumm – rettet “Neue Musik im … […]