„Ja, ich war verliebt!“
Letzte Worte zum Gehorsam Lutz Glandiens
Am vergangenen Dienstag gab es – gefördert von Ernst von Siemens Musikstiftung – im Werner-Otto-Saal im Konzerthaus am Gendarmenmark eines der zahlreichen klingenden Portraits zu hören, die auf uns im Rahmen von 20 Jahren Mauerfall zukommen. Titel dieser Veranstaltungen, von denen es im Konzerthaus noch weitere drei geben wird: Vom Gehorsam. Von der Verweigerung.
Das klingt wunderbar zwiespältig und soll auf das Verhältnis von politischem Ja- und Nein-Sagen seitens der Komponisten in der DDR hinweisen. Denn im Mittelpunkt steht jeweils ein DDR-Komponist, um dessen Musik herum Werke seiner Vorbilder, Lehrer, Freunde gespielt werden.
Ich kann mir nicht helfen, es muss einfach raus: Ich halte dieses JaesistnatürlichhochinteressantdenninmeinenWerkenvondamalsspürtmanregelrecht-
wieichangekotztwarvonHoneckerundCo für ein Etikett, für verlogen – wird es von Harmlosigkeit und peinlicher Selbstinszenierungsgefälligkeit getragen wie beim ersten Konzert dieser Reihe, in dessen Mittelpunkt der Komponist Lutz Glandien stand. Sicher, Konzertreihen brauchen offenbar interessante Brandings – aber wenn man weiß, dass es tatsächlich Komponisten gibt, die in der DDR sozialisiert wurden und die damals wirklich aneckten und deren Werke sich immer noch wohltuend widerborstig geben, dann war das Glandien-Konzert ein Beispiel dafür, dass man die Frage von Gehorsam oder Verweigerung auch manchmal ganz einfach beantworten kann. Allerdings so, dass nachher das Gefühl aufkommt, die Frage sei eh sinnlos gewesen.
Um ein Beispiel zu nennen, um das wirklich noch einmal zu fixieren, um es für die Nachwelt festzuhalten, denn sonst glaubt es mir keiner: am Ende des Konzerts wurde eine Art Live-Hörspiel von Glandien uraufgeführt: Gila. Gila wurde 1923 geboren, erlebte den Zweiten Weltkrieg mit und schrieb Tagebuch. Heute ist sie dement. Zu Glandiens Musik sehen wir Daten auf einer Leinwand (1939, man denkt unwillkürlich: Ja, Mensch, oh Gott, da war doch was?) und hören Stimmen: die von der jungen Gila (Live) und der Gila von heute (vom Band). Und klar: irgendwann vermischen sich die O-Töne. (Was zu erwarten war.)
Dazu gibt es rein tonale Musik. Bei den Worten Es war Mozart! kommt natürlich Mozart. Bei 1945 wird es kurz dissonant und bei Ja, ich war verliebt! schwillt es terzenlastig an. Die Musik war schon ärgerlich, peinlich genug, aber mit derartigen Sprachallgemeinplätzen, die genauso gut aus dem Tagebuch einer bildungsfernen Jacqueline Shiwa Schröpke oder aus einer MDR-Dokumentation über die Vorzüge von Tretbootfahrten im Spreewald stammen könnten, wurde ich lange nicht mehr bombardiert.
Das Ganze gipfelt dann in eine Coda: die alte, demente Gila wird gezeigt. Sie weiß zwar nicht mehr (ach Gott, ging mir das nah!) wie alt sie ist, aber sie kann noch ein total nostalgisches Lied singen. Und jetzt festhalten: das singt sie dann auch – und dazu begleitet das Ensemble wie zu einer Nationalhymne.
Abspann: Gila lebt heute in einer Seniorenresidenz am Rande Berlins.
Applaus. Glandien verbeugt sich. Jubel seiner Freunde. Ein kräftiger Buhruf von mir.
Glandien war Schüler von Katzer. Katzer war Schüler von Eisler. Und Eisler war Schüler von Schönberg. Von all diesen Komponisten erklangen Werke: ein Kontext, in dem Glandien jämmerlich wirkte. Von seinen Lehrern hat er jedenfalls nichts gelernt. Schließlich war es Eisler, der einmal über naturalistische Verdopplungen in der Musik (mit vorauseilendem Gruß an Gila) zu Protokoll gab, er hasse (…) diese abscheulichen Musikstücke, die beim Anblick einer grünen Wiese in ein abscheuliches Schluchzen verfallen oder sich entsprechend mehr pittoresk beim Rauschen der Meereswogen zu benehmen haben.
Die Neue Musik und 20 Jahre Mauerfall – man kann nur hoffen, dass dieses durchaus reizvolle Thema in den kommenden Wochen nicht noch einmal zum Anlass bloßer Selbstdarstellung unbedeutender Komponisten missbraucht wird. Klar, in der Neuen Musik ist Kritiklosigkeit gerade en vogue (Gruß an den Großteil meiner Altersgenossen), aber dass die Anhäufung von Portraitkonzerten, Aufführungen und positiven Pressestimmen für die eigene Webseite wichtiger sein sollen als luzide Antworten auf politisch-musikalisch hochspannende Fragen: das will mir nicht in den Kopf.
Und weil heute Wahl ist: mit meiner Stimme lässt sich, lieber Herr Glandien, wohl kein neuer Konzertförderungsantrag schreiben… Nicht wahr? Mmh?
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Ob die arme Tonalität daran Schuld ist, dass Herr Glandien sie verwendet?
Will sagen: „tonal“ allein reicht mir nicht als Kritik aus an etwas, dann schon eher das „abscheuliche Schluchzen“ oder das „Pittoreske“ (Eisler)…
Oder die peinliche Vorzeigebetroffenheit anhand der Schicksale von anderen Menschen, die in Deutschland glaube ich ewig en vogue ist. Das ist dann auch nicht besser, wenn es „atonal“ ist, oder?
…nur zwischendurch: Es gab wohl in Bayern ein gut betuchtes „Festival“ der „neuen katholischen Kirchenmusik“. Da wurde „Tonalität“ von den Verantwortlichen heftig als „kommunikations-erleichternd“ eingefordert. Die kommende Tigerenten-Ästhetik im spinnenverseuchten Benedikt-Land?
rätselt: Theo
geissler@nmz.de
Jaja, diese „neue katholische Kirchenmusik“ ist schon ein Kreuz, aber auch die Protestanten sind nicht viel besser:
Bleiben wir lieber gleich zwischen Palestrina und maximal
Neoromantik mit ein paar „würzig“- (und beim dem Hochamt folgenden Frühschoppen leicht verdaulichen) „Dissonanzen“, die sich im Folgeakkord spätestens auflösen). Oder zwischen Luther-Chorälen und tonalem neuem geistlichen Lied.
Und haken wir das Thema Neue Kirchenmusik und Möglichkeiten für die Zukunft am besten ab, oder …?
Für die schlimmen „Avandgartler“ bzw. „Atonale“ etc. gilt in der Kirche zumeist „Hausverbot“. Und zumeist die Pfarrer oder Pfarrgemeinderäte haben da im Zweifelsfall die Schlüsselgewalt und machen mit so was zuweilen sehr ernst. Das musste ich leider schon z.B. bei einem Festival 99 erleben, als Kirche zuerst „ja“ sagte. Und dann hörte der Pfarrer ein paar „ungewohnte Klänge“ und verwies kurzerhand Musiker samt Komponisten (wohlgemerkt bei der GENERALPROBE Stunden vor dem Konzert!) „seines“ Hauses…
Und, Herr Geißler, ich kann Sie als Bayern? – beruhigen:
Das spielte sich NICHT in Bayern sondern in unserem Lande NRW ab.
Das Misstrauen bzw. die Erz-Konservativität bzgl. der neuen, schon nicht mehr „tonalen“ Musiksprache/Stilistiken besteht Seitens der Amtskirche flächendeckend. Mit vielleicht 2-3 Ausnahmen in ganz Deutschland, die man mit der Lupe suchen muss. Z.B. eine der rühmlichen Ausnahmen: St. Peter in Köln! Weiter so, kann man da nur sagen und in DEM Falle zumindest sicher sein.
Alles was atonal oder schon nicht tonal ist, das ist anscheinend immer noch (wie vor hunderten Jahren) wie immer „Teufelszeug“ oder dient nicht der optimalen Meditation oder „Kommunikation“ der „Schäfchen“ mit „dem da oben…“
Ausgenommen vielleicht, wenn sich mal der Organist
an einer etwas „gewagteren“ Improvisation mit „schrägen Akkorden“ – meist zum Auszug (denn da laufen sowieso alle schnell zum Frühschoppen weg…) vergreift.
Und selbst da gucken Omis (aber auch Jung-katholiken)
dann missmutig gen Orgelbühne etc. …
Ich weiß das als ehem. Chorsänger und einst „frommster Katholik“ und Kirchgänger und Aushilfsorganist in meiner Jugend (bis zur Studienzeit) aus langjährigen Erfahrungen…
In Musik und Kirche (Juli 2009) schrieb ich einen Artikel zum Thema, natürlich höflich und diskret und ohne Namen zu nennen für Negativbeispiele.
Daraufhin kamen dann Einladungen (an mich und an die anderen Komponisten), für die Teilnahme an Wettbewerben, die zwar nicht direkt das Einhalten der Tonalität „gefordert“ wurde, wo aber die Texte und Themen so ziemlich vor gegeben waren.
Sodass man sich vorstellen kann: Da ist dann „Textversändlichkeit und Tonalität“ bzw. „Tonalitäten“/ Wohlklänge/ undausgeprochene Wunsch-Kriterien anderer Art.
Obwohl in den Artikeln der Komponisten (zur Frage „Warum Komponieren Sie (nicht) für die Kirche?“ tw. implizit davon die Rede war: Gebt uns doch mal Aufträge/ tretet mal mit Komponisten in Kontakt…
Wie immer rufe ich in die Runde:
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Schönen Tag noch, der Ex-„Erzkatholik“ und Rheinländer
grüßt alle Bayern,
Erik Janson