Über Jörg Widmann. Oder auch nicht.

Aktuell schreibe ich an einem Aufsatz für Musik & Ästhetik, der voraussichtlich im Januar 2010 erscheinen wird. Es geht um die Musik Jörg Widmanns. Allerdings gleitet bereits die Einleitung in ungewollt böse Sphären ab, die mit Widmann dann nicht mehr viel zu tun haben. Oder eben doch. Man lese die folgenden Zeilen als eine Einleitung, die in dieser Form nie erscheinen wird. Und die mir leid tut. Oder auch nicht.

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Der letztlich hier erschienene, vollständige Artikel

Über Jörg Widmann
Über die Musik des Klarinette spielenden Komponisten Jörg Widmanns, oder besser: über das Phänomen „Jörg Widmann“ etwas zu schreiben, fällt nicht leicht. Zwar bekommt Widmann freilich nicht ausschließlich positive Kritiken, doch wird niemand ernsthaft bestreiten, dass ihn, obwohl er das selbst leugnet (Fein, Markus: Im Sog der Klänge. Gespräche mit dem Komponisten Jörg Widmann, Mainz 2005, S. 18/31), die Aura des Kritiklosen umgibt. Das liegt sicherlich auch daran, dass Widmann ein netter Mensch ist. Man kann ihm nicht böse sein. Er ist so, wie er ist.

Andererseits ist er ein aktuell höchst erfolgreicher Komponist, so dass es grotesk wäre, ihn zu behandeln, als sei er krank; als leide er gewissermaßen an Authentizität. Widmann ist jemand, der von der Krise, in der die Neue Musik kompositorisch und institutionell seit vielen Jahren steckt, profitiert. Er kam genau zur rechten Zeit. Für die Veranstalter, die sich nichts mehr trauen: ihnen liefert Widmann Werke, die dem Publikum nichts antun, schließlich sollen die Abonnenten wiederkommen. Und für die Stiftungen, die exakt so mutlos sind wie die Festivalchefs im deutschsprachigen Raum und die Widmann noch jeden Preis hinterherwerfen. Selbst mit dem Arnold-Schönberg-Preis wurde Widmann bereits geehrt (2004). Als sei nicht jedem bewusst, dass Schönberg sich im Grabe umdrehen würde, wüsste er, dass sich bereits Konformisten-Komponisten wie eben Widmann oder George Benjamin (2001), Aribert Reimann (2006) und Helmut Oehring (2008) Schönberg-Preisträger nennen dürfen. Eine Farce, keine Frage. Der Preis ist dabei im Grunde eine rein interne Angelegenheit des Schott-Verlags, eine zufallsbestimmte Suche nach dem „Mitarbeiter des Jahres“, denn nur Komponisten, die bei Schott unter Vertrag oder dem Verlag zumindest sehr nahe stehen, werden Arnold-Schönberg-Preisträger. Das Vermächtnis der Persönlichkeit Schönbergs wird damit auf eine Weise in den Dreck gezogen, die als nur ein einziges Beispiel zeigt, wie verzweifelt die kulturellen Drahtzieher hierzulande sich um das Besondere, Einmalige, um Außenwirkung, um die mediale Glorifizierung von vermeintlich wichtigen Persönlichkeiten bemühen. Widmann ist dabei, und nicht nur in dieser Hinsicht, im Grunde der Nachfolger Wolfgang Rihms, den man auch früh händeringend zum Genie erklärte – schließlich brauchte man mal wieder eines – und der bei diesem peinlichen Spiel folgsam mitzuspielen gewillt war und ist. Rihm, der eigens kurzzeitig aus dem Kuratorium der Ernst von Siemens Musikstiftung austrat, nur damit auch er einmal den mit 200.000 Euro dotierten Siemens-Preis entgegen nehmen darf, lässt die Satzung der Stiftung doch die Vergabe des Preises an ein Kuratoriumsmitglied nicht zu.

Zustände, die es wohl immer gegeben haben mag. Kein Grund, sie nicht – als von den grinsenden Veranstaltern und anderen Verantwortlichen selbstverständlich geleugnete Indikatoren einer ganz bestimmten Situation – ehrlich zu benennen. Denn aktuell, in einer Zeit, in der sich als E-Musik-Komponist nur noch schwerlich rein vom Komponieren leben lässt – und wer seine Kompositionsaufträge in den prunkvollen 1980er Jahren an Land zog, wird das nicht bestreiten – werden die Folgen dieser misslichen Lage immer deutlicher: in der Neuen Musik in Deutschland sind neue, aufregende, sinnlich und strukturell mutige Werke immer seltener zu hören. An die Stelle des Unerhörten tritt das musikalisch Immergleiche. Der übliche Sound der Neuen Musik wiederholt sich als ein unhinterfragter Klang-, Geräusch- und Aktionskatalog bis zur Übelkeit derjenigen, die sich wirklich ausliefern wollen, die anecken, die im Grunde Neid überhaupt nicht kennen, sondern jedem Glück wünschen, der es verdient hat, weil er neue Wege geht, weil er sich Zeit für ein neues Werk lässt, weil er keine Kompromisse kennt, weil er den Willen hat, eigen zu sein. Weil er eigen ist. Vielen jungen Komponisten ist die Musik im Grunde, das muss so unterstellt werden, schon egal. Es geht um Stipendien, Preise, Aufführungen. Man sieht sie lächelnd noch aus dem schlechtesten Neue-Musik-Konzert hinausgehen. Sie spüren die Bizarrerie des Betriebs, beispielsweise der Dinge, die alle zwei Jahre in Darmstadt passieren. Sie spüren aber auch, dass es – jedenfalls ohne Rückgrat – schwer ist, das falsche Lächeln in eine Grimasse umschlagen zu lassen und denjenigen ins Gesicht zu peitschen, die für die Verarmung derjenigen Musik, die eigentlich die spannendste überhaupt sein sollte, verantwortlich sind. 2008 erreichte diese Bizarrerie bei den Darmstädter Ferienkursen einen Höhepunkt. Die vielen jungen unzufriedenen Komponisten: sie gingen dann doch noch zur Abschlussparty. Armselig lächelnd.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

7 Antworten

  1. riko sagt:

    die Musik des Klarinette spielenden Komponisten Jörg Widmanns

    Du meinst doch sicherlich:

    Die Musik des komponierenden Klarinettisten Jörg Widmanns.

  2. Erik Janson sagt:

    Bravo Arno Lücker (und @ all) für diesen ehrlichen und aus der Seele sprechenden, nachdenklichen Beitrag!

    Das zeigt mal wieder: es gibt Dinge und so Gefühle, die dann aufkommen, die möchte man
    einfach als Komponist gar nicht wissen bzw. davon
    nichts mit bekommen, lieber seiner Arbeit nach gehen. Sonst zweifelt man am eigenen Verstande.

    Ich sags ja: Es ist in der Kunst SCHLIMMER noch als in der Wirtschaft mit den Bankern, wenn es um Tricks geht, sich geschickt immer mehr Preise/Vorteile zu verschaffen-… (siehe Ihr Beispiel @ Siemenspreis und Rihm)

    Und das MUSS anscheinend so sein.
    Warum sollte es in der Kunst/Kultur anders sein?

    Fragt sich aber dann, warum Sie dann noch den Artikel
    über Widmann in „Musik und Ästhetik“ schreiben mit diesem Bauchgefühl.
    Das würde ich mir nicht antun bzw. solcherlei Artikel sollen ja dann vermeintlich „objektive Lobeshymnen“ werden, die die Genialität des Gegenstandes/Themas
    bestätigen. Bzw. selbst ein KRITISCHER Artikel perlt dann am Betreffenden ab genauso wie an dessen Fangemeinden.

    Damit sich das System bestätigt.
    Lassen wir doch den Abonemmentpublikums ihre Widmanns etc. Daran ändern wir nichts. Es ist doch eigentlich wie in der Popmusik und wie in allen anderen Branchen auch: nicht unbedingt die besten bekommen die Anerkennung (Preise oder was auch immer) sondern halt die
    vermeintlich charismatischsten, Vitamin-B-talentiertesten und/oder am meisten gehypten.

    Das war immer so und wird immer so sein.
    Je eher wir das akzeptieren, desto besser.

    Wir sollten froh sein, dass wir überhaupt noch komponieren dürfen oder über die gemachten Genies Artikel schreiben dürfen.

    Kunst ist Wahrheitssuche und das Aushalten allerlei Einsamkeiten/ Alleinsein und auch Nicht-Verstanden-werden.

    Achja @ Darmstadt: da war ich 2008 auch. Aber ich hab mir aus ähnlichem Grund die Abschlussparty erst gar nicht angetan. Oder ist das vielleicht feige?

    Vielleicht muss man sich dem Heer der armselig zu alldem „grinsenden“ anschließen—?

    Let us „stay in peace“ (vasconcellos)

    Abbruch….
    Ausklink

    It´s time for no slave (Napalm Death)

  3. Hallo Kollegen und Freunde,
    Ich bin 1950 geboren, habe noch bei Adorno studiert, dann schnell gestorben, wie später Wellek, Wahrig und Lohner, das hat mir schwer zugesetzt, als junger Student. Bruno Weil hat mit mit studiert und Brandtmüller. Bei Celibidache studierte ich, fuhr ihn mit meinem alten 404 durch die Gegend. Schöne Erlebnisse.Die Töchter vom alten Eimert aus Bonn waren mit mir auf der Schule. Die Schott-Leute von damals kannten wir alle, Dr. Oehl, Federhofer, Unverricht etc., Prof. Finscher u.v.a. Bei allen Festivals war ich zugegen, Darmstadt,Trossingen, Donaueschingen, Royan, Metz, – eigentlich kenne ich daher alle – wirklich, selbst, wie Sylvain Cambreling dort angefangen hat, den alten Cage, Kagel, P. Glass (alle haben sie damals über ihn gelacht, selbst der FAZ-Redakteur, alle stehen mir vor Augen, Dusapin, Radulescu (inzw. gest.), Levinas,mein lieber Freund Brian Ferneyhogh,der aus Freiburg rausgeekelt wurde, alle alten DDR- Komponisten, selbst Stockhausen und seine Kinder waren nie arrogant – es gab auch richtig liebe gute, wie der alte Bernd Alois Zimmermann (hoffl. sich nicht entleibt wg. d. Schott-Verlags ?), Rolf Riehm, Harrison Birtwhistle,Ligeti,und der grosse Baseler Komponist, der in Freiburg Prof. war, er fühlte sich dort nicht wohl, wie heisst er noch ?, ein wunderbarer Mensch.
    Es gibt einige richtig gute, viele interessante, manche angepasste, einige innovative und motivierte Komponisten. Lassen wir sie doch einfach arbeiten und schreiben. Früher war es auch nicht anders – erfolgreich, vergessen, bezahlt, geehrt, an – oder unangepasst, wiederentdeckt.
    Es gibt sogar Komponisten, die total gute Musik für das Unterhaltungsorchester des SDR komponieren, und das ist nicht leicht!
    Zum Glück bin ich nicht gezwungen, mein Geld damit zu verdienen. Beste Grüsse vorab.

  4. Hallo Herr Lücker und Herr Janson,
    Es gilt tatsächlich Ruhe und Objektivität zu bewahren.
    Dr. Reininghaus vom DLF, mit dem ich in Stuttgart studiert hatte, bemüht sich doch wirklich um gute Kritiken, die auch die Neue Musik betreffen. Die Musik-Konzepte der herausragenden Herausgeber bringen doch brilliante Analysen in Sachen Neuer Musik an den interessierten Menschen. Natürlich sollte man das alles auch lesen. Wieviel Mühe hat sich seinerzeit die Zeitschrift f. Musiktheorie, Stuttgart, gemacht (Hrsg. Prof.Rummenhöller et.al.) ?
    Sehen Sie sich mal die Seite von Carolin Widmann. de an, Schülerin des Meisterschülers meiner Tante, Karoline Kraus, MH München,sie ist hoch engagiert, hoch intelligent, spielt ihren Sciarinno hoch professionell und auch alles andere in der Neuen Musik und gibt dazu ihre Kommentare nach ihren Konzerten. Sie ist eine ganz liebenswerte Frau, ihren Fanatismus für Neue Musik rechne ich ihr hoch an. Sie tut es mit Sicherheit nicht nur für ihren Bruder. Siehe: Rainy Days. lu. (Festival)
    Martin Stadtfeld (darüber Schweigen) macht das nicht, er spielt maximal prokofiev und nicht die schönen Stücke von Ligeti oder andere moderne. Ich warte auf Kommentare.
    Achso, ich weiss, dass meine ehemalige Schülerin, Doris Ahnen, Kultusministerin ist, ansonsten freue ich mich, dass meine ehemaligen Schüler Elbtonalpercussion. de im Internet stehen, wie auch armin-luecke.de, auch mit trilok gurto, ich habe also nichts falsches gemacht,zudem die guten Jazzschüler, die sich davon besser als ernähren können. Ihr kennt nicht Oliver Rohles oder Heinz Thiel, dafür kennt ihr Christian Escoude, Birelli Legrene, Philipp Catherine, Didier Lockwood und den alten Stephane Grapelli, das waren die alten Zeiten in Bordeaux,Royan und Metz,die Neue Musik lag Seite an Seite, liebst du sie mehr, wenn du Seite an Seite mit solchen Leuten spielen kannst – eigentlich zu vernachlässigen. Nur, wie singt Patricia Kaas dann wieder ? Die kenne ich aus Forbach, seit langer Zeit, und dann sagt ja nicht, die könnte nicht singen, die macht ihre Sache gut, nur wo soll man anfangen und aufhören ? Tippfehler bitte entschuldigen.

    Bernd Rheinländer

  5. Erik Janson sagt:

    Lieber Herr Rheinländer,

    alles sehr treffende Beiträge von Ihnen.
    Na dann ist es ja um die (N)eue Musik sehr gut bestellt
    und es fehlt uns an nichts.
    Und wir können alle doch hoffnungsfroh und ohne zu jammern in die Zukunft blicken.

    Es grüßt Sie,
    der Rheinländer Erik Janson

  6. Erik Janson sagt:

    @ Admin etc.,

    macht doch mal die gefletschten Zähne von meinem
    Logo weg und verpasst mir lieber ein
    zufriedenes Lächeln.

    • [Comment Admin]: Das geht so einfach nicht. Dazu wählen Sie eine andere Mailadresse oder registrieren Sie sich einfach und laden ein Ihnen passendes Bild hoch. Es sind nämlich schon wieder Leute unterwegs, die mit Ihren Mailadressen und falschem Namen „Friedensbotschafter“ zum Beispiel hier Beiträge verfassen. Das kann ja nicht in Ihrem Sinne sein, oder?