Verstrickungen der GEMA (oder Fortsetzung der Diskussion mit blogtechnischen Mitteln)

@klagox:

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Am Grab der Opfer neue GEMA-Tarife aushandeln – finden Sie das nicht reichlich geschmacklos?

Diesem Kommentar von wechselstrom – ich beziehe ihn jetzt mal auf den „offenen Brief“ von Mister X, nicht auf „klagox“ selber –  kann ich nur unterschreiben.

Leider wird hier eine sehr ernstzunehmende und traurige Angelegenheit populistisch mißbraucht. Wie absolut jede Organisation in Deutschland hat natürlich auch die GEMA sehr streng über ihre Vergangenheit in der Nazizeit Rechenschaft abzulegen – keine Frage! Wie Johannes Hildebrandt richtig bemerkt hat, gibt es hierzu ausführliches Material und sehr wohl eine Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern. Vielleicht ist diese Arbeit auch noch nicht beendet. Vielleicht muß diese Arbeit auch weiterhin eingefordert werden, darf nicht beendet sein. Schade, dass aber genau die Leute, für die diese Arbeit gemacht wurde und wird, diese Schriften dann gar nicht kennen, und dann behaupten, es gäbe sie gar nicht.

Wie so oft stellt sich nun die Frage – geht es hier um Schuld und Verstrickung, oder geht es hier um die Sache an sich? Ich denke, man muß beides trennen. Sind die Berliner Philharmoniker „böse“, weil sie maßgeblich von einem der schlimmsten Nazimusiker und Gewinnler (Karajan) geformt wurden, weil sie im Dritten Reich absolut instrumentalisiert waren? Muß ich also heute zu einem der Geiger gehen, der vielleicht ein emigrierter russischer Jude ist oder von einem solchen ausgebildet wurde (die Chance dafür ist bei deutschen Orchestern sehr hoch), ihm die Geige aus der Hand reißen, und ihm die Schuld am Holocaust geben? Am Tod vielleicht seiner eigenen Großeltern? Und ja, die Analogie zur GEMA greift absolut, denn auch hier geht/ging es um Geld, denn so ein Orchester lebt nicht von Luft allein. Und auch bei Karajan muß ich differenzieren – auf der einen Seite eine höchst problematische Persönlichkeit, auf der anderen Seite aber auch nachweisliche musikalische Verdienste. Dasselbe kann man über Gesualdo (Mörder), Wagner, Wolf, Pfitzner (Antisemiten) usw. sagen. Schwierig, schwierig, das Ganze. Man kann und darf nicht alles vermischen.

Darf ich den 131 Bus vor meiner Haustür nicht nehmen, weil er von BMW gebaut wurde, die wiederum auch eine Nazivergangenheit haben? Darf die Siemensstiftung keine Musik des jüdischen Komponisten Dror Feiler mehr fördern? Darf ich keine Autobahn mehr benutzen, weil die (teilweise) von den Nazis gebaut bzw. geplant wurden? Würde ich die Fußballclubs der Bundesliga verbieten, die in irgendeiner Form eine Nazivergangenheit haben, bliebe mehr oder weniger nur Bayern München (von jüdischen Fußballfans gegründeter Club) übrig.

Man kann dieses Assoziationsspiel endlos weitertreiben, und kommt schließlich darauf, das alles mit allem verbunden ist, und man den Bereich des Absurden betritt, wenn man stets hinter allem eine ominöse Kollektivschuld anklagt.

Erinnert ihr euch an Berthold Goldschmidt?

Das war ein der begabtesten jungen deutschen (jüdischen) Komponisten, der vor den Nazis nach England floh, und dort einer der ganz wichtigen Lehrer und Förderer junger Komponisten wurde, allerdings als Komponist von den Engländern eher ignoriert und vergessen. In hohem Alter erfuhr dieser Berthold Goldschmidt eine wahre Renaissance, die vor allem mit Wiederaufführungen seiner Opern in Berlin begann. Hier wurde jemand, der unter den Nazis unendlich leiden musste, vor allem von Deutschen Kulturinstitutionen dem Vergessen entrissen. Das kann natürlich keine vollkommene Wiedergutmachung sein, aber verwerflich war dieser Versuch einer Wiederetablierung des Komponisten Goldschmidt ganz sicher auch nicht.
Wer hat diese Aufführungen mitfinanziert? Die GEMA-Stiftung und die Siemensstiftung. Ich bin sicher, dass viele, viele andere jüdische Kollegen ebenso sehr froh sind, dass es die GEMA gibt, und sehr wohl ihre Dienste aktuell, in genau diesem Moment in Anspruch nehmen. Aber genau das ist wieder das, was dem Kleinveranstalter xy nicht gefällt. Eine Schlange Ouroboros sozusagen.

Wie ihr seht, es ist alles sehr kompliziert. Es ist leicht anzuklagen, den Finger zu heben, Verschwörungstheorien zu stricken. Was uns aber interessieren sollte ist das Jetzt.

Was macht die GEMA? Sie vertritt das Recht der Komponisten auf eine Vergütung für die Verwendung ihres geistigen Schaffens. Punkt. Daran ist nichts Schlechtes. Wenn man also die Vergangenheit ins Spiel bringt (wozu natürlich jeder im Recht ist), sollte man es von dem was die GEMA tun oder nicht tun soll trennen, denn es sind einfach zwei vollkommen verschiedene Themen. Über beides kann und darf man diskutieren, aber die rein plakative Vermischung von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, ist unsachlich und unseriös.

Das denkt Euer Bad Boy,

Moritz Eggert

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3 Antworten

  1. querstand sagt:

    Liebe Blogger,

    die Frage, inwiefern im 3. Reich verstrickte/gegründete Organisationen, die letztlich im Namen des Staates und der Urheber deren Rechte wahrnahmen und heute wahrnehmen, ist eigentlich ganz einfach. Grundgesetz Art. 123 Abs. 1 besagt:
    „Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages gilt fort, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht.“
    Da die GEMA jetzt auch zu Zeiten der Bundesrepublik, also heute, zur Wahrnehmung des Grundrechts auf Eigentum nach Art. 14 aufgrund der urheberrechtlichen Spezialgesetze, ist sie der damalige wie heutige Ansprechpartner. Damit stand und steht sie schon immer in der Rechtsnachfolge, wie übrigens die gesamte Bundesrepublik, heute eben jener uns bekannte freiheitlich-demokratische Rechts- und Sozialstaat. Somit sind wir ALLE hier lebenden Rechtsnachfolger des 3. Reichs. Manchmal vergißt man das… Aber in der Gesamtheit ist jeder heutige Deutsche weder besser noch schlechter als sein Staat, seine GEMA, seine BMW’s, etc. Da sind wir ALLE in der Verantwortung.
    Die Vergangenheit verfolgt uns auf Schritt und Tritt, ob beim Streiten über den Milchpreis, ob beim Benutzen des ÖPNV’s. Man dürfte sogesehen keinen Pflasterstein mehr betreten, der vor 1949 gelegt wurde, keinen Park betreten, in dem Bäume aus der Zeit vor 1949 . Ja, gerade weil die Kommunen z.B. über das doppische Haushaltswesen tatsächlich jeden Pflasterstein als Vermögenswert erfassen, der dann dem Staate gehört, der ja immer noch wir sind, stecken wir mitten in der Vergangenheit. Das muß man sich immer mal vor Augen führen.
    Dennoch muß man die Dinge auseinanderhalten, differenzieren. Sonst dürften wir auch nicht mitwählen, da wir immer noch als Nachfolger die Nachfolger nur wählen können.
    Mit dem Art. 123 hat sich unser Land somit grundsätzlich seiner Verantwortung für das frühere Unrecht gestellt, dieses aber eben als Unrecht deklariert, wenn es nicht mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Die GEMA bewegt sich in diesem Rahmen und v.a. auf Grundlage von Spezialrecht, daß aufgrund des Grundgesetzes seit 1949 immer wieder novelliert wurde. Und wie Moritz eindrücklich schilderte, versucht sie dort gutzmachen, wo es gutzumachen gilt. Daß natürlich immer wieder neue schlimme Fakten aus dem 3. Reich bekannt werden werden, ist auch klar. Wir sind da aber Alle die Gefangenen und müssen uns dem gemeinsam stellen, aber eben an den Orten, an denen es sich gebührt. So wird niemand die Bahn z.B. grundsätzlich für ihre Nutzungsgebühren ihrer Bahnhöfe kritisieren, die ja auch aus der Erbmasse der ach so gräulich verstrickten Reichsbahn stammen. Sehr wohl IST sie zu kritisieren, wenn sie mit diesen Gebühren die Gedenkausstellung zur Verstrickung der Reichsbahn in den Holocaust verunmöglicht. Sehr wohl wäre die GEMA zu tadeln, wenn sie musikalische Aufarbeitung behindern würde. Daß sie nun alle musikalischen Verwertungsrechte, sowohl von Tätern und Opfern vertritt, mag zynisch wirken. Aber ein Staat und seine beliehenen Organisationen können sich ihr Volk nicht aussuchen, eine Bundesrepublik erst recht nicht. Und so muß sie im Sinne der Rechtsgleichheit immer ALLE vertreten, so auch die GEMA, die diesen Balanceakt nie zur Zufriedenheit ALLER durchführen kann, genausowenig wie es der Staat kann. Wichtig ist, daß es überhaupt stattfindet. Und wenn man richtig unzufrieden als Mitglied der GEMA oder des Volkes ist, so muß man sich am Meinungsfindungsprozeß konstruktiv beteiligen, aber eben das nicht Ungleiches mit Ungleichem gleichsetzen.

  2. Erik Janson sagt:

    @ Liebe Blogger,

    mal by the way zum Thema „Kampf der Engel gegen die Teufelsbündler“ (GEMA).

    Das hat mir ein befreundeter Komponist gemailt (danke Pèter für die Recherche).

    Sehr aufschlussreich:

    „Die Verbesserung der Welt oder… falsche Propheten“
    (man achte besonders auf den VORSPANNTEXT des Videos und vergleiche ihn mit dem Folgenden…)

    Und man achte auf die Musik: Sakropop, „Kyrie eleison“, melancholische Querflötenklänge und Vibrphon… (uaaaahh würg…)

  3. Erik Janson sagt:

    Sorry, hier der Link zum Ansehen,