Diesseits Überwindung der Postmoderne oder zuerst das Wort vor der Musik
Gordon Kampe, mein geschätzter Opernheld aus Essen, fordert zurecht musikgeschichtliche Einordnung der Komponierhaltung der DIESSEITIGKEIT (Hannes Seidl, Maximilian Marcoll, etc.) ein, reisst in der NZFM 6/13 s.34 Gehalts-Linien von Jean Cocteau, John Cage bis Damon Albarn an, zusammengefasst: Leben und Kunst entgrenzt, Einflüsse aus der Tradition und den popularen Mehrheitsmusiken. Materiallinien sehe ich v.a. in Bezügen zu ready-mades mit objets trouvés und dem Alltags-Abhören der music concrète gepaart mit dem Material-Reduktionismus von Cage bis Arvo Pärt.
Die Frage ist nun, ob das nicht zu weit gefasst ist. Ich würde mich freuen, in solch einem weiten Rahmen arbeiten zu können – tu’s von Fall zu Fall, wobei die Materialreduktion deduktiv wieder ins weitermaschiger Materielle und Inhaltliche weist. Nun redet man von der „ÜBERWINDUNG DER POSTMODERNE“, wie Stefan Drees Gisela Nauck anreisst, gleiches Heft der NZFM. Das mag in Bezug auf „die Diesseitigen“ stimmen, denn der Reduktionismus ist nicht nur Material, sondern auch und vor alle Haltung. Schön!
Aber es führt zu einem Klangergebnis, dass doch wiederum eng als „Nur-Neue-Musik“ rüberkommt. Es gibt gelungene Beispiel der Weitung, alle übrigens gerade noch in den Nullerjahren entstanden, gefühlt weit bevor die aktuelle Kontroverse um Michael Rebhahns „Ausstiegstext“ startete, wie z.b. „schöner leben 1“ (Martin Schüttler) oder „compound 1a“ (Maximilian Marcoll). Seit der Kontroverse klingt es doch wieder mehr nach Neuer Musik, nach harten Geräuschen, nach statischen Verläufen, Verzerrung, etc. – also im einfachsten Sinne klischeebehaftet nach „Neue Musik“ wie z.b. „Generation Kill“ (prins), z.b. „schöner leben 7“ (wieder Schüttler) oder „es geht besser besser“ oder „mixtape“ (beides Hannes Seidl). Unbenommen meisterlich durchdachte, exzellent notierte Musik.
Im klanglichen Ergebnis ist sie im Stile der Verarbeitung der Fremdeindrücke aber regressiver, einseitiger als die Stücke vor 2010, somit nicht diesseitig offen, nahe dran am akustischen und denkerischen Elfenbeinturm der „Klassischen Neuen Musik“. Damit ist die Postmoderne nicht überwunden, sondern es wird dahinter zurück gefallen. Ich dachte eigentlich, wenn man etliche Statements der Komponisten und der Rezeption überfliegt, dass es mit der Offenheit des Materials bei voller kritischer Beleuchtung jetzt richtig losginge. Aber Fehlanzeige: statt einem Ausstieg aus der Neuen musik, ein eingleisiger Berliner Pendelverkehr, zurück in den Tunnel. Kompilierte man jene Musiken ähnliche wie Michael Rebhahn es mit anderen tat (z.B. „Schöllkötter„, in seinem Sinne „konservativen KomponistInnen“, so würde eben Schüttcoll oder Seidmarler dabei entstehen. Ob die Genannten wieder ihren „jugendlichen Elan“ wie in „schöner leben 1“ zurückgewinnen werden? Ich bin gespannt.
Jetzt sind hier Namen genannt worden. Wobei klar sein sollte, dass ich auf alle Fälle großen Respekt vor den Ansätzen habe, nicht nur Musik um der Musik willen zu schreiben, sondern das Fenster inhaltlich z.B. Sozialem und Politischen wie Kunstkritischen zu öffnen. Interessanterweise nennt die kurze Version in der gleichen NZFM-Ausgabe wie Kampes und Drees Texte der Harvard-Lecture kaum noch Namen, v.a. nicht die, gegen die er sich wandte, wie z.B. Daniel Smutny. In der gekürzten Form sorgt er immer noch für Aufregung genug. Allerdings könnte ich ihn so in weiten Teilen blind zustimmen, wenn Rebhahn sinngemäß den „Gleichklang“ der Neuen Musikszene und die oft einengende Hochschulausbildung des traditionellen Kompositionsunterrichts kritisiert.
Engherzig wird der gekürzte Artikel in dem Moment, wo er die Welt in „Klassische Neue Musik“ und Nur-„Neue Musik“, letztere die „bessere“, enteilt, die „Klassische Neue Musik“ zur Galanterie der Vorklassik und des Rokoko herabsetzt. Er bemerkt ja selbst, wie polynational und verschiedenste Stile ermöglichend und zusammenfassend diese Zeit wie die folgende Hochklassik war. Genau diese Weite der stilistischen Möglichkeiten schnurzeln aber letztlich bei ihm auf die leider aktuell regressiven, ja der klingenden Lieschen-Müller-Klischees Neuer Musik der Ansätze der Diesseitigen zusammen. Wie spannend wäre heute ein wirklich neuer Sturm und Drang im Gegensatz zu einer neuen Empfindsamkeit? Wie gesagt, eng, so dass ich von der Neuen Engherzigkeit brabbeln möchte – dies wird hier ja sowieso als „Geseier“ abgetan werden.
Ich hätte in Rebhahns Augen seinen Darmstädter „Ausstiegstext“ als eine state-of-the-art-Feststellung reduziert. Er sagt, „why should »resigning from New Music« imply to be (like) Henze or Pärt? – Why can’t it simply mean to be oneself?“, als ich Henzes Ausstieg aus Donaueschingen und Darmstadt hier im Blog kommentierend anführte – womit ich den wirklich aktiven Bruch damals mit jenen Institutionen meinte, was Henze selbst und man mit ihm von deren Seite vollzog. Den Bruch sehe ich nun wirklich heute bei den „Aussteigern“ nicht mehr, abgesehen z.B. von meinem Studienkollegen und Edition-Peters-Komponisten Mark Moebius, der nun tatsächlich elektronische Zufallspopulartanzmusik entwickelt. Allerdings ist die Harvard-Lecture nun ein weiterer Keil, der tatsächlich die Bruchschokolade der Marke „alter Hut“ gegen des Kaisers neue Kleider „echte“, besser wohl „echtere Neue Musik“ tauschen möchte. Nicht die Komponisten betreiben den Ausstieg, sie folgen nun der Musikwissenschaft. Damit wären wir wieder bei der Klassik, dem Streit ob dem Wort oder der Musik der Vorzug gebührt, „prima la musica doppo le parole“. Nun ist endlich geschafft: am Anfang des Bruchs steht nun das Wort.
Komponist*in
Lieber Alexander, das ist eine sehr schöne Idee mit dem Schüttcoll und Seidmarler, das habe ich sofort in die Tat umgesetzt:
https://soundcloud.com/hgs/gr-sse-aus-dem-elften-stock