NYC – Mapping the field
Erwähnte ich, dass der vierte Donnerstag im November „Thanksgiving“ ist? Ich bin also mitten in einen der ganz wenigen nationalen Feiertage, den die USA sich und ihrer Wirtschaft so gönnen, hineingeplatzt. Die Menschen hatten alle Truthähne in den Augen und Geschenkpapier um ihre Gedanken gewickelt und die Schlangen an den Bahnhöfen kräuselten sich zu bunten Schleifen. Manche Geschäfte ließen tatsächlich ihre Läden herunter, die Titelseiten versprachen das jeweils allerbeste Rezept für einen Marshmallowauflauf.
All diese Ablenkungsversuche konnten mich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich aus Köln überhaupt nicht weggekommen bin. Die Simulation eines Transatlantikfluges muss als sehr gelungen anerkannt werden, doch an einigen, zugegebenermaßen wenigen Nachlässigkeiten bricht sich die Wirklichkeit dann doch Bahn: ich bin immer noch in NRW.
Bestärkt wurde diese Ahnung dann mit der Simulation jener großen Parade, die eines der Welt größten Kaufhäuser, Macy’s, dann am Thanksgiving-Morgen – wie jährlich seit 1924 – durchführte. Wie sie es geschafft hatten, meinen lieben Kölnern beizubringen, stundenlang einem Luftballonumzug beizuwohnen ohne einen Schluck Alkohol auf offener Straße zu sich zu nehmen und sich die Backentaschen mit „Kamelle“ vollzustopfen, bleibt mir allerdings ein Rätsel. Auch die Art und Weise, wie Straßen für Fußgänger gesperrt, für Autos, die den Paradeweg fröhlich kreuzen durften, jedoch gesichert wurde, war mir ebenfalls neu und rätselhaft.
Am Abend bekam ich dann – um die Illusion auf geschickte Weise zu brechen und dadurch ihren wahrscheinlichen Wahrheitsgehalt zu steigern – keinen Truthahn, sondern griechische und arabische Antipasti, gefolgt von italienischer Pasta (Rezept aus Bologna!), zubereitet von einer reizenden Belgierin. Vielleicht sollte ich doch ein Institut für Kulturaustausch als Sponsor dieser Reise gewinnen, denn als wir uns am Ende, beim spanischen Rotwein am Pumpkin-Pie mit handgeschlagener (!) Sahne delektierten, da diskutierten wir bereits über Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Auseinandersetzung zwischen Flamen und Wallonen und die Probleme der deutschen Wiedervereinigung, unter besonderer Berücksichtigung kultureller Eigenarten und der nationalen Förderpolitik.
Ich beschloß, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich die Täuschung durchschaut hatte, und beabsichtigte zu einem Zeitpunkt, wenn sich diejenigen, die dafür verantwortlich sind, in Sicherheit zu wiegen, ihre Seifenblase dafür umso schrecklicher zum Platzen zu bringen, ging – wie alle Amerikaner – am Black Friday shoppen – Gummistiefel, gerade sehr angesagt in New York! – und begab mich anschließend an die Arbeit, die ich für diesen Aufenthalt vorgesehen hatte. Mapping the field.
An der Columbia University, am Miller Theatre, setzte ich mich aus, schnupperte Ivy-Luft, stolperte über den Campus und blickte über den Morningside-Park rüber nach Harlem. Es lag ein leichter Mehlspeisengeruch in der Luft und ich folgte ihm bis zum Hungarian Pastry-Shop an der Amsterdam Avenue. Der Hungarian Pastry Shop ist ein typisches uninahgelegenes Café, in dem viele Doktorarbeiten und noch mehr zwischenmenschliche Beziehungen begonnen werden. Erste kommen hier selten zum Abschluss, zweite finden hier in einem Blick über den Mohnstrudel den süßen Grund für ihre vorläufige Aussetzung. Man kann sich heißes Wasser nachschenken, so viel man will.
CB hatte am Nebentisch Platz genommen, ich erkannte ihn an der Art und Weise, wie er die Zigaretten neben sein Notizbuch legte, hatte er nicht aufgehört, zu rauchen? Er las: „ZEN. Art of Writing.“ Das war zu viel. Um meine Tarnung noch nicht auffliegen zu lassen, musste ich den Ort wechseln, stand auf um zu bezahlen, wartete höflich, bis das Mädchen, das gerade noch mit Kopfhörern in ihren Computer gestarrt hatte, ihren Tee bestellt hatte. Und fiel aus den Socken. Es war Hanna Eimermacher, eine junge Komponistin, die ich von zahlreichen Konzerten kenne. Sie ist zu Besuch hier, wie ich. Und mit einem Mal hatte sich das Feld, das ich kartieren wollte, vollkommen verändert.
Joseph Lake kam dazu, gemeinsam gingen wir zu David Brynjar Franzson. Beide Komponisten, der erste aktuell in Buffalo, der andere war in Stanford, er lebt in New York.
Die Szene habe sich in den letzten Jahren sehr verändert, sagen sie, die Neue Musik-Szene sei sehr gewachsen. Junge Leute mit frischen Ideen seien nach New York gekommen, die Zahl der Konzerte habe stark zugenommen, die Qualität der Aufführungen auch. Es gäbe nicht mehr allein die „konservative“ neue Musik in Amerika. Das Problem sei es, Aufführungsmöglichkeiten zu bekommen – Orte, die bezahlbar sind, ohne Veranstalter mit Mindesteinnahmen etc. So sei die Szene in den letzten Jahren immer wieder in Bars und Clubs gedrängt, wo sie keine Mieten zahlen mussten. Irgendwann habe Alex Ross im New Yorker darüber geschrieben, er war begeistert, dass die jungen Leute ihre Musik in der Bar spielen lassen wollen. Die Folge war, dass die Carnegie Hall Le poisson rouge, einen Club, der für seine experimentelle „Loungemusik“ inzwischen notorisch war, zur gelegentlichen Nebenspielstätte adelte. Was heute hip ist, war gestern noch die Notlösung.
Nach einem Rush durchs MoMA, dank Membercard ohne Schlange vor den Tickets – dafür an den Kleiderhaken. Seht zu, dass ihr ohne Rucksack unterwegs seid, es kostet euch im MoMA sonst eine Stunde und ihr dürft noch nicht einmal euren Laptop drin lassen! – ab in die Lower East Side, Fortsetzung eines Nebenhandlungsstrangs, den ich noch überhaupt nicht eingeführt habe, Pastrami-Sandwich-testen. Oh ja, die bei Katz’s sind die besten bislang, ich denke, die Versuchsreihe kann zum vorläufigen Abschluss gebracht werden. Wir setzen fort mit Burgern, oder so.
Konzert in the stone, ein Club von John Zorn, ein composer-perfomer-kollektiv spielt auf: ne(x)tworkscomposers. Mit Joan La Barbara ist fast so etwas wie Underground-Prominenz mit dabei. Miguel Frasconi macht lustige Elektronik, planscht mit Wasser und klöppelt seine Vasen. Sehr gute Musiker alle, die Improvisationen sind, naja, wie so oft halt, kreisrund. Der Ausdruckswille, der Hang zum Lyrischen des Geigers Cornelius Dufallo hat beinahe etwas Rührendes, überall erschiene es mir vielleicht fehl am Platz, doch hier hat es etwas sehr Ergreifendes. Die Glastür des ebenerdig gelegenen Clubs ist dünn, zu dünn um die Außenwelt fernzuhalten. [Gruß in die Mini-Oper!]
So schwarz die Eingangstür ist, sie lässt die lauten Stimmen der Vorbeigehenden ein, das tiefe Brummen der Busse, das Hupen der Taxis. Wer hier Musik macht, weiß noch, warum er es tut, warum er es tun will, vielleicht tun muss und warum er in diesem kleinen Laden vor zehn Leuten spielt. Es ist erstaunlich, egal wo man hinkommt, egal wie viele Leute in einer Stadt leben. Die Orte, an denen solche Musik gemacht wird, sehen überall gleich aus und auch die Zahl der Zuhörer ist immer die gleiche. Ein paar mehr als auf der Bühne stehen. Allein: woanders wartet niemand, dass die Harfenistin Shelley Burgon nach ihrem wogenden Solo am Ende – als letzten Ton des Abends – ihrem Dreiklang die Dur-Terz hinzufügt. Dass sie es dennoch tut – es muss wohl so sein. Es klingt irgendwie nach Hoffnung. Mir schien, für einen Augenblick war es auch draussen ganz still.
Musikjournalist, Dramaturg
@ phahn,
Seht Ihr? Dabei geht es doch!
Endlich ein schöner Beitrag und ehrlicher, sympathischer Erfahrungsbericht von jenseits des großen Teiches und von unseren großen kulturellen Vorbildern und Überlebenskünstlern.
Nun, mit den Raumproblemen und immer mehr Mieten/Mietfinanzierproblemen für die Freie Szene, das gibt es hier in Westdeutschland ja auch
schon längst mittlerweile. Ob nun hier in Düsseldorf oder anderswo. Und „Loftkonzerte“ u.a. macht ja auch lang schon die KGNM.
Die „amerikanischen Verhältnnisse“ (d.h. (fast) nur noch von Privatspenden und Eintrittsgeldern alles bestreiten) die kommen für die Neue Musik (und nicht nur für die) ja hier noch schnell genug. Weil wir ja bekanntlich denen automatisch alles nach machen und die Intervalle
Nur: in N.Y. in den Kneipen ist man, kann ich mir vorstellen, (schon) wesentlich aufgeschlossener für Neue Musik. UNd N.Y. ist auch eine Metropole, halt auch mit Vierteln wo der Jazz/experimenteller Jazz auch zu Hause ist;
Clubs, Lounches, Galerien etc. Klar hat man da hier ein Auge drauf und steht schon in Kontakt.
Aber wer findet es schon toll als Komponist (auch als Musiker kann ich mir vorstellen), bald nur noch in Clubs, Bars, Kneipen rum zu tingeln und ganz aus den Konzerthäusern oder Museen etc. gedrängt zu werden, weil die dann kein Geld mehr haben oder bald so wenig Einnahmen/Subventionen, dass sie selbst für die Neue Musik-Vereine und Komponisten etc., die es schwer haben, keine Sonderkonditionen oder wenigstens günstigere Mieten mehr anbieten können. Alles schon Realität oder kurz vor uns stehend.
Und ob die „Notlösung: Neue Musik in CLub und Kneipe, die dann morgen Hipp sein wird (nur weil es in den USA schon Alltag ist) dann hier auch übermorgen und für immer „Hipp“ sein wird? Naja, das wage ich mal zu bezweifeln. Und dabei war es zuvor noch SCHLIMM, ein „SKandal“, wenn dann die FZML es mal wagt, sogar in ein „Bordell“ zu gehen…
Also: Auf nach New York?
Und wenn es dort so toll ist und dort so viele Überlebenskünstler sind und die Szene angeblich wieder so aufgeschlossen und nicht mehr so „konservativ“… Warum kommen dann immer noch so viele amerikanische
Komponisten nach hier? Leben hier, sind froh, DASS sie hier sind?
Naja und außerdem: New Yorker, The New Yorker zum Beispiel gibt es hier auch schon ganz viele. An jeder Ecke. Und wahnsinnig viele Shopping Mals, und immer neue und größere Weihnachtsmärkte. Bei mir im „Veedel“ (aber man wagt hier längst nicht mehr rheinisch zu sprechen!) in D-Bilk haben sie vor einem halben Jahr schon wieder so ein Ding binnen paar Monaten hoch gezogen. Und die „Wehrhahn“-Linie kommt auch bald, damit Düsseldorf dann wenigstens eine (war es 3. oder 4. U-Bahnlinie hat und es gegenüber Berlin oder)
Und ich Depp bin da bisher noch nicht hin gegangen, in diese herrlichen neuen Shopping Mals mit so viel Platz und Gelegenheit für Neue Musik-Festivals etc.
und hab da noch nicht um neue Musik-„Asyl“ gebeten.
UNd überhaupt: die Weihnachsmärkte. Die glitzern immer mehr und so schön, immer mehr und immer SCHÖNER, von Jahr zu Jahr, immer wird noch eins drauf gesetzt …so dass ich fast nicht mehr nach New York fahren muss, obwohl ich da ganz ehrlich mal hin will.
Ach übrigens: Du hattest noch den Pancake mit Ahornsirup
vergessen. Ist das nicht auch ein typisches Essen zu
Thanksgiving?
Nur: wahnsinnig viele Kalorien. Nichts für mich. Dann lieber eben mal ein Sushi gegönnt… Das musste heut abend mal sein.