BR-Klassik-Rettung, Fuji-Realitäten, Bonbonträume und französische DDR in der musica viva
„Munich Rhythms“ – ist dies das Klappern der Züge über die Isarstahlbrücke, FC Bayern-Sprechchöre, plätschernde Fischtreppen am Flaucher, das Rumpeln der U-Bahnwaggons aus den frühen Siebziger Jahren, Skateboardwippen auf der Nationaltheaterfreitreppe? Ist es die Crossover-Version von Richard Strauss „München Walzer“? Nein, es ist ein Stück des USA-Komponisten Tom Johnson. Als immer schon strenger und dennoch augenzwinkender Konzeptmusiker, der seine Akkorde und Rhythmen aus Abzählmustern ableitet, gruppierte er das BR-Symphonieorchester in mehrere Sektionen, die innerhalb der unerbittlich alle vier Schläge wiederholten Trommeleinwürfe bis zu einem Dutzend unterschiedlicher Unterteilungen ausführen mussten. Sinngemäß unterschied er in seinem Programmtext zwischen belanglosen und interessanteren Akkorden und Rhythmen, platziert zwischen seiner Meinung nach sehr vielem Schlagwerk. Innerhalb der guten Viertelstunde führte dies aber zu keiner weiteren Verdichtung, wirkte es bis auf die Zwischenschläge der Trommel eher fad denn erfrischend. Konzepte sind heute immer gut, nur reicht eben eines nicht immer aus, frei nach einer Bonbonwerbung: „Nimm zwei“! Natürlich zwei Konzepte.
Zum Ende des Abends bot Nico Richter de Vroes „Avenir“ auf Texte von Henri Michaux für Chor, improvisierte Orgel mit Wolfgang Mitterer, E-Gitarre, Serpent und natürlich auch Orchester samt Einspielungen von Samples dieser Besetzung den vollen Rausch auf. Es raunte und rief von all den Jahrhunderten und Jahrtausenden um uns herum, tollen Frauen und windigen Heilsversprechungen, Serpent und Orgel durften aberwitzig Brillantes an Soli meistern, der Chor des BR, von Florian Helgath einstudiert, flüsterte, sang und zischte und ließ auch einzelne Individuen aus seinen Reihen tanzen. Ob das nun am Text entlang komponiert war oder Richter de Vroe sich schlichtweg vom Klang des Französischen mitreissen ließ, das er als in der ehemaligen DDR ausgebildeter Mann niemals erlernte: es war eine ungemein fröhliche Kantate wie man sie zum Beispiel gar nicht in den Chor- und Orchestervertonungen letztes Jahr in Donaueschingen erlebte. Einfach fantastisch, wie er seine Ideen, die eine leichte Neigung zum Sammelsurium haben, doch zusammenhält, auch wenn es manchmal doch ein wenig nach Ost-Berlin im Jahre 1985 klingen mag. Die Energie stimmt allemal: im Gegensatz zu seinem letzten etwas gründelnden musica-viva-Orchesterwerk nun ein Furor, der hoffentlich noch zu echter Meisterschaft geschliffen wird.
Zuvor gab es die Pause, in der man etlichen Komponisten persönlich begegnen konnte. Der Höhepunkt war allerdings ein kurzer Austausch mit einem weiteren Berichterstatter: BR Klassik bleibt vorerst auf UKW, was die Anstalt wohl selbst auch bestätigte. Zwar wird die Entscheidung über die Verschiebung von BR Klassik zugunsten von Puls nur um zwei Jahre vertagt. Damit ist aber wertvolle Zeit für weitere Überzeugungsarbeit und hoffentlich Denkzeit für wieder mehr Qualität auf der Klassikwelle gewonnen. Bevor de Vroe mit seinem Rauschen das Konzert beendete und die gute Nachricht für das UKW-Knistern um sich griff, ließ Klaus Lang mit „schwarzes licht.“ für Zither und Orchester satte fünfundvierzig Minuten die BR-Musiker unter Johannes Kalitzke zu Anfang fahl leuchtend, in der Mitte schroff auftrumpfend und am Ende ätherische verhauchend immer die gleiche Tonleiter rauf und runter spielen. Das wirkte einerseits fast banal, überraschte aber immer wieder mit einfachen aus dem Rauf und Runter herausfallenden Einsprengseln in den unterschiedlichen Registern der Instrumentengruppen des Orchesters, als ob man mal fröhlich, mal bedrohlich über Wellen und Tsunamis vor Japans Küste schaukelt. In dem metaphorischen Boot tupfte der Zither-Solist Georg Glasl einfache an Fernost oder europäisch-mittelalterliche ars-nova erinnernde Melodien, wie ein kontemplativer Fischer, der ob des Singens das Netzeinholen vergisst: so meinte man am Ende des Stückes, dass sich die Wogen verflüchtigt hätten und das Boot wie eine Arche auf einem kaukasischen oder eben japanischen Berg strandete, wie sie mit ihrem höchstem Ton, einem dreigestrichenem Fis, das letzte Wort hatte. Den Regenbogen bildeten dann die Fruchtsäfte an der Pausenbar.
Komponist*in