Made in Marzahn – Folge 5
Innenhof des Freizeitforums Marzahn, Berlin 2020, Kunstwerk: Ricarda Mieth
20 Jahre Neue Musik im Jugendsinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf an der Hans-Werner-Henze-Musikschule in Berlin / 40 Begegnungen mit Komponistinnen und Komponisten – eine persönliche Chronik ( Folge 5: 2020-2024 )
Gewidmet der Erinnerung an Hans Werner Henze, Matthias Kaul, Klaus K. Hübler und Georg Katzer.
2020-2024
33 ) Jobst Liebrecht – Corona
Als erste Reaktion auf die Corona-Pandemie, als im Frühling 2020 alles geschlossen war, schrieb ich zuhause in meinem Zimmer eine Musik, die ich in diesem Moment gern mit meinem Orchester gespielt hätte. Es entstanden merkwürdigerweise klassizistisch-poppige Sätze im lateinamerikanischen Gestus, meine „Danzas del salón desierto“ für Solo-Oud und Streicher. Mein Freund und langjähriger Weggefährte in Marzahn, der Oud-Spieler Ghaith al Shaar übernahm den Solo-Part. Wir spielten die Uraufführung durch die äußeren Umstände bedingt nur peu à peu. Zunächst einige Sätze nur openair im Innenhof des Freizeitforums Marzahn, dann später das komplette Werk im Konzertsaal.
Jobst Liebrecht, Danzas del salón desierto für Oud und Streicher, Verlag Neue Musik Berlin
Das JSO 2020 draußen im Innenhof ( Corona )34 ) Charlotte Seither, Susanne Stelzenbach, Katia Guedes, Moritz Eggert und Jobst Liebrecht beim Pyramidale-Festival
Auch in 2021 war noch Corona, und die ersten Proben nach dem zweiten großen Lockdown für unsere Uraufführungen beim Pyramidale-Festival fanden getrennt, einzeln, und dann im Sommer draußen im Hinterhof der Musikschule statt. Wir hatten uns viel vorgenommen. Aber ich kann sagen, dass das stattfindende Konzert im September 2021 im ORWO-Haus dann auch zu den ernsthaftigsten und bei allen Beteiligten leidenschaftlichsten meiner ganzen Laufbahn gehörte.
Charlotte Seither
Von Charlotte spielten wir das entschieden abenteuerlustige Stück „Fünf Stücke, um den Fluß zu queren“. Unvergessen, wie bei einer sommerlichen Probe in der Pappelhofaula nach den Wah-Wah-Röhren plötzlich die Frösche aus dem Innenhof antworteten!
Video: https://www.youtube.com/watch?v=FiiSgYc9yMk
Susanne Stelzenbach
Susanne Stelzenbach, die Festivalleiterin hatte uns ein tolles Stück für vier Akkordeons und Orchester komponiert. Susanne war in ihrer Jugend Akkordeonistin. Es hieß „warten. weiter. warten“ und war schon in seinem Titel ein treffender Kommentar auf die Corona-Situation, die wir alle durchlebt hatten und noch durchlebten.
Video: https://www.youtube.com/watch?v=K-3HYkBXJ5s
Katia Guedes
Katia Guedes stieg selbst mit uns als Sopranistin und Performerin auf die Bühne und brachte dort ihr aberwitzig lustiges „Sitzen bleiben“ auf die Bretter bzw. auf den Stuhl.
Video: https://www.youtube.com/watch?v=oU7tMu3AuyI&list=PLARLIg2RG1P5S4g-j3324NbZb02gjY6TQ&index=3
Moritz Eggert
Moritz schrieb für die Sopranistin Irene Kurka und uns die Konzertarie „Wer hat Angst vor dem König“, die sich mit ihren plakativen Motiven und einem von der Popmusik geprägten Klassizismus im Orchester großer Beliebtheit erfreute. In den Probenpausen wurde manchmal unvermittelt „Eggert!“ gerufen und das Zentralmotiv des Stückes plötzlich von einer Gruppe von Spielerinnen und Spielern vom Stapel gelassen.
Video: https://www.youtube.com/watch?v=Wg12O6n9Whc
Jobst Liebrecht
Ich selbst schrieb für die Sopranistin Irene Kurka und ein ausgedehntes Kammerorchester mit Harfe, Mandoline, Oud, 2 Gitarren, Solo-Akkordeon, Solo-Gambe-Fiedel und Streichern meine „Sinfonie Nr. 4 / Uspallata“, die aus meiner Kammersinfonie Nr. 1 hervorgegangen ist.
Video: https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=SYjv4HyoFtE
Charlotte Seither, Fünf Stücke, um den Fluß zu queren, ( 2012 ) Bärenreiter Verlag
Susanne Stelzenbach, warten. weiter. warten für 4 Akkordeons und Orchester, 2021 (UA)
Katia Guedes, sitzen bleiben für Sopran und Ensemble, 2021 UA
Moritz Eggert, Wer hat Angst vor dem König, 2021 ( UA ) Ricordi Verlag
Jobst Liebrecht, Sinfonie Nr. 4 / Uspallata, Verlag Neue Musik Berlin, 2021 (UA)
35 ) Zacharias Falkenberg
Im folgenden Jahr 2022 vergab die Hans-Werner-Henze-Musikschule einen Kompositionsauftrag, in dem gezielt große Teile der Pop-Abteilung und die Jazz-Band zusammen mit dem Orchester auftreten sollten. Im ORWO-Haus natürlich. Dort brachten wir die fetzige „Paranéte Suite“ von Zacharias Falkenberg zur Uraufführung.
Zacharias Falkenberg, Paranéte-Suite, 2022 UA
Video: https://www.youtube.com/watch?v=euYySdoQp-o
Im ORWO-Haus 2022
36 ) Elisa Franke und Vincent Weiß
Im selben Konzert spielten wir auch zwei Kompositionen von Schülerinnen und Schülern von mir, die in Zusammenarbeit mit der Jungen Staatsoper Berlin entstanden waren: „Concertino vivace“ von Elisa Franke und „Ballade“ von Vincent Weiß.
Schon zuvor hatten wir bereits mit einigen Mitgliedern des Orchesters Elisas tolles Kammermusikwerk „Cuando estamos“ im Tonstudio eingespielt.
Elisa Franke, Concertino Vivace, Auftragswerk der Jungen Staatsoper Berlin, 202O UA
Vincent Weiß, Ballade, Auftragswerk der Jungen Staatsoper Berlin, 2020 UA
Elisa Franke, Cuando estamos für Mezzosopran und Ensemble, 2020 UA
Video: https://www.youtube.com/watch?v=RKplfhmVc7w
37) Kolja Roterberg
Ein weiterer Schüler von mir, Kolja Roterberg, hatte zu Filmausschnitten aus den 20er Jahren einen sehr wirkungsvollen Streichquartettsatz „Berlin“ komponiert, den Mitglieder des Orchesters zweimal im Konzert zur Aufführung brachten und auch im Tonstudio einspielten. Höhepunkt war eine Aufführung bei den „Schlosstönen“ in Schloss Biesdorf.
Kolja Roterberg, Berlin, Streichquartettsatz, UA 2023
38) Hans Werner Henze
Dort spielten wir auch ein Jugendwerk von Hans Werner Henze, sein mit 20 Jahren komponiertes „Kammerkonzert für Flöte, Klavier und Streicher von 1946“, das hörbar von Hindemith und Strawinsky beeinflusst ist, aber gleichzeitig diesen unnachahmlich frischen und geistreichen Henze-Tonfall bereits voll ausgebildet besitzt. ( NB. Henze wurde mit diesem Werk damals sofort in den Schott-Verlag aufgenommen!)
Hans Werner Henze, Kammerkonzert 1946 für Flöte, Klavier und Streicher, Schott-Verlag
39 ) Xilin Wang
Das Jahr 2023 brachte für uns die eindrucksvolle Begegnung mit dem großen alten chinesischen Komponistenmeister Xilin Wang, der seit einigen Jahren in Deutschland im Exil lebt. Xilin hatte schon einige Auftritte von uns verfolgt und empfahl uns, es erstmal mit seinem „Torch Festival“.-Orchesterknaller zu versuchen. Er besuchte uns auch im Pappelhof und sprach auf höchst eindrucksvolle Weise zum Orchester. Wir spielten „Torch Festival“ mit großer Freude mehrfach in diesem Jahr, zuerst im Freizeitforum Marzahn in Anwesenheit des Komponisten bei einem Festkonzert „Das JSO wird volljährig – 18 Jahre!“
Xilin Wang, Torch Festival ( 1963 )
Mit Xilin Wang nach der Probe, Marzahn 2023
40) Jobst Liebrecht
Es war mir eine Ehre, dass Xilin Wang und seine Tochter, die Komponistin Ying Wang auf diese Weise im selben Konzert auch die Uraufführung meiner „Sinfonie Nr. 6 / Tic Tac“ ( 2023 ) miterleben konnten. In diesem Stück komprimiere ich den sinfonischen Ablauf von vier Sätzen auf eine Dauer von sechs Minuten. Zu dem Orchester kommt ein Zuspielband mit Klängen aus Rom und Italien hinzu. Dieses Stück haben wir dann im November 2023 auf denkwürdige Weise in ein Zimmer des Museums Marzahn gepresst noch einmal gespielt anlässlich der Feier zum 80. Geburtstag des Architekten Wolf-Rüdiger Eisentraut.
Jobst Liebrecht, Sinfonie Nr. 6 / Tic Tac, Verlag Neue Musik Berlin
Applaus auf der Freilichtbühne der IGA/Gärten der Welt, 2018
Das NWO und das JSO , Juli 2024 hinter der Staatsoper ( Foto: Thomas Lox )
Junge Musikerinnen und Musiker des NWO, zusammen mit Birgit Thiele ( vorne links ), Juli 2024
- AD MULTOS ANNOS –
Am 24.Januar 2025 findet um 19 Uhr im Freizeitforum Marzahn in Berlin ein Neujahrs-/Festkonzert zum 20jährigen Bestehens des Orchesters statt!