Naa na na nananaa Naa
Naa na na nananaa Naa
- über den Refrain von „Hey Jude“
von Jobst Liebrecht
Die Erleuchtung traf mich wie ein Hammerschlag, sie kam vom kleinen Plattenspieler auf dem Boden, „warte, bis die Stelle kommt!“ hatte vorher mein Schulfreund aufgeregt gerufen. Die Plattennadel wurde immer wieder in die Rille vor diesem Song gehievt, und wir warteten immer wieder gespannt darauf, wie nach drei Minuten „Hey Jude“ der Beatles und seinen immer neu ansetzenden Strophen endlich der Chorus-Refrain zum Mitsingen beginnt. Dann weitere vier Minuten lang Überwältigung, und es wollte einfach nicht aufhören:
Naa na na nananaa Naa nananaa Naa – Hey Jude!
Hektisch griffen wir zu unseren Gitarren, fingerten herum, suchten den jubilösen zweiten Akkord in diesem Chorus. Bei uns auf der Gitarre fing damals alles mit E-Dur an. Obwohl das in dem Song nicht die Grundtonart war, die war F-Dur, aber das war ein unbequemer Barréegriff, und wir versuchten diesen zweiten Akkord des Refrains, der uns aus den Schuhen holte, erstmal in E zu treffen. Bei E-Dur war es dann D-Dur vor A-Dur vor E-Dur, was richtig klang. Später lernte ich Worte dafür wie „doppelte Subdominante“ oder „erniedrigte siebte Stufe als Durakkord“. Aber das konnte nicht die Überwältigung einfassen, die Paul McCartney mit diesem Refrain und dieser Akkordfolge auf uns losließ:
Naab na na nananaa Naa nananaa Naa
Es wurde die Hymne unserer Jugend. Paul McCartney erzählt bei dieser launigen Autofahrt durch sein Viertel in Liverpool
von dem Kirchenchor, den er als Junge besucht hat . „Thanks God!“ entfährt es dem moppeligen Comedian, der ihn interviewt. Auch wir kannten noch die kirchlich-religiöse Erbauung, wie sie in den Intervallen und Akkorden einer sprachlosen Hymne wie dieser anklingt. Im evangelischen Gesangbuch gibt es zum Beispiel den Choral „Sonne der Gerechtigkeit“, den ich persönlich immer besonders ergreifend finde. Auch er durchschreitet gleich am Anfang die gesamte Oktave. Das ist der große Rahmen, und jeder der singt. weiß: eine Oktave ist viel, ist ein gewaltiger Weg, kann ein riesiger Raum werden.
Und Paul McCartney überbietet diesen Raum noch, indem er im „Hey Jude“-Chorus jubilierend die None ansteuert!
Naa na na naaaaaaaaa – da ist die None…
Und unter dieser None und genau in Verbindung mit ihr kommt er daher, damals für mich wie ein Hammerschlag: dieser unglaublich pathetische Akkord, die doppelte Subdominante, wo die None dann als Terz umfunktioniert erklingt und sich dann aufgelöst wiederum als None des neuen Akkords geriert , und dann folgt die einfache Subdominante, wo die None jetzt als Sexte erklingt , und dann sinkt die Melodie weiter erleichtert in die Tonika herab , und so weiter und so fort… Und das kann sich immer und immer wiederholen und im großen Kreis der Schöpfung drehen. Und hier gibt es natürlich einen Einfluss der indischen Musik zu diesem historischen Zeitpunkt 1968 der Hippie-Bewegung…
Naa na na nananaa Naa
Wie ein Mantra wurde es erfunden. Ein Mantra von Paul für einen kleinen, verschüchterten Jungen , Julian Lennon , dessen Eltern sich genau damals scheiden ließen. „Hey Jules“ hieß das Lied zuerst „don´t make it bad. Take a sad song and make it better“. Ist das nicht ein Motto für Paul McCartneys Lebenswerk insgesamt? Bei aller leichten und intelligenten Überfliegerart und properen Geschicklichkeit, war Paul denn nicht immer ein Sonnenschein für diese dunkle Welt? Hat er nicht immer angesungen auch gegen die eigene Verzweiflung, gegen alle seine eigenen schweren persönlichen Schicksalsschläge? Hat er nicht beispielhaft die Contenance gewahrt? Blieb nicht trotzdem immer diese wunderbar seelenvolle Grund-Melodie in ihm?
nanana Naa
An Refrains mangelt es nirgendwo bei den Beatles. „She loves you yeah yeah yeah“ – „Ah look at all the lonely people“ oder gleich am Anfang eines Songs einschmeichelnd „Michelle ma belle“ oder „Yesterday“ ( ..auch mit der None.. ) – alles Prototypen, ideale Tonverbindungen, unschlagbare Orte des Gesangs, tief aus der Seele kommend. Alle Musikhörenden singen sie sofort mit. Und sie verweisen uns immer auf den einen Ort der Musik im Menschen, der noch vor den Noten kommt.
nanana Naa
Zu einem Zeitpunkt, als die Kunstmusik sich von der Harmonie und der Bedeutung von Intervallen als Sprachmittel verabschieden wollte, kamen diese als Welle aus der Popmusik, die selbst zur Kunst wurde, zurück. Ihre Songwriter, ihre Komponisten wie Paul McCartney schlossen direkt an die Klassik an, sie eroberten sich deren Kunstmittel wie die Melodie, die Intervalllehre und die Harmonie autodidaktisch neu. Sie erfanden sie zu unser aller Segen neu. Man könnte sagen: sie retteten uns damit. Soll man sagen: sie retteten speziell uns in Deutschland, die wir keine anderen Hymnen mehr wollten? Sie stellten uns wie hier im „Hey Jude“-Refrain noch einmal die „Basics“ zur Verfügung: den Durdreiklang aufwärts, dann die Quinte aufwärts, dann den 9-8-Vorhalt, dann den 6-5-Vorhalt usw. usf.
„It’s complicated now. If we can get it simpler, and then complicate it where it needs to be complicated. “ Paul Mc McCartney irgendwann mal im Abbey Road Studio, den anderen Beatles zurufend
Hey Jude
Wie bei Janacek ist schon der gesamte Gestus auch der Eingangsmelodie der Strophen direkt der Sprache abgelauscht. Die abfallende kleine Terz, hier bei der Quinte beginnend, so rufen sich ihre Namen die Verliebten vor dem Fenster oder so rufen die Eltern ihre Kinder vom Spielen nach Haus. Sofort ist der Ton der unbedingten Vertrautheit da
don´t make it bad
von der Terz empor zur Sexte, konsolidierend eine Quinte abwärts zur Sekunde, wo die Dominante einsetzt
take a sad song
der Aufschwung erst eine kleine Terz aufwärts zur Quarte Ton B, die aber in der Dominante die Septime ist, und von da eine Sext aufwärts zur None, in der Dominate die Quinte
Und hier könnten sie ja auch beginnen: die Hörverwirrungen um dieses Scharnier Ton B. Er ist hier eindeutig die Septime in C, aber er ist ja eben auch die Quarte in F. Und er kann natürlich auch Quinte in Es werden…
and make it better
und der Rückflug wieder zurück in die Tonika.
MUSIK MUSS SICH UM DAS VERHÄLTNIS DER TÖNE ZUEINANDER KÜMMERN – UND WIE DIESE ZUSAMMEN ZU SPRECHEN BEGINNEN. Halleluja.
Diese Songs wurden zuerst vorgesungen, und wurden dann nachgesungen. Auch dieses ist ihnen gemeinsam mit religiösen Hymnen, wo die Mehrheit der Kirchgänger nur rudimentär der Notenschrift mächtig ist. Wir alle können uns hier problemlos versammeln. Paul McCartney singt den Chorus von „Hey Jude“ mit randvollen Fußballstadien, in der Royal Albert Hall, im Hyde Park, was ungeheure Emphase und Überwältigung auslöst mit seinem ekstatischem Soul-Scat-Gesang dazwischen wie in einer Haarlem Church. Er lässt auch bevorzugt mit den Armen dirigierend Männer und Frauen abwechselnd und gemeinsam singen, es ist wie ein Gottesdienst. Auch wir spielten das stundenlang im Kreis uns gegenseitig vor, ganze Partykeller erdröhnten davon, ganze Schulfeste sangen mit
Naa na na nanana Naa nanana Naa
Das Hinfiebern auf diesen Refrain wird kunstfertig erzeugt, indem nach jeder Strophe der an sich ja schon vollkommenen Ballade kurzen Zwischenspiele zur Septime und sich im Verlauf immer steigernde Steigzeilen einsetzen, am Ende dann das uns erlösende chromatisch ansteigende „better, better, better, better“.
Allein hierüber könnte man stundenlang meditieren: über dieses wie bei Mozart chromatisch angespitzte, ansteigende, finale „Better, better, better, better, better, better“ das zu Pauls berühmten „Vibrato Scream“ führt ( …den hatte er von Little Richard… ), bei dem er im Konzert den Kopf vor dem Mikrofon rhythmisch hin- und her wackeln ließ.
Als wir jung waren, verbanden sich diese Steigzeilen mit der akuten Erwartung der Chorus-Hymne, die dann noch nicht kam, nochmal die Strophe, und nochmal und dann irgendwann endlich:
Naa na na nananaa Naa nananaa Naa – HEY JUDE!
(29. September 2023)
…. danke für diesen Artikel in dieser Begeisterung und für das Video…..echt berührend….