Münchner Neue Musik: ein Konzertrückblick für 2017
Zugegeben, mein Rückblick ist subjektiv. Ironie ein: Und klar, meine eigenen Konzerte, waren die Besten – Ironie aus. Leider war ich hier und da beteiligt. Also wird das nicht ganz neutral.
Dedicated… ist eine Reihe der Tonkünstler München, verantwortet von Johannes X. Schachtner. Ca. 15 Jahre nach der UA der 20 Kompositionen auf 20 Texte von „Neue Dichterlieben“ von Moritz Eggert, wurden Moritz und die Sänger Liat Himmelheber und Peter Schoene eingeladen, das Gros dieser Werke wiederaufzuführen. Das war eine wunderschöne Wiederbegegnung mit dem frühen Arno Lücker und Enno Poppe sowie Gordon Kampe und Martin Tchiba und vielen mehr. Nostalgy at it best! Am 21.1.18 wird es die nächste Ausgabe von Dedicated… mit Johannes Öllinger geben. Hingehen, wie so viele der tollen Konzerte in 2017 und 2018 im Schwere Reiter!
Das Ensemble Blauer Reiter, erst seit 2014 aktiv und schon das beste Ensemble für Neue Musik in München unter der Leitung von Armando Merino, beeindruckte unglaublich mit dem Abend „Code modern #5 – À l’île de Gorée“ mit Werken u.a. von Minas Borboudakis und Christina Athinodorou. Besonderen Eindruck machte das kleine Cembalokonzert „A l’île de Gorée “ von Iannis Xenakis mit einer sehr starken Leistung von Andreas Skouras am Cembalo. An Kraft, Ausmusizieren und Hingabe ein unvergessliches Konzert.
Kurz danach war „DUO2KW expanding“ mit Kai Wangler am Akkordeon und Klaus Peter Werani an der Viola zu erleben. Besonderen Eindruck machten die Uraufführungen von Fredrik Zeller und Ulrich Kreppein. Zwei feine Musiker mit größtem ausdrucksvollen Zugriff auf Neue Musik. Wer am 17.1.18 zuerst bei Peter Tillings risonanze erranti mit Musik von u.a. Timo Ruttkamp Benjamin Scheuer und Anno Schreier gewesen sein wird, sollte am 20.1.18 Kai und Klaus Peter mit Werken von Klaus Peter selbst und u.a. Henrik Ajax und Sergej Newski nicht verpassen.
Eines der feinsinngst musizierten und gesungenen Projekte war „Beyond Purcell“ mit Adrian Pereya und Susanne Barta. Mit E-Gitarren und Sopran brachen beauftragte Komponisten wie Karlheinz Essl, Bernhard Weidner und Moritz Eggert Purcell auf und verschönerten die so schöne Musik noch mehr. Besonders fein und dankenswert, rein persönlich: ich war auch dabei! Danke Euch Beiden!!
Das großartigste Gastspiel in München war im Mai das Konzert der Leute von Nikel im Rahmen von adevantgarde. Wie sie Werke von Ann Clear, Stefan Prins, Markus Muench und Philippe Hurel spielten und musizierten, setzten sie nachhaltig Massstäbe, die kaum zu toppen sind. Wer das verpasste, weiß nicht, was bestgespielte Neue Musik ist. Vor allem für unsere süddeutschen Musikhochschulen sollte das ein Signal sein, noch mehr Zöpfe radikal abzuschneiden. Denn wer Neue Musik Ausbildung nicht auf dem Niveau anbieten kann wie die in Israel, den USA, der Schweiz und Frankreich ausgebildeten Nikel-Musiker sie zeigten, kann den Laden eigentlich dicht machen oder sollte mal gewaltig durchlüften.
Ein weiterer nostalgischer Abend war die Begegnung der Flötistin Carin Levine mit „Neues Kollektiv München“ (nkm), wo sie Werke von Ferneyhough, Reiserer und auch mir mit dem Ensemble exemplarisch zum Besten gab. Wunderbar auch das nkm-Folgekonzert mit den Gästen Paul Hübner und Anton Wassiljew. Das neue Werk „Mr. Jock“ von Anton kann man nochmals am 26.1.18 im HochX hören.
Im Sommer fand das erste Regenbogenkonzert der Münchner Philharmoniker mit den Laien des Rainbow Sound Orchestra Munich statt, die die Haydn und Williams spielenden Profis mit den Zeitgenossen Katrin Schweiger – deren Werk „Schwebend I“ unter der Stabführung von Mary Ellen Kitchens – und Steve Reich – unter der Leitung des Co-Dirigenten – konfrontierten. Ein fröhlicher rosafarbiger Abend zum CSD der sich allseits sozial und musikalisch öffnenden Philharmoniker!
Das momentan älteste ausserhalb der Musikhochschule freiberuflich wirkende Ensemble ist das Zeitsprung Ensemble um Markus Elsner. Das Konzert Ende November mit dem Gastdirigenten Peter Hirsch ließ ähnlich exemplarisch wie Nikel die Werke Cinque frammenti di Saffo, Piccola musica notturna und Commiato von Luigi Dallapiccola erklingen. Bravo, Bravissimo! Dallapiccola gehört als älteres Schlachtschiff einfach öfters aufs Programm gesetzt!
Wer „HÖLDERLIN – Ein szenisches Konzert“ mit Werken von Wilhelm Killmayer zu seinem unvertonten Hölderlin-Opernlibretto verpasste, dem entging das absolute Highlight des Killmayermusikfests. Wer den jugendlichen Tenor Eric Price erleben durfte, dem wurde das Herz weit und die Knie weich. Zusammen mit der Sopranistin Susanne Tapfer und den Schauspielern Anton Figl und Katja Brenner gelang Blanka Radoczy mit wenigen Mitteln eine Regie, die dem großen, fragmentarischen Projekt Killmayers voll gerecht wurde und es endlich ans Licht der Welt brachte.
Abschluss und Höhepunkt des Münchner Neue Musik Jahres 2017 war eindeutig das zweite musica viva Wochenende. Im Hauptkonzert wirkte Rebecca Saunders „Aether“ für zwei Bassklarinetten mit den fantastisch aufspielenden Herren Carl Rosman und Richard Haynes wie eine neoinstrumentale Emanation von elektronischer Musik. Wie sich die beiden quasi „Zell teilten“, wieder vereinten, zwischen Luft, Vollsound und Multiphonics changierten, kam man sich wie mitten im Teilchenplasma eines Fusionsreaktors vor. Isabelle Faust gab auf ihrer Geige dem Orchester in Ondřej Adámeks „Follow me“ immer ein Motiv vor, das sie vorwärts und rückwärts, ein wenig an Bernhard Langs Loops erinnernd, einzelnen Musikern, Gruppen oder dem ganzen Orchester vorsetzte, das ihr darin folgte, sich damit von ihr absetzte, sie wieder einholte, sie aber derweil dem Klang auf die Empore entfloh: ein Wunderwerk an strenger und doch ganz befreiter Kommunikation. Vollkommen hin und weg war man dann nach „Vertigo“ für zwei Klaviere und Orchester von Christoph Bertrand mit Andreas Grau und Götz Schumacher. Wie die Solisten und das BR-Sinfonieorchester unter dem formidablen Peter Rundel den zu früh verstorbenen Franzosen in seiner Virtuosität irgendwo zwischen Ligeti und bereinigtem, fortentwickelten Spektralismus musizierten, flogen einem die Mikro- und Makrostrukturen nur so um die Ohren. So beseelt und glücklich hat wohl selten ein Publikum ein Neue Musik Konzert in München verlassen – nur das Konzert mit Nikel machte wohl noch glücklicher!
Komponist*in