Adorno in einfacher Sprache – Teil I – Ästhetische Theorie I
Seit fast zehn Jahren ist es Mode, zum Beispiel Parteiprogramme oder Nachrichten in einfacher Sprache zu formulieren. Einfache Sprache wurde für Personen mit kognitiven Einschränkungen erfunden. Es gibt dabei nur kurze Sätze. Jeder Satz soll nur eine Aussage enthalten – und… (Äh.)
Da unser Lieblingsautor Theodor W. Adorno nicht gerade immer leicht zu verstehen ist, ist es sinnvoll, sein Gesamtwerk in eben diese einfache Sprache zu übersetzen. Heute machen wir einen Anfang – und übertragen die ersten Sätze von Adornos „Ästhetischer Theorie“ (Frankfurt am Main 1970, S. 9).
Der Originalsatz erscheint dabei immer fett gedruckt, die Übersetzung befindet sich darunter.
Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht.
- Malen und Tanzen macht Spaß.
- Aber viele Opas in Deutschland haben ganz viele Menschen tot gemacht.
- Deutschland ist ein Land.
- In dem Land leben wir.
- Darum darf Malen und Tanzen keinen Spaß mehr machen.
- Das ist klar.
- Malen und Tanzen ist nicht mehr Malen und Tanzen.
- Malen und Tanzen gibt es fast nicht mehr!
- Das wissen Malen und Tanzen sogar selber.
Die Einbuße an reflexionslos oder unproblematisch zu Tuendem wird nicht kompensiert durch die offene Unendlichkeit des möglich Gewordenen, der die Reflexion sich gegenübersieht.
- Opa war böse.
- Malen und Tanzen muss dafür bestraft werden.
- Alle haben Haue bekommen.
- Aber die Haue geht weiter.
- Wir müssen beim Malen und Tanzen immer an Haue denken!
- Malen und Tanzen hat mit Haue zu tun.
Erweiterung zeigt in vielen Dimensionen sich als Schrumpfung.
- Opa war böse.
- Malen und Tanzen ist deshalb kaputt.
- Kaputt heißt nicht danach wieder lustig sein dürfen.
Das Meer des nie Geahnten, auf das die revolutionären Kunstbewegungen um 1910 sich hinauswagten, hat nicht das verhießene abenteuerliche Glück beschieden.
- Vor langer Zeit wurde Malen und Tanzen plötzlich anders.
- Malen und Tanzen war aufregend.
- Malen und Tanzen war wie Indianer und Cowboy spielen.
- Aber das hat alles nichts gebracht.
Stattdessen hat der damals ausgelöste Prozess die Kategorien angefressen, in deren Namen er begonnen wurde.
- Das neue Malen und Tanzen hat gelogen.
Mehr stets wurde in den Strudel des neu Tabuierten hineingerissen; allerorten freuten die Künstler weniger sich des neu gewonnen Reiches der Freiheit, als dass sie sogleich wieder nach vorgeblicher, kaum je tragfähiger Ordnung trachteten.
- Malen und Tanzen wurde langweilig.
- Indianer und Cowboy spielen wurde langweilig.
- Denn alle Kinder spielten plötzlich Indianer und Cowboy.
- Alle Indianer und Cowboys sahen gleich aus.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.