Herzliche Grüße an Hans Zender!
Heute beginnt die Münchner musica viva 2016/17 mit einem Porträtkonzert zum 80. Geburtstag von Hans Zender. Einmal zu spät, denn gerne könnte uns der BR auch Zeitgenössisches im September bescheren, angesichts von Saisonbeginn und Wies’n vielleicht etwas zu riskant – Bier und Neue Musik, bisher probierte man das nur in Leipzig am FZML aus. Und einmal zu früh, denn Hans Zender rundet erst am 22. November das achtzigste Lebensjahr. Schamhaft muss ich zudem gestehen, dass ich es heute doch nicht in den Herkulessaal schaffe. Zeitgleich bindet mich eine Probe für eine eigene Orchesteruraufführung am Wochenende. Also, wer Herrn Zender im Konzert begegnet, oder danach, grüße ihn ganz herzlich von mir: der Lehrer mit einigen seiner wichtigen Werke abendfüllend in der Residenz, der Schüler mit einer Petitesse morgen im Gasteig.
Über die Bedeutung Zenders als Dirigent und Komponist können garantiert einige viel besser was sagen, die ihn über die Dekaden begleiteten, als ich, der um den Jahrtausendwechsel bei ihm in seiner Frankfurter Kompositionsklasse studierte. Eigentlich hätte das für mich nur zwei Jahre dauern sollen, doch durch persönliche Intervention Zenders verlängerte sich das am Ende auf 4 Jahre – in Zeiten vor Bologna einfach so möglich. Aber dieser für ihn kleine Einsatz, für den Studenten damals immens wichtig, zeigt sein Wirken: immer an vorderster Front, unglaublich ernsthaft und gewissenhaft bei gleichzeitiger höchster Musikalität und enormer Frische!
Ein wunderbares Zeichen seines unstillbaren Wirkungsdranges waren die im Semester alle ein, zwei Wochen stattfindenden Unterrichtssessions mit ihm. Und dabei wollte ich nach einigen gescheiterten Aufnahmeprüfungen nach der Meisterklasse in München nimmer studieren. Als man in Frankfurt prüfte, lag ich daheim im Bett. Als dann das Telefon klingelte und die ungewohnte Stimme Zenders auf dem Anrufbeantworter anhob, zu fragen, ob man nicht mal sich die Sache ansehen wollte, fuhr ich aus der Liegeposition, in die Kleider und so schnell nach mit der Bahn, wie vorher und nachher nie wieder. Es war wie wahrlich wie eine Erweckung!
Wir Studenten reisten alle aus der Republik in aller Frühe mit Interregios an, aus München, Stuttgart, Leipzig und Berlin, um unseren Wissensdurst zu stillen und geistig für die nächsten eigenen Kompositionsversuche aufzutanken. Unermüdlich gab es Seminar, Analyse, Vorlesen im kleinen Kreise und Einzelunterricht. So passierte es manchmal, dass er vertieft in eine Materie diese von allen Seiten auseinandernahm und ein Teil der Klasse dennoch Dank des Bahnschlafentzugs ein wenig einnickte.
Aber dann erfolgte ein Ausruf, ein Laut der Erkenntnis im Austausch mit denen, die treu am Ball geblieben waren, und die ganze Klasse war wieder aufmerksam dabei. Hellwach waren wir immer zu Beginn des Semesters, wenn er die Schwerpunkte für die Analyse verteilte. Da wollte man sich manchmal wegducken, wenn es hieß: „Sie op. 1 bis op. 10, Sie bis op. 20 – und Sie der Rest!“ Das mag im Falle Weberns z.B., der damit aufgeteilt wurde, als wenig wirken. In der Intensität dann aber doch sehr aufwändig und bei längerer Beschäftigung damals süchtig machend. Mein grösstes Missverständnis hatte ich, als wir Haydns Humor erforschen sollten und ich einen Streichquartettsatz als beethovenschen Vorläufer im Spiel mit den Zahlen 2 und 3 aufzeigen wollte. Das war für mich Haydns Humor, ein wenig so wie man sich eben Beethoven vorstellt, der den leichtfüssigen Österreicher eben nicht leicht, sondern schwer ernst nahm.
Von der Münchner Musikhochschule kommend, war das eine ziemlich neue Sache für mich, wo ich doch direkt wie der Mann aus der Postmoderne und Neuen Einfachheit am Main aufschlug. Und war es doch die postmoderne Oper par excellence, Steven Climax, von Zender, die mich dorthin zog. Aber statt daran mehr zu ergründen, faszinierte mich irgendwann vielmehr das Zeitgeflecht seines Don Quijotes, der mir eine Anknüpfung an Nonos späte Liveelektronik eröffnete. Wichtig ebenfalls das Kennenlernen der Werke Cages und Scelsis durch ihn, die Annäherung an das Irrationale in der Neuen Musik ohne ins Romantische abzugleiten.
Las ich nicht neulich im Blog von Johannes Kreidler einen Kommentar, der besagt, dass Mikrotonalität bei aller Konzeptualität doch auch heute noch neuartiges Befremden, Aufhorchen bewirken kann? Die wichtigste Begegnung bei Zender war seine eigene, fast eigenartig Auseinandersetzung mit Phänomenen der Spektralität. Das ordnete mein Tonhöhenbewusstsein nochmals von Grund auf neu, von der Renaissance bis ins Heute hinein. Das bescherte mir zwar auch die grössten Missgriffe meines Werkausstosses, da man sich extrem an der Obertonreihe reiben konnte und gerne mal vollkommen in Klanglichkeit und Morphologie danebenlag. Das zwang mich aber auch, nochmals alles Erlernte auf den Kopf zu stellen.
Eigentlich muss ich heute immer noch durch die Strenge Zenders durch, um nicht in der Münchner Freiheit des „passt scho’“ vor mich hin zu salbadern. Das ist nicht gerade nett zur Isarstadt, die ihn nun in der musica viva heute und in den letzten Jahren durch Vergabe des Zenderstiftungspreises ehrt, so dass man vor lauter Feiern doch den eigentlichen Grund vergisst, warum man nun Zender hochleben lässt: ein geradliniger Mann, der nicht vor Kulturpolitikern oder Intendanten kuschte, der sein Tun und Lassen immer mit grösster Verantwortlichkeit vornahm, viele Musiker und Komponisten in ihren Wirken förderte und schärfte.
Ein Künstler, der das Sichtbare der Neuen Musik mit dem Unsichtbaren der Musikalität zu verbinden wusste und uns neben wunderbaren Schumann- und Schuberterlebnissen als Komponist Werke bescherte, über die man heute immer noch kontrovers diskutiert, die nicht einfach Erwartungen erfüllen, sondern herausfordern und daraus das beglückende Moment gewinnen. Euch allen nun einen schönen Abend mit Hans Zender – und vergesst meine Grüße nicht an ihn!
Komponist*in