Nach der Premiere ist vor der Premiere
Nach der Premiere ist vor der Premiere
Premieren sind etwas Seltsames – man arbeitet jahrelang auf einen Moment hin, und dann ist alles in wenigen Stunden vorbei. Und man würde als Komponist lügen, wenn sich nicht eine gewisse Melancholie in einem breit machen würde.
Natürlich freut man sich, wenn es den Menschen gefallen hat. Aber genau wissen kann man das natürlich nie. Ist jedes Lob echt, ist jede Begeisterung eine richtige Begeisterung? Aber warum soll man sich überhaupt anmaßen, die „richtige“ Begeisterung zu verlangen? Ist es nicht der Menschen gutes Recht, etwas auch total grottig zu finden?
Jeder Komponist geht mit Lob anders um. Als ich einmal György Ligeti lobte, sog er es auf wie eine verhungerte Honigbiene in der Wüste von Nevada. Er wollte noch mehr Lob, noch mehr Bewunderung. Ich musste ihn einen ganzen Abend lang loben, damals in London, nach seinem Porträtkonzert. Danach stand er auf, schüttelte mir die Hand und ging. Ich kam mir – trotz aller berechtigter Bewunderung für diesen großen Komponisten – ein wenig benutzt vor.
Hans Werner Henze liebte auch – wie jeder von uns – das Lob, und litt wie ein Hund, wenn man ihn nicht lobte. Bei Henze gab es aber immer ein selbstironisches Eingeständnis der eigenen Eitelkeit, was ihn wieder sympathisch machte. Manchmal machte er sich dann auch rührend klein, a la „ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich das alles komponiert habe“, dabei wie ein kleiner Junge lächelnd. Gleichzeitig sah man ihn aber innerlich über sich selbst schmunzeln. Aber wehe man erwies ihm die grundsätzliche Reverenz nicht!
Dann gibt es Komponisten, die kann man endlos loben, aber sie sind nie zufrieden, weil sie sich nicht für die richtigen Sachen gelobt fühlen. Sie wollen, dass man sie für genau das lobt, was ihnen am wichtigsten erscheint, wehe, es ist etwas Anderes! Solche Komponisten werden nie glücklich werden, denn sie sehen Lob lediglich als Selbstbestätigung, nicht aber als die warmherzige zwischenmenschliche Kommunikation, die er eigentlich sein sollte
All dies geht mir durch den Kopf, wenn mir nach einer Opernpremiere (wie gestern in Linz) verschiedene Menschen gratulieren. Die, die es hassten, kommen ja meistens nicht. Aber man kriegt es trotzdem mit! So durfte ich in der Pause beobachten, wie eine zornige Alte mit Rollator sich bei der Garderobiere darüber beschwerte, dass das Stück für sie komplett unverständlich sei und vor allem eines: viel zu laut! Ich frage mich dann immer, wie es sein kann, dass in Konzerten ältere Zuhörer immer zornig die Hand heben, wenn man vorne zu leise redet, sich aber dann gleichzeitig darüber aufregen, wenn die Musik zu laut ist. Es muss an der Einstellung der Hörgeräte liegen vermute ich. Oder an der inneren Einstellung?
Dann gibt es das Lob, das irgendeinen Satz beinhaltet, der einen endlos grübeln lässt. So sagte mir zum Beispiel gestern jemand, er fände „Terra Nova“ toll, aber es wäre „fast zu viel des Guten gewesen“. So ein unschuldiger, sicherlich gut gemeinter Satz, geht mir dann ewig nach, was natürlich dumm ist. Meine Frau sagt dann immer: Du willst dein „Schnäbelchen wetzen, sonst bist Du nicht glücklich“.
Natürlich will ich immer „zu viel des Guten“ – in Asien serviert man den Gästen ja auch immer viel mehr, als sie essen können, sonst ist es unhöflich. Und so möchte ich eigentlich auch immer ein Überangebot an Ideen schaffen, keinesfalls aber ein Unterangebot, denn das fände ich einfach nicht höflich dem Hörer gegenüber. So wie ich es auch nicht höflich finde, den Hörer zu langweilen. Aber nicht alle denken so, und servieren dann gerne auch Mal ganz edle nouvelle cuisine, die dann einsam auf einem riesigen Teller liegt. Kann ja auch schön sein! Oder auch nicht – wie oft habe ich begeisterte Kritiken über Stücke gelesen, die einen bis zur Unerträglichkeit gelangweilt und gelähmt haben. Langweilt es aber nicht, dann sind die Stücke natürlich automatisch „oberflächlich“, zumindest in der deutschen Kritik. Das hat eine fast schon unausweichliche Vorhersehbarkeit.
Vielleicht liegt es auch an mir und an meinen vielen Opernerfahrungen, dass man mit der Zeit vorsichtig wird. Bei meiner ersten Oper erwartete ich noch, dass sich danach alles ändern müsse, entweder zum Guten oder zum Schlechten. Danach schrieb ein Kritiker, ich solle auf keinen Fall mehr Opern schreiben, denn das wäre ja eine Zumutung für alle. Dieser Satz hat mich über viele Jahre natürlich wahnsinnig motiviert.
Ich habe Premieren erlebt, bei denen alle danach sagen, es wäre ein Riesenerfolg, und danach stehen lauter Verrisse in der Zeitung. Ich habe Premieren erlebt, bei denen es genau umgekehrt war. Und zwar nicht nur eigene!
Am meisten hat man Angst vor der Eifersucht. Hat der eine Kollege einen da gerade im Vorbeigehen etwas schräg angeschaut? Hat der andere gerade beim Händeschütteln leicht das Gesicht verzogen? Warum hat X einen vor der Premiere herzlich begrüßt, tauchte aber danach nicht mehr auf? Ich will dann immer rufen: bitte hasst mich nicht, heute durfte ich Mal, schon das nächste Mal dürft ihr wieder, und dann komme ich und applaudiere so laut ich kann! Aber niemand kann mich hören, denn ich rufe das natürlich nur ganz still, im Kopf.
Andere Menschen feiern ja auch Geburtstage und man gratuliert ihnen. Ist man da eifersüchtig? Nein, jeder darf Mal. Ich selber hasse das Gefühl auf jemanden eifersüchtig zu sein so sehr, dass ich alles tue, um es nie erleben zu müssen. Deswegen lobe ich andere Menschen wirklich gerne, denn ich finde, dass man das möglichst oft tun soll. Letztlich sind wir doch alle nur Gast auf diesem seltsamen Planeten, und man sollte deswegen möglichst nett zueinander sein, oder nicht?
Die Hauptgefühle an einem solchen Premierenabend sind aber Dankbarkeit, Demut und Angst.
Dankbarkeit, weil sich gerade knapp 200 Menschen damit abgemüht haben, etwas auf grandiose Weise auf die Bühne zu bringen, und gestern besonders war der Einsatz aller Beteiligten geradezu überwältigend. Egal, was die Kritiken schreiben werden, es gibt ja auch eine innere Wahrheit eines solchen Abends, und diese hat mich bei der gestrigen Aufführung zutiefst beeindruckt. Mal abgesehen davon, dass ich die Inszenierung und Realisierung wirklich mochte und toll fand! Dafür ist man erst einmal wahnsinnig dankbar, aber wird auch demütig. Es ist ein Geschenk, das erleben zu dürfen.
Die Angst wiederum ruht daher, dass sich nun wieder ein riesiges Loch vor einem auftut: Das Loch der nächsten Oper(n), von denen man noch keinen einzigen Ton geschrieben hat, weil man natürlich im Bann der aktuellen Premiere war. Man hat gerade alles gegeben, sein Herzblut in jeden Ton gesteckt, aber man weiß schon jetzt, dass man das alles wieder tun muss, sich keinesfalls auf irgendwelchen eingebildeten Lorbeeren ausruhen darf. Denn auch der größte Erfolg ist schnell vergessen, man muss sich immer neu beweisen.
Aber ist das ein Grund, eine Lamentation anzustimmen? Ganz sicher nicht – der Zauber des Theaters ist seine Vergänglichkeit, das Bestehen im Moment. Wenn dieser Moment bleiben würde, dann wäre er nicht ewig, das ist das Paradox des Theaters: des Theaters Ewigkeit ist eine Utopie ist und muss das auch bleiben. Wie ein Ritual den Glauben am Leben hält, so ist das Ritual des Theaters seine ewige Erneuerung im Angesicht der Vergänglichkeit.
Jeder Applaus ist eine Verpflichtung, dieses Ritual weiterzutragen. Hierbei ist es letztlich vollkommen unwichtig, wer mehr oder wer weniger Erfolg hat, wer wie viele Fleischbällchen bei der Premierenparty gegessen hat, wer zu viel gelobt wurde, wer zu wenig gelobt wurde, wer vergessen wurde. Es zählt alleine diese stille Abmachung mit der Ewigkeit, die ewig vergänglich sein muss.
Nach der Premiere ist vor der Premiere.
Moritz Eggert
Komponist
assoziationen zu deinem blog. . .
neben allem anderen ist das „mit der musik (materie) spielen“ meiner meinung nach der wesentlichste aspekt des ganzen.
ob beim komponieren, inszenieren oder ausführen.
spielfreude äußert sich ja bekanntlich in den verschiedensten facetten.
unter vielen anderen auch in wagemut, übermut und überbordender phantasie.
wo wären wir denn alle, wenn wir das nicht ausprobieren dürften?
ich gratuliere dir sehr herzlich und wäre gerne dabei gewesen.
und ich finde auch, dass dankbarkeit ein wunderbarer motor ist für kreatives sein. demut macht niemals klein, sie eröffnet einen weiteren horizont.
das lob, auf dass wir alle zugegebener maßen hoffen, ist doch im wesentlichen ein subjektiver spiegel des „lobenden“ und daher nicht unbedingt eine kritik am eigenen werk.
ausatmen, ausruhen, nicht zweifeln und weitermachen.
das leben ist so kurz für kreative geister.
in diesem sinne,
bestes,
xenia