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op. 111 – Eine Analyse in 335 Teilen – Takt 4

Freund*innen, was folget fürderhin nach Takt 1, Takt 2 und Takt 3? Ich muss es gar nicht fragen. Allen ist’s doch klar: Der Frühling, der Frühling, er folget hernach! Der Frühling ist’s, oh ja! Er lasset sein blaues Band so dermaßen was von flattern!

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Aber jetzt beethoven auf Ludwig van Bezogens letzte Klaviersonate ist es natürlich dann schon nur Takt 4… Aber hey, echt jetzt: Bitte bitte nicht enttäuscht sein, oki?

Beethoven op. 111 - 1. Satz - Takt 4

Im Grunde passiert in Takt 4 mehr oder weniger das Gleiche wie in Takt 2 – nur halt eine Quarte höher. Allerdings ist die harmonische Gestaltung der Zählzeiten I und II anders, also: ein bisschen anders. Statt eines analog möglichen astreinen C-Dur-Akkordes auf Zählzeit „eins“ setzt Beethoven einen verminderten Septakkord. Wieder weist dieser in der tiefsten Stimme einen chromatischen Übergang auf – also: vom h von Zählzeit „vier“ aus Takt 3 zu b in Takt 4 auf Zählzeit „eins“ (statt c, wie es halt in Analogie von fis zu g in den Takten 1 und 2 möglich gewesen wäre; aber: hätte, hätte, Fahrradkette…). So schafft Beethoven mit der Überraschung zugleich auch eine schöne kleine Erwartungshaltung, denn von dem verminderten Septakkord geht es zu einem Sextakkord – dem Rezitativ-Bedeutungs-Erwartungshaltungsakkord der Musikgeschichte – in f-Moll hin, auf den dann wieder dieser pianistisch-dramatisch-crescendiert angerollte Sext-Akkord-Augenblick folgt. Dieses Mal in C-Dur – und natürlich wieder im Forte.

Dieses crescendierte, ausnotierte Anroll-Arpeggio der Takte 2 und 4: Wer spielt das eigentlich wie? Ein kleiner Interpretationsvergleich.

Der großartige Pianist Solomon Cutner, dessen Aufnahme von op. 111 von 1951 ich ansonsten sehr mag, verschenkt die Wirkung dieses Anroll-Arpeggios ziemlich. Das Ganze ist zu murmelig, mit zu viel Pedal – und vor allem mit zu wenig Schreckenscrescendo gespielt.

Ähnliches passiert in Artur Schnabels aus dem Jahr 1932 stammender Aufnahme. Aufregend, aber – wie so häufig bei Schnabel – ganz schön verhuscht…

Ganz schön anders, alles andere als perfekt – wer will das schon? – dann Elly Ney 1968. Mit ganz anderer Anroll-Arpeggio-Pranke.

Ordentlich und überzeugend, aber eben halt nicht mehr als das: Sviatoslav Richter bei einem Livekonzert in Moskau am 12. Januar 1975.

Bei einem Recital beim Bonner Beethovenfest 1977 verhunzt Claudio Arrau den Beginn ziemlich. Und wie so häufig nimmt er sich wenig Zeit und missachtet die Pausen – vor allem die sehr wichtigen Pausen vor den beiden Arpeggios zu Beginn. Die sind als Momente der Spannung, des Schreckens essentiell. Bei Pausen gibt es für mich keine Diskussion. Gerade die kürzesten, kleinsten Pausen in der Musik sind so wichtig…

Nein, mein Favorit ist – was die Gestaltung der Takte 2 und 4 angeht – András Schiff (2007), dessen Aufnahme leider nicht mehr frei verfügbar ist (Stand: Juni 2020). Sein Arpeggio beginnt wirklich im Pianissimo und rollt dann herrlich crescendierend hin zu dem jeweiligen Sextakkord. Schappöchen, Schappöchen, Maestro Schiff!

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.