Offener Brief an Georg Friedrich Haas
Da heutzutage sowohl Ironie als auch Satire oft nicht als solche erkannt wird, möchten wir darauf hinweisen, dass es sich bei dem nun folgenden Artikel, tatsächlich um solche handelt. Um was genau von beiden verraten wir aber nicht, sonst wäre es ja langweilig. Die Motivation dieses Artikels ist weder Frust noch Hass noch Eifersucht noch das gierige und niedrige Geifern nach ein wenig Aufmerksamkeit und Liebe. Vielleicht doch letzteres, aber nur ein wenig. Sinn und Zweck dieses Artikels ist es alleine, bestimmte Tendenzen unseres Musiklebens zu überzeichnen, was aber keineswegs als Kritik verstanden werden sollte, eher als sanftes aber außerordentlich wohlmeinendes und vor allem auch kollegiales Schmunzeln. Schmunzeln ist ein so schönes Wort, das wollte ich einfach mal benutzen. Der Autor kennt die meisten der genannten Personen persönlich und wünscht ihnen von Herzen Erfolg, ein langes Leben und anhaltende Gesundheit. Mit einigen ist er sogar befreundet – Georg Friedrich Haas ist mein allererster Kompositionslehrer und Mollena fesselt mich täglich an meinen Flügel. NATÜRLICH NICHT! Sehen Sie, das war jetzt Ironie, und Sie haben wieder etwas gelernt, dass ihr Leben schöner machen könnte. Sie dürfen jetzt lachen. Bitteschön, zu Diensten
Lieber Georg Friedrich Haas,
In letzter Zeit war ja viel über Sie und Ihre Frau Mollena zu lesen, und manch ein Beobachter hat sich bei der Thematik sicherlich still und gerne ins Fäustchen gewi.., äh, gelacht.
Man kann ja auch ein bisschen neidisch werden: Da haben Sie Ihre vielen Schaffens- und Ehekrisen überwunden, indem Sie endlich öffentlich zu Ihrer dominanten Seite stehen und die Frau ihres Lebens gefunden haben, nämlich eine quietschfidele und wortgewandte Frau, die es nun als ihre Erfüllung empfindet, Ihnen von morgens bis abends zu Diensten zu sein.
Seitdem Sie Ihre Sado-Seite ausleben schaffen Sie das, wovon viele Komponisten nur träumen können: nämlich endlich einmal den ganzen Tag lang zu komponieren ohne Rücksicht auf Verluste, 13 oder 14 Stunden lang. Die meisten von uns „Stinos“, also den stinknormalen Komponisten, die keinerlei geheimen Perversionen ausleben und im normalen Lebensalltag eher mit Steuererklärungen und vollgeschissenen Windeln zu tun haben als mit Streckbänken oder gynäkologischen Stühlen, können sich ja kaum noch daran erinnern, jemals so viel Zeit für Stücke gehabt zu haben. Und daher können Sie jetzt auch eine große Komponieroffensive auffahren – Uraufführungen links und rechts wohin das (vermutlich bei Ihrer Frau blaue) Auge sieht. Schon jetzt machen Sie Wolferl Rihm, der bisher als der Oberschnellschreiber unserer Zunft galt, ernsthaft Konkurrenz! Da staunen wir alle!
Klar – es komponiert sich sicherlich viel schneller, wenn man nicht einkaufen, putzen, kochen oder ähnliches muss. Und wenn man mal nicht mehr weiter weiß und die Inspiration ein bisschen, äh, hängt, höhö… steht einem gleich eine willige Sklavin zur Verfügung, die sich direkt hingibt. Da spritzt und sprüht es doch gleich vor Perspiration, äh Inspiration!
Ich gebe zu, um diese Arbeitssituation beneide ich Sie. Ehrlich. Ich hätte auch gerne so viel Zeit zum Komponieren.
Da kommt mir eine Idee: Da Sie ja der Meister einer Sklavin sind, die alles tun muss, was sie ihr befehlen, wäre es doch nicht unmöglich, diese mal zu mir zu schicken. Und zwar immer dann, wenn es mal pressiert. So was kennen wir ja aus der „Geschichte der O.“, die musste auch immer zu wildfremden Männern, weil das noch viel geil erniedrigender ist. Jetzt gerade zum Beispiel muss ich gerade dringend ein großes Stück für musica viva fertig bekommen, und da könnte ich ein bisschen Hilfe gebrauchen. Ich zahle auch den Flug (von den Tantiemen der zusätzlichen Stücke, die ich dann schreiben kann).
Keine Angst – ich will keinen Sex (da hätte meine liebe Frau auch etwas dagegen), ich stehe ja auch nicht so auf SM – weder als Abkürzung noch als Initialen. Aber ein Bett (vielmehr eine harte Pritsche natürlich) könnte ich bieten, und ein bisschen Kost und Logis.
Ich hätte auch schon viele Aufgaben für Mollena! Sie kennt sich ja gut im Internet aus, und könnte endlich mal meine Website updaten. Oder ein paar Blogartikel für den Bad Blog schreiben, zum Beispiel wenn ich auf Reisen bin. Unsere Putzfrau könnte auch ein wenig Entlastung gebrauchen, und zum Kaffeemachen und Whisky sortieren ist sie sicherlich auch in der Lage.
Im Gegenzug bekommt sie natürlich…NICHTS! Sonst wäre es ja nicht unterdrückend genug. 24/7 heißt das ja nicht umsonst, sie muss schuften, schuften, schuften und bekommt dafür auch keinerlei Dank, das wäre ja noch schöner! Ich werde mich bemühen, sie so schlecht wie möglich zu behandeln, wobei…mir wird das nicht ganz leicht fallen, denn sie sieht ja eigentlich sehr nett aus. Aber vielleicht haben Sie ja ein paar Tipps für mich? Ich habe noch nie eine Peitsche oder eine Fessel in der Hand gehalten, aber das kann man sicherlich lernen, so wie Kontrapunkt ja auch.
Obwohl, wenn ich es mir richtig überlege – vielleicht ist das doch ein bisschen zu anstrengend. Denn einerseits ist es natürlich schön, immer jemanden 24/7 zur Verfügung zu haben…aber dann will der ja auch 24/7 immer schön dominiert werden und Befehle bekommen. Und das stelle ich mir ehrlich gesagt anstrengend vor. Da will ich gerade einen schönen Vierteltoncluster komponieren, und da liegt so eine perverse Negerin (kein Rassismus: so nennt sie sich ja selbst) vor einem und will ständig, dass man sie peitscht oder irgendsoetwas.
Nee nee, lassen wir das mal lieber.
Und wenn ich noch ein bisschen weiter darüber nachdenke: Warum müssen wir das eigentlich alle wissen, was Sie zuhause so alles treiben? Eigentlich interessiert mich das ja gar nicht! Ich kann es kaum fassen, dass ich auf dieser Seite einmal ausgerechnet Manuel Brug recht gebe, aber der hat ja nicht ganz unrecht, wenn er schreibt, dass sich nun beim Hören Ihrer Musik Assoziationen einschleichen, die eigentlich gar nichts da zu suchen haben. Muss ich wirklich bei Ihren Orchesterstücken wissen, dass Ihnen vor einem bestimmten Takt Mollena einen ge…naja, das führt hier zu tief, äh, zu weit.
Sie sehen schon: ich bin ob so viel Lack-und Leder-Erotik schon ganz verwirrt, das ist ja auch fast eine Tortur, sich ständig so was vorzustellen, was man gar nicht wirklich vor dem inneren Auge sehen will. Vor meinem inneren Auge sehe ich nämlich lieber Audrey Hepburn in „Frühstück für Tiffany“, oder Betty Draper, und wenn ich an diese netten Damen denke habe ich eher so ganz liebevolle und normale Gedanken. Aber bei Ihnen sehe ich jetzt immer so Schweiß und Handfesseln und Streckbänke und erzwungene Kopulationen und verschmierte Dildos, und das will ich eigentlich gar nicht, echt nicht.
Nun kam der obige Einwand ja ausgerechnet von einem der indiskretesten deutschen Kritiker (man erinnere sich an die „Petrenko“-Affäre), insofern ist Ihnen das vielleicht auch wurscht. Mir ja auch. Aber nicht wurscht ist mir, dass wir immer mehr in einer Welt leben, in der wir uns als Komponisten Neuer Musik mit anderen Dingen in die Schlagzeilen bringen müssen als unseren Werken. Und das funktioniert genau umgekehrt wie im Mainstream: Dort ist nämlich inzwischen schon ein leicht zweideutiger Tweet genug, um eine Karriere für immer zu beenden. Bei uns langweiligen Komponisten aber ist genau diese Offenherzigkeit das gewisse Etwas, das der Karriere noch einmal einen Schub gibt.
Ich weiß, ich weiß, ich bin ja auch für Freiheit und Toleranz, und habe überhaupt nichts dagegen, dass Sie mit Freiwilligen etwas ausleben, dass Sie gut finden. Aber irgendwie geht es mich halt auch überhaupt nichts an, und das ist die Crux. Muss ich es wissen? Nein, ich muss es nicht wissen. Und so Begriffe wie „sexuelle Politik“ fand ich immer schon ein bisschen hohl, denn Politik ist halt sowas von unsexy.
Und es gibt noch etwas anderes, das mich dabei beunruhigt: Für die meisten Menschen ist Neue Musik eben leider nicht „normal“, und daher finden sie es einfach besser wenn die Verfasser derselben so richtig schön abartig und spleenig sind, je deftiger desto besser. Da muss man dann wenigstens nicht mehr über Granularsynthesen oder Superformeln schreiben, das ist ja auch zu kompliziert.
Aber gerne wird die ausgelebte Ungewöhnlichkeit des Künstlers mit der Ungewöhnlichkeit seiner Kunst verwechselt. Ich kenne ziemlich durchgeknallte Komponisten, deren Musik von einer geradezu erschreckenden Gewöhnlichkeit ist, die aber ständig meinen, man müsste irgendwie seine Sexualität befreien oder so etwas.
Nein, muss man nicht. Man kann auch entgrenzende Musik schreiben, und trotzdem die Grenzen anderer Menschen respektieren. Und dass man immer wieder versucht, in der Biografie von klassischen Komponisten irgendwelche Anzeichen von geheimen Perversionen zu finden, finde ich einfach nur widerlich.
Daher beschleicht mich der Gedanke, dass all dies vielleicht ein Riesenmissverständnis ist. „Creativity through Kink“ schreibt die New York Times, und das mag für Sie ja stimmen. Und natürlich, „Kink“ muss auch in Kunst Platz haben, denn in Kunst hat alles Platz, was auch im Leben Platz hat. Und man darf auch über alles reden, auch über Mollena und Sie. Aber „befreien“ tut mich das jetzt nicht direkt.
Und der Umkehrschluss stimmt eben auch:
Kink alone is not creativity.
Denn dazu gehört eben doch ein bisschen mehr als ein paar Nagelbetten und Folterkammern.
Und das wissen Sie – als ja sehr guter Komponist – sicher auch.
In diesem Sinne,
Ihr
Bad Boy, Moritz Eggert
Komponist
Viel Geschrei um nichts, so kommt mir das hier vor. Der Haas darf ruhig ein wenig diskreter sein, und der Eggert soll sich mal nicht so aufregen.