Wo soll man Komposition studieren – ein unorthodoxer Versuch mit professoralen Aufführungszahlen

Bei welcher Kompositionsprofessorin oder welchem Kompositionsprofessor soll man studieren? Am besten dort, wo man sich ästhetisch angezogen oder aufgehoben fühlt oder glaubt, unbedingt etwas spezielles von dieser Person lernen zu können. Aber hilft das dort erworbene Können wirklich zum Aufbau einer Karriere? Wir wissen, dass dies heute keine Frage der Ästhetik oder des Könnens ist, sondern eine des kompositorischen Fleisses. Und des Könnens in den Bereichen des Netzwerkens, Handschüttelns, Partygesprächs, der Empfehlung, der Förderung durch einen Juror, etc. Ein Indikator für die Potenz des Fleisses und dieser anderen „soft skills“ könnten die Aufführungszahlen des Jahres 2015 der Professorinnen und Professoren für Komposition an den deutschen Musikhochschulen sein. Wobei gleich gesagt sein soll, dass dies nichts über die ästhetische Qualität der Betroffenen aussagt. Denn viele Aufführungen deuten eher auf häufige Kammermusikaufführungen hin, wenige auf ein Jahr mit anspruchsvollen Orchesterwerken und Musiktheatern. Oder eben doch neben Zweifeln an der Wertschätzung des Betriebs an den entsprechenden Personen. Oder doch auch weniger Erfolge mit den „soft skills“. Letztlich ist es auch eine Frage, ob die Komponistinnen und Komponisten die Terminkalender ihrer Internetauftritte sorgfältig pflegen, dies ihr Verlag auf seiner Seite mit einer rückwärtsgerichteten Recherche zulässt. Zuletzt bleibt der Weg über eine Suchmaschine, wobei hier oft keine bis nicht einmal fünf Aufführungen unter den ersten 100 Einträgen zu finden waren, was zu keine Angabe führte. Beurlaubte Komponisten fehlten bei dieser Suche. Genauso Radiosendungen.

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Es ist wenig überraschend, dass Wolfgang Rihm mit fast 160 Aufführungen die Riege anführt. Zur grossen Freude folgt ihm gleich Blog-Kollege Moritz mit Abstand von knapp 70 Aufführungen mit ca. 90 Terminen in 2015. Interessant ist, dass der Nicht-Professor Jose Sanchez-Verdu der dritte in der Riege ist. Das Mittelfeld mit ca. 20 verifizierbaren Aufführungen bilden Levy, Mahnkopf, Mundry und Schöllhorn. Gefeierte Grössen wie Andre, Kyburz, Herrmann, Schüttler, Stroppa und Trojahn kommen mit Ach und Krach auf gerade einmal 10 im Netz auffindbare Aufführungen im Jahr 2015. Das sagt einiges über das Internet. Wie wäre es zum Beispiel mit der Anschaffung einer eigenen, gepflegten Webpage oder einem vernünftigen Verlag? Das sagt aber neben der skrupulösen Arbeitsweise der Betroffenen auch etwas über mangelhafte Rezeption ausserhalb der Nischen der Neuen Musik zwischen Musikhochschulen, Donaueschingen und Ultraschall aus.

Natürlich gibt es nach wie vor Komponisten der klassischen Neuen Musik wie Schnebel, Lachenmann, Zender, Reimann oder Kurtag sowie Gubaidulina. Nur unterrichten die schon lange nicht mehr oder haben niemals Komposition an einer Musikhochschule unterrichtet. Und es sagt, dass Personen wie Georg Friedrich Haas, Beat Furrer und Matthias Pintscher nicht mehr hierzulande unterrichten oder noch nie in Deutschland unterrichtet haben. Oder Künstlerinnen wie Künstler von der Bedeutung einer Olga Neuwirth oder eines Enno Poppe genauso sträflicherweise wie die im Ausland arbeitenden Personen nicht von Interesse für die Hochschullandschaft sind. Oder Personen wie z.B. Kampe, Kreidler, Schneid oder Karola Obermüller aus der Perspektive der Hochschulen noch nicht reif für eine Professur sind. Bei der Wahl der richtigen Person sollte man allerdings auch berücksichtigen, was der Hochschulstandort ermöglicht an weiteren Studienangeboten, an Ensemble-, Orchester- oder gar Musiktheatermöglichkeiten, an Gastdozenten, etc., an Abschlussmöglichkeiten oder an Durchlässigkeit zwischen den Kompositionsklassen.

Zur Systematik: Die Recherche der Anzahl der Aufführungen in 2015 ohne Radiosendungen erfolgte über die Homepage des Komponisten (H), Seite seines ihn zu 80% verlegendenden Verlages (V) oder über Abgleich von 50 Einträgen einer Internetsuchmaschine unter Eingabe von Vor- und Familiennamen und dem Jahr (S), gemischte Suchen aus diesen drei Quellen sind eigens angegeben. Keine Angabe (k.A.) zeigt an, dass keine der drei Quellen eine Terminsuche rückwärts zuliessen oder aussagekräftig wiedergaben. Rebecca Saunders, Michael Obst und Jörg Widmann sind zwar aktuell nach wie vor Lehrstuhlinhaber, unterrichten aber nicht aktiv.

HfM Berlin
Kyburz 8 (V)

UdK Berlin
Mendoza 10 (H)
Ott 12 (H)

Bremen
Birkenkötter 3 (V)

Detmold
Levy k.a. (letztes Jahr auf H 2013: 26)
Smutny k.a. (H derzeit in Überarbeitung, bzw. V&S 2015: 3-5)

Dresden
Andre ca. 5-10 (V/S)
Olbrisch k.a.
Tsangaris 11-14 (H)

Düsseldorf
Sanchez Verdu 77 (H)
Trojahn mind. 10 (S)

Essen
Steinke ca. 5-10 (S)

Frankfurt
Finnendahl k.A.
Kühnl k.A.
Müller-Hornbach k.A.

Freiburg
Pauset (V) mind. 8
Schwehr k.A.

Hamburg
Hajdu k.A. (letztes Jahr auf H: 2012 11)
Lampson k.A. (letztes Jahr auf H: 2014 10)
Schwenk k.A.
Stahnke mind. 7 (H)

Hannover
Heintz k.A.
Moreira 8 (H)
Ming Tsao k.A.

Karlsruhe
Rihm 159 (V)
Hechtle s. Köln

Köln
Hechtle 2 (S) (2016 S: 7 Orchesteraufführungen)
Schöllhorn 22 (H)

Leipzig
Mahnkopf 23 (H)
Reinhard k.A.

Lübeck
Döhl k.A.
Mack ca. 15 (H)

Mannheim
Corbett ca. 16 (H)

München
Eggert ca. 90 (H)
Müller-Wieland 3 (V/H/S)
Mundry 18 (V)

Rostock
Wolf k.A.

Saarbrücken
Herrmann ca. 5 (S)

Stuttgart
Reudenbach k.A.
Schüttler 8 (S)
Stroppa ca. 7 (S/V)

Trossingen
Luis Antunes Pena ca. 8 (H)

Weimar
Kreppein ca. 5 (H)
Obst beurlaubt
Wolschina k.A.

Würzburg
Dohmen k.A.
Platz ca. 7 (H)
Schneider 14 (H)

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Komponist*in

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9 Antworten

  1. @Alexander: Danke für dieses Aktivitäts-Ranking, das man aber gar nicht „unorthodox“ nennen braucht. Wie wäre es stattdessen mit „zeitgemäß“?

  2. Thomas Deufel sagt:

    Mainz fehlt mir … und ich will nicht mit einem arroganten „keine richtige Hochschule“ abgespeist werden …

  3. Und zur Ergänzung müsste man noch die GEMA-Tantiemen + freies großes Recht einsehen. Die GEMA führt bekanntlcih sehr genau Buch! (Allein, die Daten sind wohl eher „geheim“, bzw. Nicht-Öffentlich.)

  4. – Martin: Es geht mir weniger ums Geld als tatsächlich die Aufführungszahl, wie das zustande kommen kann, warum es auch gute Gründe gibt, warum nicht. Z.B. hat man mit mittleren Zahlen höheres Ansehen bei vielen Kollegen als mit höheren Zahlen, man gilt dann als wohlüberlegt Komponierender, derweil denen mit mehr Aufführungen Schnellschreiberei unterstellt wird, deren Fleiss und Emsigkeit übersehen wird. Wie gesagt, wenn ich Studientipps geben müsste, würde ich empfehlen, nach ästhetischer Lust die bevorzugten Lehrer auszusuchen. Wenn man dort aufgenommen wird, sollte man dort aber nicht ewig bleiben, sd. Lehrer weiter aufsuchen, die sich in zentralen Punkten vom ersten unterscheiden, bei einem Bekannteren weitermachen, dessen Strategien auch der Vermarktung zu studieren als den Geheimtipp höchster Kunst bis zum St.-Nimmerleinstag auf der Pelle zu hocken.

    Ein anderes Zeichen niedriger Aufführungszahlen ist auch, dass ggf. das Unterrichten und Hochschulleben so in Anspruch nimmt, dass die kreative Zeit gegen Null schrumpft. Das erklärt ggf. auch, warum manche erst gar nicht unterrichten oder es im Ausland bevorzugen. Wie bei höheren Aufführungszahlen profitiert man dabei tatsächlich auch finanziell bei gleichzeitiger Förderung der eigenen künstlerischen Projekte als Lehrender durch eine Uni, im Gegensatz zu Deutschland, wo man sich oft fast entschuldigen muss, dass man doch auch noch Komponist ist. Wie man das hier verbessern könnte, wäre zu überlegen. Vielleicht mehr Sabbaticals, künstlerische Eigenarbeit als eigenes Forschungsprojekt ohne Lehrverpflichtung für eine gewisse Zeit ohne Besoldungseinbussen. Mehr Durchlässigkeit zwischen den Klassen einer Hochschule, stärkeres sich ergänzendes stilistisches Gesamtprofil aller Kompositionsunterrichtender einer Hochschule. Dann hat man gerade bei Lebenszeitstellen auch Personen, die nicht unter 10 Aufführungen sinken, was sie bekannter, in der hochschulfremden Welt verankerter, künstlerisch breiter aufgestellt auch nach vielen Jahren sein lässt. Und Stellen nicht zum finanziellen Rettungsanker nach mageren freiberuflichen Jahren werden und die neue Aufgabe zum künstlerischen Verstummen mit beiträgt. Oder man bewegt sich von den Lebensstellen doch noch mehr weg. Allerdings kann man innerhalb von Hochschulen erst in längeren Phasen die idealen Konditionen hin verändern als es Juniorprofessur-artige Konstellationen von max. 5 Jahren ermöglichen.

    – Tom: als Ausgangsplattform nahm ich »Die deutschen Musikhochschulen«, die ehem. Rektorenkonferenz der Musikhochschulen, wo Mainz nicht Mitglied ist. Es gibt dort zwar aktuell Jazzkomposition, aber keine Neue Musik/E-Musik/Klassik. Deshalb fehlt es. Trossingen wollte ich eigentlich auch fortlassen, da Pena dort offiziell eher Klangkunst denn Instrumentalkomposition unterrichtet. Aber ich halte ihn doch für eine Person, die auch was für eine Stelle der reinen Instrumentalkomposition was wäre…

  5. @Alexander: Mir ging es auch nicht um das Geld, sondern um handfestere Zahlen. Selbstinformationen und Verlagsdaten reichen da nicht hin. Denn beide wissen ja nicht so 100%, was wirklich zur Aufführung gelangt. Das sehen sie aber dann in den Abrechnungen.
    Ich fand es selbst nur sehr interessant, dass ich von manchen der genannten Komponistinnen dort oben noch nie was gehört habe.

  6. Da hast Du Dir aber viel Arbeit gemacht, lieber Kollege! Aussagekräftiger wäre wahrscheinlich noch eine Recherche über die Aufführungszahlen der Studenten, aber das ist wohl fast unmöglich seriös zu recherchieren…
    Letztlich ist es ja nicht unwichtig, was die Lehrer für ihre Studenten tun können, da hat Rihm sicherlich auch einen ziemlich guten Track Record, und in der Vergangenheit sicher auch Henze, der sich zudem auch noch generell sehr für junge Kollegen eingesetzt hat, auch wenn sie nicht bei ihm studierten.

    Und natürlich gibt es fantastische Lehrer, die kaum Aufführungen haben oder selber gar nicht so aktiv sind (im Pianistenbereich fiele mir hier Kämmerling ein, einer der erfolgreichsten Klavierpädagogen Deutschlands aber selber quasi nicht aktiv als Pianist).

    Was viele seltsamerweise nicht machen: man kann sich immer bei Kompositionslehrern vorstellen und probeweise deren Unterricht besuchen, man merkt dann schnell, ob es „funkt“. Die Cleveren reisen vor den Aufnahmeprüfungen ein bisschen herum und sprechen mit mehreren Professoren bevor sie eine Entscheidung treffen.

  7. Peter Gahn sagt:

    An der Hochschule für Musik Nürnberg ist es seit 3 Semestern auch möglich Komposition zu studieren: Im Masterstudiengang Aktuelle Musik: Komposition oder im Bachelorstudiengang ab dem 5. Semester als Profilschwerpunkt.
    Hauptfachlehrer: Prof. Volker Blumenthaler, Prof. Dieter Buwen, Prof. Vivienne Olive und seit letztem Semester auch ich (Peter Gahn) mit einer Stelle für Komposition/Neue Medien/Sound Studies.
    Infos darüber gibt es u.a. in einem NMZ-Artikel hier: http://www.nmz.de/artikel/kuenstlerisches-denken-kreative-erfahrungsfelder.
    Meine Webseite und die meines Verlages sind nicht ganz aktuell, es fehlen einige Aufführungen, wie sicherlich bei vielen Kolleginnen und Kollegen andere Hochschulen auch.

  8. Mathias Richter sagt:

    Eine spannende Auflistung! Ich vermisse aber Osnabrück, wo seit einigen Semestern der ungemein fähige und sympathische Ali Gorji Komposition unterrichtet. Osnabrück hat den Status einer Hochschule. Was war hier das Ausschlusskriterium, lieber Alexander?

    Edit: Okay, ist nicht Mitglied der von dir genannten Rektorenkonferenz. Und nennt sich bloß „Institut für Musik“.
    Ich wollte es trotzdem genannt haben.

  9. Ausschlaggebend die Vereinigung der dt. Musikhochschulen unter http://www.die-deutschen-musikhochschulen.de/ueber-uns/mitglieder/start/. Fehlt Osnabrück, wie Mainz ja nicht selbständige HfM. Zu Nürnberg: Danke für Hinweis. Die Darstellung auf Internetseite der HfM Nürnberg bezeichnet nur Sie, Hr. Gahn, als Kompositionszuständigen, mit Hinweis auch auf musikelektronische Komposition, gleich zweimal, was weniger auf „klass.“ instrumentale Komposition schliessen lässt. Wie gesagt, ich orientierte mich zu meiner HfM-Studienzeit v.a. ästhetisch, nicht nach Aufführungszahlen meiner Lehrer. Allerdings ist die Diskrepanz zwischen Wirkung als Prof. und Aufführungen heute grösser als in den Neunzigern. Bzw. wäre es mir unvorstellbar gewesen, dass Kompositionslehrer nahezu künstlerisch verstummt wären, wie es heute den Anschein hat. Oder gar im Rahmen von Hochschulen vorwiegend aufgeführt werden als in der „freien Wildbahn“, für die die HfM auch im Fach Komposition vorbereiten soll. Ich mutmasse da ja, dass heute manchen die bürokratischen Aufgaben, die über das Fach Komposition hinausgehenden Lehrverpflichtungen zu viel Zeit zum Komponieren rauben. Aber da muss sich eine HfM fragen lassen, warum sie jemand einerseits wegen seinen künstler. Leistungen einstellt, dann aber genau dies massiv erschwert statt fördert? Das mögen hochschulinterne Aufführungen oder an einer Partner-HfM ja sein. Aber wie wäre es, statt zum Theorieunterricht verdonnert zu sein, eher das Komponieren selbst zur Forschungsaufgabe zu machen? Grandios ist darin z.B. die kanad. Concordia-Uni, wo der Prof. sein Schaffen ausleuchtet, Vorarbeiten dazu in sein Team bringt. Da haben alle was davon… Mehr als in der hiesigen Trennung von Kunst und Lehre. Aber ist es nicht so, dass Wissenschaft und Lehre meist an Unis vereint sind, ja, der Prof. dort forschen kann und nicht daheim, wie es quasi der Komp.prof soll? Die HfM in D verwechselt Kompositionslehrende mit Instrumentaldozenten…? Oder täusche ich mich?!?