Surround!
Surround!
Das Innere des Concertgebouw-Gebäudes ist modern, äußerst geräumig und voller unerwarteter Treppenfluchten, Abgründe und verborgener Kammern. Es überrascht daher nicht, dass es sich gut für ein Festival der besonderen Art eignet: „Surround!“ (18.11.-21.11.2015) ist eine Zelebrierung von „Spatial Music“ – von elektronischer wie akustischer „Raummusik“ sowie Klanginstallationen.
Zum Raum wird hier der Klang, und das geschieht auf sehr originelle Weise wie zum Beispiel in Simon-Steen Andersens „Black Box“, in dem Bewegungen von 2 Händen in einer kleinen schwarzen Kiste wahre Klangstürme von Livemusikern entfachen (belgische Erstaufführung durch das „Nadar“-Ensemble). Eine andere Black Box befindet sich in einem Seitenraum: „Black Box“ von Christoph De Boeck ist eine akustische Installation bei der man sich eine schwarze Kiste auf den Kopf setzt, und die Schallwellen allein durch die Schädeldecke übertragen werden, ohne im Raum zu erklingen. Da erschrickt man schon mal, wenn es plötzlich im eigenen Knopf knarzt und furzt.
Das selten zu hörende „Acousmonium“ ist ein reines Lautsprecherorchester, für das schon Titanen wie Iannis Xenakis Originalwerke schrieben. Für das Publikum ist das ein merkwürdiges Erlebnis: die zahllosen Lautsprecher auf der Bühne werden beleuchtet und stehen herum wie die Hauptdarsteller eines abstrakten Theaterstücks, nur bewegen sie sich eben nicht. Nach jedem Stück die Verunsicherung des Publikums: soll man nun klatschen oder nicht? Wurde etwas „aufgeführt“, weil jemand eine Abspielanlage in Gang setzt? Niemand verbeugt sich, das Klatschen verebbt schnell wieder, wie bei vielen elektronischen Konzerten.
Am meisten überzeugt mich in dieser Aufführung neben den Klassikern der Klangkunst wie Ferrari ein Stück des eher unbekannten Charles Clapaud: In „Ruptures“ gelingt es ihm, ein klares Vokabular von synthetischen Tönen aufzubauen, das jedem Lautsprecher eine Rolle zuweist. Tatsächlich entsteht so etwas wie eine skurrile Unterhaltung zwischen toten Objekten: man fällt sich ins Wort, brüllt, flüstert, schmeichelt, all dies mit klarer Syntax und sehr spannend und überraschend, ja witzig. Leser dieser Seiten wissen natürlich, dass ich der Verherrlichung des Klanges an sich immer sehr kritisch gegenüberstehe. Für mich ist das immer ein bisschen als ob man die Tinte verherrlicht, wenn man über Literatur spricht. Klang ist Medium, aber noch kein Inhalt. Daher freut man sich, wenn auch mal mit Tönen und deren Relation gearbeitet wird, wenn ein narratives Element entsteht, und das gelingt Clapaud in seinem Stück von 1978 wesentlich besser als vielen Granularsynthetikern von heute.
Bei der parallel stattfindenden (wiederholten) Aufführung von Werken für „Wave Synthesis“ (Slavash Akhlaghi und Ju Youn Kang), einem komplexen Surround-System mit hunderten von Lautsprechern, fragt man sich dann vor lauter Klanggeschwirre um einen herum schon manchmal, ob die Komponisten nicht vielleicht mehr Zeit mit den formalen Aspekten ihrer Stücke hätten verbringen sollen. Man kann sich im Klang verlieren, aber man verliert auch sehr schnell seine Konzentration. Erst sitzt das Publikum gebannt lauschend da, mit geschlossenen Augen, dann werden irgendwann die Handys gezückt oder man blättert im Programmheft, es stört ja niemanden. Während dessen rauscht und rumpelt es, Klangblöcke fliegen um einen herum. Mono würde das keinen interessieren. Dennoch faszinieren natürlich die Möglichkeiten, Klänge im Raum zu formen, jedem Sample eine „Richtung“ und eine Bewegung zuzuordnen.
Man fragt sich, was die Zukunft dieser Art von Klangkunst sein wird, jetzt, wo man in Konkurrenz mit immer perfekteren Heim-Surroundsystemen steht, wo jeder Kinogänger gewohnt ist, dass er „mitten im Film“ sitzt. Tatsächlich arbeiten die Sound Editors professioneller Filme inzwischen mit ähnlichen Programmen, wie sie im IRCAM verwendet werden, vielleicht sogar mit besseren. Früher waren Erlebnisse wie hier beim „Surround!“-Festival ausschließlich Aufführungen experimenteller Neuer Musik vorbehalten, inzwischen sind sie fast Alltag. Wir hören ständig „Surround“-Musik: im Supermarkt, im Fahrstuhl, im Restaurant, im Vergnügungspark. Es überrascht daher nicht, dass sich die elektronischen Klangkünstler inzwischen zunehmend dem Thema Visualisierung widmen, und ihre Aufführungen mit Bildern und Licht erweitern.
Klanginstallationen wie „Thalassa! Thalassa!“ von Erik Nerinckx dagegen laden zum freien Verweilen ein und faszinieren durchaus: mit dutzenden von voneinander entfernten Mikrophonen wurde das Meeresrauschen am Strand aufgenommen und erklingt nun in einem langen Gang durch ebenso viele Lautsprecher. Wenn man die Augen schließt, ist man am Meer – es ist ein deutlicher Unterschied zur Wiedergabe allein in Stereo.
Auch Theatralik spielt eine Rolle: in „Shift Coordinate Points“ von Esther Venrooy betritt man einen winzigen Raum, in dem – von einem einzigen Scheinwerfer beleuchtet – zwei einsame Lautsprecher Ausschnitte aus Zahlenfolgen der mysteriösen „Number Stations“ wiedergeben. Hier ist weniger interessant was man hört als wie man sich fühlt – die konspirative Atmosphäre des Raumes macht einen quasi zum Agenten wider Willen. Auch dies ein schlüssiger Ansatz.
Natürlich gibt es auch viel Livemusik: so treten im großen Abschlusskonzert die Brüsseler Philharmoniker und das Slagwerk Den Haag auf, mit Werken von u.a. Xenakis, John Luther Adams, Wagner und Gabrieli (!). Das Publikum sitzt mittendrin, und bei den großartigen Leistungen der Musiker klatscht man sehr gerne.
Wer sich für dieses spannende Festival und das Concertgebouw Brugge (ein Besuch lohnt auf jeden Fall) interessiert, kann hier weitere Informationen bekommen.
Moritz Eggert
Komponist
Lieber Moritz! Wir werden in den nächsten Wochen in unserem Theater eine neue Art der sourround Beschallung basierend auf der Wellenfeldsynthese installieren und wahrscheinlich ca. März auf einem Pop Konzert erstmals dem Publikum zu Gehör bringen.Die bisherigen live surround Systeme hatte ich als Spielkram empfunden. Dieses ist das erste, welches mich wirklich überzeugt hat. Wenn Du magst, halte ich dich auf dem Laufenden.
Wäre der Vergleich
Klang – Kalligraphie
Musik – Literatur
nicht treffender als
Klang – Tinte
Musik – Literatur
?