Begeisterung entfachen. Internationale Kammermusiktage Homburg 2015.

Syrien

Plötzlich betritt eine Gruppe syrischer Flüchtlinge die kleine protestantische Kirche. Sie wirken auf angenehme Weise wie ein Fremdkörper im Konzertpublikum, das vor allem aus älteren Damen zu bestehen scheint. Die Flüchtlinge gehören zu dem Projekt „Konzertbegleitung Für Flüchtlinge gesucht“ bei dem ein hiesiges Unternehmen dafür wirbt, dass Bürger gemeinsam mit ihnen in klassische Konzerte gehen.
Ich bin in Homburg, einer kleinen Stadt im Saarland, nicht weit von Saarbrücken. Ich bin Gast eines Festivals, der „Internationalen Kammermusiktage Homburg“.

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„Wir wollen das Publikum in Homburg und Zweibrücken erstaunen und die Begeisterung für die Musik immer wieder neu entfachen“ steht auf einer Seite des schönen und ausführlichen Programmheftes. unter diesem Statement steht unter anderem mein Name, zusammen mit den anderen Künstlern des Festivals. Ich habe das nicht unterschrieben, aber ich hätte es unterschrieben, wenn man mich gefragt hätte. „Begeisterung entfachen“ will man ja als Musiker auf jeden Fall, warum nicht?

Das Festival existiert in dieser Form seit 20 Jahren, 2015 ist also ein Jubiläum. Gegründet wurde es von Dr. Balthasar Weinheimerl, einem privaten Mäzen der auf einem Foto ein bisschen aussieht wie Yehudi Menuhin. Schon seit vielen Jahren leitet das Vogler-Quartett das Festival und sorgt für ein ausgewogenes und vielfältiges kammermusikalisches Programm. Das aktuelle Programm wirbt mit gleich zwei „Echo-Klassik“- Preisträgern und einer Diskussion über die „goldene Zukunft der Kammermusik“.

Dass so etwas in einer kleinen Stadt wie Homburg funktioniert, hat einen besonderen Grund: in den örtlichen Unikliniken, die die ganze Region versorgen, arbeiten zahllose Ärzte. Und das Klischee stimmt: Ärzte lieben Musik, sind kunstverständig.

In den Konzerten sieht man aber keine jungen Ärzte, sondern eher Pensionäre. Man kann das auf zwei Weisen sehen: das Publikum überaltert und wird immer weniger, oder: die Ärzte im Ruhestand haben einfach mehr Zeit für Konzerte.

Wofür sie auch Zeit haben, stellt eine weitere Besonderheit des Festivals dar. Die Gastmusiker sind grundsätzlich privat zum Essen eingeladen. Mittags und abends, nach dem Konzert. Die Gastgeber versuchen sich gegenseitig mit leckeren Speisen zu übertreffen, es werden freundliche Tischreden gehalten, man fühlt sich willkommen. Bis spät in die Nacht gehen diese Gelage, so dass es am nächsten Morgen schwer fällt, wieder in die Gänge zu kommen.

Stephan und Stephan

Stephan Fehlandt und Stephan Forck

Das Vogler-Quartett hat sich ein gigantisches Programm ausgedacht. Auch sie feiern ein Jubiläum, nämlich ihr 30-jähriges Bestehen. Sodass es heißt: 30 Jahre Vogler-Quartett, 20 Jahre Kammermusiktage, 10 Jahre Kammermusiktage unter der Leitung des Vogler-Quartetts.

Deswegen gibt es 10 Konzerte in 10 Tagen. Das Ganze ist übertitelt mit „Aufbruch“. Tim Vogler, erster Geiger des Quartetts, übernimmt die meisten Konzerteinführungen. Alle Musiker des Quartetts spielen jeden Abend, unter Einbindung von verschiedensten Gästen. Deswegen gibt es einen ausführlichen Probenplan, der jeden Tag regelt, wer wann und wo üben kann. Auch hierzu stehen Privatwohnungen zur Verfügung: freundliche ältere Damen empfangen einen im Wohnzimmer, in dem meistens moderner Kunst hängt. Das sind dieselben älteren Damen, die einem später nach dem Konzert erklären, was ihnen gefallen und was ihnen nicht gefallen hat. In gewisser Weise ist man also als Musiker Teil eines stadtübergreifenden Salons, man kann seinem eigenen Publikum nicht entkommen (was nicht das Schlechteste ist).

Als „Aufbruch“ sind auch die Konzertprogramme zu verstehen. Hier treffen Werke aufeinander, die man normalerweise nie im selben Konzert hören würde. So spielt bei einem Konzert die sensationelle chinesische Schlagzeugerin Sabrina Ma das „Bone Alphabet“ von Brian Ferneyhough als eine Art geometrische Tanzanordnung von hoher Komplexität, direkt danach tritt der ebenso großartige Avi Avital auf, der mittels populären und eingängigem Repertoire wie Ravel und Bach auf der Mandoline Klänge zaubert, die man normalerweise diesem Instrument nie zutrauen würde. Natürlich ist das Publikum von letzterem besonders begeistert, aber Ferneyhough hat seinen Platz und kann sich behaupten.

Das Vogler-Quartett hat sich schon von Anfang an einen Namen mit der Interpretation zeitgenössischer Musik gemacht. Später haben sie ihren Horizont immer mehr erweitert, aus „Notwendigkeit“, wie Tim Vogler mir sagt. Gemeinsam mit seinen Kollegen Frank Reinecke, Stephan Fehlandt und Stephan Forck begleitet Tim auch gerne Ute Lemper mit Chansons, erklärt Schulkindern das Streichquartett und editiert ein großes Buch über die Geschichte des Vogler-Quartetts, dessen Geschichte auch eng mit der Geschichte des geteilten Deutschlands verbunden ist.

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Tim Vogler

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Tim Vogler

Die ersten Erfolge und Wettbewerbssiege erlebte das Quartett zu einer Zeit, als die Ausreise aus der DDR nicht selbstverständlich war und man wegen der Interpretation eines Werkes des Dissidenten Ligeti so richtig Ärger und Ausreiseverbot bekam. Dann kam die Wende, genau zur richtigen Zeit, und das Vogler-Quartett hat die neu entstandenen Chancen virtuos genutzt und sich daher bis heute eine große Jugendlichkeit und Spielfreude bewahrt. Ungewöhnlich ist auch, dass das Quartett nach wie vor in der Originalbesetzung spielt, was bei Quartetten eine absolute Seltenheit ist.

Bei den Proben kann ich die Gelassenheit im gemeinsamen Umgang bei den Musikern erleben. Wichtig für alle ist, ständig auch anderes Repertoire als das reine Streichquartettrepertoire zu spielen. Man spielt im Trio, im Duo, mit anderen Musikern (wie dem gute Laune verbreitenden Kontrabassisten Frithjof –Martin Grabner aus Leipzig). Oder dem unglaublich musikalisch spielenden Matan Porat, einem israelischen Pianisten und auch Komponisten.
Doch bei all diesen guten Ansätzen und Vorsätzen ist man nicht naiv. Im Programmheft wird von der „Goldenen Zukunft“ der Kammermusik gesprochen. Was natürlich zwischen den Zeilen gelesen bedeutet, dass man um eben diese Zukunft auch fürchtet. Deswegen gibt es auch eine Diskussion darüber während des Festivals, und zahllose Texte zum Thema.

Um das Publikum, das zu den 10 Konzerten in Homburg kommt, muss man nicht fürchten. Eher um das Publikum, das nicht kommt. Die Menschen, denen Kammermusik immer weniger bedeutet, einfach, weil sie gar nicht wissen, dass es so etwas überhaupt gibt. In der oberflächlichen Klassik-Hype-Welt spielt Kammermusik – die von allen Musikern die etwas davon verstehen einstimmig als die Königsdisziplin der Musik angesehen wird – eine immer kleinere Rolle- Man gibt lieber kurze Extrakte aus Opernarien, die sofort zum Höhepunkt kommen und einer Werbung unterlegt werden können, so wie „Nessun dorma“. Da hat ein spätes Beethovenstreichquartett keine Chance – es ist einfach zu subtil.

Dennoch wollen wahrscheinlich noch nie so viele Menschen Kammermusik auf hohem Niveau spielen und damit Erfolg haben. Das ist der Druck, den alle Kammermusikformationen ständig spüren – man spielt für fallende Honorare, beutet sich zunehmend selbst aus, gleichzeitig stehen unzählige jüngere Formationen am Start, die in dieselbe Nische drängen. So wie das Trio Imáge, junge Echopreisträger, ebenfalls bei den Kammermusiktagen vertreten. Sie spielen hervorragend, aber irgendetwas fehlt. Vielleicht ein wenig Lebenserfahrung? Sie sind auch die einzigen, die keinerlei zeitgenössisches Repertoire spielen.

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Matan Porat

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Matan Porat

Lebenserfahrung kann man wiederum den Voglers nicht absprechen. Alle haben Familien und Kinder, wissen, wie es ist, anstrengenden Beruf und Privatleben zu vereinen. Man hört ihnen an, dass sie viele unterschiedliche Arten von Musik spielen, das macht sie flexibel und neugierig auf Neues. Dünkel ist ihnen fremd.

So findet es Tim Vogler auch nicht schwierig, Ferneyhough mit vollkommen anderer Musik zu kombinieren. Zum Beispiel mit dem Jazz-Cellisten Stephan Braun, der das Cello so vielstimmig und leicht spielt wie eine Gitarre (und es auch so hält), dabei aber auch sensibel auf Mitmusiker eingehen kann, wie in seinen Improvisationen zum Bach-Violinkonzert, das wiederum von Avi Avital auf der Mandoline gespielt wird, und damit auch mal ganz anders klingt. Plötzlich klingt Bach orientalisch, weil Avi sich seine Spieltechniken auch aus dem Nahen Osten angeeignet hat (wo er als Israeli ja auch herkommt).

Was uns wieder zu den syrischen Flüchtlingen bringt, die zum ersten Mal in einem klassischen Konzert in Deutschland sitzen und es sichtlich spannend finden. Ich spreche mit einer Deutschen, die sie begleitet. Das Problem bei der Initiative „Flüchtlinge in klassische Konzerte“ sei nicht das mangelnde Interesse der Flüchtlinge an den Konzerten, sondern die fehlenden Deutschen, die sie dorthin begleiten, um ihnen einen Einstig in die hiesige Kultur zu geben.

Es scheint, als wären wir selber nicht mehr so besonders daran interessiert.

Moritz Eggert

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Tim Vogler. Moritz Eggert, Frithjof-Martin Grabner

Internationale Kammermusiktage Homburg, Zweibrücken, Fasanerie, Tim Vogler. Moritz Eggert, Frithjof-Martin Grabner

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3 Antworten

  1. Sehr schöner Artikel, lieber Moritz Eggert, allein verstehe ich den Absatz über das Trio Imàge nicht ganz: auf der einen Seite erwähnen Sie den gewonnen ECHO, schreiben dann aber, das Ensemble würde „…keinerlei zeitgenössisches Repertoire spielen.“ Den ECHO haben sie für ihre wirklich hervorragende Einspielung der drei Klaviertrios von Mauricio Kagel erhalten, von denen die letzten beiden im 21. Jhd. komponiert worden sind, was sie meines Erachtens als „zeitgenössisch“ qualifizieren würde. Was ich aber für noch wichtiger halte, ist die Tatsache, dass sie darüber hinaus die einzelnen Trios so oft es geht in ihre Konzertprogramme einbauen und so einem eher vorsichtigen „konventionellen“ Kammermusikpublikum diese wahrhaft großartige Musik nahe bringen.

  2. Dann war ich in der Tat ungerecht gegenüber den Images – allerdings spielen sie (wenn man auf ihrer Homepage schaut) tatsächlich nur immer wieder den Kagel und sonst Haydn, Schumann, Schumann, Haydn, Schostakowitsch, Haydn, Beethoven, Haydn, Schumann, Schumann, und dann auch mal einen Piazzola. Das mag aber nicht an ihnen sondern an ihrem Management liegen. Wie auch immer, in Homburg hätte ich gerne den Kagel gehört!

  3. Da würde ich das Management auf alle Fälle in Schutz nehmen, die Ursache für konventionelle Programmierung liegt meines Erachtens eher bei den kleineren Veranstaltern, die mehr Karten für konventionellere Programme verkaufen können und zudem durch die Gema-Gebühren für moderneres Repertoire oft an ihre Grenzen kommen. Das Trio hätte in Homburg sehr gerne Kagel gespielt, allein wurde es von dem Veranstalter nicht verlangt.