Das schönste an John Cage ist…

Das schönste an John Cage ist: sein Name. Sein Vorname und sein Familienname sind mit ihren jeweils vier Buchstaben ungewöhnlich ebenmäßig für eine Ikone der Neuen Musik. Übersetzt man die Buchstaben in deutsche Tonhöhenangaben, ist „John“ nicht zu knacken, erklänge hierbei nur nach dem dritten Buchstaben der Ton h, die anderen drei wären Pausen, Geräusche, Performance. Der Familienname hingegen hätte Dmitri Schostakowitsch neidisch machen müssen. Der Russe komprimierte seinen langen Namen auf d-s-c-h. c-a-g-e aber ist in sich zur Gänze mit Tonhöhen besetzbar. Cages Familienname ist Klang, wie alles, Töne und Pausen, beabsichtigte und unbeabsichtigte Klangerzeugung, für Cage Klang gewesen ist. Und er ist uramerikanisch, könnte als sixte ajoutée linear wie akkordisch eine Floskel aus Dvoraks sogenannten „amerikanischen Quartett“ sein. Wie wunderbar. Wie hübsch.

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Das schönste an John Cage ist: über ihn zu sprechen. Über ihn reden als Person. Trifft man jemand, der ihn im Gegensatz zu uns Jüngeren als lebendigen Komponisten sah, kennenlernte, sprach, so muss er ein liebenswürdiger Mensch gewesen sein. Mit einfachen, fast simplen Vergleichen trieb er Furchtsamen die Angst vor seiner Musik aus: „I can’t understand why people are frightened of new ideas. I’m frightened of the old ones.“ Oder: „I have nothing to say and I am saying it and that is poetry.” Das lässt ihn wirken, als sei er ein freundlicher Werbe-TV-Doktor, der ungefährliche Babynahrung anpreist. Nur ist eben nicht Nahrung, es ist Neue Musik. Und zwar von der Sorte, vor der man sich nicht fürchten muss. John Cages Aussprüche und Schriftzeugnisse sind somit der wundervollste Fundus für Phrasen der Musikvermittlung.

Das schönste an John Cage ist: dass seine Musik oft gar nicht erklingen muss. Noch ist kein konkretes Wort zu seiner Musik gefallen. Sein bekanntestes Werk ist ja auch keines, das man nachsingen oder nachspielen kann. Es ist sein Pausenstück 4’33“. Spätestens seit Advent 2010 kennt es die halbe Welt. Ausdrücklich ist die zweite Version für Jedermann aufsführbar. Es ist mit Werken von Satie und Bartok eines der ganz wenigen Stücke, die jeder Nachspielen kann. Cage für Alle. Cage zum Anfassen. Musik zum Streicheln. Diese Haltung ist hierzulande in Bezug so umfassend verbreitet, dass vergessen wird, wie John Cages auch zu den Komponisten gehört, deren Musik von ganz wenigen Interpreten gespielt werden kann: die immer wieder unspielbaren Freeman-Etüden für Violine. Oder seine Music of Changes, zur Zeit der Entstehung in den fünfziger Jahren eines der komplizierst aufführbaren Werke überhaupt. Kennt jeder seine Musik, die nicht erklingen muss, kennt kaum jemand seine Musik, die erklingen muss.

Das schönste an John Cage ist: dass er gelebt hat. Wie es nett ist, sich über ihn anekdotisch auszutauschen, so ist es bezaubernd, auf Film gebannte Interviews, Konzertaufzeichnungen oder Performance-Mitschnitte mit ihm anzusehen. Sein Auftreten muss eine hippe Sache gewesen sein. Allerdings hat dies wieder etwas vom TV-Werbe-Doktor a la Dr. Hipp. Aber es verdeutlicht auch ein anderes Problem der bekanntesten US-Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: ob Cage, Zappa, Zorn oder Partch. Ihre Musik war ein Ereignis, wenn sie im Raum waren, eine originale Grussbotschaft zur Aufführung aussendeten oder gar selbst auftraten. So sehr sie alle sich höchst ernsthaft mit dem Setzen von Noten auf Papier befassten, so immens wichtig wurde ihr leibhaftiges oder auratisches Teilnehmen am Aufführungsprozess. Ausser Zorn sind sie nun alle gestorben. Zuhörer, die sie selbst noch erlebten, transportieren in sich höchstwahrscheinlich deren persönliches Auftreten weiter. Für uns Jüngere fehlt da aber etwas, ist nicht mehr erlebbar. Immerhin können auch die Alten von uns Jüngeren lernen: zu meinen Münchner Studienzeiten spielte Cage keine Rolle, in Frankfurt war er ein Schwerpunkt. Hans Zender liebte es, das Werk von durchgenommenen Komponisten in Zehnerschritten unter den Studenten einzuteilen, bei Webern von op. 1 bis op. 10, Cage von 1940-1950, mit denen es mich traf. Ich kannte damals nur wenig aus diesem Zeitraum genauer, vor allem die Four Pieces for String Quartet, welche wiederum Zender unbekannt waren und er zum ersten Mal durch mich registrierte.

Wie erreicht man nun, dass Cage auch für uns wieder schön wird? Oder ist es gar an der Zeit, diese Schönheit, gar falsche Schönheit, erst einmal wieder auszutreiben? Ich hatte unlängst ein ähnliches Erlebnis mit John Cages Klaviermusik wie Gastautor Peter Koeszeghy es erlebte. Einziger Unterschied: sein damals mehrheitlich über fünfzig Jahre altes Publikum ist nun ein Ü-55-Publikum. Natürlich verirren sich auch vereinzelt sehr junge Leute in den Saal wie auch in Cage-Vermittlungsvideos neben Senioren auch ein, zwei Alibi-Jugendliche zu finden sind.

Wenn nun kein kurzes, sportives, witziges Stück wie Water Music oder Sonatas and Interludes für präpariertes Klavier oder eben Music of Changes oder die Suite für Toy Piano aufgeführt wird, wird es schnell auratisch-starr, denn der Meister fehlt ja mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem Tod endgültig. Dies vor allem bei Werken, die in jeder Aufführung eine eigene Fassung vom Interpreten abverlangen. Wie eben bei 4’33“. Oder auch bei Solo for Piano, der alleinigen Aufführung des Klavierparts aus Cages Klavierkonzert. So frei im Moment erfunden es wirken kann, so viel Vorbereitung verlangt es vom Pianisten ab. In der von mir erlebten Aufführung war dies auf die eine oder andere sehr ernsthafte Art wohl der Fall.

Dennoch wurde gerade der heilige Ernst zum Problem, wenn nicht das Klavier, sondern Gegenstände zum Einsatz kamen, vor allem wenn dies zum zweiten Mal unverändert stattfand. Laut Programmnotiz wurde das Solo vollständig gegeben. Da wünschte man sich nicht unbedingt Cage leibhaftig herbei, aber seinen Haus- und Hofpianisten David Tudor. Der hatte das Werk mehrfach aufgenommen. Davor errechnete er sich akribisch die notwendigen Ereignisse. Jedoch variieren seine Einspielungen erheblich. Mal hält er sich sklavisch an den Ablauf Cages und kommt doch schneller ans Ende als in meinem Konzerterlebnis. Oder er lässt ganze Teile einfach weg.

Weglassen! Kann man sich das als ernsthafter Musiker heute in Bezug auf Cage noch erlauben? Oder wird man nicht in die Schublade „Klavierclown“ gesteckt? Der eine Schlüssel ist eben Tudor: jedesmal anders aufgeführt, aber davor bis ins kleinste Detail kalkuliert. Das muss nicht dramaturgisch abgestimmt bedeuten. Das ist aber weder heiliger Ernst noch Spass. Der entsteht dabei eher an kleinen Freuden, wenn man an kleinen Handlungen und Gesten das Unerwartete, eigene Erwartungen freigelegt, sich übertölpelt erlebt. Der grosse Spass ist da nicht die riesige Allüre, sondern die Summe des Kleinteiligen. Denn nicht das Versinken in einer unendlichen Pause, die mit 4’33“ ja eher kurz im Vergleich zu Feldmanschen Dimensionen ist, sondern das Weiterhangeln von Moment zu Moment erzeugt hier Spannung.

Für den Interpreten bedeutet dies Stress! Denn es geht nicht darum, die manchmal sehr schlichten Tonhöhen brav aneinanderzureihen und mit einem Kaktus- und Muschelintermezzo Heiterkeit zu simulieren. Es geht darum, das ausgerechnete, ausgewürfelte Material, die kleine oder grosse neue Version zu verlebendigen, jeden Moment zum Ereignis zu machen. Aber nicht in Erstarrung vor der Würde Cagescher Bescheidenheit, sondern in der Balance zwischen Exaktheit und frischem Sich-Selbst-Einbringen in jedem Moment der Aufführung. Nicht eine merkwürdige Handlung, die die selbstverschriebene Ernsthaftigkeit aufbricht, sondern permanentes merkwürdiges Handeln im wahrsten Sinne des Aurmerkens in jeder Aktion des Stücks ermöglicht vielleicht eine lebendige Aufführung ohne den persönlich anwesenden Cage oder seine beweihräucherte Aura. Cages Musik ist trotz ihrer bildnerischen Aspekte doch Musik, die nicht konserviert und restauriert gehört, sondern genauso neu von allen Seiten des Zeitalters der Aufführung angegangen werden will, wie es seit nun doch vielen Jahrzehnten mit dem historischen Repertoire passiert.

Das schönste an John Cage ist: dass er weder zu leicht noch zu schwer verstanden wird. Für junge Komponisten, die ihn nicht mehr erleben konnten, ist er so ein sinnvolles Gegenmittel zu all den verordneten Bachelor- und Masterpflicht- und Wahlfächern. Selbst wenn seine Musik gelehrt wird, höchstwahrscheinlich Number Pieces und 4’33“, gibt es bei Cage immer das Gegenteil zu dem, für was man seine Musik hält. Und im Gegensatz zu den europäischen Traditionen, kann man sich bei aller notwendigen Akribie im Umgang mit Cages Musik sich ganz locker als Ideengeber aufgreifen oder ignorieren ohne in seiner Positionierung zu verkrampfen. Und das ist wohl das eigentliche, was man aus all ihren unterschiedlichen Facetten mitnehmen kann, ohne im Gegensatz bei Abwendung von europäischen Mustern, wie es die Verbissenheit der Diskurse um den eigentlichen lockeren neuen Konzeptualismus und seine Gegner deutlich macht, verteufelt oder nivelliert zu werden: Entkrampfung und Alternative – das ist für mich das schönste an John Cage.

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